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BERICHT/033: Suchmaschine - Erwägen, prüfen, wissen ... (SB)


Informationsdominanz durch IT-Unternehmen und US-Regierung

SUMA-EV-Kongreß am 11. Februar 2015 in Hamburg


Google ist die bekannteste und am häufigsten benutzte Suchmaschine im Internet, die von 70 bis 80 Prozent aller Surfer im endlosen Datenmeer verwendet wird. Daß der Konzern mit Sitz in Mountain View, Kalifornien, in dieser Hinsicht eine nahezu monopolartige Stellung erreicht hat, wird nicht zuletzt deutlich, wann immer man "googlen" umgangssprachlich synonym mit einer Suche auf elektronischem Wege verwendet. Die Vision, das gesamte Wissen der Welt allen Menschen zugänglich zu machen und damit eine neue Stufe der Evolution zu erklimmen, teilen die Stanford-Absolventen und Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page mit zahllosen anderen Pionieren und Protagonisten der IT-Branche, deren Entwurf einer technologischen Revolution zumeist an einem fundamentalen Geburtsfehler krankt: Ihr ideologisches Universum blendet die Herrschaftsverhältnisse nicht nur weitgehend aus, sondern dient sich diesen zu deren innovativer Fortschreibung geradezu an. Nicht mehr vom Tellerwäscher zum Millionär des untergegangenen Fordismus, sondern vom Garagen-Entrepreneur zum Milliardär strebt der wiederauferstandene amerikanische Traum, der dem in eine abgrundtiefe Verwertungskrise gestürzten Kapitalismus mit der im Rahmen der mikroelektronischen Produktivkraftentwicklung entdeckten Ressource Information neues Leben eingehaucht hat.

Das Motto "Don't be evil" der beiden Google-Gründer bemäntelt einen Gesellschaftsentwurf, der die freiwillige Offenlegung persönlichster Daten kommodifiziert und diese Kollaboration zum Höchstmaß an Freiheit, Demokratie und Kommunikation verklärt. Wissenschaftlicher Fortschritt und globale Vernetzung scheinen zu einer grenzenlosen Höherentwicklung zu verschmelzen, die das Wohl aller in historisch nie gekanntem Maße befördert. Googles expansives Streben, das gesamte Internet zu erobern, wird von dem durch aufwendige Imagepflege genährten Versprechen flankiert, in der Megamaschine sei das digitale Alter Ego von Milliarden Menschen in den bestmöglichen Händen.

Wie Facebook, Amazon oder Apple bedient sich auch Google des blinden Flecks der auf elekronischem Wege Kommunizierenden, die alles und jedes sehen wollen, aber ausblenden, daß sie dabei auch selbst sichtbar gemacht werden. Die fatale Verkennung des zunehmend in jeglichen Lebensbereichen bis hinein in die Körperlichkeit verwerteten und verfügten Menschen, er habe nichts zu verbergen, findet in der ideologischen Überhöhung ihre finale Festschreibung, Geheimnisse verlören jegliche Wirkmächtigkeit, wenn alle Informationen für alle offen zugänglich wären.

Die Enthüllungen Chelsea Mannings, Julian Assanges und Edward Snowdens wie auch die unbarmherzige Diskreditierung und Strafverfolgung dieser und anderer Whistleblower zeugen vom Gegenteil: Es handelt sich um einen höchst einseitigen Prozeß, da die Ermächtigung zur Beschaffung und Verwertung relevanter Informationen das Metier und Privileg der Militärs, Geheimdienste und Sicherheitsbehörden ist, deren kühnste Träume einer umfassenden Durchdringung aller gesellschaftlichen Sphären von der freiwilligen Selbstoffenlegung der IT-Generation in den Schatten gestellt werden.

Ankündigung des Kongresses auf Projektionswand - Foto: 2014 by Schattenblick

Foto: 2014 by Schattenblick


"Das Internet im Zeitalter von Überwachung und Manipulation"

Am 11. Februar 2015 führten der SUMA-EV und die Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW), Department Information, einen Kongreß zum Thema "Das Internet im Zeitalter von Überwachung und Manipulation - Der Offene Web-Index und andere Gegenmittel" durch. [1] Die gut besuchte Tagung ging in Vorträgen und Diskussionen der Frage nach, inwieweit es sich um ein manipuliertes Netz handelt, in dem uns Monopole eine ihnen genehme und kommerziell lukrative "Wirklichkeit" vorgaukeln. Die entscheidende Frage müsse sein, was wir gegen Überwachung und Manipulation tun können und auf welche Weise das Netz "repariert" werden könnte. Unter den vielfältigen Aspekten, den Komplex Google kritisch unter die Lupe zu nehmen, soll in diesem einführenden Beitrag daher von den engen Verflechtungen zwischen IT-Wirtschaft und Staat sowie der transatlantischen Dimension informationeller Selbstbestimmung die Rede sein.

