Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → LITERATUR

AKZENTE/081: In den USA boomen Endzeit-Romane (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion 1/2005

Apokalyptik statt Politik

In den USA boomen Endzeit-Romane


Von Joachim Valentin

Endzeit-Literatur erlebt unter dem Markenzeichen "Left behind" derzeit in den USA einen ausgesprochenen Boom. Offenkundig entspricht diese der augenblicklich vorherrschenden politischen Mentalität. US-Bischöfe warnen vor der in diesen Thrillern zusammengemischten "fundamentalistischen Theologie über die Endzeit", die viele Christen verunsichere.


*


"Am schlimmsten war seine Befürchtung, dass er zu spät mit dem Bibellesen begonnen hatte. Ganz offensichtlich war es zu spät für ihn, mit seiner Frau und seinem Sohn zusammen in den Himmel zu gehen. Aber war es für ihn wirklich endgültig zu spät?" Vermutlich könnten die zitierten Befürchtungen eines Flugkapitäns, Rayford Steele, höchstens von einer Minderheit europäischer Zeitgenossen geteilt werden, denn in unseren Breiten nimmt nicht nur die Kirchenquote weiter ab, sondern auch die Empfänglichkeit für Endzeitprophetien und biblizistische Bibellektüre wie sie die Zeugen Jehovas pflegen, bewegt sich im Promillebereich.


Die Genrebezeichnung Roman führt in die Irre

Nicht so in den USA: Hier sind die Bücher der zwölfteiligen Romanreihe 'Left behind', aus deren erstem, titelgebenden Band (dt. Ausgabe: Finale, Asslar 2001) das Zitat stammt, seit 1995 mehr als 60 Millionen Mal verkauft worden. Angesichts des ungeheuren Erfolges erstaunt allerdings weniger das beklagenswerte literarische Niveau: "die Flachheit der Charaktere spottet jeder Beschreibung, alles Begehren ist ausgeschaltet, die Bibel stets zur Hand, sollte sich die Libido dennoch melden. [...] Noch in den tödlichsten Momenten der Gefahr spricht man zivilisiert und höflich miteinander, trinkt Mineralwasser und benimmt sich wie im Kommunionunterricht." (FAZ 27.03.2002)

Viel mehr verstören das Thema und der Bierernst, mit dem ein Cocktail aus den "über tausend Prophezeiungen der Bibel" als Ansage über die kommenden Jahrzehnte der Erde begriffen werden. Tim LaHaye und Co-Autor Jerry B. Jenkins bestehen darauf, dass ihre Bücher keineswegs in die Kategorie Science Fiction fallen. Auf der Left Behind-Website (www.leftbehind.com) schreiben sie, die präapokalyptische Theologie der Serie sei "die vorrangige Bibel-Interpretation evangelikaler Christen".

Die Genrebezeichnung Roman führt also in die Irre: Mögen auch Science-Fiction-erprobte Computerkids die literarisch aufgepeppte Apokalypse durch dieselbe fiktionale Brille sehen wie die Filme "Star Wars", "Herr der Ringe" oder "Matrix", den Autoren ist nicht zum Spaßen zu Mute. Für sie gibt es - gut fundamentalistisch - kein hermeneutisches Problem bei der Bibellektüre, und das heißt: keine Trennungslinie zwischen Vision, Fiktion oder Prophezeiung einerseits und Alltagsrealität im 21. Jahrhundert andererseits. Das lässt sich neuerdings auch daraus ersehen, dass LaHaye und Jenkins unter dem Titel "Are we living in the End-Times" [Leben wir in der Endzeit. Biblische Prophezeiungen und ihre Bedeutung für heute, Asslar (Gerth) 2002] der Buchreihe einen 'theologischen' Kommentar folgen ließen, der unmittelbare Verbindungen zwischen der Bibel, der aktuellen weltpolitischen Lage und der Romanhandlung herstellt und damit den fiktionalen Kokon des Romans auf US-amerikanische (Welt-) Politik hin aufsprengt.

