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ENGLISCH/616: Lehrmittel (12) Langenscheidt/mentor — Verb Raps (SB)


Langenscheidt ENGLISCH/Mentor Audio-Lernhilfe


Englische Verben - Verb Raps

Unregelmäßige Verben leichter lernen mit Rap-Musik



Seit der Legende des Nürnberger Trichters, mit dem schwieriger Lernstoff einfach direkt ins Gehirn eingegeben werden konnte, haben Generationen von Schülern auf die unterschiedlichsten Methoden gesetzt, sich das eigentliche Pauken zu sparen. Wörterbücher und andere Kompendien wurden kiloweise vor anstehenden Klausuren unter das Kopfkissen gestopft, um quasi per Diffusion durch Tuch und Federn von selbst die notwendigen Wissenslücken zu füllen. Abgesehen von empfindlichen Schmerzen ob der harten Unterlage und eines ebenso empfindlichen Schlafdefizits, hat diese Methode tatsächlich einen gewissen Erfolg, denn von methodischen Zweifeln und den im Kopf herumirrenden losen Fragmenten des Lernstoffs umgetrieben, wird der Schlaflose mit Nachttisch- oder Taschenlampe dem nahen Buch zu Leibe rücken und so direkt die eine oder andere Frage klären.

Im Unterschied dazu hatte die zum "E-learning" aufgestylte weiche Welle des Lernens, mit deren Hilfe der Wissensstoff den Lernenden ganz entspannt auf den Wogen sanfter Sphärenmusik über das Unterbewußtsein erreichen und praktisch unbemerkt in die grauen Zellen einemulgiert werden sollte, kaum einen nachweisbaren Erfolg.

Die von Mentor Lernhilfen herausgegebene CD mit Begleitheft zum wohl lernintensivsten und gleichzeitig bei Schülern unpopulärsten Lernstoff "unregelmäßige Verben bzw. Irregular Verbs" verspricht letztlich genau das gleiche wie die zuvor beschriebenen Methoden, Lernen ohne Anstrengung. So heißt es in dem dafür vom Verlag herausgegebenen Pressetext:

So, wie "Grandmaster Verocai" die Tätigkeitswörter vertont hat, bleiben sie bei wiederholtem Hören einfach kleben. Be, was been. Know, knew, known: Die drei korrekten Zeitformen, die sonst mit dem Vokabelheft spaßbefreit reingepaukt werden müssen, gehen hier zusammen mit Pop-, Reggae- oder Dance-Rhythmen direkt ins Oberstübchen. Und dort bleiben sie auch.

Die Idee die bei Jugendlichen augenblicklich populäre Rap-Musik als Vehikel für das Lernen zu nutzen, erscheint auf den ersten Blick plausibel. Wolfgang Verocai, seines Zeichens "Musikpädagoge" aus Österreich, verkauft sein didaktisches Konzept als sogenanntes "mehrkanaliges Lernen". Danach wird beim einfachen Lesen des Lernstoffes binnen kurzer Zeit 70 bis 80 Prozent wieder vergessen. Bei gleichzeitigem Hören, Sehen, Sprechen oder Singen sinke diese Vergessensrate auf 30 Prozent ab. Oder wie es ebenfalls im Pressetext heißt:

Je mehr Sinne beim Lernen beteiligt sind, desto eher
bleibt der Stoff hängen.

Dieses Lernkonzept, früher hätte man es vielleicht als Konzentration mit allen Sinnen bezeichnet, obwohl das nur den dahinterstehenden Anspruch trifft, paßt in seiner realen Anwendung durchaus auf Schüler, die beim Lernen so passiv sind, daß sie gewissermaßen ständig geweckt und neu motiviert werden müssen, um sich nicht sofort wieder in die eigene Traumwelt zurückzuziehen.

Da junge Menschen heute in ihrer Freizeit der multimedialen Reizüberflutung kaum ausweichen können, ist es verständlich, daß sie bei einem Nachlassen der Anforderung, also im Zustand der Reizlosigkeit des konventionellen Unterrichts, sofort der ungewohnten Entspannung nachgeben und somit schlicht: einschlafen.

Um den passiv Lernenden also aus diesem Zustand oder seiner reizintensiven Alltagsumgebung in einen konzentrierten Zustand zu versetzen, müssen mindestens ebenso starke, wenn nicht stärkere, Reize den Lernstoff begleiten. Und je mehr Sinne laut Verocai dann beispielsweise durch eine entsprechende Lehr-CD wieder geweckt werden, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß irgendetwas von den angebotenen neuen Reizen hängen bleibt. Nichts anderes muß man sich unter dem exotischen Begriff "mehrkanaliges Lernen" vorstellen.

Daß solche Reize wohl dosiert sein wollen, um den Probanden zu wecken, aber nicht in die Flucht zu treiben, versteht sich von selbst, und ob die richtige Dosierung getroffen wurde, kann ebenfalls nur ein Kind der heutigen Zeit entscheiden.

