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PROFIL/079: Bessie Head - Ich baue Treppen zu den Sternen (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, September/Oktober 2010

Bessie Head: Ich baue Treppen zu den Sternen

Von Monika Idehen


25 Jahre, ein viertel Jahrhundert, ist vergangen seitdem viel zu frühen Ende von Bessie Heads schwerem, verworrenem, aber äußerst kreativem Leben. Sie hinterließ einen literarischen Schatz, ein Reihe beachtenswerter, ja erstaunlicher Bücher über das Leben in Afrika, ihr eigenes Leben! Bessie Head schrieb über Dinge, die bislang nur wenige Autoren als bedeutend genug erachtet hatten, um sie in einem Roman zu verarbeiten. Sie beschrieb, oft en passant, aber stets mit großer Akkuratesse, das Leben der Frauen in den ländlichen Gebieten des Südlichen Afrika. Indem sie Bezug nahm auf die tägliche Konfrontation, denen eine schwarze, im Exil lebende Frau ausgesetzt ist, gelang es ihr ein lebendiges und sehr enthüllendes Bild des dörflichen Lebens in Botswana zu zeichnen und die Rolle aufzuzeigen, die Frauen in diesem Umfeld spielen.

Bessie Head wurde 1937 in Pietermaritzburg, Südafrika, geboren; Kind einer illegitimen Beziehung zwischen einer weißen Frau und einem schwarzen Mann. Sie kam in einer psychiatrischen Klinik zur Welt, wohin man die Mutter schaffte, nachdem sie ihre geistige Verwirrung durch die unerhörte Beziehung zu einem Schwarzen offenbart hatte, und wo sie von eigener Hand starb.

Das "farbige" Kind, das zunächst bei "farbigen" Pflegeeltern und ab dem 12. Jahr in einem anglikanischen Internat für "farbige Mädchen" aufwuchs, erfuhr am eigenen Leibe die Leiden der schwarzen Südafrikaner in einem Staat, der die Rassendiskriminierung legalisiert hatte.

Doch obwohl auch sie das "Rückgrat-brechende" Leben aller schwarzen Menschen in Südafrika lebte, gelang es ihr, eine Ausbildung als Lehrerin zu beenden. Später ging sie nach Kapstadt und dann Johannesburg und arbeitete als Journalistin, zu Anfang als die einzige weibliche Mitarbeiterin der Zeitschrift.

Anfang der 1960er-Jahre, der Zeit der Anti-Pass-Demonstrationen und des Scharpeville-Massakers, wurde Bessie Head wie so viele Südafrikaner verhaftet und verbrachte einige Zeit im Gefängnis. Sie heiratete und bekam einen Sohn; die Ehe war jedoch von kurzer Dauer, und konfrontiert mit persönlichem und politischem Desaster ging sie 1964 mit ihrem kleinen Sohn nach Botswana ins Exil, wo sie lebte und arbeitete bis zu ihrem frühen Tod am 17. April 1986.


Bücher schreiben in Botswana

Hier in Botswana fand sie eine Anstellung als Lehrerin in einer Grundschule; zog Gemüse, um das magere Salär aufzubessern, und fand zudem noch die Zeit und die Kraft, einige der "eindringlichsten Bücher zu schreiben, die je in Afrika entstanden sind". Alle ihre Bücher sind zu einem gewissen Grade autobiographisch. "Ich bin Schriftstellerin und etwas von mir geht in meine Bücher", sagte sie in einem Interview, aber mit dem Können der talentierten Autorin setzte sie subjektive Erfahrungen in universal anwendbare literarische Aussagen um. "A Question of Power" ist "eine Erfahrung, die ich durchgemacht habe. Ich kann unmöglich leugnen, dass dies ein vollständig autobiographischer Roman ist, der ein Stück meines Lebens zeigt." Die meisten Kritiker sind sich einig, dass es auch ihr vollendetstes Werk ist, eine kompliziert konstruierte, komplexe Geschichte mit großer psychologischer Einsicht.