Der anfangs erwähnte Flugkapitän Rayford Steele aus dem Roman "Finale" setzte einstmals voll auf Karriere. Seine Frau und die beiden Kinder hatten das Nachsehen. In der Not um die zerstörte Beziehung suchte seine Frau Irene Hilfe in einer christlichen Gemeinde, wo sie zum Glauben an Jesus Christus fand. Steele selbst hatte seinerseits ein Auge auf die attraktive Stewardess Hattie Durham geworfen. Dann, während eines Flugs nach London, geschieht Unglaubliches: Ein Teil der Passagiere verschwindet spurlos, und dies geschieht - wie man bald darauf erfährt - auf der ganzen Welt. Überall bricht Chaos aus, denn es sind nicht nur sämtliche ungeborenen Kinder aus dem Leib ihrer Mütter verschwunden, sondern auch tausende Bus- und Autofahrer, Piloten und Fluglotsen.

Im Flugzeug Rayford Steeles sitzt auch der ambitionierte TV- Reporter Cameron 'Buck' Williams. Er steckt mitten in einer Recherche, die ihn nach Israel geführt hatte. Während seines Aufenthaltes dort hatten russische Kampfflieger Israel angegriffen. Doch die Jets explodierten in der Luft, ohne dass im Heiligen Land irgend jemand Schaden genommen hätte (vgl. Ez 38-39). Weitere Recherchen, in deren Verlauf er mehrfach in Lebensgefahr gerät, lassen Buck auf eine Verschwörung stoßen: Die Drahtzieher, angeführt von Jonathan Stonagal und Joshua Cothran, wollen die Weltherrschaft an sich reißen.

Der Leser wird nun Zeuge des vom göttlichen Eingriff in die Weltgeschichte provozierten Bekehrungsprozesses der beiden Männer. Konkret ausgelöst wird er durch Bruce Barnes, ein Mitglied der Gemeinde von Steeles entrückter Gattin. Ein Videoband gibt Aufschluß über die Hintergründe der weltweiten katastrophalen Ereignisse: Alle wahren Christen sind 'gemäß' 1 Thess 4,13-18 von der Erdoberfläche verschwunden und durch die Macht Jesu Christi in den Himmel entrückt worden. Folgt man weiteren biblischen Prophezeiungen, so sind in Kürze die Machtergreifung des Antichristen als UNO-Generalsekretär, die Verlegung des UNO-Sitzes von New York nach Babylon sowie die sieben Jahre der Trübsal und "großen Drangsal" (Offb 15) zu erwarten, in denen alle Menschen einer letzten Prüfung unterzogen werden: Wer sich bald zu Christus bekehrt (allerdings als Born- Again-Christian), wird entweder gleich unsterblich oder, wenn er einer der vielfältigen Plagen zum Opfer fällt, doch nach seinem Tode zu Christus eingehen.

Der quasi-ontologische Unterschied zwischen Born-Again- Christians und langweiligen "Alltagschristen" (gemeint sind die liberalen Mainline-Churches der USA und der Katholizismus) wird immer wieder betont - für diese 'Lauen' ist eine zweite Bekehrung notwendig, sonst sind sie wie die Feinde Gottes dem endgültigen Untergang geweiht. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass zwei unverwundbare Prediger an der Jerusalemer Klagemauer 144 000 Juden zur Konversion zum Christentum bringen werden (Offb 11,3 ff.). Die Bekehrung erhält also die sprichwörtliche apokalyptische Dringlichkeit. Jede(r) steht jetzt und heute in einer Entscheidungssituation, für die nur ein kleines Zeitfenster bleibt.

Damit sind die Weichen für den Rest des ersten Bandes und die gesamte Reihe gestellt: Von Stonagal und Cothran, den Drahtziehern der Weltverschwörung, unterstützt, wird Nicolai Carpathia, der Präsident Rumäniens, tatsächlich zum UNO- Generalsekretär gewählt. Die Verlegung des UNO-Hauptquartieres folgt auf dem Fuße und auch alle anderen Prophezeiungen schnurren wie am Schnürchen ab.

