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SF-JOURNAL/060: Autoren... M. Bishop, anthropologische SF (SB)


Michael Bishop, (*1945)


Sie müssen wissen, daß ich meine schriftstellerische Laufbahn nicht mit der Vorstellung begann, ein Science Fiction Autor zu werden. Ich wollte in die 'Hochliteratur' einbrechen, ich wollte ein neuer John Steinbeck oder ein neuer Ernest Hemingway oder William Faulkner sein - nicht unbedingt ein neuer Robert Heinlein, Arthur C. Clarke oder Ray Bradbury.

Aber ich fand sehr schnell heraus, daß meine Arbeiten die meisten Chancen auf dem Science Fiction Markt hatten. Wenn ich eine Science Fiction Geschichte wegschickte, konnte ich mich auf den Scheck in der Post verlassen. Deswegen, so sage ich oft, bin ich in einem gewissen Grad von Anfang an darauf 'konditioniert' worden, Science Fiction zu schreiben.
(aus einem Interview mit Usch Kiausch im Jahr 1993, erschienen in: Das Science Fiction Jahr - Ausgabe 1994 Hrsg. Wolfgang Jeschke, Wilhelm Heyne Verlag, München)

Dem Geld sei also ausnahmsweise einmal Dank, daß es uns diesen Science Fiction-Schriftsteller beschert hat. Selbstverständlich hat Michael Bishop selbst es weder jemals bereut, in diesem Genre zu schreiben, noch hat es ihn davon abgehalten, sein schriftstellerisches Geschick darüber hinaus vielseitig zur Verwendung zu bringen. Zudem hat ihn das Schreiben von Science Fiction ohnehin gründlich von seiner anfänglichen Einstellung zur 'Hochliteratur' abgebracht. In dem Roman "Count Geiger's Blue" von 1992 rechnet er schonungslos ab mit der Unterscheidung zwischen sogenannter hoher und niedriger Kunst. Aber so weit im Text sind wir eigentlich noch gar nicht. Fangen wir also noch einmal ganz von vorne an:


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Persönliche Daten und Werke:

Geboren wurde Michael Bishop 1945 in Lincoln/Nebraska. Er verbrachte seine Kindheit als eines von vielen Air Force-Kindern an den verschiedensten Orten auf der ganzen Welt. Einige seiner Erlebnisse aus dieser Zeit bilden den Hintergrund zu Geschichten wie zum Beispiel "Ein Ereignis im Kalten Krieg" (eine kritische Auseinandersetzung mit dem Machenschaften der Air Force) oder zu dem in Spanien spielenden Roman "Nur die Zeit zum Feind" (Nebula Award 1983).

Als Jugendlicher wieder im heimatlichen Amerika angelangt, verlagerte Bishop seinen Hauptwohnsitz nicht ohne Grund - er ist engagierter Gegner des Rassismus - in den Bundesstaat Georgia im Süden der USA. Hier absolvierte Michael Bishop im Jahr 1967 die University of Georgia mit dem Bachelor of Arts-Abschluß und 1968 mit dem Master of Arts. Er unterrichtete Englisch 1968-1972 an der Air Force Academy Preparatory School und 1972-1974 an der University of Georgia. Herausragendes Interesse brachte bzw. bringt Michael Bishop darüber hinaus der Anthropologie entgegen.

Nach einigen anfänglichen, schriftstellerischen Erfolgen und nach seiner Anerkennung als einer der talentiertesten amerikanischen Science Fiction-Autoren der frühen siebziger Jahre widmete er sich schließlich ganz der Schriftstellerei. Bishops erste veröffentlichte Geschichte "Pinon Fall" (1970, Besucher) erschien in dem Magazin "Galaxy". Für viele seiner Werke sollte er später diverse Auszeichnungen erhalten. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Viele Kollegen betrachten ihn als zurückgezogen lebenden Kauz, gleichzeitig jedoch auch als sehr agilen und wachsamen Zeitgenossen.


