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BUCHTIP/1118: Bauernbetriebe jenseits von Kommerz & Ausbeutung der Natur (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 143 - April/Mai 08
Die Berliner Umweltzeitung / REZENSIONEN

Der gute Käse und die gute Wurst
Bauernbetriebe jenseits von Kommerz und Ausbeutung der Natur

Von Elisabeth Meyer-Renschhausen


Das vorliegende Buch ist das Ergebnis einer Erhebung über den Wandel des ländlichen Wirtschaftens in einer Region im Westfälischen. Auf den guten Böden der Warburger Bürde wird mit Erfolg Landwirtschaft nach modernen Maßgaben betrieben. Aber neben der industrialisierten Landwirtschaft findet sich zugleich eine Rückbesinnung auf die Region und das regionale Wirtschaften.

Nachbarschaftliche Hilfen sind hier keineswegs verschwunden, sondern erfahren vielmehr ein gewisses "Revival". Im Zentrum des Buches finden wir die Menschen, die diese Prozesse tragen, auf einigen gelungenen Fotos von Cornelia Suhan. Die Bilder im Buch waren Teil einer Ausstellung, die vor Ort in der Warburger Bürde im östlichen Westfalen im Jahr 2002 binnen ganz kurzer Zeit 1000 Besucher anzog und später auch auf der Grünen Woche in Berlin gezeigt wurde.

In anschaulichen Portraits lernt der Leser einzelne Bauern der Region kennen. Etwa den Hausschlachter Karl Koch, der den Leuten im Ort ihre Tiere zerlegt und daraus im handwerklichen Verfahren "die gute Wurst" macht und zwar niemals mehr als nötig.

Oder Maria Kösters, die Bäuerin, die ihre familiäre Bauernwirtschaft in Obhut hat. Schon als Jugendliche war sie für alle Arbeiten allein verantwortlich, denn auf dem elterlichen Hof gab es keine Jungen. Nachdem sie heiratete, hatte sie ihrem Mann den Ackerbaubereich überlassen und sich selbst auf die Versorgung der Sauen und Kühe beschränkt. Dazu kamen natürlich Haushalt und ihr Engagement im Landfrauenverband.

Heike Schäfer-Jacobi hingegen ist Neubäuerin. Sie kam aus der Stadt aufs Land. Sie heiratete nach einem Praktikum in einen Hof hinein und übernahm dann die Käserei des Betriebes, die sie bis heute selbständig betreibt. Hier finden wir also das alte Modell, nach dem Höfe früher betrieben wurden: geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, aber ein eigenes Einkommen für die Bäuerin. Die Bäuerin verdiente durch Butter und Eierverkauf, Geflügelhaltung und Kälberaufzucht ihr Geld völlig selbständig und unabhängig vom Ehemann.

So gelingt es den Autorinnen zu zeigen, dass inmitten industrialisierter auf internationale Märkte ausgerichtete Landwirtschaft auch das Gegenteil noch existiert: viele kleine Höfe die durch gegenseitige Hilfe überleben. Deren Betreiber sich nicht durch Anforderungen aus der Lebensmittelindustrie so versklaven lassen, dass sie noch nicht einmal mehr zum Plausch auf der Dorfstraße Zeit haben. Es gibt wohl überall viel mehr solche Menschen, als wir denken. Wahrscheinlich hat das bei uns bereits 1850 totgesagte Bauerntum bis heute überlebt. Wahrscheinlich sind es diese Menschen, die sich etwas Selbständigkeit trotz ihnen vorgegaukelter toller Profitmöglichkeiten erhielten. Damit blieben auch Arbeitsweisen erhalten, die sich kommerziell "nicht mehr lohnten", die aber im zukünftigen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft eine vorbildliche Rolle einnehmen können. Eine lesenswerte Studie, ein schönes Buch.


Andrea Baier, Veronika Bennholdt-Thomsen, Brigitte Holzer:
"Ohne Menschen keine Wirtschaft. Oder: Wie gesellschaftlicher Reichtum entsteht"
Oekom Verlag, München 2005, 220 Seiten, 19 Euro, ISBN: 3-936581-67-3


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Quelle:
DER RABE RALF - 19. Jahrgang, Nr. 143, April/Mai 08, S. 23
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.grueneliga-berlin.de/raberalf

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Mai 2008