Die sich immer weiter zuspitzende Situation durch Naturkatastrophen und die als Friedenspolitik getarnte Tyrannei des 'Antichristen' - unter anderem die gewaltsame Einführung der "Enigma-Babylon-Welteinheitsreligion", der der Kardinal von Cincinnaty vorsteht - erfordert bald ein Abtauchen der wahren Christen in den Untergrund, darunter inzwischen viele konvertierte Juden, die Redaktion einer weltweit von Millionen gelesenen Internetzeitschrift "The Truth" und den Aufbau einer Kampftruppe für die letzte große Schlacht in Harmageddon (Megiddo, Israel), die 'Tribulation Force'. "Ihr Ziel war kein geringeres, als sich während der sieben schlimmsten Jahre, die dieser Planet jemals erleben würde, gegen die Feinde Gottes zu stellen und gegen sie zu kämpfen."

Im jüngst erschienenen zwölften Band "Glorious Appearing" wird schließlich die Wiederkunft Christi und das Jüngste Gericht in brutaler Genauigkeit ausgemalt: "Tausende Jahre menschlicher Geschichte, die durch Kriege, Tod und Sünde geprägt waren, kommen an ihr Ende, wenn der Herr Jesus Christus zur Erde zurückkehrt", um die Bösen hinzurichten und die Guten in den Himmel zu holen. Das Ganze geschieht, so will es angeblich Dan 9,24 ff., genau sieben Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen Israel und der vom Antichristen geleiteten UNO.

Das Autorenduo Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins kommt aus dem Feld der US-amerikanischen Evangelikals, konservativer, hierzulande gerne etwas undifferenziert 'fundamentalistisch' genannter Christen, die sich in den letzten Jahren durch massive politische Lobbyarbeit für die konsequente Durchsetzung der so genannten "social issues" oder "family values", also einer konservativen Familienpolitik, einer Reduktion der Sozialleistungen, klarer Stellungnahmen auf den Feldern gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und Abtreibung, aber auch im Sinne einer israel-freundlichen Politik der militärischen Stärke und des Unilateralismus engagiert haben - wie die Politik von US-Präsident George W. Bush zeigt, mit Erfolg.


Die "Christian Right" hat längst ihre politische Außenseiterposition verlassen

LaHaye, Ideengeber des Buchunternehmens, promovierte vor fünfzig Jahren an der fundamentalistischen Bob Jones University in South Carolina und hat seither eine zentrale Rolle als Prediger der Southern Baptists, Schriftsteller (mehr als vierzig Buchtitel), Institutsgründer und Berater in den Reihen der extremen Rechten gespielt. Seine Frau Beverley hat vor Jahrzehnten den um das geistliche Wohl von Amerikas' Frauen besorgten evangelikalen Club 'Concerned Women of America' gegründet und lange Jahre geleitet. Außerdem hob Reverend LaHaye 1979 gemeinsam mit dem Evangelisten Jerry Falwell die "Moral Majority" mit aus der Taufe und organisierte das hinter verschlossenen Türen diskret operierende "Council for National Policy", laut Fernsehkanal ABC der mächtigste Verbund der amerikanischen Konservativen.

Bei den genannten Institutionen handelt es sich rechtlich um so genannte PACs (Political Action Comittees), eine in Europa weitgehend unbekannte Organisationsform, die nicht zuletzt durch eine Reform des Wahlfinanzierungsrechts und angesichts schwacher Parteien in den USA zu nicht unterschätzendem Einfluss gekommen sind. Als religiös grundierte Interessenverbände mit quasipolitischen Zielen spielen sie vor allem durch millionenschwere Finanzaquirierung und Wählermobilisierung eine entscheidende Rolle und dürften die Wiederwahl von George W. Bush entschieden beeinflußt haben.

