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SF-JOURNAL/063: Hörspiele... "Eine Billion Dollar" nach A. Eschbach (SB)


Eine Billion Dollar

Hörspiel nach dem Roman von Andreas Eschbach


Diesmal geht es nicht um das zukünftige Leben der Menschheit, sondern darum, der Menschheit die verlorengegangene Zukunft wiederzugeben. Dazu ist in der Vision von Andreas Eschbach, dem derzeit wohl meist"dekoriertesten" Autor Deutschlands, scheinbar sehr, sehr viel Geld die beste Möglichkeit, oder? Den armen New Yorker Pizzalieferanten John Salvatore Fontanelli trifft die schier unbewältigbare Aufgabe, diese Möglichkeit zu nutzen, denn ein 500 Jahre altes Testament macht ihn zum reichsten Mann der Welt ...

Soweit zunächst die Grundidee des nach Eschbachs gleichnamigem Roman verfaßten Hörspiels "Eine Billion Dollar", das, als Vierteiler vom Südwest Rundfunk unter der Regie von Leonhard Koppelmann produziert, in SWR2 im Oktober 2003 seine Ursendung erlebte. Bei Lübbe Audio erschien kurz danach das hier angegebene Hörbuch.

Wer eine Stellungnahme Eschbachs zum Thema Weltwirtschaft sowohl im Roman als auch im eng an seine Vorlage gestalteten Hörspiel sucht, findet keine, sondern lediglich vorhandene Theorien und Aktivitäten zur daraus resultierenden Frage "hat die Menschheit noch eine Zukunft", in griffiger Form à la Actionroman aneinandergereiht - angefangen bei ökologischen, über gesellschaftsverändernden (Geburtenkontrolle), ökonomischen (Tobin-Steuer) bis zu politischen (Bevölkerungspolitik, Ernährungspolitik, Dritte Welt) Ansätzen. Die Schlußfolgerung aus der großangelegten Problematik verliert sich im Allgemeinplatz: des Weltbürgers Stimme hat das Gewicht, Veränderungen zu bewirken.


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Dem Inhalt der Geschichte liegt ein konstruiertes gedankliches Experiment zugrunde: Durch das Testament eines Vorfahren aus dem Jahre 1525 erbt der New Yorker Pizzaausfahrer John Fontanelli 1995 ein riesiges Vermögen, eine Billion Dollar, mehr Geld, als man sich überhaupt vorstellen kann. Dieses Vermögen hat die italienische Anwaltsfamilie Vacchi 500 Jahre lang angehäuft und bis zu dem Tag verwaltet, den der Stifter in seinem Testament festgelegt hatte. Die einzige Bedingung ist, der Menschheit die verlorengegangene Zukunft wiederzugeben. Der durch das unerwartete Erbe schlagartig reichste Mann aller Zeiten sieht sich schnell den gefährlichen Machenschaften eines Mannes ausgeliefert, der mit Hilfe des weltweiten Firmenimperiums "Fontanelli Enterprises" nach der Weltherrschaft strebt, Malcolm McCaine: "Ihre Billion, Mister Fontanelli, ist viel Geld. Nicht genug, um die Welt zu kaufen - aber genug, um bestimmen zu können, wohin sie rollt." Aufgrund der Ergebnisse eines kybernetischen Modells, eines eigens zu diesem Zweck erstellten Computerprogramms, erkennt McCaine, daß alles Geld der Welt die Menschheit nicht mehr vor ihrem sicheren Untergang bewahren kann, da der Planet Erde nur für eine begrenzte Anzahl Menschen Raum zum Leben bietet. McCaine ändert sein Konzept, er gedenkt, Hunger als Waffe einzusetzen. Er will einen großen Teil der Menschheit opfern, um einen kleinen Teil zu retten und entwickelt sich zu einem gefährlichen Despoten.

Abgelenkt von der Beziehung zur Leipziger Studentin Ursula Valen bemerkt John Fontanelli erst spät die Machtergreifung seines Geschäftsführers. Endlich beginnt er, sich selbst um das Geschick der Menschheit zu kümmern, indem er mit seinem Geld die weltweite Wahl eines Präsidenten initiiert, der eine Art symbolische Figur für das von der gesamten Menschheit erklärte nötige Umdenken in vielen Bereichen darstellen soll. John weiß jetzt, daß eine Änderung der Zukunftsaussichten nicht mit Geld zu erreichen ist, aber er kommt nur noch dazu, die Wahl zu finanzieren - bevor er im Auftrag McCains erschossen wird.


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Das vierteilige Hörspiel legt in der Bearbeitung und Regie von Leonhard Koppelmann den inhaltlichen Schwerpunkt auf die weltwirtschaftlichen Aspekte, denen Andreas Eschbach für der Romanvorlage umfangreiche Recherchen vorausgeschickt hat, und auf die Konzepte für damit zusammenhängende Zukunftsaussichten. Die Actionteile des Romans, die ihn zum Thriller machen (wie z.B. die Entführung Johns), sind im Hörspiel ersatz- und schadlos gestrichen, was der durchgängig aufrechterhaltenen Spannung des Hörspiels keinen Abbruch tut.

