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BUCHTIP/1054: Notfallpläne für einen Planeten (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - 1/2007
Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft

Notfallpläne für einen Planeten

Von Peter Hergersberg


Jill Jäger
WAS VERTRÄGT UNSERE ERDE NOCH?
Wege in die Nachhaltigkeit
232 Seiten mit Abbildungen

Klaus Hahlbrock
KANN UNSERE ERDE DIE MENSCHEN NOCH ERNÄHREN?
Bevölkerungsexplosion - Umwelt - Gentechnik
318 Seiten mit Abbildungen

Friedrich Schmidt-Bleek
NUTZEN WIR DIE ERDE RICHTIG?
Die Leistungen der Natur und die Arbeit des Menschen
256 Seiten mit Abbildungen

Mojib Latif
BRINGEN WIR DAS KLIMA AUS DEM TAKT?
Hintergründe und Prognosen, 255 Seiten mit Abbildungen

alle Bücher im Fischer Taschenbuch Verlag
Frankfurt am Main 2007, 9,95 Euro


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Diese Bücher machen Hoffnung! Die Welt ist noch zu retten - wenn wir Menschen möglichst rasch umsteuern. Wie wir die Klimakatastrophe, den Schwund der Ressourcen, Hunger und Epidemien abwenden können, untersuchen Wissenschaftler, die sich in der Stiftung Forum für Verantwortung zusammengeschlossen haben. In der Buchreihe gleichen Namens stellen sie ihre Ideen vor.

Als Herausgeber der insgesamt zwölf Bände firmiert Klaus Wiegandt, ehemaliger Chef des Metro-Konzerns und Vorsitzender der Stiftung. Ähnlich profiliert sind die Autoren der Bücher: Jill Jäger, Wissenschaftlerin am Sustainable Europe Research Institute in Wien, Klaus Hahlbrock, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln, Friedrich Schmidt-Bleek, der ehemals Vize-Präsident des Wuppertal Instituts war und heute Präsident des Factor 10 Institute im französischen Carnoules ist, sowie Mojib Latif, Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Meeresforschung an der Kieler Universität, haben die ersten vier bisher erschienenen Bände geschrieben.

Alle Autoren fassen zunächst zusammen, welche Zukunftsprognosen die Wissenschaft für ihr jeweiliges Fachgebiet gibt. Und die sehen durchweg düster aus - wenn sich nichts ändert. Jill Jäger und Friedrich Schmidt-Bleek arbeiten heraus, dass die Erde schon in wenigen Jahrzehnten nicht mehr genug Ressourcen bieten wird, um die wachsende Zahl von Menschen zu versorgen, von denen viele auch einen immer höheren Lebensstandard erreichen. Dazu gehört auch die Nahrungsversorgung, deren Zukunft Klaus Hahlbrock in seinem Buch analysiert und genauso pessimistisch beurteilt. Und natürlich der Klimawandel, der für den Menschen und seine Umwelt zur Katastrophe zu werden droht, was Mojib Latif eindringlich beschreibt.

Auf wenige Worte eingedampft, liefern die Prognosen der Autoren keine neuen oder gar überraschenden Erkenntnisse zur düsteren Zukunft der Erde. Doch die Wissenschaftler stellen auch die vielen einzelnen Mosaiksteinchen dar, aus denen sich diese Szenarien ergeben. Latif etwa stellt die Klimamodelle vor, erläutert, welche Faktoren - von den Ozeanen über Vulkane bis hin zu Kondensstreifen und den Treibhausgasen - das Klima beeinflussen und wie sich der Klimawandel auf einzelne Regionen Europas auswirkt.

Hahlbrock trägt zusammen, wie sich die Landwirtschaft entwickelt hat, damit sie heute sechs Milliarden Menschen mehr oder weniger gut ernähren kann. Und welche Probleme entstehen, wenn Landwirte immer mehr Dünger und Pflanzenschutzmittel einsetzen. Doch bald wird die Erde nicht mehr genügend Nahrungsmittel für zehn Milliarden Menschen bieten - selbst wenn die Landwirtschaft ohne Rücksicht auf Boden, Luft und Wasser versucht, ihre Erträge zu steigern. Erosion und Wasserknappheit sind vielerorts aber nicht nur eine Folge intensiver Landwirtschaft, sondern auch des Klimawandels. Dieser Aspekt verdeutlicht, dass jedes Buch ein Puzzleteil des großen Kollapses abbildet, dass sich viele Entwicklungen aber gegenseitig bedingen oder verstärken.