In diesem Zusammenhang ist eine aktuelle Meldung aufschlußreich, der zufolge die US-Regierung Unternehmen zu verstärktem Datenaustausch drängt. [2] Um den Abgleich von Informationen zwischen Firmen und Regierung zu verbessern, lud das Weiße Haus zu einem Treffen für Cybersicherheit ein. Unter Verweis auf eine zunehmende Bedrohung durch Hacker unterschrieb Präsident Barack Obama einen Erlaß, "Organisationen zur Analyse und Weitergabe von Informationen" (ISAO) zu schaffen. Obama und seine Sicherheitsberaterin Lisa Monaco nahmen an der achtstündigen Konferenz teil, die nach den Enthüllungen über die Spionage des US-Geheimdienstes NSA und der Hacker-Angriffe auf Sony auch als Stimmungsmesser zwischen Internet-Unternehmen und Regierung gesehen wurde.

Während Apple-Chef Tim Cook und der PayPal-Vorsitzende Dan Schulman zugegen waren, schlugen Facebook-Chef Mark Zuckerberg, Yahoo-Chefin Marissa Mayer, Microsoft-Chef Satya Nadella, Google-CEO Larry Page und der Google-Verwaltungsratschef Eric Schmidt die Einladung aus. Diese vier Unternehmen schickten jedoch ihre Topleute für IT-Sicherheit. Diese Mischung aus symbolischer Zurückweisung und tatsächlicher Kooperation läßt vermuten, daß es sich weniger um ernsthaften Widerstand, als vielmehr eine demonstrative Geste handelte, da die Unternehmen befürchten, daß eine öffentlich wahrgenommene enge Zusammenarbeit mit der Regierung Nutzerinnen und Nutzer abschrecken könnte.


Transformationen der Sicherheitskooperation

Was in der aktuellen Initiative der Obama-Administration zum Ausdruck kommt, ist keinesfalls der Auftakt zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Regierung und IT-Unternehmen, sondern vielmehr deren Überführung in einen auch offiziell festgeschweißten Schulterschluß. Im Gefolge der Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington ging die US-Regierung neben zahlreichen anderen repressiven Maßnahmen daran, Unternehmen der Privatwirtschaft zur informationellen Zusammenarbeit zu verpflichten. Während einige Aspekte gesetzlich festgeschrieben wurden, setzte man bei anderen zunächst auf eine freiwillige Kooperation, die sukzessive in eine Rechtspflicht verwandelt wird.

So gehörte die Telefongesellschaft AT&T, durch deren Netz an irgendeiner Stelle auch die Übertragungen aller anderen Dienstleister des Landes laufen, zu den ersten Unternehmen, die sich freiwillig an der Überwachung ohne richterlichen Beschluß beteiligten. Daß die Überantwortung der Kundendaten im Rahmen des vom Ministerium für Heimatschutz und der National Security Agency (NSA) betriebenen Programms zunächst im Ermessen der Firmen lag, belegt der kleinere Konkurrent Qwest Communications, der eine solche Zusammenarbeit zehn Jahre lang ablehnte, bis er 2011 von CenturyLink übernommen wurde. Wie dieses Beispiel zeigt, erfolgte der Ausbau des Sicherheitsstaats im informationellen Bereich zwar in Schüben, jedoch keineswegs allein durch Zwang, sondern auch unter schrittweiser Einbindung und mitunter sogar rückhaltloser Beteiligung der betreffenden Unternehmen.

