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AKZENTE/092: Wechselwirkungen von Mode und Moderne (idw)


Freie Universität Berlin - 17.02.2006

Texte und Textilien

Die Germanistin Julia Bertschik enträtselt die Wechselwirkungen von Mode und Moderne in der neueren deutschsprachigen Literatur


Von Ortrun Huber

Ob Stil, Zeitgeschmack, Laune oder Look - für Mode gibt es viele Synonyme. Stets steht der Begriff jedoch für Aufbruch, Wandel, Veränderung. Die wechselhaftigkeit von Kleidermode, Schminke und Frisuren sind Zeichen der Moderne, die sich in der Kleidungssymbolik der neueren deutschsprachigen Literatur ergründen lassen. Julia Bertschik, Privatdozentin für Neuere Deutsche Literatur am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Zusammenhänge zu untersuchen.

"Es ist auffallend, dass die Phasen radikaler Kleidungsveränderung mit jenen zentralen Epochenumbrüchen zusammenfallen, die als Schwellenpunkte der sozialgeschichtlichen und ästhetischen Modernisierung gelten", erklärt die 41-jährige Wissenschaftlerin ihre Vorgehensweise. So hat Julia Bertschik für ihre Studie Zeitpunkte identifiziert, zu denen Kleidung sich radikal veränderte und dieser Wandel auch eine breite öffentliche Diskussion erfuhr: das Ende des 18. und 19. Jahrhunderts, sowie die Weimarer Republik und die NS-Zeit.

Mit ihrer Habilitationsschrift, die nicht nur auf fiktionale Literatur, sondern auch auf modetheoretische Texte, Modejournalismus sowie Bildmedien eingeht, kann Julia Bertschik als Pionierin gelten. Denn hierzulande ist die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Kleidermode eine Rarität. "In Deutschland trägt der Begriff Mode noch immer eine negative Konnotation", sagt Julia Bertschik. "Das hat historische Gründe, die bis in die Zeit der Aufklärung zurückreichen und auch eine bewusste Abgrenzung zu Frankreich beinhalten." In Frankreich genießt die kulturelle, literarische und auch wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Stil und Zeitgeschmack schon lange großes Ansehen. Dabei hält auch die deutschsprachige Literatur dem modischen Zeitgeist einen mannigfaltigen Spiegel vor: Da tummeln sich Dandys und Hochstapler, über die Jahrhunderte wählen männliche Protagonisten zwischen Smoking, Knickerbocker und Uniform. Und Frauen staffieren sich mit Reformkleidern, Schminke und (Fahrrad!)-Hosen aus, um schließlich zu Gretchenzopf und "deutschem Kleid" zurückzukehren.

Auf das Thema Mode in der Literatur stieß Julia Bertschik durch die Beschäftigung mit einer Schriftstellerin des 18. Jahrhunderts: Caroline de la Motte Fouqué (1773-1831). Die Autorin zahlreicher Romane, Erzählungen und kulturtheoretischer Schriften beschäftigte sich in vielen ihrer Werke mit den Kleidungskonventionen ihrer Zeit. Dabei thematisierte sie bereits weitgehend das gesamte Themenspektrum literarischer Kleidung: Modeveränderungen als Zeichen der sich wandelnden Zeit, (Ver-)Kleidung als Darstellungsmittel für Habitus und Geschlechtsidentität, aber auch Kleidung als poetische Zeichensprache. In ihrer "Geschichte der Moden" schildert Caroline Fouqué beispielsweise die unterschiedlichen Kleidungsstile vom Ancien Régime bis in ihre Lebenszeit des Biedermeier. "Dieses Werk war nicht nur eine Kostümgeschichte, sondern ein differenzierter Zeitenspiegel", so Julia Bertschik. "Bereits Caroline Fouqué erklärte also den Wandel der Kleidung ausdrücklich mit dem Wandel sozialer und kultureller Umstände." Heute ist Caroline de la Motte Fouqué eine vergessene Autorin. Eine Schriftstellerin, die von der Literaturwissenschaft oft als "trivial" abgetan wurde, eben weil sie sich mit dem - "typisch weiblichen" - Thema Mode beschäftigte.