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Kurzgeschichten (eine Auswahl):

1973 Death and Designation among the Asadi
(Tod und Bestimmung unter den Asadi)

1973 The White Otters of Childhood
(Die weißen Otter der Kindheit)

1974 On the Street of the Serpents (Auf der Straße der Schlangen)

1974 Cathadonia Odyssey (Odysee auf Cathadonia)

1975 Rogue Tomato (Als Tomate im Weltall; später Die Verwandlung)

1976 Blooded on Arachne (Arachne)

1976 The Samurai and the Willows (Tod eines Samurais)

1980 Vernalvest Morning (Frühlingsmorgen)

1980 A Short History Of The Bicycle
(Kleine Geschichte des Fahrrads)

1980 Cold War Orphans (Ein Ereignis im Kalten Krieg)


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Romane (eine Auswahl):

1975 Eyes Of Fire (Flammenauge)

1976 And Strange At Ectaban The Trees
(Die seltsamen Bäume von Ectaban)

1977 Stolen Faces (Gestohlene Gesichter)

1977 A Little Knowledge (Die Cygnus-Delegation)

1979 Catacombs Years (Die Jahre in den Katakomben)

1979 Transfigurations (Transfigurationen)

1981 Under Heaven's Bridge (zusammen mit Ian Watson)

1982 No Enemy but Time (Nur die Zeit zum Feind)

1984 Who Made Stevie Crye? (Die Alpträume der Stevie Crye) Persiflage auf Horror Romane

1985 Ancient Of Days

1988 Unicorn Mountain (neue Umsetzung des Einhorn-Mythos)

1989 Apardheid, Superstrings and Mordecai Thubana

1992 Count Geiger's Blue (Satire; nimmt Kritiker aufs Korn)

1994 Brittle Endings (auch bekannt unter dem Namen:
Southern Gothic World War II Baseball-Roman)

Darüber hinaus ist Michael Bishop Herausgeber von Science Fiction-und Fantasy-Magazinen (Changes; zusammen mit Ian Watson / Light Years and Dark: Science Fiction and Fantasy Of and For Our Time), schreibt Rezensionen und literarische Essays unter anderem für die "New York Times" und "Mother Earth News", verfaßt Drehbücher, Novellen und Gedichte. In Planung hat er ein Kinderbuch, mindestens einen historischen und einen zeitgenössischen Roman, sowie natürlich stets und ständig Science Fiction-Stories und Romane.


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Neue Akzente für die SF Literatur und Schreibtechnik:

Michael Bishop ist ein Vertreter der literarischen Science Fiction, sein Einstieg in dieses Genre waren die Sozialwissenschaften. Bishop gilt als jemand, der äußerst sorgfältig recherchiert, seine wissenschaftlichen Beiträge befinden sich stets auf dem neuesten Stand, seine Texte sind häufig 'handlungsarm' und weisen eine außergewöhnliche Liebe zum Detail auf. Die meisten seiner frühen Romane handeln von komplizierten, außerirdischen Kulturen und Gesellschaftsformen, immer beleuchtet von der humanistischen Sicht Bishops. Die Düsternis und Melancholie seiner Geschichten erinnern seine Kritiker an, wie sie es ausdrücken, 'schwarze Science Fiction- Autoren' der Gegenwart, die das Gefühl vom Wesen einer Welt vermitteln, die so viel von ihrem Erbe vergeudet.

Mit diesen Urteil wird Michael Bishop nicht nur mißverstanden, sondern auch unterschätzt: Denn wer seine Texte gelesen hat, wird feststellen, daß Bishop alles andere als Melancholie verbreitet oder sich beklagend im Elend suhlt. Zugegeben, seine Hauptfiguren mögen hier und da auf ihre Art und Weise manchmal seicht und indifferent erscheinen. Aber auch das gehört zu seinem Stil. Die agierenden Personen sind meist nicht mehr die jüngsten, haben schon so einiges hinter sich, sind abgeklärt und ernüchtert, manchmal auch wankelmütig, jedoch nicht frustriert oder sämtlicher Visionen beraubt. - Kurz gesagt, Bishop liebt Gegensätze. Das ist gewissermaßen der Stoff, mit dem er arbeitet.

Und nicht nur die Charaktere werden in sich konfliktreich gezeichnet: Durch den teilweise krassen Zusammenprall unserer modernen mit gänzlich fremden Kulturen, deckt Bishop ganz gezielt Mißstände auf, bohrt mit dem Finger in der Wunde, um schließlich darauf hinzwiesen, daß die Menschen durchaus andere Formen des Zusammenlebens entwickeln könnten, wenn sie nur wollten. Statt dessen bevorzugen sie das auf Ignoranz und Zerstörung basierende Gegeneinander; und das ganz unabhängig davon, zu welcher Zeit oder auf welchem Planeten. Das Problem ist immer und überall das gleiche und stets präsent.


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Eine Sammlung verschiedenster Kommentare zu Michael Bishop:

Auszug aus dem Klappentext zu "Nur die Zeit zum Feind":

Seine Romane bzw. Kurzgeschichten, vor allem soziologisch- psychologisch-theologischen Themen gewidmet, zeichnen sich durch ihre bemerkenswerte Charakterzeichnung und stilistische Brillanz aus.


