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SF-JOURNAL/016: Autoren... James G. Ballard, unbequem und umstritten (SB)


James Graham Ballard, (geb. 1930)


Was James G. Ballard auch schreibt, es ist umstritten. Seine Texte haben experimentellen Charakter und sind provokativ. Ende der 60er Jahre wurde er dadurch bekannt, daß viele seiner unbequemen Beiträge in Michael Moorcocks SF-Magazin "New Worlds" erschienen, das zum nicht unerheblichen Teil durch Ballards politisch engagierte Artikel in die öffentliche Diskussion geriet (wie "The Assassination of John Fitzgerald Kennedy Considered as a Downhill Motor Race" oder "Princess Margaret's Face-Lift" und "Why I Want to Fuck Ronald Reagan"). Die Autoren Moorcock, Ballard und Aldiss galten als die führenden Vertreter der neuen Bewegung in der Science Fiction, die sich "New Wave" nannte und sich die provokative Auseinandersetzung mit Inhalt, Stil und Sprache zum Thema machte.

James Gunn nennt Ballard den "Autor am Pulsschlag der Zeit (New Wave)", der die Science Fiction jedoch "mehr und mehr ins Unkenntliche zu verlagern" schien (aus: J. Gunn: Von Clement bis Dick, Wege zur Science Fiction, Sechster Band, 1979 by James Gunn, 1990 Deutsche Erstausgabe, S. 237).


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Persönliche Daten

James Graham Ballard wurde 1930 als Sohn eines englischen Geschäftsmanns in Shanghai geboren, wo er bis zu seinem 16. Lebensjahr wohnte.

Während des Zweiten Weltkriegs war seine Familie drei Jahre lang in einem japanischen Zivilgefangenenlager interniert, eine Zeit, die ihn nachhaltig in seiner Einschätzung sozialer Zusammenhänge prägte.

1946 konnte seine Familie nach England zurückkehren, wo er zur Schule ging. Danach begann er in Cambridge Medizin zu studieren, gab jedoch nach zwei Jahren das Studium auf.

Bevor Ballard sich ganz dem Schreiben zuwandte, war er Flieger bei der Royal Air Force, Skriptschreiber für eine wissenschaftliche Filmgesellschaft und Copywriter an der Londoner Oper Covent Garden. Aber die ersten Schreibversuche blieben unbekannt. Erst als er sich 1956 für Science Fiction-Stories entschied, konnte er sie im Magazin "Science Fantasy" veröffentlichen. "Prima Belladonna" war seine erste Erzählung.

Ende der 60er Jahre engagierte sich Ballard stark in Michael Moorcocks SF-Magazin "New Worlds". Viele seiner umstrittensten und provokativsten Beiträge erschienen dort.

Dann wurde er Redakteur von "Ambit", einem Literaturmagazin, und sorgte mit dem Autoren-Aufruf, Texte einzureichen, die unter dem Einfluß halluzinogener Drogen geschrieben worden waren, für einen Skandal.

Mitte der 60er Jahre war Ballard zu einem der bekanntesten britischen SF-Autoren geworden. Er hatte einen völlig eigenen Stil entwickelt, der von konservativen SF-Anhängern abgelehnt, von der Kritik gelobt wurde.


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Werke

Ballard schreibt sogenannte "Condensed Novels", die eine raum-und zeitlose Welt zum Hintergrund haben und den üblichen linearen Fortlauf der Handlung brechen. Auf diese Weise legt er den Schwerpunkt mehr auf den inneren Kampf seiner Helden, die eine ständig wachsende Besessenheit, Verwirrung und Handlungsunfähigkeit zeigen, wenn sie Situationen ausgesetzt sind, die ihnen rätselhaft erscheinen. Ihre einzige Reaktion besteht darin, zu analysieren und zu erklären, sich dann der Verantwortung zu entziehen und resigniert treiben zu lassen. Mit großer Treffsicherheit findet Ballard Lücken, Reibungspunkte und Mißstände im sozialen Miteinander und in politischer Machtausübung und Gewalt und macht sie in bedrückenden, nahezu traumatisch wirkenden Bildern sichtbar.