Soweit bekannt, war Google seit 2009 im Rahmen des Programms PRISM verpflichtet, der NSA Nutzerdaten zu übergeben, sofern ein Terror- oder Spionageverdacht geltend gemacht wurde. Wenngleich schon dies mangels parlamentarischer oder rechtlicher Überprüfbarkeit des jeweils geäußerten Verdachts auf einen Willkürakt hinauslief, betraf es doch noch einen relativ beschränkten Kreis potentiell betroffener Personen. Eine neue Dimension der Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden und Unternehmen bahnte sich an, nachdem Google im Dezember 2009 eigenen Angaben zufolge einen groß angelegten Angriff chinesischer Hacker auf private Gmail-Konten, darunter auch solche von Menschenrechtsgruppen, die in Opposition zur Regierung in Beijing standen, vermutete. [3]

Seiner üblichen Geschäftspolitik folgend, hatte sich Google bis dahin an die im jeweiligen Land geltende Rechtslage gehalten und die Zensur unerwünschter Inhalte durch Löschung der Adressen in den Suchergebnissen vorgenommen. Das gilt auch für Deutschland, wo diese Praxis weitreichender als in anderen europäischen Länder durchgesetzt wird, und gleichmaßen in China, wofür sich der IT-Konzern heftiger Kritik ausgesetzt sah, weil er seinen wirtschaftlichen Interessen den Vorrang gegenüber Menschen- und Bürgerrechten gibt. Allem Anschein nach ging es Google in China darum, diesen riesigen lukrativen Markt nicht zu verlieren.

Die damalige Maxime aller IT-Unternehmen, Sicherheitslücken nicht publik zu machen, um das Vertrauen der Kunden nicht zu schmälern, wurde auch von Google befolgt. Da sich die chinesischen Hacker offenbar Zugang zum Paßwort-System verschafft hatten, das Google zu den wichtigsten Komponenten seines geistigen Eigentums zählt, ging der Konzern zum Gegenschlag über und hackte seinerseits einen Server in Taiwan, der den geltend gemachten Erkenntnissen zufolge eine Durchgangsstation für die Angriffe vom chinesischen Festland war. Nach der Version Googles trat dabei die beispiellose Breite und Tiefe des Angriffs zutage, der zahlreiche US-amerikanische Unternehmen und wohl auch Teile der sogenannten Kritischen Infrastruktur betraf.

In einer beispiellosen Abkehr von seinen bis dahin favorisierten Geschäftspraktiken informierte Google nicht nur die anderen betroffenen Unternehmen, sondern weihte auch die Sicherheitsbehörden und Geheimdienste ein. Diverse US-Unternehmen hatten schon geraume Zeit Druck auf die Regierung ausgeübt, chinesischer Wirtschaftsspionage öffentlich entgegenzutreten. Die Obama-Administration verlangte jedoch hieb- und stichfeste Beweise, da sie das fragile Verhältnis zwischen den beiden ökonomischen Supermächten nicht zu eigenen Lasten gefährden wollte. Google half ihr aus diesem Dilemma, indem der Konzern am 12. Januar 2010 auf eigene Faust mit der Information über den Cyberangriff an die Öffentlichkeit trat und die Regierung in Beijing zudem wegen deren Zensur des Internets und der Repression gegen Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten kritisierte.

Diese Steilvorlage erlaubte es der damaligen Außenministerin Hillary Clinton, unter Verweis auf Google und damit ohne die Vorlage eigener Beweise, China des Cyberwars zu bezichtigen, die dortige Zensur des Internets und den Umgang mit Dissidenten anzuprangern wie auch die Abwehr von Angriffen im Cyberraum auf die Tagesordnung US-amerikanischer Sicherheitsinteressen zu setzen. Demnach hatte sich Google nicht etwa aufgrund von staatlichen Zwangsmaßnahmen, sondern in Verfolgung eigener Interessen an die Spitze einer neu definierten Kooperation zwischen IT-Unternehmen und Regierung gesetzt.

Die NSA entwarf umgehend ein rechtswirksames Abkommen mit Google, das die Zusammenarbeit spezifizierte. Der genaue Inhalt dieses Vertrags ist nicht bekannt, doch geht aus einer Stellungnahme des Geheimdienstes immerhin soviel hervor, daß "maßgeschneiderte Lösungen" implementiert werden sollten. Google teilte nicht nur seine Informationen über den Hackerangriff mit der NSA, sondern gewährte dem Geheimdienst dauerhaft Zugang zu seiner Infrastruktur. Solche Abkommen, wie sie in der Folge mit zahlreichen weiteren Unternehmen geschlossen wurden, garantiert diesen Unterstützung beim Ausbau ihrer Sicherheitssysteme. Während die Firma die exklusiven Patentrechte auf diese Werkzeuge, die in enger Kooperation mit den Diensten entwickelt werden, behält und sie kommerziell weiterverwerten kann, dürfen Geheimdienste und andere Sicherheitsbehörden jegliche im Zuge dieser Kollaboration gewonnenen Daten nach eigenem Ermessen verwenden.