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Auszug aus dem Klappentext zu "Transfigurationen":

Michael Bishop ist neben Frank Herbert und James Blish einer der wenigen Science Fiction-Autoren, die den Mut hatten bzw. haben, auch theologische Themen zum Gegenstand ihres Werkes zu machen und über mögliche Evolutionen fremdartiger religiöser Systeme und ihre Auswirkungen zu spekulieren. Bishop besticht immer wieder durch seine bizarre Phantasie, mit der es ihm gelingt, absolut fremdartige Intelligenzwesen auf fernen Planeten zu schildern und ihr - notwendigerweise - fremdes Denken und Handeln glaubhaft und packend darzustellen.


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Prof. James Gunn, Literaturprofessor aus Kansas:

Bishops Fiction kennzeichnet ein Interesse an Anthropologie, das sich oft in Begriffen von Außerirdischen, Entfremdung oder außerirdischen Umgebungen äußert, das mit einem literarischen Gebrauch der Sprache und einer beachtlichen Bandbreite von rhetorischen Kunstgriffen gekoppelt ist. (aus der Reihe: Bibliothek der Science Fiction Literatur -Wege zur Science Fiction, 10. Band, Hrsg. James Gunn Heyne Verlag, München 1993, S. 34)


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Die Meinung eines Lesers:

So wie Michael Bishop sich mit seinen Science Fiction-Stories auf den Scheck in der Post verlassen kann, so kann sich der Leser wiederum auf spannende, wunderschön geschriebene Science Fiction verlassen. Schon nach eins, zwei, drei Sätzen befindet man sich in einer anderen Welt... und bekommt nicht nur spannende, außerplanetarische Unterhaltung geboten, sondern auch geistige Nahrung mit Langzeitwirkung...


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Ein Hinweis:

Zum Werk von Bishop sei verwiesen auf den Aufsatz von Ian Watson "Die Rhetorik der Erkenntnis: Über die Science Fiction Michael Bishops" in Heyne Science Fiction Magazin 8, hrsg. von Wolfgang Jeschke, München, Heyne Verlag 1983, Nr. 06/4019, S. 89-108


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Stellungnahme zur Science Fiction in einem Interview mit Usch Kiausch

[...] Später habe ich dann anthropologische Science Fiction gelesen. Ich stieß auf Ursula K. LeGuins 'Winterplanet', als ich 21 oder 22 Jahre alt war. Der Roman hat mich sehr beeindruckt. Für mich war es eine wunderbar geschriebene, außerordentlich intelligente Untersuchung dessen, was es bedeutet, ein menschliches Wesen zu sein - indem man Menschen so betrachtet, als hätten sie kein Geschlecht oder als würde ihr Geschlecht von Umständen bestimmt, die für uns als Bewohner dieses Planeten ziemlich ungewöhnlich sind. Ursula K. LeGuins Art zu schreiben, die Stellungnahme, die sie durch ihr Werk vermittelt, haben mich in Staunen und Bewunderung versetzt. Ich glaube, schon damals empfand ich die Idee, Anthropologie zur Analyse bestimmter Fragen zu nutzen, als außerordentlich tragfähig. Diesen Weg wollte ich dann auch selbst weiterverfolgen.
(aus: Das Science Fiction Jahr 1994, a.a.O.)

Gesagt, getan... zum Beispiel in dem Roman "Transfigurationen" aus dem Jahr 1979, einer Fortsetzung der Kurzgeschichte "Tod und Bestimmung unter den Asadi", die er sechs Jahre zuvor veröffentlichte. Diesem Roman ist auch die Leseprobe entnommen. - Anzumerken wäre noch, daß Michael Bishop unbedingt am Konzept der Analyse bestimmter Fragen festhält. Erwartungen eines Lesers an eventuell darüber hinausreichende Überlegungen werden mit Sicherheit nicht erfüllt, Anregung jedoch bietet die Literatur von Michael Bishop allemal.


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Leseprobe

Auf dem Planeten BoskVeld im System Deneb ist eine primatenähnliche Rasse intelligenter Lebewesen entdeckt worden: die Asadi. Der Roman schildert seltsame Einblicke in das Leben und die rätselhaften Bräuche der Asadi, die bei aller äußerlichen humanoiden Ähnlichkeit absolut fremd und beängstigen unmenschlich erscheinen. Daran ändert sich auch bis zum Schluß nichts. Im Gegenteil, fast werden einem die Asadi und ihre Symbionten, die Schrats (oder verhält es sich umgekehrt?), immer unheimlicher.