In "When Ram Clouds Gather" ist die zentrale Figur ein Mann, der Südafrika und den politischen Kampf hinter sich lässt in der Hoffnung, in Botswana ein ruhigeres und erfüllteres Leben zu finden. Bessie Head involviert diesen Mann in ein landwirtschaftliches Projekt, das Zusammenarbeit mit den Frauen des Dorfes erforderlich macht, und es gelingt ihr auf diese Weise, einige durchaus beeindruckende Frauencharaktere zu schaffen und das Leben dieser Frauen, ihre Arbeit, ihre Beziehung zu Männern und ihre Rolle in der Dorfgemeinschaft aufzuzeigen.

In "Serowe - Village of the Rainwind" verbindet sie mit großem Geschick Ethnologie und Poesie zu einem farbigen und sehr exakten Portrait eines afrikanischen Gemeinwesens. Indem sie die Menschen von Serowe selbst zu Wort kommen lässt, beschreibt Bessie Head ein fast idyllisches, aber bereits von Zerfall und Auflösung bedrohtes Afrika, auf das sie dennoch ihre Utopien aufbaut.

Aber nicht nur ihre einzigartige Darstellung des afrikanischen Dorflebens und ihre unwiderstehlichen Frauenportraits machen Bessie Heads literarisches Werk zu etwas Besonderem. Mit ihrer Handhabung des Rassismus in seinen vielfältigen Manifestationen enthüllt sie kühn und aufrichtig Diskriminierung und Vorurteil von Weiß gegenüber Schwarz und Schwarz gegenüber Schwarz. Mit den von ihr als schwarze Frau im Apartheidstaat Südafrika gemachten Erfahrungen erkennt sie deutlich "die erstaunliche Übereinstimmung bei rassistischen Vorurteilen", z.B. als sie in Botswana die Unterdrückung der Masarwa beobachtet.

Bessie Head vermittelt uns, dass es die Aufgabe jener ist, die nicht unmittelbar in der Unterdrückung involviert sind, für die Unterdrückten zu sprechen und Änderung herbeizuführen, denn "Das Opfer rassischen Gedankenguts weiß oft nicht, was das Logischste und Korrekteste ist, um das Herz des Bösen zu ändern. Es kann sie mit Gewalt erschrecken. Es kann sie umbringen, aber es ist nicht die Quelle des Bösen".

Die Dörfer in ihren Romanen haben verschiedene Namen, aber ob sie es nun Motabeng nennt oder Golemi Mmidi oder Serowe, immer ist es das Dorf des Regenwindes, das Dorf, zu dem Bessie Head flieht aus einer "erstickenden, würgenden, todesähnlichen Welt", die Südafrika heißt. Es ist das Dorf, wo sie sich an ein neues Leben gewöhnt und das ihr Zuhause wird, obwohl sie "was die Botswana-Gesellschaft betrifft, eine totale Outsiderin war".

Bessie Head verbrachte den Rest ihres Lebens in Botswana, teilweise in Gaborone, aber hauptsächlich in Serowe. Hier überwandt sie Stück für Stück die vielen erschreckenden Hindernisse ihres Lebens. Hier konnte sie sich einer ihrer Leidenschaften, dem Briefeschreiben, widmen. Sie korrespondierte mit hunderten Menschen in vielen Ländern, viele dieser Briefe sind posthum veröffentlicht. Und hier schrieb sie ihre beeindruckenden Bücher.