Doch die Forscher geben die Verantwortung nicht ab, nachdem sie ihre erschreckenden Szenarien entwickelt haben. Mit ihrer Expertise zeigen sie Wege auf, wie sich die Krise abmildern, wenn nicht abwenden lässt. Sie setzen dabei auch auf technischen Fortschritt. Hahlbrock etwa stellt die Potenziale der Gentechnik dar, um eine Knappheit von Nahrungsmitteln zu verhindern und den schädlichen Einfluss der Landwirtschaft auf die Umwelt zu verringern.

Technik soll auch helfen, Rohstoffe produktiver zu nutzen. Der technische Fortschritt allein kann aber nicht kompensieren, was Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum auffressen. Ohne unsere Einstellungen und unser Verhalten grundlegend zu ändern, geht es nicht. Das fängt damit an, dass wir uns auf eine neue Sicht der Dinge einlassen müssen. Das Konzept von Friedrich Schmidt-Bleek ist dafür ein Beispiel: Es dreht sich um den Materialverbrauch, den ein bestimmter Service mit sich bringt. Sein Ziel ist es, das eingesetzte Material im Schnitt auf ein Zehntel reduzieren.

Im ersten Schritt zu diesem ehrgeizigen Ziel müssen wir Produkte auf ihre Funktion hin überprüfen. Das wird auch eine Brücke zum Dienstleister. Denn sie trägt uns über ein Tal. Dafür eignet sich eine Brücke aus Stahl genauso wie eine Brücke aus Beton, aber auch eine lange Straße hinab ins Tal und auf der anderen Seite wieder hinauf erfüllt den Zweck. Die stählerne Brücke verbraucht jedoch alles in allem sehr viel weniger Material als die lange Straße oder die Brücke aus Beton - die Energie mit eingeschlossen. Sie erfüllt den gewünschten Dienst also auf die ökologisch sinnvollste Weise.

Detailliert arbeitet Schmidt-Bleek die ökologischen und ökonomischen Vorteile heraus, wenn Unternehmen Kosten senken, indem sie die Ressourcen- statt der Arbeitsproduktivität steigern und nicht immer mehr Arbeitsplätze abbauen. Voraussetzung dafür ist, dass der Preis der Ressourcen ihren wahren Wert wiedergibt und auch die Folgekosten ihrer Nutzung - sei es die Altlast des Bergbaus oder der Ausstoß von Treibhausgasen.

Diesem Ansatz zu folgen kann im Kleinen geradezu banal wirken. So macht Schmidt-Bleek eine Rechnung auf, unter welchem Materialaufwand sich der Rasen im heimischen Garten kurz halten lässt. Der eigene Amateurmäher im Schuppen erledigt den Job unter Einsatz der meisten Ressourcen. Besser ist ein Rasenmäher-Sharing oder ein professioneller Dienst, der das Gras mit einem robusteren und langlebigeren Gerät stutzt. Doch auch ein Schaf würde die Aufgabe erfüllen. Aber warum verabschieden wir uns nicht gleich davon, dass nur ein kurzer Rasen auch ein schöner ist - und lassen die Wiese wachsen?

In ähnlicher Weise müssen wir uns sicher von am Konsum orientierten Vorstellungen trennen, was im Leben erstrebenswert ist. So möchten uns die Autoren auch eine Erkenntnis nahebringen, die zwar nicht neu ist, aber dank der argumentativen Dichte der Bücher an Überzeugungskraft gewinnt: Ein hoher Lebensstandard geht nicht mit einer hohen Lebensqualität einher.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin
der Max-Planck-Gesellschaft 1/2007, S. 74-75
Hrsg.: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Redaktionsanschrift: Hofgartenstraße 8, 80539 München,
Tel.: 089/2108-1562, Fax: 089/2108-1405
-+E-Mail: mpf@gv.mpg.de
Das Heft als PDF: www.magazin-dt.mpg.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2007