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SF-JOURNAL/022: Autorinnen... Joanna Russ, Krieg der Geschlechter (SB)


Joanna Russ, (1937)


Joanna Russ war die erste Feministin in der Science Fiction und ist bis heute die provokanteste und radikalste geblieben. [...] Durch ihre engagierte Schreibweise hat sie [...] schlechthin den Weg für die schreibenden Frauen im Genre geebnet, indem sie zu ihrem Selbstverständnis beitrug.
(aus Alpers, Fuchs, Hahn, Jeschke: Lexikon der Science Fiction Literatur, München 1988, Bd. 1, Heyne-Verlag)


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Persönliche Daten und Werke

Joanna Russ wurde in der Bronx/New York geboren und wuchs dort auch auf.

In Yale studierte sie Theaterwissenschaften. Danach arbeitete sie als Korrektorin, Sekretärin eines Psychiaters und Redakteurin einer Fachzeitschrift. Als sie ihre ersten Versuche als Schriftstellerin von Science Fiction-Literatur machte, lehrte sie englische Literatur und Kreatives Schreiben in Cornell, dann an den Universitäten New York, Colorado und Washington. Später bekam sie einen Lehrstuhl für Englisch an der State University von New York.


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"Nor Custom Stale" hieß die erste Kurzgeschichte, die Joanna Russ 1959 in "The Magazine of Fantasy & Science Fiction" herausgab.

Bekannt wurde sie allerdings erst Ende der 60er Jahre, als sie mit ihrer neu erfundenen Heldin Alyx provozierte, einer Kriegerin aus der Antike, die in eine futuristische Welt versetzt wird. Alyx ist auch die Hauptperson in "Picnic of Paradise" (1968, deutsch "Alyx"), ihrem ersten Roman, einem langen Prosagedicht.

1972 veröffentlichte Harlan Ellison in seiner bekannten Anthologie "Again, Dangerous Visions" ihre Erzählung "When It Changed". Damit gewann Joanna Russ den Nebula Award.

"The Female Man" (1975, deutsch "Planet der Frauen") und "We Who are About to..." (1977, deutsch "Wir, die wir geweiht sind...") sind wohl ihre provozierendsten und auch berühmtesten Werke. Sie lieferten den von der umstrittenen gesellschaftlichen Stellung der Frau bisher unberührten SF-Lesern heißeste Diskussionsanlässe.

In dem Roman "Planet der Frauen" bezieht Joanna Russ nicht nur unmißverständlich und aggressiv Stellung; er ist gleichzeitig stilistisch ein innovativer Roman, ein Experiment, das konventionelle Science Fiction-Formen sprengt, indem er Lyrik, Dramatik und Epik gleichermaßen gewichtet und mit viel Humor geschrieben ist. Der Roman ist entsprechend kompliziert strukturiert. Er hat vier weibliche Hauptpersonen - allesamt Alter egos der Autorin -, die aus verschiedenen Alternativwelten stammen. Sie sind kollektive, repräsentative Figuren, die eine Idee verkörpern. Janet Evason lebt auf dem Planeten Whileaway, einer Parallelwelt zur Erde oder einer zukünftigen Welt. Dort gibt es nur Frauen, weil eine heimtückische Seuche alle männlichen Bewohner dahingerafft hat. Es gelingt ihnen zu überleben, weil sie die Nachwuchsfrage durch künstliche Zeugung regeln können. Diese Welt wird mit der Realität der Erde unseres Jahrhunderts konfrontiert. Janet Evason findet sich bei uns in einer für sie fremden Welt wieder und beginnt neugierig mit der Erforschung der ihr höchst seltsam erscheinenden Umgebung...

Auf diese Weise werden die verschiedensten Formen der Unterdrückung dargestellt: in Sprache, Kunst und Geschichte. Aber auch der Anteil der Frauen an ihrer Situation wird nicht ausgespart. Zum Beispiel verstricken sie sich in Handlangerdienste und verschließen die Augen vor gefährlichen Situationen. Schließlich erwachen sie aus einer Art Bewußtlosigkeit ...

