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MARVEL-BROKER/024: Die Fantastischen Vier & die Rächer - Heldenfall 4


Brian M. Bendis, Mark Ricketts, Mark Waid, David Finch, Olivier Coipel, Scott Kolins, Mike Wieringo, Karl Kesel


Die Fantastischen Vier & Die Rächer: Heldenfall 4



Rest in Peace

Diese Schlacht war nicht zu gewinnen. Nach kurzen, schweren Kämpfen sind unsere geliebten Helden

Die Rächer

* 1963 + 2004

tragisch ums Leben gekommen. Die verbliebenen Überlebenden wollten das Ideal, die Schwachen vor Gefahren zu schützen, was einst die Gründer-Rächer prägte, nicht weiterführen und ließen es friedlich einschlafen.

Die treuen Fans,
die langjährigen Leser,
die Abenteurer,
die Träumer und auch die
wahren Fans: die Kritiker

In stiller Trauer müssen wir nun Abschied von den Rächern nehmen. Wir werden sie sehr vermissen, doch "Menschen", die wir lieben, bleiben für immer, denn sie hinterlassen Spuren in unserem Herzen.

Mit dem vorliegenden Abschlußband "Heldenfall 4" wird nicht nur die Geschichte "Chaos" beendet, sondern auch, nach 502 Ausgaben sowie zahlreichen Sonderausgaben, die 42jährige Ära der Rächer, die im Jahre 1963 in den USA mit dem Heft "Avengers 1" begann. Auch wenn im nächsten Monat ein neues Team mit dem Namen "New Avengers" in Serie geht, wurde doch das erste Kapitel der Geschichte der mächtigsten Helden der Erde unwiderruflich geschlossen: Die alten Rächer sind von der Bühne abgetreten.

So mancher Altleser wird sich mit Wehmut an das Jahr 1963 erinnern, als damals Stan Lee und Jack Kirby ein Team erschufen, in dem sich die mächtigsten Marvel-Helden, wie Thor, Hulk, Iron Man, Wasp und Ant-Man, versammelten. Auch wenn Wasp und Ant-Man nicht zu den stärksten gehörten, waren sie doch für das Team unerläßlich, denn ein Haufen Menschen wird erst dann zum Team, wenn es von einem beherztem Geist beseelt ist. Als sich ihnen dann vier Ausgaben später Captain America anschloß, waren die ersten und wahren Rächer aus der Taufe gehoben.

Die erste großen Veränderung trat schon kurz nach einem Jahr ein, als nach langen Auseinandersetzungen nur noch Captain America als Rächer übrigblieb. Das Team wurde neu rekrutiert, was eine spektakuläre Wendung mit sich brachte, allerdings nur eine von vielen in ihrer langjährigen Geschichte: Die neuen Mitglieder waren die ehemaligen Superschurken Hawkeye sowie die Mutanten Scarlet Witch und ihr Bruder Quicksilver. Sie hatten lange gegen die Vorurteile anderer Menschen zu kämpfen, doch es scheint so, daß zumindest die Scharlachrote Hexe, von Geistern der Vergangenheit in Form des Autoren Brian M. Bendis, eingeholt wurde. Doch dazu später mehr.

Der Schöpfer Stan Lee verließ nach vier Jahren und 35 Ausgaben die Serie. Sein Nachfolger Roy Thomas war der erste Autor neben Stan Lee und führte von 1967 bis 1972 die Abenteuer der Rächer weiter. Er kreierte über diesen langen Zeitraum so manche Highlights und setzte mit dem "Kree/Skrull-Krieg" neue Maßstäbe, als er die erste Storyline schrieb, die über die damals üblichen maximal zwei Hefte hinausging. In dieser aktuellen Ausgabe, Heldenfall 4, erinnert sich Mike Mayhew auf einer zweiseitigen Splashpage an diese glorreiche Zeit der Rächer, als ihr Ruhm weit über die Grenzen unseres Sonnensystems strahlte.