"Religion ist für zwei Drittel (64 Prozent) der wahlberechtigten Amerikaner [...] ein wahlentscheidendes Kriterium, vor allem für weiße evangelikale Christen: 70 Prozent erklärten sich als Republikaner beziehungsweise ihnen nahstehend" (Josef Braml, Religiöse Rechte, 9). Aber bereits in den achtziger Jahren legten sie den Grundstein für den hohen Organisationsgrad der ursprünglich politikabstinenten christlichen Rechten und konnten bei der Wahl Ronald Reagans 1981 erstmals wahrnehmbare konservative Wählerschichten mobilisieren.

Doch erst in den neunziger Jahren war die Apokalypse in den Fokus der beiden Autoren sowie der 'Christian Right' insgesamt gerückt. Zwar hatte schon 1970 der evangelikale Prediger Hal Lindsey mit seinem Roman "The Late Great Planet Earth" (dt.: Alter Planet Erde wohin? 1971) eine politische Aktualisierung und manichäische Zuspitzung der Endzeitprophezeiungen vor dem Hintergrund des Kalten Krieges vorgelegt und mehr als 15 Millionen Mal verkauft - das Buch hat in vielen Punkten für die 'Left-Behind'-Serie Pate gestanden und war auch bei Freikirchen und Pfingstgemeinden in Europa weit verbreitet. Aber erst 1994, nachdem die christliche Rechte im Kontext des überwältigenden Wahlsieges der Clinton Administration 1992 stark an Einfluss verloren hatte und vor dem völligen Zerfall stand, gründete LaHaye sein "Pre-Trib Research Center". Es befasst sich mit der Vorbereitung für das Jenseits. "Trib" steht wieder für "Tribulation" (Drangsal, Heimsuchung), jene Zeit, in der der Antichrist die Erde beherrscht und bezwungen werden muss, damit das Reich Gottes auf Erden errichtet werden kann.

1995 erschien dann mit völlig unerwartetem Erfolg 'Left Behind I' und brach seitdem einen Bestsellerrekord nach dem anderen - angeblich wurde LaHaye für einen der Folgebände mit 51 Millionen Euro der höchste Vorschuss der Literaturgeschichte gezahlt. Parallel dazu ist ein ungeahnter Einflussgewinn der "Christian Right" von einer Außenseiterposition, über die Funktion konventioneller Interessengruppen hin zur wichtigsten Hintermannschaft einer regierenden Partei, der Republikaner zu beobachten.

Dass wir es hier nicht mit dilettierenden Predigern zu tun haben, zeigt auch ein Blick auf die Homepage, wo neben der Buchreihe und Audiobooks, Comics und CD's, die inzwischen zusätzlich für verschiedene Zielgruppen - Irak-Soldaten, Kinder und Jugendliche - vorliegen, dem 2000 von Twentieth Century Fox produzierten Spielfilm "Left Behind" und diversen Computerspiel-Varianten für einen 'profecy club' geworben wird, eine Newsletter, die wöchentlich die apokalyptische Interpretation der jeweils aktuellen Weltnachrichten liefert: Hier heißt es entschuldigend: Amerika wird auch in der Endzeit noch eine mächtige Nation sein, aber der Herr entschied sich eben, es nicht eigens zu erwähnen. Eine der größten Zumutungen für amerikanische Prophetie-Studenten ist die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten in der Bibel nicht eindeutig erwähnt werden.

In Deutschland wurde die Left-Behind-Serie zunächst von der Gerth Medien GmbH in Asslar-Berghausen veröffentlicht, einem christlich orientierten Verlag mit Mail-Order-Service. Seit dem Herbst 2001 bringt der Münchner Blanvalet Verlag - er gehört zur Bertelsmann-Verlagsgruppe Random House - die Romane in Taschenbuchausgabe heraus. Bis heute haben sich die im Halbjahres-Rhythmus erscheinenden Bände insgesamt etwa 170 000mal verkauft - ordentlich, aber nicht aufsehenerregend. Von namhaften Multiplikatoren der evangelikalen Szene in Deutschland (z. B. Evangeliumsrundfunk Deutschland in Wetzlar) werden sie jedenfalls wohlwollend besprochen und beworben.

