Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → COMIC

FRAGEN/006: Deutsches Institut für Animationsfilm - international eher als Forschungseinrichtung bekannt (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 7 vom 16. April 2013

International eher als Forschungseinrichtung bekannt



Der Absolvent der TU Dresden André Eckardt ist Geschäftsführer des Deutschen Institutes für Animationsfilm (DIAF). Zur Eröffnung des diesjährigen Filmfestes und der Ausstellung "Traumschmelze" sprach Andreas Körner für das UJ mit Eckardt.


Im November 2013 vor 20 Jahren wurde das Deutsche Institut für Animationsfilm (DIAF) gegründet. Der Hauptgrund für diese ambitionierte Initiative war lange Zeit das Bewahren eines wesentlichen Stücks deutscher Filmgeschichte, denn Dresden galt von 1955 bis 1990 mit dem DEFA-Trickfilmstudio als Hochburg der Trickfilm-Produktion. Heute will das DIAF ein weitgreifendes Netzwerk zum gesamtdeutschen Animationsfilm sein. Zur Eröffnung vom diesjährigen "Filmfest Dresden" und der Ausstellung "Traumschmelze - Der deutsche Zeichenanimationsfilm 1930 - 1950" in den Technischen Sammlungen sprachen wir mit DIAF-Geschäftsführer André Eckardt.

UJ: Herr Eckardt, bitte beschreiben Sie in wenigen Worten das DIAF?

André Eckardt: Die Arbeit des DIAF hat drei Säulen: Erforschung/Recherche, Archivierung/Sammlung sowie das Öffentlichmachen in Form von Ausstellungen, Filmreihen oder Buch- und DVD-Publikationen. Der Begriff Institut ist dabei wohl durchaus etwas verwirrend, denn uns erreichen gelegentlich Anfragen von Menschen, die im DIAF Animationsfilm studieren wollen. Das übrigens wäre der große Traum für eine vierte Säule, denn das kleine Fundament des DIAF ist ein mit drei bis fünf Teilzeitkräften arbeitender Verein.

UJ: Das DIAF wurde schon mit seiner Gründung selbstbewusst benannt ...

André Eckardt: Die Namensgebung war wirklich ein großer Wurf, das stimmt schon. Man hat damit einen großen Anspruch formuliert, aber es war damals natürlich schon klar, dass die Aufarbeitung von 35 Jahren DEFA-Geschichte allein nicht reichen würde. Irgendwann würde es Raum dafür geben, den Anspruch des Namens einzulösen. Und das ist seit einiger Zeit wirklich der Fall.

UJ: Das DIAF beherbergt den Nachlass des DEFA-Trickfilmstudios. Ist die Archivierung also vor allem in die Vergangenheit gerichtet?

André Eckardt: Keinesfalls. Die Verbindung aus Alt und Neu macht den Reiz aus. Zwar beherbergen wir den Nachlass mit künstlerischen Materialien und über 2000 Filmen, verstehen darunter aber nicht den Ausbau eines Mausoleums, sondern mehr und mehr die Beziehungen des DEFA-Stocks zum Zeitgenössischen. In unserer letztjährigen Ausstellung zur Knetanimation in den Technischen Sammlungen haben wir beispielsweise die Arbeiten eines 80-jährigen DEFA-Regisseurs mit US-amerikanischen Musikvideos von heute kombiniert.

UJ: Wollen Sie dabei auch den intensiven Kontakt mit Filmhochschulen im Land?

André Eckardt: Ja. Wir haben den Eindruck, dass heutige Studenten nicht viel über die nationale Geschichte des Animationsfilms wissen. Das mag für die unmittelbar eigene künstlerische Arbeit durchaus befreiend sein, am Ende aber waren die Studenten noch immer dankbar für Hinweise über schon existierende Künstler oder Stile, die wir ihnen geben konnten. Diesen Aha-Effekt wollen wir regelrecht provozieren, egal ob sie professionell arbeiten oder im Amateurbereich.

