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FRAGEN/014: Literatur und Widerstand (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 134, 4/15

Literatur und Widerstand
Zwei Autorinnen sprechen über die Kraft des Schreibens

Interview von Verena Bauer


Wie kann Literatur dazu genutzt werden, um gegen Ungerechtigkeit anzukämpfen? Welche Möglichkeiten bietet speziell feministische Literatur, und welchen Stellenwert hat Humor darin? Die Autorinnen Sumaya Farhat-Naser aus Palästina und Philo Ikonya aus Kenia haben über diese Fragen nachgedacht und interessante, wenn auch sehr unterschiedliche Antworten gegeben.


frauen*solidarität: Welchen Stellenwert hat das Schreiben für Sie?

Sumaya Farhat-Naser: Das Schreiben ist wie eine Therapie. Wachsam beobachte ich meine Gefühle und Empfindungen, schreibe sie auf, betrachte sie, lasse sie auf mich wirken, um sie dann nach ihrer Wichtigkeit zu sortieren. Im Zwiegespräch mit mir selbst, frage ich mich: ist dieses oder jenes Gefühl berechtigt? Lohnt es sich, daran festzuhalten und mich davon beeinträchtigen zu lassen? Viele schwere Gefühle relativieren sich dadurch. Eine solche Gedankenhygiene tut gut, ich fühle mich wohl dabei und schöpfe Kraft.

Philo Ikonya: Erinnern Sie sich an Träume, die lebendig sind, an dDie süßesten Berührungen von Worten oder Zärtlichkeiten? Ich schon. Die Erinnerung ruft in mir das Brechen eines Herzens hervor, die zerbrochene Verbindung in der Menschheit oder zu einer Person, eine Zeit oder einen mystischen Ort, wo die Geschichte niemals endet. Insgesamt ist schreiben ein Traum von Gerechtigkeit, und ihre Verbundenheit zur Schönheit ist verbunden mit Buchstaben. Schreiben ist das Lesen von Buchstaben des Geistes. Das lockt mich unaufhörlich. Also ist das Schreiben Seele und Sauerstoff? Mehr, es ist genauso wichtig wie leben.


frauen*solidarität: Was hat Sie dazu veranlasst, Autorin bzw. Schriftstellerin zu werden?

Sumaya Farhat-Naser: Ich bin eigentlich Botanikerin und liebe mein Fach. Während meiner Studienzeit in Hamburg war ich oft konfrontiert mit der Unwissenheit sowie der gezielten Falschinformation der Medien über den Nahostkonflikt und dem Ausblenden des Leidens der Palästinenser_innen - das verletzte mich sehr. Wissend, dass meine Wahrheit, keineswegs die einzige ist, beschloss ich, zu berichten und zu erzählen. Ich schrieb Aufsätze und erzählte über mein Leben, meine Wurzeln und Verbundenheit mit dem Land Palästina, erklärte meine Traditionen und Sitten. Ich präsentierte meine Kultur und das tägliche Leben unter der Besatzung und verband sie mit der Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Freiheit. Ich erkannte, dass ich mit meiner Menschlichkeit die der anderen erwecken konnte. Ich erreichte die Herzen der Menschen, die mehr von mir lesen wollten. So schrieb ich das erste Buch, meine Biographie mit dem Titel "Thymian und Steine". Es folgten drei Bücher in Tagebuchform.

Philo Ikonya: Du schaust auf Dinge, für die du Zeit aufwendest, und auf dein Bankkonto. Kontostand? Die meisten Schriftsteller_innen machen etwas anderes für ihren Lebensunterhalt. Eine Schriftstellerin zu werden ist eine Angelegenheit mit einem selbst und anderen. Ich möchte auf eine andere Art etwas Inneres erzählen, genießen und teilen. Es war, wie lieben, eher ein Verlangen als eine Entscheidung wegen einer inneren Kraft. Es begann durch das Hören einer Geschichte als Kind, die Berührung der Dinge rund um mich, z. B. die knisternde Sonne in der Schule, das Lesen am funkelnden Nachmittag. Licht und Wasser. Details beschreiben, die nicht gesehen werden. Literatur von einem Bibliotheksregal mitzunehmen, bedeutet auch mit anderen zu sein oder mit dem, wie sie sein könnten. Fiktion lässt mich erzittern, wie Liebe. Die Magie der Tatsache, dass ein_e Schriftsteller_in Gefühle und Stimmungen schaffen kann und demnach ihre Realität. Schriftsteller_in sein bedeutet etwas Nichtvorhersehbares, etwas Unbestimmtes zu akzeptieren. Es ist die Poesie des Lebens.


frauen*solidarität: Wie kann Literatur für feministischen Widerstand verwendet werden?