Der große Erfolg der Buchreihe und die zunehmend enger werdende Verflechtung zwischen Religion und Politik in den USA lassen die Frage nach politischen Implikationen des neuen "Left Behind Movement" unausweichlich werden. Dass es sich hier um hochkomplexe und teilweise nicht zu objektivierende Zusammenhänge handelt, muss vorab betont werden. Gleichwohl ist es unübersehbar, dass bestimmte Motive zwischen Roman, Predigt und politischer Agitation hin und her wandern, dass Fiktion und Realität sich also wechselseitig beeinflussen.

Dies gilt etwa für das Denkmodell eines moralisch verrohten und durch Liberale (Theologen), Homosexuelle und Feministinnen, aber auch durch hispanisch-katholische Einwanderer (Samuel Huntington, Who are we? The Challenges to America's National Identity, New York 2004) innerlich geschwächten US-Amerikas, das sowohl im Wahlkampf der politischen Rechten als auch in der 'Left-Behind'- Reihe (hier als Anzeichen der angebrochenen Endzeit) eine wesentliche Rolle spielt.

Schon immer war es literarisches Merkmal und politische Funktion naherwarteter apokalyptischer Ereignisse, eine Verstärkung des Handlungsdrucks für jene zu erzeugen, die ihnen folgen. Realpolitisch erhöht das Katastrophenszenario einer auf den Abgrund zu taumelnden, von innen durch Zerfall, von außen durch Terrorismus bedrohten Nation den Druck, die richtige Partei zu wählen. Im Roman und in den Predigten der tausende Gläubige fassenden, kommerziell betriebenen Megachurches geht es darüber hinaus darum, sich in einem individuellen Akt der Erweckung (Awakening) - eine rund 250 Jahre alte, uramerikanische und transkonfessionelle Form der Bekehrung - Jesus Christus (wieder) zuzuwenden.

Auch die Person George W. Bushs kann bei solchen Überlegungen nicht außen vor bleiben. Sicher ist nicht von einer unmittelbaren Einflussnahme der neuapokalyptischen Rechten auszugehen, gleichwohl stellt der amtierende Präsident sicher den idealsten Andockpunkt für die massenweise Verbreitung ihrer Endzeitprophetien und die Verwirklichung der daraus resultierenden Politik dar. Zwar war Bush ebenso wie seine Vorgänger im Präsidentenamt kein Wunschkandidat der religiösen Rechten, doch wie keiner bisher hat er sich im Laufe seiner ersten Amtszeit auf diese zu bewegt. Vor allem die Offenlegung seiner durch eine Bekehrung 'geheilten' Alkoholabhängigkeit sowie sein Bekenntnis zu Jesus Christus als dem "größten Philosophen aller Zeiten" in einer Talk-Show haben ihn geradezu zum Vorzeige- Evangelikalen im Präsidentenamt mit unschätzbarer Vorbildfunktion gemacht.

Doch es scheint nicht bei einem persönlichen Bekenntnis, einer Umsetzung der 'family values' und einer Aufweichung der strikten Trennung zwischen Staat und Kirche durch die Bush-Adminstration zu bleiben. Auch und vor allem jene drei wesentlichen außenpolitischen Konfliktpunkte zwischen USA und Europa, Unilateralismus, Nah-Ost-Politik und Antiterrorkrieg lassen sich als Ergebnis einer fundamentalen außenpolitischen Orientierung der USA an den Maximen der Christian Right beschreiben. Der von Bush in seiner Rede an die Nation am 28.01.2003, kurz vor dem Irakkrieg, bekundete Glaube an eine Vorsehung, lässt auf ein grundlegend anderes Politikverständnis schließen, als es in Europa und großen Teilen der westlichen Welt herrscht: geprägt durch den Wunsch, sich mit dem von Gott bestimmten und wenigstens in groben Zügen auch offenbarten Geschick der Erde und speziell der US-amerikanischen Nation in Einklang zu wissen.


