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PROFIL/067: Schriftstellerin Gioconda Belli aus Nicaragua (welt der frau)


welt der frau 3/2008 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Und Gott machte mich zur Frau

Von Caroline Kleibel


Die nicaraguanische Schriftstellerin und ehemalige sandinistische Freiheitskämpferin Gioconda Belli legt beredt Zeugnis ab über ihre Freude am Frau-Sein. Sie erzählt, worin sich "der Fisch ihrer Fantasie" immer wieder verfängt und warum es nicht gut ist, Träume zu verwerfen, noch bevor ihnen Flügel wachsen konnten.


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Mit ihrem rotschwarzen Halstuch, das ihr so gut stand, sei sie die "Ikone der sandinistischen Revolution" gewesen, das "schönste Gesicht des Feminismus" in Lateinamerika, eine "wortgewaltige Kämpferin mit prächtigen Locken", steht über sie zu lesen. Der reißerische Grundton, der gern mitschwingt, wenn von Gioconda Belli die Rede ist, macht aufmerksam. Wie ist sie wirklich, die Frau, die über Liebe und Krieg schrieb, wie keine vor ihr? Die Frau, deren erste erotische Gedichte 1970 nicht nur im katholischen Nicaragua aufhorchen ließen? Tatsächlich enthält Gioconda Bellis Lebensgeschichte Elemente, die gut und gern den Stoff für eine populäre TV-Seifenoper abgeben könnten: Junge, behütete Frau wird zur Rebellin wider eine mörderische Diktatur. Dazu Affären, freie Liebe, Skandale, Verurteilung zu sieben Jahren Haft, Exil. Und schließlich, nach dem ersehnten Sieg der Revolution und einer kurzen politischen Karriere, der Bruch mit den Sandinisten der Liebe wegen, weil diese ihr den Kontakt zu ihrem späteren Ehemann, einem amerikanischen Journalisten, untersagen.


Ein fulminantes Sprachgewitter

Gioconda Belli ist nicht leicht zu erfassen. Auch nicht leicht zu fassen. Während eines Österreichbesuchs meidet sie den Kontakt zur Presse. Sie macht sich rar. Der Grund dafür liegt freilich nicht darin, dass die bald 60-Jährige heute nicht mehr so viel zu sagen hätte. Kommt die Begegnung aufgrund einer glücklichen Fügung doch zustande, trifft man auf eine Frau, die zu faszinieren versteht, deren elegantes Äußeres beeindruckt - zugegebenermaßen auch die wallende Lockenmähne und das markante Gesicht mit den ausdrucksstarken, dunklen Augen. Vor allem aber ihre Lebendigkeit und ihr Charisma. In schwer vom Spanischen gefärbtem Englisch, "Spanglisch" nennt man das wohl, beantwortet sie geduldig Fragen, die ihr kaum zum ersten Mal gestellt werden. Sie spricht überlegt und detailreich, emotional und engagiert.


Mitreissende Sprachgewalt

Nach Österreich ist sie diesmal gekommen, um mit einer Lesung aus ihren Werken das Bühnenjubiläum der Grupo Sal zu begleiten, jener Musikergruppe, die im deutschsprachigen Europa seit 25 Jahren als die "Stimme Lateinamerikas" gilt. Gioconda Bellis Gedichte passen da gut dazu. Klangbilder und Rhythmus mischen sich zu einer einzigartigen musikalisch-poetischen Collage voll mitreißender Lebensfreude und Hoffnung. Hoffnung für jene Menschen in Nicaragua, denen über die von Dietmar Schönherr gegründete Hilfsorganisation "Pan y Arte e. V." ein Gutteil der Einnahmen aus dieser Tournee zukommen soll. In ihrem Vortrag, dessen Sinnlichkeit und Witz von Viola Gabor, Schauspielerin und Freundin Gioconda Bellis, perfekt ins Deutsche übertragen werden, ziehen drei Jahrzehnte eines leidenschaftlichen Frauenlebens am Publikum vorbei. Belli entfacht ein fulminantes spanisches Sprachgewitter, das Erinnerungen an den sandinistischen Befreiungskampf der 1970er-Jahre auferstehen lässt. Schließlich, gesteht sie, brenne sie noch immer für die gerechte Sache, schöne Männer und gepflegte, wohlgesetzte Worte.


