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INTERVIEW/028: Suchmaschine - Selbstschutz ...    Dr. Wolfgang Sander-Beuermann im Gespräch (SB)


Alternative Offener Web-Index?

SUMA-EV-Kongreß am 11. Februar 2015 in Hamburg


Dr. Wolfgang Sander-Beuermann ist geschäftsführender Vorstand des SUMA-EV "Verein für freien Wissenszugang" und hat am Regionalen Rechenzentrum für Niedersachsen, Universität Hannover, das Suchmaschinen-Team geleitet. Daraus hervorgegangen ist die deutsche Meta-Suchmaschine www.metager.de, die im Rahmen des SUMA-EV betrieben und weiterentwickelt wird. Nach dem vom SUMA-EV ausgerichteten Kongreß, der dieses Jahr in Kooperation mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg stattfand und unter dem Titel "Das Internet im Zeitalter von Überwachung und Manipulation - Der Offene Web-Index und andere Gegenmittel" stand, beantwortete Wolfgang Sander-Beuermann dem Schattenblick einige Fragen.


Im Interview - Foto: © 2015 by Schattenblick

Wolfgang Sander-Beuermann
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Der Titel der heutigen Veranstaltung lautete "Das Internet im Zeitalter von Überwachung und Manipulation". Woran lag es, daß das Thema Überwachung relativ wenig zur Sprache kam?

Wolfgang Sander-Beuermann (WSB): Weil sich alles im wesentlichen um das Projekt freenetproject.org, das heute den SUMA-Award erhielt, gedreht hat, ist das Thema Überwachung im Zusammenhang mit dem Web-Index nur am Rand diskutiert worden.

SB: Meine Frage zielte auf aktuelle Debatten wie die NSA-Spähaffäre und die Beteiligung Googles an staatlicher Überwachung, aufgrund derer bereits Strafanzeigen erhoben wurden.

WSB: Das ist alles bekannt, und von daher wäre es unnötig, es nochmal zu beklagen. Vielmehr geht es darum, Alternativen zu entwickeln. Der Offene Web-Index war das Kernthema bei der diesjährigen Verleihung des SUMA-Award. Dahinter steht natürlich die Idee, daß dieser Index unter europäischen Datenschutzregeln zu laufen hat. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die europäische Datenschutzverordnung noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht wird. In diesem Kontext wird alles, was in Europa in Sachen Datenverarbeitung geschieht, dazu gehört auch der Offene Web-Index, unter diese Regeln fallen. Somit ist auch das Thema Überwachung angesprochen worden.

SB: Würde die Datenschutzverordnung US-Unternehmen wie Google, die in Europa operieren, miteinbeziehen?

WSB: Die Frage lautet doch eher: Welche Möglichkeiten hat man, die Richtlinie gegen Google durchzusetzen? Wenn Google sagt, das interessiert uns alles gar nicht, wird es sehr schwer, auf rechtlichem Wege etwas zu erreichen.

SB: Obgleich Google ein großer Akteur am Markt ist, zahlt das Unternehmen kaum Steuern in Europa. Wäre die Situation hinsichtlich steuerlicher Verpflichtungen beim Offenen Web-Index eine andere?

WSB: Natürlich, wer den Offenen Web-Index benutzt, muß die AGBs (Allgemeine Geschäftsbedingungen) unterschreiben, und damit verpflichtet sich jedes Unternehmen, nach europäischen Steuerregeln zu handeln.

SB: Könnten Sie erklären, was den Offenen Web-Index transparenter und weniger anfällig für Manipulationen macht, als dies bei Google der Fall ist?

WSB: Der einfache Nutzer sieht den Offenen Web-Index als solchen gar nicht, vielmehr setzen andere Dienste, darunter natürlich auch Suchmaschinen, auf ihn auf. Ein Offener Web-Index wäre nur dadurch manipulierbar, daß diejenigen, die ihn betreiben, etwas tun, was die Initiatoren dieses Index nicht vorgesehen haben. Doch damit würden demokratische Kontrollgremien außer Kraft gesetzt werden. Natürlich kann man das letztlich nie ausschließen, aber wo sonst auf der Welt, wenn nicht im halbwegs demokratischen Westeuropa, haben wir die Chance, ein solches Instrument unter demokratischer Kontrolle zu halten?

SB: Dagegen wurde heute häufiger eingewandt, daß es nicht um staatliche Regulation gehen kann.

WSB: Regulierung im Zusammenhang mit Marktmißbrauch durch Google aber schon. Das Kartellverfahren gegen Google läuft, und gegen Microsoft ist bereits ein Urteil gefallen.

SB: Hinsichtlich der Administration des Offenen Web-Indexes müßte man sich dennoch fragen, wer zum Beispiel die Algorithmen bestimmt, nach denen der Index erstellt wird.

WSB: Der Index soll einfach nur vollständig sein, und die Algorithmen entstehen primär bei den aufsetzenden Diensten.

SB: Heißt das, das alles indexiert wird, was indexierbar ist?

WSB: Es wird indexiert, was vorhanden ist. Sicherlich müßte man vorher einen Erfassungsraum festlegen. So werden chinesische und kyrillische Schriftzeichen wohl nicht einbezogen, man wird erst einmal bei dem westeuropäischen Schriftzeichensatz bleiben.

SB: Gegen Google wird die Kritik erhoben, daß sein Index möglicherweise nicht vollständig sei.

WSB: Darüber gibt es sicherlich geteilte Meinungen, aber letztendlich hat niemand Einblick darin, wie vollständig der Google-Index ist oder nicht.