Bessie Head betonte immer ihre universelle Anschauung. Sie weigerte sich, als afrikanische, als schwarze, als feministische oder gar als revolutionäre Schriftstellerin bezeichnet zu werden. Sie schrieb für alle Menschen, überall. In einem wunderbaren Essay vom März 1985 erklärt sie: "Ich schreibe, weil ich vom Leben dafür autorisiert wurde. Das Leben hat mich nicht aufgefordert, Politikerin zu werden; es hat diese Aufgabe anderen übertragen. Das Leben hat mich aufgefordert, Schriftstellerin einer ganz besonderen Art zu sein. Alle, die mich kennen, wissen, dass ich in der wachen Wirklichkeit des Tages eine absolut solitäre Person bin. Freunde gehen durch mein Leben, reden, lächeln und schütteln meine Hand, aber keiner ist mir nahe. Das gilt nicht für meine nächtliche Traumwelt. Meine Traumwelt ist erfüllt mit tausenden und tausenden von Menschen. Es ist keine kunstvolle oder hübsche, sondern eine praktische, geschäftige Welt, in der Menschen die Zukunft planen und mich ihre Vorlieben wissen lassen. Darin wurzeln meine Bücher. Ich baue Treppen zu den Sternen. Ich habe die Befugnis, die ganze Menschheit dort hinauf mitzunehmen. Darum schreibe ich."

Zusätzlich zu allen Widrigkeiten, mit denen sich eine alleinerziehende, im Exil lebende Frau und Schriftstellerin auseinandersetzen muss, war Bessie Heads Leben ein ständiger Kampf gegen ihre Dämonen, ihr psychischen Probleme. Vielleicht teilweise ausgelöst durch den Schock, den sie als 14-Jährige erhielt, als ihr der Weihnachtsbesuch bei den einzigen Eltern, die sie kannte, verweigert wurde und Mitarbeiter des Internats ihr barsch mitteilten, dass ihre wirkliche Mutter eine Weiße und ihr Vater ein "Eingeborener" sei. Die Grausamkeit dieses Tages hat Bessie Head nie vergessen.

Sie hatte häufige Albträume, aber gleichzeitig fand sie Inspiration in ihren phantastischen, visionären Träumen. Am schlimmsten litt sie des Nachts unter ihren psychischen Problemen; tagsüber zeigte sie sich heiter und freundlich. Aber sie war für ihre Streitlust fast so berühmt wie für ihre Schriften. Sie besaß einen kämpferischen Geist und war zeitweise grob, sogar gehässig gegen andere. Sie wusste um ihre instabile psychische Verfassung und nannte es: meine Flucht. Eine ihrer charakteristischen Eigenschaften, sowohl in ihren Büchern als auch in ihrem Leben, war Partei zu ergreifen für einfache Menschen gegenüber denen in Machtpositionen.

Mit zunehmendem Erfolg ihrer Bücher und wachsender weltweiter Popularität erhielt Bessie Head immer öfters Einladungen zu Konferenzen, Seminaren und Writer's Workshops. So war nach 1976 ihr Leben durch häufige Auslandsreisen gekennzeichnet. Bessie genoss diese Gelegenheiten ebenso wie ihre Zuhörer und Leser. Sie reiste in die USA, zum renommierten International Writing Programme der Universität von Iowa; kam zu den Internationalen Literaturtagen nach Berlin; besuchte Dänemark, Holland; nutzte die Gelegenheit der Europa-Aufenthalte zu wiederholten Besuchen in Großbritannien, wo sie alte südafrikanische Freunde traf. Sie hielt den Keynote-Vortrag bei der Conference an African Literature and the English Language in Nigeria und reiste zur Writer's Week of the Adelaide Festival nach Australien.


Bücher von Bessie Head (1937-1986) auf Deutsch

RegenWolkenZeit
Roman, Göttingen: Lamuv 2000

Orangen und Zitronen. Geschichten von Zärtlichkeit und Macht.
Roman, Göttingen: Lamuv 1999

Maru
Göttingen: Lamuv 1998

Sternenwende
Göttingen: Lamuv, 1997

Die Farbe der Macht
Roman. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl., 1993 und Berlin: Orlanda-Frauenverl. 1987

Die Schatzsammlerin
Erzählungen (Drei Kontinente). München: Dt. Taschenbuch-Verl., 1993, Ungekürzte Ausg., und Berlin: Orlanda-Frauenverl., 1988

Wenn der Regen fällt
Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl., 1991 und Berlin: Orlanda-Frauenverl., 1988


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 4, September/Oktober 2010, S. 36 - 37
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: issa@comlink.org
Internet: www.issa-bonn.org

"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2011