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SF-JOURNAL/056: Akzente... Hallo Aliens, bitte melden! (SB)


Erde grüßt Universum - Leben im All zur Eroberung freigegeben


Leben im All. Für die einen heißt das: Aliens, Ufos, fremde Intelligenz. Für die anderen: Aminosäuren, Wasser auf dem Mars, Horchposten und Radioteleskope. Die einen leben mit der inneren Überzeugung, dass Außerirdische allgegenwärtig in fliegenden Untertassen über unseren Köpfen herumschwirren. Die anderen leben von der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass irgendwo im Weltraum trotz widriger Umstände womöglich Lebensformen entstehen. [...] Was immer von unseren Vorstellungen des fremden Lebens im All zutrifft - glubschäugige Krümelmonster oder grüner Schleim - für das nackte Überleben auf diesem Planeten spielt es leider keine Rolle..."
(aus Süddeutsche Zeitung vom 9.4.2002)

... auch wenn eine Menge Hoffnungen an mögliche außerirdische Kontakte geknüpft sind, zum Beispiel die, daß fortgeschrittenere Zivilisationen uns helfen könnten, Probleme wie Nahrungsmittel-und Energieknappheit, Umweltverschmutzung und Naturkatastrophen zu lösen.

Im folgenden sollen aber nicht Spekulationen über den Nutzen extraterrestrischer Intelligenzen, über die an sie geknüpften Sehnsüchte oder über die gewaltige Bedeutung und historische Dimension des Augenblicks eines Erstkontaktes angesprochen werden, Aspekte, wie sie in der Science Fiction-Literatur in allen Variationen menschlichen Vorstellungsvermögens schon verarbeitet worden sind (siehe hierzu auch SF-JOURNAL/053: Akzente - Und immer wieder "Erstkontakte"...). Hier geht es um Einschätzungen und Aktivitäten der Forscher, schlicht um die Realität.

Eigentlich spricht realistisch gesehen von den technischen, naturwissenschaftlichen und sozialen Voraussetzungen des menschlichen Entwicklungsstandes nichts dafür, die Schwierigkeiten auf der Erde einfach zu vermeiden und davor in den Weltraum ausweichen zu wollen. Daß diese Flucht nicht gelingt, dafür steht schon der Inhalt des Gepäcks, mit dessen Hilfe die Menschen ihre Aktivitäten im Weltraum nur genauso gestalten können, wie sie es auf der Erde schon so niederschmetternd erfolglos getan haben. Denn was könnte zum Beispiel umwerfend Fortschrittliches dabei herauskommen, die Erde zum Teil eines interstellaren Kommunikationsnetzes zu machen, wenn man doch bei der eigenen Sprache und Verständigung schon ernsthafte Lücken hat? Oder was anderes wird man wohl in den Tiefen des Alls auf der Suche nach Leben finden als Mikroorganismen, wenn man irdische Mikroorganismen als Ausgangsmaterial nimmt und testet, ob und unter welchen Voraussetzungen sie außerhalb der Erde existieren könnten. Mit der Aufrechterhaltung unserer vertrauten Theorien und Vorstellungen läßt sich kein Fortschritt einleiten; sie spiegeln nur das wider, was wir ohnehin schon kennen - die Spezies Mensch. Zudem spricht man hier besser nicht allein von Flucht vor den menschlichen Problemen, sondern von einer galaktischen Erweiterung der Flucht.

Und so groß, wie die räumlichen Dimensionen sind, in denen man sich das Entkommen vorstellt, so groß bzw. aufwendig muß auch der finanzielle, materielle, personelle und strukturelle Einsatz dafür sein - zu diesem Schluß kommt man jedenfalls, wenn man eine Bilanz der diesbezüglichen Aktivitäten zieht. Vielleicht ist es ganz heilsam, sich die gewaltigen, nutzlosen Anstrengungen einmal vor Augen zu führen, um dann abschließend zu der Überzeugung zu gelangen, die Probleme der Menschheit lieber auf direktem Wege anzupacken, statt Träumereien nachzuhängen und wirkungslosem Aktionismus im Weltraum zu betreiben - und letztlich gar nichts zu tun, wie jene Forscher, die nun schon seit den 60er Jahren nach dem kleinsten Lebenszeichen von Außerirdischen suchen bzw. darauf warten. Es gehören schon eine Willensanstrengung von galaktischen Ausmaßen oder die Aussicht auf gewaltige Vorteile dazu - oder ein unbeirrbares Interesse an der Suche nach einem Ausweg statt einer Bewältigung -, die ursprüngliche Begeisterung ungetrübt aufrechtzuerhalten, denn bislang gibt es nicht ein einziges Signal eindeutig künstlichen außerirdischen Ursprungs, obwohl sich in enger Kooperation mit der US- Weltraumbehörde immer mehr Experten auf den Gebieten der Nanotechnologie, Biologie, Mikrobiologie, Astronomie und Informatik mit dieser Frage befassen.