Unter präapokalyptischen Bedingungen kann Frieden kein Leitbild christlicher Politik mehr sein

Die Politik in den drei genannten Konfliktfeldern scheint sich zum einen zu ergeben aus tiefsitzenden und alten nationalreligiösen Überzeugungen der nordamerikanischen Kernbevölkerung, der 'White Anglo-Saxon Protestants' (Wasps). Andererseits kann sie kaum anders verstanden werden, denn als Umsetzung der von LaHaye und Jenkins in bisher nicht gekannter Offenheit und Präzision entwickelten (und durch die Romane weit verbreiteten) präapokalyptischen Glaubensüberzeugungen.

Der vielfach beklagte und sich im Irakkrieg zuspitzende Unilateralismus speist sich religionswissenschaftlich betrachtet aus mehrerenQuellen: Einerseits wird die UNO als von Europäern dominierte Institution betrachtet. Europa jedoch gilt bei den Nachkommen der "pilgrim fathers" cum grano salis gleichzeitig als Ort der staatskirchlichen Unterdrückung religiöser Minderheiten und Quelle aller liberalistischen Versuchungen von historischer Bibelkritik bis zum Alkoholmissbrauch. Gleichzeitig wurden die USA von den ersten Siedlern als von Gott verheißenes gelobtes Land, analog zur Landnahme Israels verstanden und im Laufe der Geschichte vor allem seit dem frühen 20. Jahrhundert mit weltpolitisch-endzeitlichem Sendungsauftrag aufgeladen.

Wenn in LaHayes Romanzyklus der UNO-Generalsekretär Nicolai Carpathia (Anklänge an Ceausescu und Dracula) aus dem alten Europa stammt und sich im Amt des UNO-Generalsekretärs als die Welt versklavender Antichrist entpuppt, so könnte man sich kaum ein besseres Bild für die traditionelle Weltsicht der Evangelicals vorstellen. Hier werden alte Aversionen gleichzeitig ins Bild gebracht und mit neuer fiktionaler Energie aufgeladen.

Mit der religionswissenschaftlichen Brille betrachtet, scheint George W. Bushs 'Krieg gegen den Terrorismus' nicht nur unmittelbar anschlussfähig an den Manichäismus eines apokalyptischen Schlachtengemäldes, sondern auch an eine kämpferisch-konservative US-Politik, die zunächst die UdSSR - freilich nicht ohne gute Gründe - als "Reich des Bösen" (R.W. Reagan) stilisierte. Nach den Attentaten des 11. Septembers 2001 - interpretiert als Strafe für moralischen Verfall und Liberalismus in den USA - wurde das Feindbild islamischer 'Schurkenstaaten' aufgriffen und in reale Politik umgesetzt.

Bei der Frage, wie gerade Saddam Hussein, der keine oder nur sehr lose Verbindungen zum Terrornetzwerk Al Quaida hatte, in den Fokus der US-Strategen kommen konnte, lohnt erneut ein Blick in LaHaye/Jenkins theologisches Begleitwerk "Leben wir in der Endzeit?". Hier wurde bereits 1999 im Kapitel 'Aufstieg und Fall Babylons' formuliert: "Saddam Husseins Hass gegen Juden, Jesus Christus, dessen Nachfolger und jeden, der sich ihm in den Weg stellt und seine Ziele behindert, ist am ehesten noch als dämonische Besessenheit zu verstehen. [...] Es könnte sein, dass er ein Vorläufer dessen ist, der bald auf der Weltbühne erscheinen wird, um, wie wir glauben, die Leitung der Vereinten Nationen [...] zu übernehmen." (134) - also des Antichristen. Frieden kann unter präapokalyptischen Bedingungen nicht mehr Leitbild einer 'christlichen' Politik sein. Wir leben in der Endzeit, wie die Vielzahl von Kriegen weltweit nahe zu legen scheint. Die entscheidende Frage lautet nun nicht mehr, wie diese Kriege zu verhindern seien, sondern ob man auf der 'richtigen' Seite steht.