Vertreter aller Generationen, selbst Fans harter Rhythmen, bekannten sich beim Vorspielen der Lehr-CD von Verocai zu Reflexen, die übliche Abwehr- oder Fluchtstrategien noch übertreffen. Wer allerdings die etwa 30 Minuten dauernden Verbsalven-Beballerung wirklich durchhielt, fühlte sich anschließend angeschlagen und durch die Mangel gedreht.

Auch wesentlich jüngere, reizgewohnte und in der Handhabung ähnlicher Hilfsmittel wohlvertraute Versuchspersonen hielten es nicht lange unter den Kopfhörern aus, so sehr ich sie auch um einen weiteren Testdurchgang bat (schließlich wird die mehrmalige Wiederholung eines Songs ausdrücklich in der Beschreibung empfohlen).

"Es gäbe bessere Methoden, sich die unregelmäßigen Verben reinzuziehen", war die einhellige Meinung. Man verstünde bei diesem Lärm gar nicht, worum es dabei ginge. Und das könne sich wohl nur ein Erwachsener ausgedacht haben, der nicht zwischen echtem Rap und antiquierten Schlagern unterscheiden könne, denn so eine Frank-Sinatra-Schnulzenstimme spräche bestenfalls Ältere an.

Tatsächlich lenken die Verse des Refrains ebenso wie Musik und das rhythmische Sprechen der Verben von dem eigentlichen Lernstoff ab. Da sich die vermeintlichen "Raps" zudem als eine Art aus dem Radio bekanntes Morgengymnastik-Szenario nach dem Motto "eins, zwei und hoch das Bein" entpuppen, fühlt man sich als Lernender schlicht nicht ganz ernst genommen.

Selbst dem Spracherfahrenen fällt es schwer, sich auf den Inhalt zu konzentrieren, so daß es in jedem Fall unerläßlich ist, zumindest den Text vor der Nase zu haben, um sich Zeile für Zeile daran fest und sich selbst bei der Stange zu halten. Schwer zu sagen, ob man anschließend auch nur einen Vers wiedergeben könnte, der gewissermaßen als Ohrwurm hängen geblieben wäre. Was hängen bleibt, ist bestenfalls der eintönige Rhythmus: dada- tatatatata-dam-dam-dam.

Könnte es sein, daß der Mentor Verlag, der eigentlich für gründliche Lernstrategien und Erfolgskonzepte bekannt ist, in diesem Fall einem Irrtum aufgesessen ist?

Da sich das menschliche Hörgedächtnis schon früh entwickelt und neuesten Theorien zufolge besonders Rhythmen gut einprägen soll (zumal auch schon der Säugling als erstes die Laute seiner Umgebung über das Ohr wahrnimmt, sie nachahmt und dann erst zu begreifen beginnt, was sie bedeuten), raten Sprachpädagogen beim Erlernen einer Fremdsprache anfangs zum Sprechen in rhythmisierten Sätzen, im gesprochenen Kanon, in rhythmischen Gesprächen, mit Geschichten, die im Rhythmus des Walzers oder des Marsches erzählt werden. Man verspricht sich davon, daß die dazugehörigen Sprachversatzstücke, im Englischen spricht man hier von "Chunks", wie Ohrwürmer am Rhythmus haften bleiben. Auf diese Weise lernt der Anfänger ganze Sätze zu sprechen, ohne unbedingt wissen zu müssen, was sie bedeuten.

Daß dies auf die unregelmäßigen Verben nicht so leicht zu übertragen ist, versteht sich, denn der Rhythmus der automatisch entsteht, wenn man Verbformen stur aneinanderreiht, kommt ebenso wie die entsprechenden Wortfolgen "be, was, been" oder "know, new, known" usw. im gesprochenen Englisch so nicht vor.

Zugegeben findet man sich beim "Pauken" der Verbformen, ob man sie nun laut oder auch nur im Geiste wiederholt, selbst leicht in einer Art Rhythmus wieder. Die Raps des Mentor Verlags nehmen einem also gewissermaßen diese eigene Rhythmisierung ab, indem sie Tempo und Skandierung vorgeben.

Entgegen werbewirksamen anderslautenden Versprechungen geht es bei der Nutzung der Verb-Raps-CD also nicht ohne Eigenleistung. Zumindest muß man sich dazu überwinden, den wenig attraktiven Einhämmerungsversen bzw. -rhythmen samt musikalischer Begleitung mehrmals zu folgen - das Begleit-"Booklet" empfiehlt sogar, sich einen Song vom "Frühstück über die Fahrt zur Schule, während der Mittagspause oder beim Sport", also mindestens viermal am Tag mehrmals immer wieder einzu"bimsen". Dann wird sich auch der versprochene Erfolg einstellen.

Fragt sich nur, ob man die ohnehin unangenehme Paukarbeit nicht in ruhigerer Umgebung bei gleichem Konzentrationsaufgebot ungemein abkürzen könnte, zumal man die unregelmäßigen Verben ja nicht nur hören und sprechen, sondern auch noch richtig schreiben können muß.

VERB-RAPS Englisch
(Audio-CD mit Begleitbroschüre)
Producer: Wolfgang VErocai. All Rights Reserved
Unverbindliche Preisempfehlung Euro 9,95
Mentor Verlag München
ISBN: 3-580-63542-5

Erstveröffentlichung 30. September 2005


22. März 2007