Das Echo auf diesen Roman blieb verständlicherweise nicht aus. Reaktionen waren Betroffenheit und Irritation. Von der Kritik wurde er aber auch als ein spielerisch-phantasievolles Werk mit verblüffenden Einfällen gerühmt. Danach wurde der Name Joanna Russ jedoch untrennbar mit der Frauenbewegung verbunden.

Heute gilt sie als eine der führenden Science Fiction-Autorinnen. Ihre Romane haben ihr internationalen Erfolg gebracht.

Weitere bekannte Veröffentlichungen sind die Erzählung "Souls" (1982, Hugo und Locus Award), der Roman "Extra(ordinary) People" (1985) und mehrere Geschichten "The Zanzibar Cat" (1983).


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Leseprobe

Provozierend ist allein schon zur Zeit der Veröffentlichung die Idee gewesen, daß Frauen ohne Männer überleben können und nicht nur das. Sie gestalten "ihren" gesellschaftlichen Bereich der Kindererziehung und der Familie auf dem Planeten Whileaway öffentlich und frei:

Whileawayaner gebären ihre Kinder um die Dreißig [...]. Diese Kinder haben die biologische Mutter [die "Körpermutter"] als einen genotypischen Elternteil, der andere, nicht gebärende Elternteil [andere Mutter], steuert das andere Ovum bei. Kleine Whileawayaner sind für ihre Mütter beides, Quellen schlechter Laune und stolzer Angeberei, Spaß und Profit, Vergnügen und Kontemplation, eine aufwendige Schau, eine Verlangsamung des Lebens, die Möglichkeit, irgendwelchen Interessen nachzugehen, auf welche die Frauen davor verzichten mußten, und die einzige Freizeit, die sie jemals hatten und auch bis ins hohe Alter nicht wieder haben werden. [...]

Dann steuern wir unausweichlich auf eine schmerzhafte Szene zu. Im Alter von vier oder fünf werden diese unabhängigen, blühenden, verhätschelten, extrem intelligenten kleinen Mädchen weinend und schimpfend aus der Mitte ihrer dreißig Verwandten gerissen und in die regionale Schule gesteckt, wo sie wochenlang Pläne schmieden und kämpfen, bevor sie aufgeben. Von einigen weiß man, daß sie Fallgruben oder kleine Bomben bauten [das Wissen hatten sie von ihren Eltern], um ihre Lehrer zu vernichten. [...] Im großen und ganzen ist ihr Lernstoff praktischer Natur: wie man Maschinen bedient, wie man ohne Maschinen auskommt, Gesetze, Transportprobleme, Physik und so weiter. Sie werden in Leibesübungen und Mechanik unterrichtet. Sie lernen praktische Medizin.

Sie lernen, wie man schwimmt und schießt. Von sich aus führen sie alles weiter, was ihre Muttis taten: sie tanzen, singen, malen und spielen. Bei Erreichen der Pubertät werden sie in die Mittel-Würde eingeführt und in die Welt entlassen: Wo immer sie auftauchen, haben Kinder das Recht auf Kost und Logis, solange es nicht die Kräfte der Gemeinschaft übersteigt, die sie versorgt. Nach Hause kehren sie nicht zurück.
(aus Joanna Russ: Planet der Frauen, 1979, 1975 by Joanna Russ, aus dem Amerikanischen von Werner Fuchs, München, Knaur Science Fiction, S. 50f)


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Autoren
- Persönliche Daten
- neue Akzente für die Science Fiction-Literatur
- Zur Schreibtechnik
- Stellungnahmen zur Science Fiction
in Interviews und Romanen
- Werke mit Auszeichnungen und Verfilmungen
- Leseproben

Erstveröffentlichung 1997

10. Januar 2007