Da Google mit seinen Milliarden Kunden weltweit den größtmöglichen Zugriff auf Internetdaten in einer Hand gewährt und weitreichende Informationen über Kommunikation, Aufenthalt, Interessen und Verhaltensweisen der Nutzerinnen und Nutzer besitzt, kam diese Form der Zusammenarbeit mit Regierungsstellen einem Dammbruch gleich. Nicht mehr die Verheimlichung von Hackerangriffen, sondern im Gegenteil deren Offenlegung und die bevorzugte Ausstattung mit hochwertigsten Sicherheitsinstrumenten im Bereich der Hard- und Software verschaffte fortan Konkurrenzvorteile. Damit nicht genug, verwandelte sich der Konzern auf diesem Wege gewissermaßen in einen weitverzweigten Außenposten des US-Geheimdienstes, der aus dem IT-Unternehmen heraus Spionageabwehr wie auch eigene Spionage in zahlreichen anderen Ländern betreiben konnte.

Wenngleich der Geheimhaltung unterliegt, welche Informationen sich die Sicherheitsbehörden bei Google und anderen Unternehmen verschaffen und wie sie diese verwerten, zeichnet sich angesichts der engen Verzahnung von Unternehmen und Regierungsbehörden doch ein tendenziell schrankenloser Zugriff ab. Das Firmenmotto "Don't be evil" wurde von der Unternehmensführung auf geradezu innovative Weise neu interpretiert: War es vordem verpönt und mithin geschäftsschädigend, der Kollaboration mit der Staatsgewalt verdächtigt zu werden, so schwang sich die IT-Elite des Landes nun zu deren verlängertem Arm auf, um den in China verorteten gemeinsamen Feind in die Schranken zu weisen.

Mit welchen Mitteln führende Unternehmensvertreter von der NSA eingebunden wurden, zeigt das Beispiel des Google-Mitgründers Sergey Brin, dem Hunderte weitere folgen sollten. Brin erhielt eine befristete Sicherheitsfreigabe und durfte an einer internen Beratung des Geheimdienstes teilnehmen, bei der ihm dessen Erkenntnisse über die Quelle der Hackerangriffe eröffnet wurden. Zugleich wurde er bei Strafandrohung zum Stillschweigen verpflichtet, was ihn nach geltendem US-Recht zum Geheimnisträger macht, der nicht einmal darüber sprechen darf, daß er ein solcher ist. Diese Mischung aus Informationen über Angriffe auf das jeweilige Unternehmen, der dabei ausgeübte Druck und nicht zuletzt die Faszination des simulierten oder mitunter sogar realen Kontakts zu hohen und höchsten Kreisen sorgt seit 2008 dafür, daß der Schulterschluß zwischen Unternehmensführungen und Regierungsbehörden in bislang noch freiwilliger Form zügig voranschreitet. Von der NSA in Panik versetzt, wenden sich die betreffenden Unternehmen häufig an private Sicherheitsdienstleister, denen man wiederum ein symbiotisches Verhältnis zu den Geheimdiensten nachsagt, die daher in jedem Fall den Fuß in der Tür zu den vielfältigen Kundendaten behalten.

Eine weitere Form dieser Kooperation besteht darin, firmeneigene Produkte von der NSA auf Sicherheitslücken überprüfen zu lassen und zugleich offene Hintertüren für den Geheimdienst zu installieren. Das betrifft Computer, Server und Router, Software, Internet- und E-Mail-Provider, Telekommunikation, Satelliten, Sicherheitsprogramme und Algorithmen - kurz das gesamte Spektrum der Branche. Viele Unternehmen teilen Informationen über Hackerangriffe zuerst mit der NSA oder setzen diese über sicherheitsrelevante Beobachtungen im Internet in Kenntnis, wobei sich einige offenbar auch für solche Dienste bezahlen lassen. Telekommunikationsfirmen sind gesetzlich dazu verpflichtet, Strafverfolgungsbehörden das Abhören auf richterlichen Beschluß zu ermöglichen, andere Unternehmen kooperieren ganz oder überwiegend freiwillig. Bestrebungen der Geheimdienste und Sicherheitsbehörden gehen dahin, die Zusammenarbeit für alle Firmen unter dem weitem Dach des Schutzes der Kritischen Infrastruktur gesetzlich verpflichtend zu zementieren.