In den Siebzigern folgte als nächster Autor Steve Englehart, und auch er blieb den Fans mit seiner unvergeßlichen Saga um die "Celestial Madonna", mit Mantis und dem geläuterten Superschurken Swordsman in der Hauptrolle, in bester Erinnerung. Die Erzählung endete in der Doppelhochzeit zwischen diesen beiden und zwischen Scarlet Witch und Vision. Eine Doppelseite über die Hochzeit von Wanda und Vision erinnert an diesen ergreifenden Moment, den der Rächer Simon als "den besten Moment in der Geschichte der Rächer" bezeichnet.

1976 übernahm der junge Jim Shooter die Aufgabe als Chefautor und machte sich nicht nur mit der "Korvac-Saga", die den größten Teil des Jahres 1978 vereinnahmte, einen Namen, sondern auch damit, daß er die gewalttätige Seite des Rächers Yellowjacket alias Hank Pym "enthüllte". Dieses dunkle Kapitel in der Geschichte der Rächer endete mit dem Rauswurf des Helden aus dem Team, bei der auch die Beziehung mit Wasp in die Brüche ging. Der Kovac-Saga wird in diesem Heft ebenfalls mit einer Doppelseite Rechnung getragen.

In den 80ern wurde Jim Shooter "Editor in Chief" beim Marvel- Verlag und steigerte die Qualität der produzierten Serien auf ein zuvor nie erreichtes Niveau. Dafür mußte er die eingefahrenen Strukturen des Verlages umfassend reformieren, was ihn in der Belegschaft nicht gerade beliebt machte: Er wurde laut Gerüchten regelrecht von den Mitarbeitern gehaßt. Die Fans jedoch verdankten Shooter, daß es bis vor wenigen Jahren jährliche Crossover-Events bei Marvel-Comics gab, also Storylines, die sich über verschiedene Serien erstreckten und den Leser zum Kauf weiterer Hefte "veranlaßten".

Von 1983 bis 1987 leitete der Autor Roger Stern die Geschicke der Rächer. Aus seiner Feder stammte die Saga um "die Meister des Bösen" - auch hierzu widmet Heldenfall 4 den Lesern zwei Erinnerungsseiten - sowie verschiedene Erzählungen von "Kang dem Eroberer". Bob Harris betreute von 1991 bis 1997 die Serie und stellt mit seiner Saga "The Crossing" das Bindeglied zu der heutigen Zeit, die dem regelmäßigen Leser sattsam bekannt ist: Die "Wiedergeburt der Helden" durch Kurt Busiek und George Pérez fand in der bis dahin umfassendsten Saga um "Kang den Eroberer" und RÄCHER ALLER ZEITEN ihren Höhepunkt.

Kurze Gastauftritte Geoff Johns und Chuck Austen führten zu dem momentan verantwortlichen Autor Brian M. Bendis, der den Rächern den Todesstoß versetzte, um aus deren Asche den Phönix "Die Neuen Rächer" auferstehen zu lassen, der verjüngt und mit neuer Größe zu Werke gehen soll. Dabei übersah Bendis geflissentlich, daß der Phönix nur deshalb groß und kräftig erscheint, weil der eigentlich kleiner gewordene Vogel auf einem riesigen Haufen verbrannter Asche hockt, die der Autor zuvor fabriziert hatte. Nicht umsonst flehen die Macher der neuen Storyline die Leser an, den "Neuen Rächern", die im Oktober starten, "mehr als eine Chance" (S. 124) zu geben.

Dabei ist die jüngste Entwicklung, nämlich die Einführung neuer Konzepte, nun wirklich nichts Besonderes. Mitte der 90er Jahre, als Marvel Enterprises vor dem Bankrott stand, sanken die Verkaufszahlen unaufhaltsam. Es erfolgte eine Personalveränderung an der Spitze des Unternehmens, und mit dem Beginn des neuen Jahrtausends wurden mit dem Mut der Verzweiflung neue Konzepte auf den Markt gebracht und der Umbruch eingeleitet, der bei der damaligen Finanzsituation des Marvel-Verlags in den Augen der Verantwortlichen wohl unumgänglich war, um die aktuelle Leserschaft zu vergrößern. Mit der Einführung der "Ultimative Comics", die moderne Neuinterpretationen klassischer Marvelhelden lieferten und ein großer Erfolg waren, stabilisierten sich die Verkaufszahlen tatsächlich, was als positive Zustimmung der Fans für die Veränderung bei den Rächern gewertet wurde. Der Unterschied zu der jetzigen Situation jedoch war, daß die ursprünglichen Teams weiterhin bestehen blieben und es in Folge zwei Strömungen innerhalb einer Serie gab - also ein deutlicher Zugewinn für den Fan -, während aktuell in der Miniserie Heldenfall das alte Team aufgelöst wurde.

