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SF-JOURNAL/053: Akzente - Und immer wieder "Erstkontakte" ... (SB)


Erstkontakt - ein grundsätzliches Problem


Es mag wohl ein Produkt menschlichen Ersatzstrebens sein, daß wir inzwischen dazu übergegangen sind, uns mittels Neuer Medien über kurze und weite Entfernungen hinweg zu verständigen, weil wir einfach nicht dazu in der Lage sind, unserem Nächsten zuzuhören. Und um diesem mittlerweile auch langweilig werdenden medialen Einerlei zu entfliehen, sind Erstkontakte mit fremden Wesen immer noch und immer wieder ein willkommenes Thema.

Möchte man mehr über derartige Zusammentreffen erfahren, braucht man in der Science Fiction nicht lange danach zu suchen: Diesem Standardthema begegnen wir hier in seinen vielfältigsten und schillerndsten Ausführungen. Und ist das Interesse erst einmal geweckt, so stößt man in dem ganzen Wust an Unterhaltsamem hier und dort auch auf wesentlich ernsthaftere Positionen zum Thema als beispielsweise die der herkömmlichen, typisch amerikanischen Slapstick-Variante im Stil von Murray Leinster: In seiner klassischen Geschichte "First Contact" (1945) erzählen sich die Abgesandten zweier sternfahrender Rassen beim ersten Kontakt schmutzige Witze. - Nun müßte man Leinster zugute halten, daß er mit dieser Story seine allzu verkrampften Kollegen etwas auflockern wollte. Allerdings kommt man damit nicht besonders weit und könnte praktisch schon an dieser Stelle alle weiteren Überlegungen einstellen.

Hat man sich aber darauf eingelassen, die Schwierigkeiten bei einem möglichen Erstkontakt als grundsätzlich menschlich zu erachten, sieht man sich unmittelbar vor die Aufgabe gestellt, aus der Fülle von Material eine geeignete Auswahl zu treffen, die für eine weitere Auseinandersetzung hilfreich sein könnte.

Denn eines haben die meisten Erstkontakte gemein: Die sogenannte Verständigung von Mensch zu Mensch wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Dennoch erweist sich der Kontakt zu uns fremden Lebensformen oft als äußerst problematisch, ja manchmal sogar lebensgefährlich.

Es kann zum Beispiel ein tödlicher Fehler sein, sich nach einem hochbrisanten, nervenaufreibenden und am Ende tatsächlich erfolgreichen Erstkontakt mit dem Vertreter einer überlegenen außerirdischen Großmacht zur Entspannung eine Zigarette anzünden zu wollen. Der Alien, schon fast außer Sichtweite und im Begriff, sein Raumschiff zu betreten, sieht gerade noch im Augenwinkel das Aufblitzen des Streichholzes, wertet dies als feindliche Geste und läßt feuern... (Kurzgeschichte von Herbert W. Franke: "Mißverständnis oder Vorsicht vor Nichtrauchern", 1974)

Angesichts solcher und ähnlicher Mißverständnisse sowie zahlreicher Widersprüche an sich ist die Science Fiction ein wunderbares Hilfsmittel zur Auseinandersetzung. Der Kontakt zum anderen, ein Problem mit dem man sich im alltäglichen Leben mehr schlecht als recht arrangiert hat, wird hier, wie der Begriff Erstkontakt sagt, stets neu konstruiert und instrumentalisiert.

Erstkontakte tauchen in Erscheinungsformen auf, die allesamt auch auf unser menschliches Zusammenleben übertragbar sind. Logischerweise; denn was anderes ist Phantasie als ein Spiegel unserer Vorstellungen, der immer nur das wiedergibt, was wir kennen und was uns vertraut ist. Aber Science Fiction enthält zumindest die Möglichkeit, dieser drohenden Verödung unseres Denkens auf unkomplizierte Weise die Stirn zu bieten. Dabei lassen sich Stereotypien, Wiederholungen oder auch Millionste Aufgüsse zu ein und demselben Thema kaum vermeiden - was dem Unterhaltungswert keinen Abbruch tun muß, und was ja auch nicht weiter erstaunlich oder schlimm und eigentlich auch gar nicht der Rede wert ist.

Da man aber den Freunden der Science Fiction in unserer heutigen (noch) Konsum- und Wohlstandsgesellschaft anscheinend eine zunehmend unkritische, angepaßte Haltung unterstellt bzw. zuzuweisen gedenkt (derzeitige Produkte lassen zu wünschen übrig; Bücher scheinen ohnehin aus der Mode zu kommen), empfiehlt es sich, einen Blick in die traditionelle, ältere Science Fiction-Literatur zu werfen.