UJ: Es gab in den 1990er-Jahren große Verlustangst im Osten Deutschlands. Wurde aus Ihrer Sicht in Sachen DEFA-Trickfilm alles gerettet?

André Eckardt: Es kommt ganz darauf an, was man retten wollte. An künstlerischen Materialien haben wir einen Großteil des Bestandes erfasst oder besitzen ihn sogar. Mit diesen Materialien ist die DEFA-Geschichte sehr gut abzubilden. Aber es gibt, durchaus auch auf westlicher Seite, noch immer Frust über die Zerstörung damals wertvoller und erhaltenswerter Strukturen. Etwas Skurriles haben wir übrigens in Sachen "Sandmännchen" erlebt. Viele meinen ja, dass der DDR-Abendgruß in Dresden hergestellt wurde, was nicht stimmt, also haben wir hier auch nicht den Bestand. Vor sechs Jahren allerdings haben wir vom Vater des West-Sandmännchens ein Sammlungskonvolut übernehmen können. Es ist gut, dass wir nicht auf den Ostbereich fixiert sind und auch nicht mehr darauf fixiert werden, denn Grenzgänge gibt es längst, beispielsweise gemeinsam mit dem bedeutendsten deutschen Animationsfilmfestival in Stuttgart.

UJ: Die DIAF-Außenwahrnehmung läuft also vor allem über Ausstellungen und Filmreihen?

André Eckardt: Regional stimmt das. Überregional und international haben wir einen weitaus größeren Stellungswert als Forschungsstätte. Unser Alleinstellungsmerkmal ist eben, dass es keine vergleichbaren Einrichtungen gibt, die sich explizit und so intensiv mit dem Animationsfilm und seiner Geschichte beschäftigen. Wir füllen eine Nische aus und können mit Fug und Recht behaupten, dass wir eine der größten Animationsfilmsammlungen in Deutschland besitzen.

UJ: In Dresden als Produktionsstandort für Trickfilme arbeitet heute mit Balance Film nur noch eine einzige Firma. Ist das Machbare damit schon ausgereizt? War mit den künstlerischen Potenzen des alten DEFA-Studios nicht viel mehr drin?

André Eckardt: Historische Hypothesen anzustellen, ist immer schwierig. Dass es schon zu DDR-Zeiten lange versäumt wurde, im Studio eine künstlerisch selbstständige Nachfolgegeneration heranzuziehen, ist richtig, aber eben nur eine Seite. Ein solch eigenständiger Betrieb, wie es das Studio war, ist heute nicht mehr vorstellbar und vor allem in der freien Marktwirtschaft nicht finanzierbar, gleich gar nicht in dieser Größe. Es gab durchaus Versuche von einzelnen DEFA-Mitarbeitern, die Arbeit weiterzuführen, aber es fehlte in den 1990er-Jahren an Erfahrungen und auch an der Lobby. Heute gibt es neben der sehr erfolgreichen Balance Film immer wieder einzelne Aktivitäten, z.B. von David Buob von der Hochschule für Bildende Künste, die durchaus internationale Wahrnehmung erreichen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass in ganz Mitteldeutschland keine Filmhochschule existiert. Es fehlt also der Anker, um den sich eine Wirtschaft gruppieren könnte. Einzelaktivitäten aufzufangen und zu bündeln, könnte eine große Aufgabe sein. Dieser Aufruf zur Handlungsbereitschaft geht durchaus in Richtung Politik. Denn auch das schon bestehende Dresdner Netzwerk im Genre mit DIAF, AG Kurzfilm, Filmfest Dresden und Filmverband Sachsen ist zwar stark, wird aber in Sachen Förderung nicht ausreichend wahrgenommen.

UJ: Sie haben 2008 die Geschäftsführung von der äußerst verdienstvollen Mitgründerin und DEFA-Dramaturgin Sabine Scholze übernommen. Konnten Sie seitdem so etwas wie einen eigenen Stil verwirklichen? Haben Sie einen "filmischen" biografischen Hintergrund?

