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MARVEL-BROKER/003: "Wolverine" - Neue Serie Band 1


G. Rucka, D. Robertson, T. Nihei


Wolverine 1

Die Rückkehr des Lonesome Cowboys "Wolverine"



Mit zwei neuen Abenteuern kehrt Wolverine, der sich selbst nur Logan nennt, mit einem eigenen Heft zurück. Die erste Episode "Bruderschaft" wird in der Tradition des erfolgreichen Teams von Autor Greg Rucka (u.a. "Detective Comics" und "Wonder Woman") und Zeichner Darick Robertson ("Fury", "Transmetropolitan") präsentiert, das auch die aktuelle "Wolverine"-Serie in den USA gestaltet. Die zweite Geschichte bildet den Auftakt zu einer futuristischen Miniserie, die von Manga-Künstler Tsutomu Nihei (Schöpfer von "Blame!") sowohl geschrieben als auch gezeichnet wurde.

Die erste Erzählung, aus der Sicht der jungen Ausreißerin Lucy beschrieben, schildert sehr eindrücklich die letzten Stunden ihres viel zu kurzen, einsamen Lebens. Sie lebt in ständiger Angst und versucht, in einer kalten, fiesen Welt zu überleben. Sehr ernüchternd wird der ganz normale Alltag irgendwo in den Vereinigten Staaten gezeichnet. Die dunklen, graugrün und graubraun gehaltenen Farbtöne sind ein ständiger Begleiter durch dieses Drama. Die meiste Zeit regnet es, und die kurzen Augenblicke, wenn der Himmel aufreißt und die Sonne durchscheint, werden durch die triste Umgebung und das gleichförmige Einerlei des Alltags völlig aufgesogen. Von Lucy erfährt man, daß ihre Brüder hinter ihr her sind, um sie nach Hause zu holen, daß sie aber den Tod der Heimkehr vorziehen würde. Ihre unbeholfene und vorsichtige Annäherung an Logan, den sie nur Fiesling nennt, und das einsilbige Versprechen, auf sie aufzupassen, das sie ihm abgewinnen kann, zeigt in seiner ganzen Brutalität die Einsamkeit zweier Außenseiter und ihre Unfähigkeit, diese Grenze nur für einen Moment zu überschreiten. So nimmt das Drama seinen Lauf, und Lucy wird einsam in ihrer Wohnung erschossen, ohne daß Logan ihr helfen kann, da er die Tragweite ihrer Verstrickungen nicht einmal ansatzweise erahnt. Aber er findet ihr Tagebuch, das sie für ihn versteckt hatte, und so endet der erste Teil dieser Tragödie, die sehr einfühlsam geschrieben wurde und die Schwere und die Kälte der modernen Gesellschaft in ruhigen und klaren Bildern einfängt.

In der zweiten Episode "Snikt!" strandet Wolverine in einer fernen, post-atomaren Zukunft und hat genauso wie der Leser überhaupt keine Ahnung, worum es hierbei geht, was auch bis zum Ende des ersten Teils offen bleibt. Als einziges erfährt man, daß Wolverine von einem Mädchen auf irgendeine "Seite" transferiert werden sollte und dabei verloren ging. Logan landet unsanft auf einer Planetenoberfläche und wird von einem riesigen Wesen angegriffen, welches aus einer tennisballgroßen Kugel entsteht.

Ist er schon in der ersten Story nicht gerade ein Ausbund an Redseligkeit, so wirkt Logan nachträglich, im Gegensatz zu "Snikt!", geradezu geschwätzig. Von den 23 Seiten der Manga- Präsentation sind gerade mal sechs mit Text versehen, von denen wiederum fünf Seiten nur eine Textlänge zwischen ein und sieben Worten aufweisen. Um so mehr liegt dann auch die Erzählkunst in der Bildgewalt, die zum einen, perspektivisch überaus gelungen, eine öde, verwüstete Welt mit einer bräunlich beigen Oberfläche zeigt, unterbrochen nur durch die Ruinen irgendwelcher Fabrikanlagen, deren Funktionen unerschlossen bleiben. Der Horizont scheint auf ganzer Breite zu brennen, erstrahlt im unheilvollen Glanz einer aufgehenden Sonne, die nichts Gutes verheißt. Die Action wird durch sehr viele und stark ausgeprägte Lautmalereien unterstützt und schafft damit einen Kontrast zu der atemlosen Stille, die ansonsten vorherrscht. Kein Leben, weder Pflanzen noch Tiere, scheint vorhanden. Eine Welt, auf die wir in unserer Entwicklung unabläßlich zusteuern, eine Welt, in der die Einsamkeit einem förmlich ins Gesicht springt, bar jener Dinge, die das Leben lebenswert machen könnten.

"Wolverine" als eigene Heftserie hält nichts vom süßlichen Schönreden einer Welt, die grausam und gewalttätig ist, und wo nur das Recht des Stärkeren regiert. Schonungslos wird man mit der Fratze der alltäglichen Gleichförmigkeit konfrontiert, und nur derjenige findet an dieser Ernüchterung seinen Gefallen, der nicht bereit ist, dieses als gegeben hinzunehmen, sondern noch weiterhin an seinen Träumen festhält.

Euer Marvel-Broker


Wolverine 1
Autoren: G. Rucka, D. Robertson, T. Nihei
Panini, Stuttgart, Januar 2004
52 Seiten, farbig, Heft, 3,65 Euro