Ballards Romane sind weniger erfolgreich als seine Erzählungen. Es sind Katastrophenromane ("Welt in Flammen", "Die Kristallwelt"), die aber aufgrund der passiven Charaktere die Geduld des Lesers auf die Probe stellen. Bemerkenswert ist, daß sie auf der englischen Tradition dieses Genres aufbauen, aber trotzdem mit herkömmlichen Katastrophenromanen nicht vergleichbar sind, denn die Katastrophen wirken sich auf die Psyche der Helden aus und verändern sie, was zum inneren Desaster und schließlich zum psychischen und physischen Zerfall führt.

"Karneval der Alligatoren" ist Ballards erster bedeutender Science Fiction-Katastrophenroman. Auf dem Buchrücken wird der Inhalt beschrieben:

Das Klima der Erde ist völlig verändert, infolge des Verlustes der Ionosphäre sind die Durchschnittstemperaturen angestiegen. London ist eine vom Dschungel überwucherte Lagunenstadt. Im Unterschied zu anderen Autoren schreibt Ballard nicht die bekannte Geschichte vom Kampf ums Überleben, von der Behauptung des Menschen gegen die wildwuchernde Natur. Ballards Helden machen vielmehr eine psychische Verwandlung durch, sie finden zu sich selbst und werden eins mit der Natur. Nicht in der Behauptung gegen sie, sondern im Aufgehen in der Natur finden sie Erfüllung. (aus: J.G. Ballard: Karneval der Alligatoren, 1962 by J.G. Ballard
(The Drowned World), Düsseldorf 1970)


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Leseprobe

Typisch für Ballard ist die Idee zur Erzählung "Dreizehn unterwegs zum Alpha Centauri", die klassisch mit der Situation der zweiten Generation von Familien auf einem Generationenraumschiff beginnt und dann einen ganz untypischen Bruch zur Handlung von herkömmlichen Raumfahrgeschichten erfährt -denn das Generationenschiff auf dem Weg nach Alpha Centauri befindet sich als Forschungsobjekt nach wie vor auf der Erde, unerkannt von den in ihm lebenden Menschen. Dr. Roger Francis lebt innerhalb und außerhalb des Schiffes und hält seine Beobachtungen für Korrekturen bei dem wirklich ersten Start solcher Raumschiffe fest. Aber es ist mittlerweile zweifelhaft, ob es jemals dazu kommen wird. Schade, daß die armen Kerle auf dem Versuchsschiff unter der Hangarkuppel verschwendet werden, meint Colonel Chalmers, Dr. Francis Vorgesetzter. Er desillusioniert den Forschereifer:

"Verstehst du denn nicht, wenn jemand scharf darauf wäre, in den Weltraum zu fliegen, dann wäre er darauf vorbereitet, die Idee von einer kleinen Gruppe, die für hundert Jahre in einem kleinen Flugkörper eingeschlossen ist, zu akzeptieren, besonders dann, wenn das ursprüngliche Team sich freiwillig zur Verfügung gestellt hätte. Jetzt, wo das Interesse nachgelassen hat, fangen die Leute an zu glauben, daß an diesem menschlichen Zoo etwas Obszönes ist; was als großes Abenteuer im Geist des Kolumbus angefangen hat, ist zu einem grauslichen Witz geworden. In einer Hinsicht haben wir zuviel gelernt - die soziale Schichtung der drei Familien ist die Art unwillkommener Erkenntnis, die dem Projekt nicht gut bekommt. Eine weitere ist die Leichtigkeit, mit der wir sie manipuliert, sie dazu gebracht haben, alles zu glauben, was wir wollten." Chalmers beugte sich über den Tisch vor. "Im Vertrauen gesagt, Roger, General Short ist nur aus einem einzigen Grund auf den Posten gesetzt worden - nämlich, um diesen Ort zu schließen. Es wird vielleicht Jahre dauern, doch es wird getan werden, ich warne dich. Die wichtigste Aufgabe ist es jetzt, diese Leute da herauszuholen, nicht, sie drinzubehalten"."
(aus: J.G. Ballard: Der vierdimensionale Alptraum, München 1976, S. 137f)

Die gute alte Story von den Generationenraumschiffen - diesmal desillusionierend und wirklichkeitsnah! Ein Affront in der Zeit, in der es geschrieben wurde.


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Autoren
- Persönliche Daten
- neue Akzente für die Science Fiction-Literatur
- Zur Schreibtechnik
- Stellungnahmen zur Science Fiction
in Interviews und Romanen
- Werke mit Auszeichnungen und Verfilmungen
- Leseproben

Erstveröffentlichung 1998

5. Januar 2007