Hier also mehrere Textstellen, die einen Eindruck von dem Erzählstil und den Inhalten Michael Bishops geben:

Eisen Zwei ließ die Last von seinem Rücken gleiten. Statt aber nun zurückzutreten und die Beute den Männern zu überlassen, die sich als die wagemutigsten erwiesen, hob er den Schrat von der Schulter und setzte ihn auf das blutige Fleisch. Ich konnte deutlich sehen, wie die winzigen Finger des Schrats sich in langsamer, aber wohlinstrumentierter Bosheit krümmten und streckten, krümmten und streckten, während sein blinder Kopf völlig unbewegt blieb. Dann hörte dieses hypnotische Harfen auf, und der Schrat saß wie aufgedunsen und tot da, ein obszönes Spielzeug.

Eisen Zwei wandte sich um und ging ohne ein Zeichen des Abschieds zurück in die Wildnis. Mehrere Asadi sprangen bei seiner Annäherung beiseite, daß das Laub raschelte. Niemand sonst rührte sich vom Fleck.

Deneb zog fett und höhnisch seine Bahn am Himmel und ließ in die unzugänglichen Tiefen der Wildnis Lichtkringel auf dem Laubwerk tanzen. Eine Stunde verging und Eisen Zwei kam zurück. Er hatte den Schrat nur zurückgelassen, daß er seine erste Fleischlast bewache. Ja, die erste, denn der alte Häuptling trug einen weiteren Kadaver auf den knochigen Schultern, um ihn neben dem ersten abzulegen. Der Schrat erwachte vorübergehend zum Leben, verlagerte sein Gewicht und kauerte mit gespreizten Beinen auf den nebeneinander liegenden Fleischklumpen. Der alte Asadi ging wieder fort. [...]

Der unheimliche Schrat fing seinen Sturzflug knapp über der Menge ab und strich mit sausenden Schlägen über die Köpfe der Asadi. In erratischem Zickzackflug schoß er hierhin und dorthin, daß die Flügel im Widerschein der Flammen in kurzen Abständen wie trübe Glasscherben schimmerten. Die kurzlebige Anmut seines Segelns war zu krassem Exhibitionismus [Ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen sollte] und scheinbar unbeholfenem Geflatter geworden. Aber er ließ sich durch nichts von dem abbringen, was er wollte; mehreren Asadi zerkratzte er im Vorbeiflug die Gesichter. Einige wenige versuchten, den Schrat zu fangen. Andere, besonnenere, duckten sich und zogen die Köpfe ein oder wehrten ihn mit erhobenen Armen ab. Der Schrat machte keine Unterschiede. Er verletzte alle, die seinen scharfen Krallen und Flügelkanten in den Weg kamen, ob sie ihm auszuweichen versuchten oder ihn fangen wollten. Die Augen der geplagten Asadi blitzten durch ihre individuellen Schaustellungen des Spektrums, und die Wärmeenergie so vieler Veränderungen verbreitete einen phosphoreszierenden Schein über die kleine Lichtung. [...]

"[...] aber wenn die Regierung beschließen sollte, die Kaverne mit einem nuklearen Sprengsatz zu zerstören, wäre das eine Sicherheitsmaßnahme von höchster Arroganz. Die Menschheit zuerst! Meine Güte, Moses, das ist die Diktion und das Vokabular der Großen Lüge. Elegy und ich wissen nicht einmal, ob unsere Rekonstruktionen der Evolution von Asadi und ihren Symbionten in irgendeiner Weise zutreffen. Können wir es überhaupt wissen? Wir sprechen über zwölf Millionen Jahre Evolution - zwölf Millionen! - und wir tun das als sterbliche Lebewesen mit einer begrenzten geistigen Kapazität und Hellsichtigkeit. Ich würde mich umbringen, Moses, wenn ich eines Tages hören müßte, daß die Regierung eine gesamte fremde Spezies allein aufgrund Elegys und meiner unbestätigten Spekulationen vernichtet hätte. Ich würde mich buchstäblich umbringen."

"Ich hoffe", sagte Moses mit schiefem Lächeln, "Sie
sprechen nicht auch für Fräulein Cather."

"Sie tut das recht gut für sich selbst, wie Sie bereits wissen. Und sie würde sich nicht umbringen - sie würde einen Vergeltungsschlag gegen den Regierungssitz führen, und wenn sie zu diesem Zweck Himmel und Erde in Bewegung setzen müßte."
(S. 65, 85 und 422)


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Erstveröffentlichung 2000

8. Januar 2007