Die Freude am Frau-Sein

Starke Frauen stehen im Mittelpunkt von Gioconda Bellis Literatur. Eine starke Frau ist sie zweifelsohne selbst. In ihrer Autobiografie schreibt sie: "Meine Eltern konnten nicht ahnen, dass sich das brave, liebe Kind in die rebellische Frau verwandeln würde, die ihnen den Schlaf raubte." Hat also das politische Engagement für das Mädchen aus gutem Hause zum Bruch mit der Familie geführt? Belli verneint energisch: "Obwohl wir politisch unterschiedlicher Meinung waren, sind mir meine Eltern und Geschwister stets zur Seite gestanden. Wenn ich mir das heute so durch den Kopf gehen lasse, war diese bedingungslose Unterstützung alles andere als selbstverständlich und auch gar nicht ungefährlich. Immerhin wurde ich wegen subversiver Tätigkeit politisch verfolgt und musste das Land verlassen. Auch wenn sie meine Mittel nicht billigten, so war doch auch meine Familie immer in Opposition zum Somoza-Regime und zu dessen Diktatur gestanden."


Junge Mutter und Revolutionärin

Wenn sie heute in Gedanken zurückblendet, dann werden sowohl Erinnerungen lebendig an ihr eigenes bewegtes Schicksal als auch an das allgemeine Lebensgefühl und den Zeitgeist der späten 1960er-Jahre: "Ich bin noch als Teenager Mutter geworden. Meine erste Tochter kam 1969 zur Welt. Ich musste in einer Werbeagentur arbeiten, um zum Familieneinkommen beitragen zu können. Damals fing ich aber auch an, Gedichte zu schreiben und begann, mich für die sandinistische Revolution zu begeistern. Eine politisch überschäumende Zeit. Wir wussten, was in Paris los war, wir bekamen die Hippiebewegung in den USA mit, die Friedenskundgebungen und Anti-Vietnamkriegs-Demonstrationen sowie den aufkeimenden Feminismus. damals fühlten wir Jungen uns mächtig und glaubten, die Macht zu haben, um diese Welt zum Besseren verändern zu können."


Die weibliche Kraft im Gedicht

Gioconda Belli findet ihre Stimme in der Poesie. Sie entdeckt eine Literaturform für sich, die es ihr ermöglicht, das auszudrücken, was sie fühlt: "Ich identifizierte mich mit der Verteidigung der Liebe und der Kraft weiblicher Sexualität, für die wir Frauen seit der Genesis bestraft wurden. Man hat uns genötigt, diese Kraft zu verneinen, zu unterdrücken, weil Männer darin eine Gefahr sahen. Doch liegt es allein an uns Frauen, unserer Sexualität eine neue Bedeutung zu geben, sie als Stärke anzusehen. Ich bin stolz darauf zu fühlen, was mich als Frauen definiert. Stolz, dass Gott mich zur Frau gemacht hat."


Der Fisch der Fantasie

Das auslösende Moment für Bellis persönliche Rebellion war tiefe Unzufriedenheit, gemischt mit Wut über die Zustände in ihrer Heimat Nicaragua, über die Heuchelei, die Armut und die Verbrechen einer skrupellosen staatlichen Diktatur. Die Welt auch tatsächlich zu verändern, schien ihr damals machbar. Durch ihre Gedichte hatte sie das Potenzial, sich Gehör zu verschaffen. Gleichzeitig sorgten genau diese feministisch erotische Sprache, die mit vielen Tabus brach, und ihre üppig-wollüstigen Sprachbilder für Skandale in der konservativen nicaraguanischen Gesellschaft: Ich sagte dir, dass wir uns lieben wollen wie fauchende Katzen. / Wie ein Libellenpaar, das sich im Wind begattet. / Alles ist möglich in dieser kalten Nacht, / in der die Bäume heulen ...