Google verfügt über die weltweit größte Sammlung von Metadaten und diverse weitere einzigartige Kapazitäten, die nicht nur für die NSA von höchstem strategischen Wert sind. Die Cookies des Konzerns verfolgen das Verhalten im Internet von fast zwei Milliarden Menschen. Über eine Milliarde Nutzerinnen und Nutzer verwendet regelmäßig Google Search, Maps, Android und YouTube, ungefähr eine halbe Milliarde Gmail sowie das soziale Netzwerk Google+. Aufgefächert nach Land, Sprache, Interessen, Schlüsselwörtern, Namen, Kommunikationsverläufen, aktuellem Aufenthaltsort, räumlichen Bewegungen und weiteren Details stellt Google auf diesem Gebiet der Überwachung und Kontrolle all das bereit, was die NSA leisten möchte, aus eigenem Vermögen aber nicht schaffen kann.

Da alle führenden IT-Unternehmen ihren Sitz in den USA haben, unterliegen sie dem dortigen Recht, das Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden generell weitgehendere Zugriffsmöglichen gestattet, als dies in Europa der Fall wäre. Zugleich spioniert die NSA bekanntlich auch im Ausland und bedient sich dazu auch einer Infiltration von Hard- und Software, die in den meisten anderen Ländern illegal wäre. Unternehmen wie Google übernehmen in diesem Zusammenhang die Rolle eines Trojanischen Pferdes, das überall auf der Welt als begehrenswertes und nützliches Geschenk willkommen geheißen wird, während sein Inneres das Verhängnis in sich birgt.


Freihandel vs. Datenschutz

Als der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla die NSA-Spähaffäre im August 2013 für beendet erklärte, handelte es sich um eine Form der vorauseilenden Schadensbegrenzung, die in der Rückschau etwas über die große Bereitschaft von Regierungspolitikern verrät, die informationelle Selbstbestimmung der Bevölkerung gering zu schätzen. Kurz nach Beginn der Spähaffäre hatte er in seiner Eigenschaft als Geheimdienstkoordinator behauptet, lediglich zwei Datensätze mit vertraulichen Informationen über Bundesbürger seien von deutschen Geheimdiensten an deren US-Kollegen weitergegeben worden. Wie sich später herausstellte, waren es sehr viel mehr. Pofalla erfuhr erst nach seinem inzwischen legendären Entwarnungsauftritt, daß das Handy seiner Chefin von nämlichem US-Dienst abgehört wurde. Trotz aller eingestandenen Verfehlungen war die US-Regierung weder zu dem Zugeständnis bereit, sich darauf festzulegen, künftig keine deutschen Regierungsmitglieder und politischen Amtsträger mehr abzuhören, noch wollte sie mit der Bundesregierung über ein No-Spy-Abkommen verhandeln. Seit Anfang des Jahres ist der ehemalige CDU-Politiker als Generalbevollmächtigter für politische und internationale Beziehungen der Deutschen Bahn tätig. Da liegt der Schluß nahe, daß ihm die Beseitigung aller Hindernisse im grenzüberschreitenden Verkehr nach wie vor ein zentrales Anliegen ist, ob sie nun Daten, Reisende oder Handelsgüter betrifft.

Diesem Vorhaben sind auch bi- und multilaterale Freihandelsabkommen wie das Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) oder das Trade in Services Agreement (TiSA) gewidmet. Gegenüber dem Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse in den Bereichen der Nahrungsmittelproduktion oder des Umweltschutzes wie auch der vorausschauenden Verhinderung von Gesetzen, die die Interessen der Investoren und Unternehmen beeinträchtigen könnten, spielt das Thema Datenschutz eine eher untergeordnete Rolle. Der Schutz der Privatsphäre ist ein bürgerrechtliches Anliegen, das sich weder mit der Bewirtschaftung von individualisierten Verbraucherinformationen noch mit dem Zugriff des Staates auf Steuersünder, Kriminelle und Terroristen besonders gut verträgt. Dies belegt nicht nur der beschwichtigende Umgang eines Kanzleramtsministers mit einer der schwerwiegendsten Belastungen der transatlantischen Beziehungen, um von einem Vertrauensbruch zwischen den auf vielen Gebieten vor allem in Konkurrenz zueinander stehenden Akteuren USA und EU nicht zu sprechen. Auch die Verhandlungen zum TTIP blieben von dem neuen Kenntnisstand zum umfassenden Charakter der NSA-Aktivitäten in Europa weitgehend unberührt.