Handfeste Versuche dazu sind sogar schon viel älter: Nicola Tesla (1856-1943) war wohl der erste, der 1899 mit einer aufwendigen Apparatur Nachrichten an sogenannte ETIs (Extraterrestrial Intelligence) versenden wollte. Sein Sender in Colorado Springs war mit einer gigantischen, 23 Meter hohen Drahtspirale versehen. Man sagt, daß den Menschen im Umkreis vieler Kilometer die Haare zu Berge standen, als er diesen Transformator einschaltete. Dieser Versuch, Extraterrestrier auf dem Funkwege zu erreichen, fand erstaunlicher Weise schon lange bevor Marconi 1902 die erste transatlantische Funkverbindung einrichtete, statt.

Viele Jahre später (März 1972 und Mai 1973) schickte man die Raumsonden Pioneer 10 und 11 auf ihre endlose Reise durchs All. Ihre Antennen sind mit Aluminiumplatten versehen, die ebenfalls eine Botschaft über die Existenz der Erde und das Aussehen der Menschen an intelligente außerirdische Lebensformen enthalten. Der Forscher Carl Sagan (1934-1996), Professor für Astronomie und Weltraumwissenschaften sowie Leiter des Laboratory for Planetary Studies an der Cornell University, Mitarbeiter bei der NASA, der hauptsächlich bestrebt war, extraterrestrisches Leben auszuforschen, schuf mit seiner Frau, der Künstlerin Linda Salzmann, diese "interstellare Grußkarte" für die Pioneer-Sonden. Der Inhalt wurde unter der sehr zweifelhaften Voraussetzung gewählt, die Sprache der Wissenschaft sei universell und Naturgesetze unveränderbar, sozusagen losgelöst von allen sozialen und geschichtlichen Einflüssen: Die sternförmige Gravur soll eine Sternexplosion mit 14 geraden Linien darstellen, wobei jede Linie einen Pulsar zeigt. Die Länge der jeweiligen Linien steht für ihre Entfernung von dem zentralen Punkt, der Sonne. Entlang jeder Linie ist die Pulsarperiode in binären Zahlen vermerkt, wobei die Strahlung des Wasserstoffatoms als eine Einheit für Zeit und Länge verwendet wurde, denn sie ergebe sich aus den Gesetzen der Quantenmechanik, wonach das Wasserstoffatom mit seinem Elektron nur in den zwei möglichen Zuständen des Hochenergie- oder Niedrigenergiezustands existieren kann. Um auf den Wasserstoff, der als Maßstab gedacht ist, hinzuweisen, befinden sich oben auf der Gravurtafel die beiden mit einem Strich verbundenen Kreise. Am unteren Rand der Platte befinden sich Sonne und Planeten unseres Sonnensystems. Links sind zwei Menschen-Prototypen abgebildet.

Carl Sagan war fest davon überzeugt, daß irgendwo in den Tiefen des Raumes ältere, weiter fortgeschrittene Zivilisationen als die irdischen existieren, die uns ihre überlegenen Technologien lehren könnten. Bei der Betreuung der zwei Voyager-Sonden 1977 entwarf er deshalb nicht nur eine weitere Plakette als interstellare Botschaft, sondern ließ auch eine goldene Schallplatte anfertigen, die Grüße in 55 Erdsprachen (darunter Botschaften des damaligen UNO- Generalsekretärs Waldheim und des US-Präsidenten Carter) sowie unter anderem den Gesang von Walen, einen Querschnitt durch die Musikkulturen der Welt, 116 Bilder unserer Erde und Erdgeräusche beinhaltet.