André Eckardt: Ich habe von 1993 bis 2001 mit Unterbrechung an der TU Dresden Anglistik und Amerikanistik studiert. Mein Interesse am Film war enorm, und durch die Gastprofessorin Theresa Grisham kamen neue Impulse. Ein Austauschsemester in Brighton, wo es eine Cinemathek gab, in der experimentelle Animationsfilme hoch und runter liefen, war schließlich der Punkt auf dem i. Meine Magisterarbeit habe ich über die Gebrüder Quay geschrieben, die ja absolute Koryphäen sind. Und in Dresden war das DIAF nicht weit. Ich begann hier zunächst, Filmreihen zu kuratieren, dann wurde 2005 eine halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter frei. Drei Jahre konnte ich also noch zusammen mit Sabine Scholze arbeiten - sie mit ihrem DEFA-Hintergrund, ich mit meiner Sicht auf neue Entwicklungen. Es ging uns beiden darum, das DIAF zu internationalisieren. Nach 2008 habe ich diese Tendenz fortgeführt und mit eher abseitigen und experimentellen Ansätzen verstärkt.

UJ: Wann ist ein Jahr für das DIAF ein erfolgreiches Jahr?

André Eckardt: Wir haben leider kaum Zeit, unsere Aktivitäten zu reflektieren, weil unsere Projekte übers Jahr sehr eng getaktet sind. Wenn das jährliche Filmfest Dresden mit unseren Programmen und der parallel laufenden Ausstellung in den Technischen Sammlungen vorbei ist, dann sind wir schon sehr zufrieden, weil in diesen Tagen auch die internationale Wahrnehmung steigt. Ein zweites Highlight ist die jährliche Herbstausstellung. Den Jahresabschluss geben wir uns selbst mit einem herzerwärmenden Filmprogramm im Kino Thalia. Das ist in drei Jahren durchaus Kult geworden und für uns eine willkommene Abwechslung zur trockenen Archivarbeit.

UJ: Am 19. April öffnet in den Technischen Sammlungen die neueste DIAF-Ausstellung mit dem Titel "Traumschmelze". Beschreiben Sie die Exposition bitte ebenfalls mit wenigen Worten.

André Eckardt: Wir haben vor drei Jahren mit J.P. Storm einen Privatsammler aus Essen ausfindig gemacht, der über 30 Jahre lang Materialien zum deutschen Zeichenanimationsfilm von 1930 bis 1950 zusammengetragen hat. In der Ausstellung wird nun dieser Zeitraum, der bewusst nicht von 1933 bis 1945 gesetzt ist, erstmals umfassend beleuchtet. Das Spektrum reicht von der Avantgarde bis zur angewandten Kunst, von Werbefilmen bis zur scharfen Propaganda. Diese komplexe Mischung hat uns sehr lange beschäftigt. Es ist ein facettenreiches Bild mit vielen Graustufen entstanden. Wir waren sehr überrascht, dass es in dieser Periode mehr Kontinuitäten gab als Brüche. Und wir beziehen erstmals auch die Dresdner Boehner-Filmproduktion mit ein, die im Werbebereich der 1930er- und 40er-Jahre sehr aktiv waren und das Gebäude aufgebaut haben, in das später das DEFA-Trickfilmstudio eingezogen ist. Auch so schließt sich ein Kreis.

Das Interview führte Andreas Körner.


Filmfest Dresden - International Short Film Festival vom 16. bis 21. April in den Kinos Schauburg, Thalia, Programmkino Ost. Das komplette Angebot: www.filmfest-dresden.de "Traumschmelze - Der deutsche Zeichenanimationsfilm 1930-1950" in den Technischen Sammlungen vom 19. April bis 1. September (Eröffnung 19. April 2013, 15 Uhr)

André Eckardt
geboren 1973 in Berlin, 2001 Magister-Abschluss an der TU Dresden, 2001 bis 2007 Koordinator von UNIcert an der TU Dresden, 2005-2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit 2008 Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Animationsfilm in Dresden.

*

Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 24. Jg., Nr. 7 vom 16. April 2013, S. 8
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Tel.: 0351/463-328 82, Fax: 0351/463-371 65
E-Mail: uj@tu-dresden.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2013