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BUCHTIP/1141: Die Entstehung der modernen Physik (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 2/2008

Zwischen Anpassung und Auflehnung

Von Bernd Wirsing


Dieter Hoffmann, MAX PLANCK
Die Entstehung der modernen Physik
128 Seiten mit Abbildungen
Verlag C. H. Beck, München 2008, 7,90 Euro

Die neue Biografie von Dieter Hoffmann gehört zum Besten, was der deutsche Buchmarkt zum 150. Geburtstag von Max Planck präsentiert. Hoffmann ist seit 1996 am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte tätig und lehrt an der Humboldt-Universität. "Jahrzehntelang" hat er sich schon mit Planck beschäftigt, verrät der Autor im Vorwort. Doch nichts wäre unangemessener, als Hoffmann etwa den Vorwurf interessengeleiteter Geschichtsschreibung zu machen - dafür taugt dessen wissenschaftlich-kritische Distanz zum Sujet überhaupt nicht.

Obwohl der Untertitel "Die Entstehung der modernen Physik" auch in eine andere Richtung weisen könnte, beschäftigt sich Dieter Hoffmann in mindestens der Hälfte der fast 130 Seiten mit dem homo politicus Max Planck in turbulenter Zeit, die sich vom Kaiserreich bis zum Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg spannt. Dabei gehört das 20-seitige Kapitel "Zwischen Anpassung und Auflehnung: Das Dritte Reich" mit zu den wichtigsten und lesenswertesten des gesamten Buchs.

Hoffmann glänzt hier durch differenziertes wie mutiges Urteilen über den damaligen Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der nach eigenen Worten die nationalsozialistische Machtergreifung zunächst nur für einen "Gewittersturm" hielt, "der über uns hinwegbraust". Dass damit der Unrechtsstaat eingeläutet worden war, konnte und wollte sich der damals 75-Jährige nicht recht vorstellen. Plancks Haltung zu den neuen Machthabern sei daher "zwiespältig und nicht frei von Ambivalenzen und Fehleinschätzungen" gewesen. Pflichtbewusstsein, so urteilt Hoffmann, habe Max Planck weiter im Amt gehalten. Und die Überzeugung, die Wissenschaft aus dem Strudel der Politik heraushalten zu können, sie unbeeinflusst von der "nationalen Revolution" weiterzuführen und vielleicht sogar für die eigenen Belange einspannen zu können.

Doch diese anfänglichen Illusionen seien bei Planck bereits Mitte der 1930er-Jahre gewichen. Einen wichtigen Anlass gab die Niederschlagung des sogenannten Röhm-Putsches im Sommer 1934, bei dem die Nationalsozialisten auch den ehemaligen Reichskanzler Kurt von Schleicher kaltblütig ermordeten; Plancks Sohn Erwin war Schleichers Protegé, diente ihm in der Endphase der Weimarer Republik als enger Mitarbeiter und avancierte sogar zum Staatssekretär. Ein Weiteres ergab sich aus der Gedenkfeier für den zur Emigration gezwungenen jüdischen Kollegen Fritz Haber, die Planck aus persönlichem und nationalem Dankbarkeitsempfinden heraus - und damit gegen den Wunsch der Nazis - im Berliner Harnack-Haus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft veranstalten ließ.

Plancks anfängliche "Kompromissbereitschaft" und "partielle Kooperation" (Hoffmann) wich in der Folge einer stillen, aber klaren antinazistischen "Resistenz", die auch von den Nazis wahrgenommen wurde. Freilich: "Widerstandskämpfer", so Hoffmann, sei er damit noch nicht geworden, aber ein "Hoffnungsträger" für viele - insbesondere für jene, die es verstanden, "zwischen den Zeilen zu lesen". Die NSDAP wusste von Plancks Antipathien gegen die Partei, verzichtete aber auf Repressalien. Doch sie rächte sich, nachdem sich Erwin Planck dem Widerstand angeschlossen und die Verschwörer des 20. Juli ihn sogar auf die Kabinettsliste einer Regierung nach Hitler gesetzt hatten. Erwin wurde verhaftet und noch kurz vor Kriegsende am 23. Januar 1945 hingerichtet. Alle Proteste des Vaters waren erfolglos. Zurück blieb ein seelisch gebrochener Max Planck, der nach langem Leiden 1947 in Göttingen starb.

Dieter Hoffmann stützt seine Bewertung Plancks im Dritten Reich auch auf die jüngsten Ergebnisse der Präsidentenkommission "Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus", die John Heilbron in der zweiten Auflage seiner Planck-Biografie noch unberücksichtigt ließ.

So hat wohl Hoffmanns biografische Studie die besten Chancen, zum neuen Standardwerk zu werden, das auch einen Überblick über die wichtigsten Quellen gibt. So erfährt man etwa, dass der von Hoffmann öfter zitierte Briefwechsel zwischen Lise Meitner und Plancks Frau Marga im Churchill College Archives Centre in Cambridge zu finden ist. Und wer eine Niederschrift Plancks über die Haber-Feier sucht: Er findet sie im Historischen Archiv Krupp in Essen.

Vielleicht etwas zu kurz kommt das wissenschaftliche Lebenswerk von Max Planck, was der Autor aber bewusst einer bald erscheinenden "umfassenden wissenschaftlichen Biografie" vorbehalten will. Von den Kapiteln über "Thermodynamik und theoretische Physik" sowie die "Geburt der Quantentheorie" dürften diejenigen am meisten profitieren, denen Begriffe wie Entropie, Schwarzer Körper sowie die diversen Strahlungsgesetze schon geläufig sind. Doch auch viele Nicht-Physiker erhalten einen Eindruck, wie die Geburt der Quantentheorie einem "Akt der Verzweiflung" entsprang und Max Planck in die Rolle des "Revolutionärs wider Willen" kam.

Denn weder er noch seine Zeitgenossen erkannten die Tragweite des neuen Strahlungsgesetzes, das in einem grundsätzlichen Widerspruch zur herrschenden klassischen Physik stand. Ob gewollt oder nicht: Planck leitete damit eine neue Epoche der modernen Naturwissenschaften ein. Die Weiterentwicklung der Quantentheorie zur Quantenmechanik legte schließlich den Grundstein für neue Felder wie Mikroelektronik, Nanotechnologie oder Lasertechnik - und damit für die Dynamik unserer heutigen, von Wissenschaft und Technik geprägten globalisierten Welt.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 2/2008, S. 78-79
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2008