Auch die US-amerikanische Nahost-Politik scheint in den letzten Jahren von Vorstellungen über die eschatologische Rolle des Staates Israel bestimmt: Seit einigen Jahrzehnten wird die Gründung des israelischen Staates 1948 von der religiösen Rechten mit Blick auf den Römerbrief als Zeichen der nahenden Apokalypse gedeutet. Groß-Israel (die besetzten Gebiete eingeschlossen) wird im Sinne der biblischen Landverheißung als Gottes ewiger Wille verstanden - seine Erfüllung bedarf der militärischen Unterstützung. Viel weniger als die vergleichsweise geringe Zahl amerikanischer Juden sorgt die christliche Rechte seit einigen Jahren für eine israel-freundliche Politik der USA. Eine republikanische Regierung, die mit den Palästinensern ernsthafte Verhandlungen anstreben würde, hätte mit breitem Protest der 'Christian Right' zu rechnen: Im April 2002 überfluteten wegen Bushs kurzzeitig israel-kritischer und palästinenserfreundlichen Politik tausende von E-Mails und Briefen das Weiße Haus.

Darüber hinaus werden aus privaten Mitteln Unterstützungsaktionen für die Rückkehr jüdischer Familien nach Israel, Hilfe für Siedler in den besetzten Gebieten und für so genannte messianische Juden finanziert. Die Motivation für solch scheinbar selbstloses Engagement findet sich wiederum einigermaßen unverblümt bei LaHaye/Jenkins: "Viele Jahre lang wurde Israel von Fachleuten für biblische Prophetie als 'Gottes Uhr' [...] bezeichnet. Die Bestätigung dafür, dass wir möglicherweise in der Endzeit leben, können Sie beinahe täglich in den Abendnachrichten sehen." Die Erwartung eines apokalyptischen Endkampfes mitten in Israel wird dagegen nur angedeutet: "Die Juden stehen mit dem Rücken zur Wand und werden alle notwendigen Mittel einsetzen, um ihre Heimat gegen jeden feindlichen Angriff zu verteidigen."(66)

So stellt sich in dieser bedrohlichen Situation im mächtigsten Staat der Welt ein fundamentales theologisches Problem: Nur jene spezifische Vermittlung zwischen Glaube und Vernunft, die die europäische Theologie unter historisch einmaligen Bedingungen hervorgebracht hat, scheint zur Zeit in der Lage, zu einem Verhältnis von Religion und Politik zurückzufinden, das Real-, und das heißt Friedenspolitik ermöglicht. Leider fehlt ihr in den USA zur Zeit jede Lobby. Joachim Valentin


*


Joachim Valentin, geb. 1965, promovierte mit einer Arbeit über Jacques Derrida in Fundamentaltheologie und arbeitete 1998-2004 als Wissenschaftlicher Assistent am Arbeitsbereich Religionsgeschichte der Katholisch Theologischen Fakultät Freiburg. Seine Habilitation erscheint im April im Herder Verlag unter dem Titel "Zwischen Fiktionalität und Kritik. Die Aktualität apokalyptischer Motive als Herausforderung theologischer Hermeneutik". Seine Forschungsschwerpunkte sind Philosophie im Judentum, Neue Religiöse Bewegungen, Fundamentalismus sowie Religion-Moderne-Medien. Er lehrt an den Universitäten Freiburg und Mannheim.


Weiterführende Literatur:

Josef Braml:
Die religiöse Rechte in den USA. Basis der Bush
Administration? Stiftung Wissenschaft und Politik.
Berlin, September 2004

Rainer Prätorius:
In God We Trust. Religion und Politik in den USA.
München 2003

Michael Minkenberg:
Die Christliche Rechte und die amerikanische Politik
von der ersten bis zur zweiten Bush-Administration.
In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 46 (2003), 23-32


*


Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
59. Jahrgang, Heft 1, Januar 2005, S. 30-34
Anschrift der Redaktion:
Hermann-Herder-Straße 4, 79104 Freiburg i.Br.
Tel.: (07 61) 27 17 - 3 88, Fax: (07 61) 27 17 - 4 88
E-Mail: herderkorrespondenz@herder.de
www.herder-korrespondenz.de

Die "Herder Korrespondenz" erscheint monatlich.
Heftpreis im Abonnement 9,60 Euro.
Das Einzelheft kostet 11,00 Euro.