Im Unterschied zu den bisher sehr frei und fast bis zur Unkenntlichkeit des Romans schlecht verfilmten Bücher Eschbachs (z.B. "Das Jesus Video", Pro Sieben im Dezember 2002) muß dieses Hörspiel, sowohl was die Besetzung als auch die Technik und das Drehbuch betreffen, den Vergleich mit anderen Produktionen und der Romanvorlage nicht scheuen. Kompetente und engagierte Sprecher und gleichzeitig ein gutes Team machen es hier möglich, sich durch das Zuhören vollständig in die Handlung und die Personenkonflikte verwickeln zu lassen. Bedenkt man, daß beim Hörspiel Gestik, Mimik und körperliche Aktionen wegfallen und es allein auf die Präsenz der Stimme ankommt, mit der der Sprecher einen Charakter ausgestalten muß, wird deutlich, wie erfahren und gelungen Koppelmann und die Schauspieler das Spannungsfeld zwischen den Personen aufgebaut und die Dialoge entwickelt haben. Der durchdachte und profimäßig moderierte Stimmeinsatz bekannter Schauspieler/Sprecher wie Andreas Pietschmann (John Fontanelli), Felix von Mantteuffel (Malcolm McCaine) und Maria Schrader (Ursula Valen) machen den Reiz dieses Hörspiels aus.

Die Spannung, die durch den Handlungsverlauf entsteht, ist, dem Roman entsprechend, bald etwas überstrapaziert, weil die Antwort auf die gleiche Frage über eine lange Strecke hinweg immer wieder verworfen und die Frage unter neuen Aspekten aufgeworfen wird. Zunächst spielt man als Hörer gerne mit dem Gedanken, was man im Sinne der Prophezeiung machen würde, wenn man eine so unvorstellbar große Summe Geld erbt - das Geld auf die Armen verteilen, die Hungernden retten, den Regenwald erhalten, die weltweiten Finanzmärkte umkrempeln? Nachdem alle vernünftig klingenden Lösungsansätze enttäuscht haben, ist die zuletzt präsentierte Antwort Fontanellis keine befriedigende Steigerung des Spannungsbogens mehr. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß Andreas Eschbach im Grunde gar keine Zukunftsperspektive hat - was er allerdings nicht als sein Problem betrachtet. In einem Interview im SPIEGEL sagt er: "Unsere Aufgabe (als Science Fiction-Autor, Anm. d. Red.) sehe ich nicht darin, die Erfindung des Autos, sondern das Ärgernis des Verkehrsstaus vorherzusagen." (aus SPIEGEL 43/20.10.03: "Langeweile ist mir wichtig", Interview mit Andreas Eschbach von Hilmar Schmundt und Olaf Stampf, S. 214)


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Andreas Eschbach wurde 1959 in Ulm geboren. Der Schwabe ist zur Zeit der wohl erfolgreichste deutsche Science Fiction-Autor mit einer Gesamtauflage von über eine Million Bücher und wird bereits mit dem US-Bestsellerautor Michael Crichton verglichen. Er studierte Luft- und Raumfahrttechnik, arbeitete zunächst als Software-Entwickler und war Chef einer EDV-Beratungsfirma, bevor er vom Schreiben leben konnte. Als Stipendiat der Arno-Schmidt-Stiftung "für schriftstellerisch hoch begabten Nachwuchs" schrieb er seinen ersten Roman, der 1995 erschien, "Die Haarteppichknüpfer", für den er 1996 den Literaturpreis des Science Fiction-Clubs Deutschland erhielt (1999 wurde der Erstling ins Französische übersetzt - seit 18 Jahren der erste deutsche Science Fiction-Roman, der in Frankreich veröffentlicht wurde). Nach seinem Erfolg mit dem Weltraum-Krimi "Solarstation" machte sich Eschbach 1996 als Schriftsteller selbständig. Bekannt wurde er vor allem durch den Thriller "Das Jesus- Video" (1998), der zum Bestseller wurde (2002 als Fernseh-Zweiteiler bei ProSieben gesendet).

Sein Sprachwitz und seine bizarren Einfälle (in "Kelwitts Stern" schildert er, wie ein Außerirdischer auf der Schwäbischen Alp notlandet) und die Geschwindigkeit in der Handlungsführung sind beliebt. In seinem neuesten Roman "Der Letzte seiner Art" (Lübbe, Bergisch Gladbach; 350 Seiten; 19,90 Euro), eine "Karikatur auf den medizinischen Machbarkeitswahn" (Eschbach), versuchen US-Militärs, übermenschliche Superkämpfer zu schaffen, indem sie Elitesoldaten Titanknochen, Muskelverstärker und Teleskopaugen einpflanzen. Doch die Implantate funktionieren nicht richtig, die Cyborg-Krieger kommen nie zum Einsatz und vegetieren schließlich als Frührentner dahin.


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Andreas Eschbach:
Eine Billion Dollar
Hörspielbearbeitung und Regie: Leonhard Koppelmann
Musik: Henrik Albrecht
Produktion: SWR 2003
4 Hörbuch-CDs bei Lübbe Audio, 37 Tracks
243 Minuten
ISBN 3-7857-1316-9

Erstveröffentlichung 2004

9. Januar 2007