Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → LITERATUR

BERICHT/067: Die Erklärung der Welt im antiken Epos (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 18.11.2008

Die Erklärung der Welt im antiken Epos


Der Ursprung der antiken römischen Literatur liegt in der Auseinandersetzung mit der Geschichte. Zur schönen Literatur gehörte auch die historische und die Fachliteratur - allerdings so gefällig dargeboten, dass sie sich wie Belletristik liest. Wie ist dies gelungen? Was hat die ersten römischen Dichter bewogen, Geschichte in epischer und tragischer Form aufzubereiten? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Professor Thomas Baier, der neue Lehrstuhlinhaber für Latinistik am Institut für Klassische Philologie an der Universität Würzburg.

"In der antiken römischen Literatur wollte man belehren, gleichzeitig aber auch zeigen, mit welcher Kunstfertigkeit man das konnte", erklärt Thomas Baier. In seiner Forschung geht es ihm vor allem darum, die literarische Qualität solcher Werke aufzuzeigen - beispielsweise des Epos über die Atomlehre "de rerum natura" des Epikureers Lucrez. Und er interpretiert die Texte philosophisch, fragt nach dem Weltbild, das konstruiert wird: Wie erklärt man sich die Welt? Ist sie ewig oder irgendwann einmal entstanden? Durch Zufall oder Lenkung? Ist sie von Geist oder Vernunft durchwirkt? Ist sie dem Menschen freundlich oder schafft sie ihm eine feindliche Umgebung? "Die Römer", sagt der Professor, "trieb die Frage nach Affektbeherrschung, Willensfreiheit und Verantwortung in den unterschiedlichsten literarischen Gattungen um."

Göttlichem Eingreifen in menschliches Handeln, so Baiers These, kommt in der Literatur eher eine symbolische Funktion zu. Es spiegelt das Unsichtbare, das im Menschen vor sich geht. Und "diese Personifikation von nicht sichtbaren psychischen Reaktionen durch Götter" sei "der bildhafte Ersatz für eine Begrifflichkeit, die im Grunde so lange fehlte, bis Sigmund Freud die Psyche des Menschen zu einem über die Fachgrenzen hinaus wirkenden Thema gemacht hat".

Ein weiterer Schwerpunkt ist die neulateinische Literatur, das Nachleben der antiken Dichtung in der frühen Neuzeit. Vom kernigen Poeten Konrad Celtis im ausgehenden 15. Jahrhundert - er selbst nannte sich "Erzpoet" - bis zu dem feinsinnigen Jesuiten Jakob Balde im 17. Jahrhundert haben humanistische Dichter antike Themen und Gattungen wiederentdeckt. Mit antiker Freimut boten sie, geschützt durch das antike Gewand, Liebesdichtung, zeitkritische Satire, aber auch Lebensregeln zwischen epikureischer Sinnenfreude, stoischer Unbeugsamkeit und christlicher Demut. "Heidnisch gelebt und christlich gestorben", so lässt sich für Thomas Baier das Lebensmotto dieser Intellektuellen an der Schwelle der Moderne beschreiben. Etwa jeder zweite Gymnasiast in Bayern lernt Latein. Über 90 Prozent der Studierenden der Latinistik an der Universität Würzburg sind Lehramtskandidaten. Entsprechend sieht Baier die Universitäten in der Pflicht, diese Nachfrage zu bedienen. Auch in Würzburg strebt er einen engen Kontakt zwischen Schule und Wissenschaft an. Insbesondere möchte er - im Rahmen der Seminarfächer, die die neue Oberstufenreform vorsieht - die Zusammenarbeit mit den Oberstufenschülern intensivieren.

Thomas Baier, geboren 1967, hat Latein, Griechisch, Geschichte und Lateinische Philologie des Mittelalters an den Universitäten Freiburg, München, Pittsburgh und Rom studiert und wurde 1995 in Freiburg in Latinistik promoviert. 1998/1999 ermöglichte ihm ein Habilitationsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft einen Aufenthalt in Paris. Nach seiner Habilitation in Klassischer Philologie übernahm er 2001 eine Lehrstuhlvertretung an der Universität Leipzig. Von 2002 bis 2008 hatte er den Lehrstuhl für Klassische Philologie an der Universität Bamberg inne. Seit 1.10.2008 den Lehrstuhl für Klassische Philologie an der Universität Würzburg. Dazwischen führten ihn seine Lehrtätigkeiten immer wieder ins Ausland, unter anderem an das Istituto di Filologia classica der Università degli studi di Palermo und an die École normale supérieure in Paris.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution99


*


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Margarete Pauli, 18.11.2008
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2008