Sumaya Farhat-Naser: Literatur, von Frauen geschrieben, motiviert Frauen, sich auszudrücken, Probleme anzusprechen, zu definieren und nach Lösungen zu suchen. Sie erkennen, dass ihre Probleme nicht individuell sind, sondern ein Teil der gesamten frauen- und gesellschaftsspezifischen Herausforderungen. Sie erkennen Parallelen zu anderen Frauen und deren Erfahrungen und streben nach Kooperation und Vernetzung. Sie fühlen sich nicht allein gelassen und lernen von der Stärke der anderen. Sie werden kreativ und holen aus ihrem Inneren die Liebe zum Leben und das Verantwortungsbewusstsein zum Schutze des Lebens. Geschickt und weise können sie gewaltfrei denken und handeln und sich für ihre Rechte einsetzen. Durch Literatur bilden sie sich und eignen sich Methoden für ein friedliches Zusammenleben an: für den Frieden in der Familie und der Gesellschaft.

Philo Ikonya: Literatur kann für Widerstand genutzt werden, wenn wir Feminismus nicht als Kreation von einem Teil der Welt sehen. Eine Geschichte der frühen African Oral Literature, die ich zu rezitieren gelernt habe, beginnt so: "Vor langer Zeit haben die Frauen geherrscht..." Genau. Die Geschichte erklärt weiter, wie Schwangerschaft sie alle gezwungen hat, aufzuhören zu herrschen, da sie alle zur gleichen Zeit schwanger wurden. Unglaublich. Der Verstand sagt dir, dass da etwas falsch sein muss - Rechtfertigung der Unterdrückung. Würden Sie versuchen, mir zu erklären, dass feministische Theorien nichts wert sind? Sie sind etwas wert, genauso wie feministische Literatur. Literatur ist in mancher Hinsicht der Spiegel der Gesellschaft. Es ist eigenartig, wenn jemand das Wort "Feminismus" sieht, kommt nur der hässliche oder utilitaristische Gebrauch in den Sinn. Feministischer Widerstand von Frauen und Männern muss das herausziehen, was wir aus Philosophie, Religion, Geschichte und Wirtschaft kennen. Wieso müssen wir diese Bezeichnungen überhaupt benützen?


frauen*solidarität: Was für eine Rolle spielt dabei Humor?

Sumaya Farhat-Naser: Humor ist wichtig, gerade dort, wo so viel Leid, Wut und Zorn den Alltag bestimmen. Er bietet die Chance, sich vor allzu vielen negativen Gedanken und Empfindungen zu schützen. Humor stoppt Gewaltanwendung, lockert Verkrampfungen im Gesicht und in den Herzen. Wie oft habe ich erlebt, wie bei einer angespannten Situation am Checkpoint oder beim stundenlangen Warten bei der Militärbehörde, ein Witz die Situation auflockerte, alle lachten von Herzen und begannen selbst Witze zu machen. Dadurch relativieren sich negative Empfindungen.

Philo Ikonya: Humor muss uns nicht zum Lachen bringen, aber er tut es oft. Ich denke, er erreicht etwas, was sonst nicht erreicht werden kann. Wenn du keine gute Laune verbreiten kannst, kommst du nicht bis ins Innere der Menschen. Ich glaube nicht, dass viel Humor in meinem Schreiben steckt, aber mein Übersetzer hat viele Dinge gefunden, die lustig waren. Ich weiß, ich habe Späße über religiösen Fundamentalismus gemacht und andere ernsthafte soziale Probleme. Die Wahrheit ist, ich kenne keine Menschen, die nicht lachen und Späße machen. Es lebe der Humor!


frauen*solidarität: Danke für das Gespräch


Philo Ikonya thematisierte als freie Journalistin die soziale Ungerechtigkeit, die allgegenwärtige Korruption und den Machtmissbrauch der herrschenden Elite in ihrer Heimat Kenia. Mehrmals wurde sie deswegen verhaftet und misshandelt. Seit 2009 lebt sie auf Einladung des International Cities of Refugee Network (ICORN) in Oslo im Exil.

Sumaya Farhat-Naser ist eine vielfach international ausgezeichnete Autorin. Sie arbeitet als palästinensische Friedensvermittlerin mit Jugendlichen und Frauen in Israel.


Literaturtipps:
Farhat-Naser, Sumaya (1995): Thymian und Steine. Eine palästinensische Lebensgeschichte,/Lenos, Basel: Lenos.
Ikonya, Philo (2010): Aus dem Gefängnis - Liebesgesänge/Out of Prison - Lovesongs/Löcker Verlag, Wien:. Löcker Verlag

ZUR AUTORIN:
Verena Bauer hat Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien studiert. Sie ist Projektreferentin beim Weltgebetstag der Frauen und Radiomacherin bei Women on Air. Sie lebt in Wien.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 134, 4/2015, S. 14-15
Medieninhaberin und Herausgeberin:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2016

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