Mittlerweile gelang es Marvel, viele der Comic-Helden für Filme zu lizenzieren und dank des Erfolgs von Spider-Man, X-Men und einigen anderen steht der Verlag zurzeit finanziell recht gut da. Im Gegensatz zur Einführung der Ultimative Comics gibt es anscheinend keinen zwingenden Grund für eine neue Konzeption Brian M. Bendis', die zu Lasten des klassischen Heldenteams "die Rächer" gehen müßte.

In Heldenfall erweist sich die sprichwörtliche Asche, die der Autor Bendis so ausgiebig produziert hat, als die Asche der getöteten Helden Jack of Hearts, Ant-Man II, Vision und Hawkeye. Und ausgerechnet einer der Rächer soll einen komplexen Plan in Gang gesetzt haben, um das Heldenteam zu zerstören! Der "hochanständige" Doktor Strange, der nach dem plötzlichen Rückzug der Kree-Armee überraschend auftauchte, löste das Rätsel nach dem Täter, als er verkündete, daß sämtliche Anschläge auf die Rächer auf Magie basierten. Nur Wanda Maximoff, die Scharlachrote Hexe, besitzt die Macht, dies alles zu bewerkstelligen, und schon wird im wahrsten Sinne des Wortes die Hexenjagd eröffnet. Und wie es bei Verdächtigungen üblich ist, glauben die "Freunde" zunächst nicht dem, was sie hören, aber die Zweifel werden dann doch beseitigt. Und schließlich erinnert man sich, daß Wanda ja schon immer ein wenig komisch war. Den Vogel schießt hingegen der aalglatte Magierkonkurrent Doktor Strange ab, als er den Rächern mitteilt:

Bitte vergesst, dass wir über Eure Freundin sprechen. Und höret von einer verwaisten Mutantin mit brutalem, schmutzigen Gestern ... mit Macht, unverdient und unkontrolliert ... Kraft, die sie nie ganz verstand. Begreift ihr den fragilen Verstand einer Frau, einer Person, die die Realität beherrscht? (S. 11)

.

Dem Leser drängt sich unweigerlich der Neid des "lieben, guten" Doktors auf. Kommt das vielleicht daher, weil Wanda Kräfte beherrschte, die sie sich sehr wohl im Laufe ihrer Entwicklung hart erarbeitet hatte und die er nur nicht verstand? Hat sie die Kräfte nur deshalb nicht verdient, weil sie nicht unter seinen Einfluß lernte und ihn gar nicht bedurfte? Warum sollte sie überhaupt unter seinen Fittichen lernen, outet sich doch ausgerechnet der Doktor als jemand, der nicht weiß, was er da von sich gibt, denn Wanda kann nicht zum einen die Realität beherrschen und andererseits angeblich nicht verstehen, was sie tut, geschweige denn, daß sie die Macht nicht kontrollierte. Also "unkontrollierte Macht" oder "die Realität beherrschen" - Herr Doktor, entscheiden Sie sich, nur eins von beiden geht.

Liegt vielleicht die Feindseligkeit des Doktors darin begründet, daß Wanda eine geborene Maximoff ist, ein gebräuchlicher Name der Roma, die als Minderheiten-Volksgruppe in allen Ländern Europas leben? Oder ist etwa Wandas Herkunftsland Ursache für ihre Entwicklung? Die Hexe stammte bekannterweise aus Rumänien, was zunächst oft mit dem finsteren Osteuropa und im besonderen mit dem Bösen in Form von Drakula in Verbindung gebracht wird. Ein Land, das schon des öfteren vom Wahnsinn durch Vlad Draculea III oder 1974 von Nicolae Ceausescu beherrscht wurde. Bezieht sich das "brutale, schmutzige Gestern" etwa darauf? Und was meint der Doktor mit dem "fragilen Verstand einer Frau"? Hat der Doktor etwa Probleme mit den Frauen oder, anders gesagt, eine maskuline Profilneurose? Fragen über Fragen.