Selbst bei aller Gutwilligkeit, die Absicht dieser Projekte zu verstehen, kann man vermuten, daß auch ein durchschnittlich gebildeter Mitteleuropäer allein schon mit der Deutung der "Grußkarte" überfordert ist. Ob wohl ausgerechnet ein Außerirdischer in der Lage sein wird, sie zu lesen, zumal sie die Gleichheit aller Wissenschaft voraussetzt?

Aber es wird nicht nur Post versendet, sondern umgekehrt auch seit 1960 im Rahmen des SETI-Projektes (Search for Extraterrestrial Intelligence) nach Botschaften der ETIs gefahndet, aktuell im neu gegründeten "Carl Sagan Center for the Study of Life in the Cosmos". Die SETI-Forscher beobachten rund 1000 Sterne in unserer Nähe. Diese müssen der Sonne ähneln, da sie damit alt genug sind, daß sich in ihrem Umfeld Leben entwickelt haben könnte. Lange Zeit haben die SETI- Astronomen nur durch Erlauschen von Radiowellen in bestimmten Frequenzen nach extraterrestrischen Funksignalen gesucht. Nun wird zusätzlich nach Lichtsignalen Ausschau gehalten, die von einer außerirdischen Zivilisation per Laserstrahl in unsere Richtung abgefeuert werden könnten, um Kontakt zu den Menschen aufzunehmen. Hier und da soll man schon verdächtige Geräusche aufgenommen haben, die sich allerdings als irdischen Ursprungs erwiesen. Und ein weiteres Problem ergibt sich, gesetzt den Fall, daß ein aufregendes, unzweifelhaftes "Piep" ertönt: Wie will der Mensch begreifen, was eine ihm weit überlegene außerirdische Rasse zu sagen hat? Auch die Entschlüsselung ist eine keineswegs leichte Aufgabe, denn wie bekannt, ist schon eine Verständigung unter Zeitgenossen ein bodenloses Unterfangen.

Mit einem durch das Internet abrufbaren Bildschirmschoner, der zugleich aufgefangene Radiofrequenzen nach extraterrestrischen Signalen durchforstet, haben die SETI-Mitarbeiter mit dem Projekt SETI@home Internet-Geschichte geschrieben. Weltweit arbeiten mehr als drei Millionen Nutzer die umfangreichen Daten unter anderem des Radioteleskops Arecibo in Puerto Rico unentgeltlich aus und ersparen dadurch dem SETI-Institut die Anschaffung teurer Supercomputer. Nebenbei, inzwischen haben sich unzählige Firmen bei den SETI- Programmierern nach dem Aufbau des Programms erkundigt, um es in ihrer jeweiligen Sparte zu adaptieren. Einen Bildschirmschoner benötigt jeder PC-Benutzer - warum also nicht einen, der im Hintergrund sture Rechenarbeit leistet? Die Einsparungen sind jedenfalls sehr attraktiv.

Immerhin wird dem Benutzer mit SETI@home die Chance geboten, als erster Mensch ein künstliches außerirdisches Signal empfangen zu haben. Zwar hat er nur seinen Rechner zur Verfügung gestellt, aber dennoch dürfte der Name des Erstkontaktlers in der Geschichtsschreibung erwähnt werden. Zudem haben die Mitarbeiter des Projektes durch die hohe Beteiligung von 3,2 Millionen privaten Computern gezeigt, daß viele Menschen ein "offenes Ohr" für das Thema Außerirdische haben.

Doch bislang haben sich noch keine Aliens nachweisbar gemeldet. Eine Kommunikation dürfte auch nur dann zustande kommen, wenn die Außerirdischen dem Menschen etwas ihm Bekanntes bieten. Falls also eines Tages vermeintlich extraterrestrische Funksignale auf die Erde treffen, wäre ein Kontakt vielleicht gar nicht so erstrebenswert...


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Akzente
Hinweise auf
- Bemerkenswertes, Erfreuliches und Wissenswertes
- Höhepunkte und Tendenzen in der Entwicklung
- neue literarische Richtungen
- gesellschaftliche Einflüsse

Erstveröffentlichung 2002

9. Januar 2007