Auf die Frage was denn nun zuerst da gewesen sei, der soziale Umbruch während einer Epoche oder die entsprechende Modeveränderung, gibt Julia Bertschik ein entschiedenes "Sowohl als auch!" zur Antwort. "Natürlich gibt es eine Wechselwirkung, die sich beispielsweise am Phänomen der 'Neuen Frau' in der Zeit der Weimarer Republik festmachen lässt." Einerseits bedingten äußere Umstände, wie die Stoffknappheit in der Nachkriegszeit und die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen, die Entstehung dieses Frauentyps mit kurzem Rock und praktischer Bubikopffrisur. Gleichzeitig sei die "Neue Frau" aber auch von den Medien vermarktet und in Modejournalen und in der Literatur als ein Produkt der Emanzipation propagiert worden.

Die Spielarten der Mode in der Literatur sind vielfältig: Da gibt es Allegorien und Theaterszenerien, Karikaturen wechseln mit Collagen und Fotobeschreibungen. Neben journalistischen Artikeln, Romanen und Erzählungen sind lyrische Texte und auch Zwittergebilde zu finden, die sich nur schwer in Kategorien pressen lassen. Viele der von Julia Bertschik untersuchten Literaten sind einem breiteren Publikum weitgehend unbekannt, teils wurden sie einfach vergessen, teils als "Unterhaltungsschriftsteller" abqualifiziert. Dabei gelingt es der Literaturwissenschaftlerin in ihrer Studie, manche Autoren im Kontext von Mode und Moderne für die Germanistik zu rehabilitieren. So geschehen mit Vicki Baum: "Vicki Baum war in der Zeit der Weimarer Republik eine sehr erfolgreiche Unterhaltungsschriftstellerin - eine Tatsache, die sie für die Germanistik schon einmal verdächtig macht", erklärt Julia Bertschik. Dabei zeigte Baum in ihren Beiträgen für die Modezeitschriften "Die Dame" und "Uhu" einen ebenso demonstrativen wie hintergründigen Umgang mit den Themen Kleidung, Kosmetik und Schönheit. "Um die Bedeutung von Vicki Baum zu verstehen ist es notwendig, nicht nur ihre Romane und Theaterstücke zu kennen, sondern auch ihre journalistischen Beiträge." Nur so lasse sich entdecken, wie diese Werke sich gegenseitig kommentieren und das von den Medien vermarktete Phänomen der "Neuen Frau" entlarven. Während Vicki Baum sich in ihren Modeartikeln gerade für diese Selbststilisierung aussprach, kritisierte sie in ihren Erfolgsromanen "Menschen im Hotel" oder "Stud. chem. Helene Willfüer" die zunehmende mediale Vereinnahmung von Gesicht, Körper und Verhalten.

Hoch interessant sind auch Bertschiks Ausführungen zur Mode-Propaganda in der NS-Zeit. So lieferte beispielsweise das aufwändig gestaltete, 1941 offiziell gegründete Modemagazin "Die Mode" selbst in Zeiten von Krieg und Mangelwirtschaft weiterhin die Illusion von Eleganz, Luxus und Müßiggang. Die abgebildeten Fotos zeigten gerade keine Trachtenkleidung, sondern kostbare Kleidermodelle so genannter "deutscher Hochmode", die für durchschnittliche Leserinnen angesichts rationierter Textilien unerreichbar waren. Derweil betrieben die abgedruckten "modepolitischen Leitartikel" Agitation im Sinne der NS- Ideologie. Statt sich mit aktuellen Modetendenzen zu beschäftigen, konzentrierten sich die Texte darauf, die Bedeutung der Mode für das nationalsozialistische Deutschland zu erklären.

Mode in der Literatur, das zeigt Julia Bertschik in ihrer Arbeit, erzählt von Sein und Scheinen, von Natur und Kultur, von Maskerade, Geschlechterkonstruktionen und Emanzipation. Mode erscheint als ein höchst wechselhaftes Wesen. "Die Moden wechseln", schrieb der französische Schriftsteller und Kritiker Marcel Proust, "da sie selber aus dem Bedürfnis nach Wechsel entstehen."


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Literatur:
Julia Bertschik, Mode und Moderne.
Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der
deutschsprachigen Literatur (1770-1945).
Böhlau Verlag, Köln 2005.

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
PD Dr. Julia Bertschik, Tel.: 0176 / 65 89 29 44,
E-Mail: bertschik@germanistik.fu-berlin.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution9


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Freie Universität Berlin, Ilka Seer, 17.02. 2006 13:39
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de