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KALTE PLATTE/0012: Klatsch auf krossen Kräckern (SB)


Satirische Canapés und Cocktailbissen


Cohn-Bendit - ein Daniel seiner Zeit

Kalt und unpersönlich beschreibt Meyers Handlexikon unsere Zeit als die einer geschichtlichen Periode eigentümlicher Auffassungen und Ideen. Dabei ist ihr Geist keineswegs unpersönlich. Im Gegenteil, er hat sogar einen Namen. Dieser Zeitgeist heißt Daniel. Oder auch, zärtlich-vertraut, Dani. Wer die geschichtliche Periode der letzten 50 Jahre Revue passieren läßt, kommt eigentlich nicht dran vorbei:

Als Mitte der 60er Jahre die Studenten zahlreicher europäischer Länder gegen Staatsräson und Vietnamkrieg auf die Barrikaden gingen, brauchte die französische Boulevardpresse anläßlich der Pariser Mai-Unruhen eine Symbolfigur, die für das Aufrührertum stand. Der Daniel der Stunde wurde gesucht. Und Cohn-Bendit, ein wegen seiner deutsch-französischen Abstammung mit der deutschen APO kommunizierender Soziologiestudent der Uni Nanterre, geriet in den Fokus der französischen Journaille und wurde flugs zum Studentenführer aufpopuliert. Späterer Spitzname: Dany le Rouge. Aus Frankreich ausgewiesen und wegen möglicher revolutionärer Aktivitäten mit einem Einreiseverbot versehen, umgab diesen Daniel stante pede der Nimbus des Rebellen.

Fortan blieb Zeitgeist-Daniel Cohn-Bendit in Frankfurt. Dort nutzte er sein Image, um sich als Herausgeber des Magazins Pflasterstrand in der Sponti-Szene zu etablieren, die das revolutionäre Anliegen der APO bereits viel lockerer und genußbetonter anging. So genußbetont wurden die Zeiten, daß "Dany le Rouge" seinen Rang als Zeitgeist-Daniel schließlich an den Schokopuddingbecher "Dani plus Sahne" verlor. Selbst als sich "Dany le Rouge", inzwischen WG-Genosse von Joschka Fischer, um ein Comeback als Grüner Daniel bemühte, wollte es nicht gelingen. Und auch als Moderator, Buchautor, Friedensbewegungssympathisant im ersten Golfkrieg oder Fürsprecher von Bodentruppeneinsätzen im Kosovo - zum Zeitgeist-Daniel brachte er es nicht mehr. Nach "Dani plus Sahne" kam, gnadenlos, Daniel Küblböck.

Letzterer, wie Cohn-Bendit ebenfalls von der Boulevard-Presse (Bild) und anderen Medien aufgebaut zum Helden seiner Zeit und ebensolch ein Selbstdarsteller und Allround-Labermaul, allerdings ohne Revoluzzer-Attitüde, versuchte sich wie sein Vor-Daniel als Buchautor und Moderator und bemühte sich auch sonst auf vielfältige Weise um Öffentlichkeit. Mit mäßigem Erfolg. Zeitgeist-Daniel zu sein ist nur ein kurzes Glück. Immerhin, es läßt sich lange davon zehren: Noch 1997 verlieh die Katholische Universität Brabant Daniel Cohn-Bendit die Ehrendoktorwürde. Und Daniel Küblböck wurde 2003 zum Brillenträger des Jahres ernannt. "Dani plus Sahne" macht auch heute noch in Warentests von sich reden. Vielleicht sollten sie sich mal treffen, die drei.


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© 2009 by MA-Verlag - KALTE PLATTE/0012


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22. Mai 2009