Apropos Neurose: Doktor Strange alias Brian M. Bendis versucht seiner Täterin Wanda das Profil einer Wahnsinnigen zu geben, und auf dem amerikanischen Markt gibt es dafür anscheinend nur ein überschaubares Musterbeispiel, das immer wieder in Film und auch in der Belletristik herangezogen wird: Der alte klassische Kinofilm "Psycho" von Alfred Hitchcock aus dem Jahre 1960. Manch Leser scheint sich noch dunkel zu erinnern. Psycho basiert auf einem Roman von Robert Bloch, der sich von dem Massenmörder Ed Gein inspirieren ließ: In einem Motel, das ein gewisser Norman Bates verwaltet, der mit seiner herrischen Mutter im angrenzenden Wohnhaus lebt, geschehen grausame Morde. Auf der Suche nach ihrer Schwester entdeckt Lila Crane, daß hinter den Verbrechen nicht, wie zunächst angenommen, die Mutter von Norman Bates steckt, sondern vielmehr Bates selbst. Dieser verkleidet sich bei seinen Taten als seine längst verstorbene Mutter und übernimmt damit vollständig ihre Identität.

In Heldenfall übernimmt Wanda die Rolle des Norman Bates, die sich in ihrem angeblich kranken Verstand mit Hilfe der Magie Kinder erschafft und sie gegen ihre Feinde verteidigt. Daß sich ihre Freunde als die wahren Feinde entpuppen, die nichts Eiligers zu tun haben, als Wanda für verrückt zu erklären und ihr gewaltsam die "Kinder" zu nehmen, wäre noch lange kein Grund, daß sie nun gleiches mit gleichem zu bezahlen gedenkt und sich rächen will. Auch wäre ihr angeblich "komplexer Racheplan" für ihren "fragilen Verstand" wohl ein wenig umwegig, denn wenn sie wirklich vorgehabt hätte, die Rächer zu vernichten, wäre eingedenk ihrer Macht keiner der Helden mehr am Leben. Auf die Filmfigur der "herrischen Mutter" wird im Comic mit der Hexe Agatha Harkness angespielt, welche als Wandas Mentorin und Lehrerin dafür sorgte, daß diese ihre "Kinder" verlor. Und ohne irgendeinen erkennbaren Zusammenhang wird Harkness - wie in Psycho die tote Mutter - als vertrocknete Mumie auf einem Stuhl in einem dunklen Raum auf dem Anwesen der Rächer gefunden, wobei die Hintergründe völlig im unklaren bleiben.

Doch dieser verunglückte Versuch Bendis', eine plausible Erklärung für das Ende der Rächer zu präsentieren, schlägt zum Schluß doch völlig fehl, als der wahre, äußerst profane Grund für den Heldenfall ans Licht kommt. Das Überleben der beliebten Rächer scheitert letztendlich am lieben Geld, weil sich ihr Finanzier Tony Stark alias Iron Man samt seines Geldes aus dem Team zurückzieht. Und alle anderen Mitglieder ergreifen dankbar - natürlich mit einer Träne im Augenwinkel - die günstige Gelegenheit, aus dem Heldengeschäft auszusteigen und in ihr bürgerliches Leben zurückzukehren. Kein einziger der vielen Reservisten erklärt, daß er als Rächer weiterkämpfen will. Vergessen und verraten sind die Ideale und Träume der Helden, die jetzt in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Job erledigt.

Und so bleiben den Ex-Rächern am Ende nur das Schwelgen in Erinnerungen vergangener Tage, und auch den Lesern bleiben nur die Erinnerungen an die Helden, die nie im Kampfe aufgegeben und nie ihre Visionen aus den Augen verloren haben.

Euer Marvel-Broker


Die Fantastischen Vier & Die Rächer: Heldenfall 4
Autoren: Brian M. Bendis, Mark Ricketts, Mark Waid
Zeichner: David Finch, Olivier Coipel, Scott Kolins, Mike
Wieringo, Karl Kesel
Panini, Stuttgart, August 2005
124 Seiten, farbig, Softcover-Album, Kleinformat, 6,- Euro