Hier wimmelt es nur so von Außerirdischen: Aliens als Bedroher oder Erlöser, als Invasoren oder Warner vor gefährlichen Entwicklungen, als neutrale Beobachter außerhalb der menschlichen Gesellschaft, als Vermittler von Sozialkritik, als Retter der Menschheit. Manchmal dient deren Besuch auf der Erde auch einfach nur als Hinweis auf alle möglichen Ungereimtheiten unseres Daseins. Etwa, wenn man die Fremden nicht sehen kann und nur bestimmte Spuren ihrer Anwesenheit darauf schließen lassen, daß Furchtbares vor sich geht, wie beispielsweise in der nur knapp zwei Seiten langen, sehr schönen Kurzgeschichte "Von Pluto her" (1975) des Ex-DDR-Schriftstellers Günter Kunert. - Eine weitere, außergewöhnliche Kontakt-Variante beschreibt die Story "Der Atem der Lilie" (1978) des Amerikaners T. P. Lewis: Obwohl der von seinesgleichen ausgestoßene Wissenschaftler auf einem angeblich unbesiedelten Planeten lebt, wird hier ein äußerst unüblicher, überaus zarter und einfühlsamer Kontakt zwischen Mensch und etwas Fremdem aufgebaut, von dem man bis zum Ende nicht mehr als eine vage Ahnung behält. - Das alles ist möglich.

Dabei kommt es selbstverständlich darauf an, ob wir zu ihnen oder sie zu uns gelangt sind, und ob ein Kontakt auf irgendeine Art und Weise bereits stattgefunden hat oder nicht. Dieser wird oft nur ganz beiläufig abgehandelt oder aber auch ganz genau beschrieben, so in dem Roman "Das Mädchen aus dem All" (1957). Hier schildert der russische Autor Ivan Efremov in minutiösen Einzelheiten den Kontakt mit einer raumfahrenden Rasse, deren Metabolismus auf Fluor basiert.

Daß es aufgrund der totalen Andersartigkeit zwischen Menschen und möglicherweise existierenden Außerirdischen zu unüberwindlichen Problemen bei der Kontaktaufnahme kommen wird, diese These vertritt der polnische Schriftsteller Stanislaw Lem. Sein Roman "Solaris" (1961) ist dafür ein Paradebeispiel. Ein riesiger Ozean auf dem Planeten Solaris produziert ständig wechselnde, phantastische Formen und will vermutlich auf diese Weise mit den irdischen Forschern auf Solaris in Kontakt treten. Wissenschaft und Einfallsreichtum jedoch reichen nicht aus, um eine befriedigende Erklärung dieses Phänomens geben zu können. Der Mensch vermag die Fremdartigkeit des Ozeans bestenfalls mit seiner eigenen, begrenzten Sprache auszudrücken, aber alle Versuche einer Kontaktaufnahme scheitern schließlich.

Es gibt auch Fälle, in denen zwar ein Kontakt mittels Sprache zustande gekommen ist, die aufeinandertreffenden Lebensformen jedoch von so unterschiedlicher Natur sind, daß sich die scheinbare, sprachliche Verständigung am Ende als ein einziges großes, enttäuschendes und am Ende leider auch verhängnisvolles Mißverständnis erweist (Kurzgeschichte von Frank Töppe: "Die letzten Bilder des Graphikers Schneider", 1978). - Welcher Mensch kennt das nicht. Wenn allerdings deshalb ein ganzes Volk dran glauben muß, wird es schon sehr deutlich, und das sogenannte Mißverständnis verliert seine Unschuld und zeigt sein wahres Gesicht.

Genau deshalb gibt es auch Stories, in denen darum gekämpft wird, daß eben kein Kontakt zustande kommt. Mit seiner eindrucksvollen, unheimlichen Erzählung "Am Morgen fällt der Nebel" (1973) plädiert der Autor George R. R. Martin für den unbedingten Erhalt des Fremden, der Andersartigkeit und der Verschiedenheit. Und man glaubt es ihm aufs Wort.


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Wie gesagt, Beispiele gibt es wie Sand am Meer. Vieles wurde geschrieben und noch mehr gilt es herauszufinden. Denn was es nun wirklich auf sich hat mit dem Kontakt, der Begegnung, der Nähe oder einer Verbindung, darüber ist sich niemand im klaren. Dabei wünscht sich doch angeblich jeder Mensch nichts sehnlicher als das. - Solange es dabei bleibt, wird auch der Science Fiction das Thema Erstkontakt erhalten bleiben. Und zum Glück gibt es immer noch einige Science Fiction-Autoren die sich damit herumstreiten, daß bei uns Menschen so manches im argen liegt.


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Akzente
Hinweise auf
- Bemerkenswertes, Erfreuliches und Wissenswertes
- Höhepunkte und Tendenzen in der Entwicklung
- neue literarische Richtungen
- gesellschaftliche Einflüsse

Erstveröffentlichung 2002

9. Januar 2007