SB: Demnach kann man die Frage nach dem Index nicht von der nach der Kontrolle getrennt sehen?

WSB: Ja natürlich. Bei Google kann niemand kontrollieren, was in den Index aufgenommen wurde oder wie das Ranking funktioniert. Allerdings bleibt der Ranking-Algorithmus auch im Modell des Offenen Web-Indexes das Betriebsgeheimnis der Suchmaschinen, aber was im Index vorhanden und damit verarbeitbar ist, muß transparent sein.

SB: Sie hatten in Ihrem Vortrag die Suchmaschine Meta-Ger angeführt. Wie zweckmäßig wäre ihr Einsatz, wenn sie lediglich die Ergebnisse anderer Suchmaschinen auswertet?

WSB: Primär ist es eine Meta-Suchmaschine. Wir betreiben insgesamt 24 eigene kleine Suchmaschinen, aber damit würden wir den Bedarf anderer Nutzer nicht abdecken können. Die gewaltigen Datenmengen, die einen Großteil des Nutzerinteresses erfassen, kommen von den Datenzulieferern Yahoo, Yandex, Exalead und der kleinen deutschen Suchmaschine Fastbot. Das sind unsere größten Datenquellen, und daneben haben wir noch viele kleine eigene. Aber wir sind von den Indexen dieser anderen abhängig, denn mit unseren eigenen wären wir nicht konkurrenzfähig. Gegen Google ist man mit einer Meta-Suchmaschine ohnehin nie konkurrenzfähig, weil sie immer davon abhängig ist, ob die anderen Daten liefern oder nicht. Für alle Suchdienste, die als Alternative zu Google auftreten, ist es daher überlebenswichtig, diese Abhängigkeit zu durchbrechen.

SB: Verschiedene Referenten haben heute die angeblich gute Qualität der Suchergebnisse von Google gelobt. Hingegen hat Konstantin Guratzsch eine exemplarische Ergebnisliste zu Anfragen aus dem kulturellen Bereich präsentiert und darin aufgezeigt, daß Qualität zwar gerne unterstellt wird, es sich aber zumeist um aneinandergereihte Verweise auf ähnlich geartete Produkte handelt, denen jede tiefergehende Kommentierung oder kulturelle Reflexion fehlt. Wer bestimmt überhaupt, was Qualität im Bereich von Suchanfragen ausmacht?

WSB: Dirk Lewandowski hat in der Diskussion nochmal unterstrichen, daß es einfach nicht wahr ist, daß Google die besseren Suchergebnisse liefert. Man hat einmal eine Vergleichssuchmaschine getestet, welche die Ergebnisse von Google, Yahoo und Bing zu einem Suchbegriff nebeneinander in drei Spalten angezeigt hat. Dabei kam heraus, daß Google bei Standardsuchanfragen nicht die besten Ergebnisse lieferte. Natürlich gibt es so etwas wie das beste Suchergebnis nicht, sondern zu jeder Anfrage gibt es immer viele gute Suchergebnisse. Die Vorstellung von einem besten Suchergebnis wird dabei mit dem Google-Logo assoziiert. Es ist die Marke, die man im Kopf hat.

SB: Die Marktmacht von Google ist insofern ein sich selbst verstärkender Vorgang, als ein großer Konzern entweder Konkurrenten aufkauft oder vom Markt verdrängt. Wenn sich ein solcher Konzern die vollständige Verfügungsgewalt über die Strukturierung des Wissens aneignet und damit zu einer Monopolmacht wird, kann er dies natürlich auch mißbräuchlich einsetzen. Wäre in diesem Sinne nicht die Frage nach dezentralen bzw. flacheren Strukturen zu stellen, damit Menschen die Möglichkeit bekommen, den Zugang zu Wissen selbst zu gestalten?

WSB: Um alternative Strukturen zu entwickeln, braucht man den Unterbau, über den Google verfügt. Dieser Web-Index von Google ist jedoch nicht offen, sondern intransparent. Er ist wahrscheinlich nahezu vollständig, aber was davon ausgenommen ist, wissen wir nicht. Aber nur auf dieser Basis kann man überhaupt etwas Neues aufbauen. Ohne diese Basis erübrigt sich alles weitere. Diese Datenbank oder Wissensansammlung muß jedoch unter demokratischer Kontrolle stehen.

SB: Was spräche an dieser Stelle gegen öffentlich-rechtliche Strukturen?

WSB: Der Offene Web-Index hat ja schon etwas von einer öffentlich-rechtlichen Struktur. Allerdings wurde eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine scharf kritisiert, und wohl zu Recht, denn es darf nicht sein, daß öffentlich-rechtliche Institutionen darüber entscheiden, welches Ergebnis das beste ist. Aber den Web-Index selber kann man durchaus öffentlich-rechtlich nennen.

SB: Glauben Sie, daß es beim SUMA-Kongreß im nächsten Jahr eine Anschlußdebatte zum heutigen Thema geben wird, um die erörterten Fragen weiterzuentwickeln?

WSB: Ich hoffe, der Anschluß geht schon von heute aus. Wir hatten hier eine Medienpräsenz wie noch nie zuvor. Die Frage ist letztlich, wie man ein Momentum in der Politik schafft. Solange die Fragen in kleinen elitären Zirkeln oder Elfenbeintürmen diskutiert werden, nützt es nichts. Politik braucht eine gewisse Anschubbewegung, und ich hoffe, daß wir mit dem heutigen Tag einen wesentlichen Schritt vorangekommen sind.

SB: Herr Sander-Beuermann, vielen Dank für das Gespräch.


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12. März 2015


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