Poesie und Politik

Die Zeiten, in denen solche Zeilen die Kraft hatten, eine Gesellschaft nachhaltig zu verstören, sind vorbei. Die Lust am Formulieren ist geblieben. Heutzutage definiert sich Gioconda Belli selbst in erster Linie als nicaraguanische Lyrikerin und Schriftstellerin. Was allerdings nicht heißt, dass ihr die politische Dimension ihrer Tätigkeit nicht mehr wichtig wäre: "Im Grunde lässt sich das eine vom anderen nicht trennen. Ich agiere ja nicht abgeschieden im Elfenbeinturm, bin geprägt durch die Zeit, in der ich lebe, und durch meine Umgebung." Schreiben ist für sie nicht Arbeit, sondern pure Passion. Der "Fisch ihrer Fantasie", wie sie ihre Inspiration poetisch umschreibt, verfange sich eben immer wieder in Themen wie dem Streben nach Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Manchmal beschreibe sie eher den allgemeinen sozialen Kampf, dann wieder das spezifisch weibliche Bemühen um Gleichberechtigung. Dennoch seien ihre Geschichten nie vorgefasst, sondern ergäben sich gleich einer magischen Fügung: "Eines reiht sich zum anderen. Ich nehme den Faden einer Geschichte auf, spinne ihn weiter und sehe, wohin er mich führt. Das ist auch für mich immer ein unvorhersehbarer und spannender Prozess. Ich erfahre die Geschichte zur selben Zeit, zu der ich sie schreibe."


Intensiv und einfach

So ließ sie Lavinia, die Heldin ihres Romans "Bewohnte Frau", über die Liebe zu einem Compañero zur Befreiungsbewegung und gleichberechtigten Teilnahme am bewaffneten Widerstand finden. In "Tochter des Vulkans" erkämpfte sich Sofia ein selbstbestimmtes Leben und wirtschaftliche Unabhängigkeit. "Waslala" handelt von der ambivalenten Suche der jungen Melisandra nach einer gerechten Gesellschaft und einer gleichberechtigten Geschlechterbeziehung. Das "Manuskript der Verführung" erzählt von Johanna der Wahnsinnigen von Spanien, wobei es nicht nur um die Vergegenwärtigung einer historischen Persönlichkeit geht, der in Bellis Augen grobes Unrecht geschah, sondern auch um die siebzehnjährige Klosterschülerin Lucia, die in ihrer intensiven Auseinandersetzung mit Johanna erst ihre eigene weibliche Identität findet. Die Literaturkritik nörgelt vielfach an Bellis einfacher Erzählstruktur und naiver Weltsicht, was die Autorin aber weitgehend unbeeindruckt lässt: "Ich glaube nicht, dass gute, moderne Literatur zwingend zynisch, skeptisch und pessimistisch sein muss. Ich nehme für mich in Anspruch, das Leben romantisch zu sehen, episch und überschwänglich." Und der Erfolg gibt ihr recht. Alle ihre Bücher sind Bestseller geworden. Offensichtlich können sich viele ihrer Leserinnen, insbesondere in Nicaragua, mit dem Streben ihrer Protagonistinnen nach Befreiung von alten Rollenklischees nur allzu gut identifizieren.