Obwohl bekannt ist, daß die NSA in der Vergangenheit auch Lauschangriffe auf EU-Institutionen gestartet hat und ein Einblick in die Interna der europäischen Verhandlungspartner schwerwiegende Nachteile für diese zur Folge haben könnte, wurde das Projekt nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Das läßt vermuten, daß man sich in Brüssel der Position der US-Regierung annähert, den höheren Datenschutz in der EU als ein Handelshindernis zu betrachten und dementsprechend beseitigen zu wollen. Dabei hat dieses Thema in der Vergangenheit auch zu Kritik an der Politik der US-Regierung geführt, die allerdings meist von den nationalen Parlamenten und dem EU-Parlament ausging. Dort wurde zum Beispiel beanstandet, daß bisherige Abstimmungen mit den USA in Sachen Datenschutz wie das Safe Harbour- oder SWIFT-Abkommen bereits zur Aufweichung EU-europäischer Datenschutznormen beitragen.

Bemängelte Defizite wie etwa der Transfer europäischer Kundendaten in die USA unter dem Safe Harbour-Abkommen, der mit der Aufhebung des europäischen Datenschutzrechtes einhergeht, was ihre freizügige Weiterverwendung durch US-Unternehmen aller Art zur Folge hat, könnten schon bald durch das TTIP festgeschrieben werden. Das gilt auch für den Einblick in die Daten europäischer Bankkunden im Rahmen des SWIFT-Abkommens, was für den Rechtsschutz von EU-Bürgern in den USA etwa gegenüber den rigiden Antiterrormaßnahmen der US-Regierung bedrohliche Konsequenzen haben könnte.

Im Rahmen des Freihandels den "digitalen Protektionismus" [4] im Interesse großer US-Unternehmen zu beseitigen zielt auf nichts anderes ab, als die Datenschutznormen in der EU auf US-Niveau abzusenken. Die Deregulierung der informationellen Selbstbestimmung im Rahmen weitgehend geheimgehaltener Verhandlungen zu planen belegt bereits, daß es hier nicht um Fragen der Meinungs- und Pressefreiheit, sondern ausschließlich um Verwertungsinteressen geht. Daß diese wiederum insbesondere in den USA mit den Interessen des polizeilichen, militärischen und geheimdienstlichen Staatsschutzkomplexes konvergieren, ist seit den Enthüllungen Edwards Snowdens allgemein bekannt.

Auch in der EU gibt es, nicht zuletzt in den Reihen transnational agierender IT-Konzerne wie Google, starke Fürsprecher für die Einebnung europäischer Datenschutzstandards zugunsten der Bewirtschaftung individueller Datenressourcen. Ob die EU diesem Interesse stattgibt oder nicht, ist noch nicht entschieden, wie Ralf Bendrath in einer detaillierten Analyse dieses Themenkomplexes der transatlantischen Verhandlungen darlegt [5]. Allein die Tatsache, daß darüber verhandelt wird, belegt jedoch die Gefahr, daß die Durchsetzung von TTIP und TiSA mit schwerwiegenden Einbrüchen ins europäischen Datenschutzrecht einhergeht. Das wiederum ebnete nicht nur staatlichen, sondern auch privatwirtschaftlichen Akteuren den Weg in das verbliebene Refugium einer persönlichen Selbstbestimmung, deren Wert in ökonomischen Kategorien desto weniger zu bemessen ist, als die Menschen ihrer verlustig gehen.


Fußnoten:

[1] http://www.searchstudies.org/de/suma2015.html

[2] http://www.heise.de/newsticker/meldung/US-Regierung-draengt-Unternehmen-zu-verstaerktem-Datenaustausch-2549462.html

[3] http://www.salon.com/2014/11/16/googles_secret_nsa_alliance_the_terrifying_deals_between_silicon_valley_and_the_security_state/

[4] https://blog.ffii.org/cross-border-data-flows/

[5] https://netzpolitik.org/2015/ttip-und-tisa-die-usa-wollen-datenschutz-wegverhandeln/

16. Februar 2015


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