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SF-JOURNAL/061: Bücher... Kurzgeschichte von I. Kremp, alt u. aktuell (SB)


"Stunde des Horus" von Irmtraud Kremp,

Kurzgeschichte mit Langzeitwirkung


Es gibt Geschichten, die, hat man sie einmal gelesen, einem nicht mehr aus dem Kopf gehen. Und das über Jahre hinweg. 'Die Stunde des Horus' der deutschen Autorin Irmtraud Kremp ist eine solche. Gelesen habe ich die Erzählung im Jubiläumsband 25 Jahre Heyne Science Fiction & Fantasy (1960-1985). Das 796 Seiten starke Lesebuch enthält einen einleitenden Text zu jedem dieser Jahre und greift jeweils ein bis drei Kurzgeschichten aus diesem Zeitraum auf.

Die Erzählung von Irmtraud Kremp wurde 1980 veröffentlicht und spiegelt die derzeit vorherrschende Sorge um den Frieden wider, so kommentiert Herausgeber Wolfgang Jeschke. Und: "Ein Blick auf die politische Wetterkarte zeigt: die Science Fiction ist eine eminent seismographische Literatur."

'Die Stunde des Horus' ist eine relativ unscheinbare und kurze Geschichte, sie umfaßt etwas mehr als vier Seiten. Aber die haben's in sich. Ungefähr fünfzehn weitere Jahre hat die Autorin damals, im Jahr 1980, dem Überleben der Menschheit gegeben. Und uns allen hat sie ein gewaltsames Ende vorausgesagt.

Nun stehen wir am Anfang des Jahres 2004, und wir leben noch. Doch die Sorge um den Frieden dürfte mittlerweile vielmehr einer tiefen Verzweiflung gewichen sein. Und gerade deshalb ist diese schon etwas ältere Geschichte aktueller denn je. Vor allem ist sie es unbedingt wert, nicht vergessen zu werden oder in der Versenkung zu verschwinden. Immerhin sind uns bereits jetzt, nach der ungefähren Berechnung Irmtraud Kremps, neun Jahre des Lebens geschenkt.


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Zum Inhalt der Erzählung:

Die Geschichte wurde damals in der Jetztzeit erzählt. Die Hauptperson, eine fast achtzigjährige Frau, berichtet von ihrem Leben, und sie gibt dem Leser ihr Familiengeheimnis preis... was sie nie getan hätte. Aber darauf kommt es nun auch nicht mehr an; denn es ist die Stunde des Horus.

Was das heißt? - Nun, die Großmutter, eine Handleserin, hatte ihr einst das Geheimnis um das Zeichen des Horus und seine Bedeutung erklärt. Zeichen in der Hand eines Menschen und deren Deutungen gibt es viele, aber nur ein einziges spricht die Wahrheit offen aus: Die winzige Kralle des Falkengottes, auf die Lebenslinie gepreßt, bedeutet sicheren Tod, gewaltsames Sterben in drei, zehn oder fünfzehn Jahren. Vielleicht früher, kaum später.

Im Laufe ihres Lebens ist der Ich-Erzählerin dieses Zeichen öfter begegnet, vor allem in Kriegszeiten. Dann wurde es immer seltener und sie hatte nicht weiter darauf geachtet. Doch eines Tages war es wieder da, wurde immer häufiger und immer unzweifelhafter bis sie es schließlich in den Händen aller Menschen sah, die zu ihr kamen: Das Zeichen der Vernichtung, des gewaltsamen Todes, das einzige, das nie log.

Wir haben die Stunde des Horus. Gestern sah ich sein Zeichen zum ersten Mal in meiner eigenen Hand. Ich kann nicht sagen, wie lange es schon dort steht. Meine Augen werden schlechter, vielleicht habe ich es übersehen. Also auch ich - jetzt noch - nach all den Jahren? Und wann? Nie habe ich gelernt, die Zeit genau zu bestimmen. Zehn? Zwölf Jahre noch? Ich bin fast achtzig. Werde ich so lange leben? Oder geschieht es schon früher?

Und was wird geschehen?

Was?

Eine düstere Vision ...

beschreibt Irmtraud Kremp hier, und als Leser kommt man nicht umhin, zumindest einen verstohlenen Blick auf die Handinnenfläche zu werfen, ob nicht vielleicht die Kralle des Falken auch die eigene, einem sonst so vertraut erscheinende Lebenslinie umklammert. Sie ist sehr klein, die Kralle, und kaum sichtbar. Erschrecken Sie nicht, wenn Sie sie finden, ermahnt uns die alte Frau.

Aber düstere Visionen müssen ja nicht zwangsläufig, so der häufigste Vorwurf, zur vollständigen Bewegungsunfähigkeit führen, vergleichbar mit der Lage eines Hasen in der Falle. Im Gegenteil! Noch können wir uns bewegen und die Frage am Ende der Geschichte von Irmtraud Kremp nach dem 'Was wird geschehen?' bedarf wohl eher einer ermutigenden Umkehr, vielleicht im Sinne von 'Was ist zu tun'. In diesem Zusammenhang und zu guter Letzt möchte ich noch einmal ganz besonders auf den Freinachts-Rundbrief 2003 der Schattenblickredaktion verweisen.


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Angaben zur Autorin:

Irmtraud Kremp (*1934) geboren in Essen, Ausbildung zur kaufmännischen Angestellten, Auslandsaufenthalte in den USA, langjährige Übersetzertätigkeit, Mitarbeit in der Literaturarbeit der Volkshochschule Essen. Irmtraud Kremp veröffentlichte neben Lyrik einige bemerkenswerte Science Fiction bzw. phantastische Erzählungen, die bei Heyne in den Story Readern und in internationalen Anthologien erschienen sind, darunter 'Das Bild' (1979), 'Der Spaziergang' (1979), 'Kontaktaufnahmen'(1979), 'Der Tag der goldenen Reifen' (1989), 'Spielereien' (1983), 'Paulette' (1983), 'Cinderella Castel' (1984) und vor allem der 'Der Bronzespiegel' (1980) und 'Die Stunde des Horus' (1980). I. Kremp hat sich als hervorragende Science Fiction-Übersetzerin vom Amerikanischen ins Deutsche einen Namen gemacht.


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Literatur:

- 25 Jahre Heyne SF & Fantasy 1960-1985
Jubiläumsband - Das Lesebuch (hrsg. 1985)

- Lexikon der SF Literatur (Alpers/Fuchs/Hahn/Jeschke)
Heyne 1987


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Erstveröffentlichung 2004

10. Januar 2007