Träumen wachsen Flügel

Eine besondere Stellung innerhalb ihres Werkes nehmen Gioconda Bellis bereits 2001 erschienene Memoiren "The Country Under My Skin" (zu Deutsch: "Die Verteidigung des Glücks") ein. "Ein Fenster", so die Autorin, "durch das hindurch eine bestimmte Zeit meines Lebens sichtbar wird. Ich wollte bestimmte Erfahrungen persönlich festhalten, bevor es jemand anderer für mich tut. Ereignisse, die den gleichen Menschen widerfahren, betreffen diese doch auf ganz unterschiedliche Weise. Geschichte passiert nicht in einem Vakuum. Sie basiert auf den Erlebnissen von Menschen aus Fleisch und Blut und doch werden diese persönlichen Betroffenheiten immer ausgeklammert, wenn ganz anonym von geschichtlichen Fakten die Rede ist." Gioconda Belli zitiert William James, wenn sie meint, Biografien seien die einzig wahren historischen Quellen, weil sie von einem sehr subjektiven Standpunkt ausgingen. Der Ich-Erzähler gäbe sich der Leserschaft zu erkennen und genau so solle es auch sein. Resümierend würde Gioconda Belli alles wieder ganz genauso machen: "Mein Kampf um die Freiheit Nicaraguas war nicht vergeblich. Ich habe ein gutes Gefühl dabei, das Rad der Zeit ein wenig in die richtige Richtung gedreht zu haben. Wir sind noch nicht ganz heraußen aus dem Dickicht. Aber welches Land ist das schon? Andererseits herrscht nun ein weit demokratischeres System, die Menschen sind politisch sensibilisiert und wissen, dass sie die Macht haben, Dinge, die sie für schlecht befinden, zu verändern. Sie wissen auch, dass das nicht von einem Tag zum nächsten geschehen kann. Veränderungen brauchen Zeit und es wäre schade, würde man seine Träume verwerfen, noch bevor ihnen Flügel wachsen konnten."


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Die Sandinistas von Nicaragua

Nach der Machtübernahme durch Diktator General Anastasio Somoza im Jahr 1936 herrschte in dem mittelamerikanischen Land Nicaragua mehr als 40 Jahre lang eine Diktatur durch Mitglieder der Familie Somoza, die entweder den Präsidenten stellten oder hinter den Kulissen die Fäden zogen. In den 1970er-Jahren führte der Widerstand gegen dieses System zur Gründung der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront, benannt nach dem von General Somoza 1934 hingerichteten Widerstandskämpfer Augusto César Sandino.

1979 gelang es den Sandinisten, die Familie Somoza zu stürzen und ein linksgerichtetes Regime zu errichten. Es wurde ein ambitioniertes demokratiepolitisches Programm verfolgt, das durch eine breit angelegte Bildungskampagne zu einer deutlichen Senkung der Analphabetenrate führte. Der weltbekannte Dichter und Priester Ernesto Cardenal wurde zum Kulturminister ernannt.

Während der 1980er-Jahre wurden die Sandinisten durch die von den USA unterstützten Contras bekämpft - einer vor allem aus ehemaligen, im Exil lebenden Mitgliedern der Nationalgarde Somozas bestehenden Gruppe. Die Sandinisten unter ihrem 1984 gewählten Präsidenten Daniel Ortega knüpften daraufhin engere Kontakte zu Kuba und zur Sowjetunion. Der erbitterte Bürgerkrieg, der tiefe Wunden in das Land schlug, endete erst 1990.


Zur Person:

Gioconda Belli wurde am 7. Dezember 1948 in Managua geboren. Sie studierte in den USA Kommunikationswissenschaften und schloss sich mit Anfang 20 aus Empörung über den Machtmissbrauch des Somoza-Regimes der sandinistischen Befreiungsfront an. In Abwesenheit zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, setzte sie ihren Kampf aus ihrem Exil in Mexiko und Costa Rica publizistisch fort. Nach dem Sieg der sandinistischen Revolution 1979 kehrte Belli nach Nicaragua zurück und übernahm verschiedene kulturpolitische Funktionen in der Revolutionsregierung. Anfang der 1990er-Jahre kam es zum Bruch mit den Sandinisten, die ihr den Kontakt zu ihrem späteren Ehemann, einem amerikanischen Journalisten, untersagten.
Heute lebt Gioconda Belli, Mutter zweier erwachsener Töchter und eines Sohnes, mit ihrem Ehemann und der 13-jährigen Adoptivtochter Adriana abwechselnd in Managua und Santa Monica, USA.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 3/2008, Seite 4-7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2008