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KALTE PLATTE/0030: Klatsch auf krossen Kräckern (SB)


Satirische Canapés und Cocktailbissen


Knete wider den Klassenkampf

Nicht genug, daß im August 2010 vierzig US-amerikanische Superreiche (u.a. Bill Gates, David Rockefeller, Barron Hilton) verkündeten, die Hälfte ihres Vermögens den Armen spenden zu wollen. Jetzt fordern auch die Gutbetuchten in Deutschland immer energischer Möglichkeiten ein, sich finanziell zugunsten ihrer ärmeren Mitbürger erleichtern zu dürfen! "Vermögende für eine Vermögensabgabe" oder "Vermögende für Vermögenssteuer" und "Initiative vermögender Bürger" heißen entsprechende Organisationen, um nur einige zu nennen.

Fangen die Reichen jetzt wirklich an, ihr soziales Gewissen zu entdecken? Geht unsere Raub- und Raffgesellschaft US-amerikanischen Vorbilds den Bach runter? Mitnichten! Auch soziale Eitelkeit, der Wunsch, etwas Positives in der Welt zurückzulassen oder das Bestreben, sich von anderen Reichen abzugrenzen, sind als erklärende Motive dieses Phänomens zu schwach. Dann hätte es die Spendierfreudigkeit dieses Ausmaßes schon viel früher geben müssen. Gab es aber nicht.

Einmal davon abgesehen, daß die in Rede stehenden Spendenangebote der Reichen immer auf jene abschreibungspflichtigen Summen beschränkt bleiben, die den legalen Erhalt und die fortgesetzten Zuwächse des ursprünglichen Vermögens immer unangreifbarer machen. Die Praxis des Stiftens und Spendens erfährt auf diese Weise lediglich ihren modernen Ausbau und stabilisiert das zukunftssichere Ambiente für die immer gleichen Menschheitsgeißeln Besitz und Reichtum. Und worum geht es sonst noch?

Die Tatsache, daß es weltweit immer mehr Reiche, demzufolge aber auch immer mehr Superarme gibt und kaum mehr eine Mittelschicht, macht sich hinsichtlich der Lebensqualität der Wohlhabenden zunehmend bemerkbar: Weil Begüterte sich in vielen Teilen der Welt nur noch unter größtem Sicherheitsaufgebot bewegen können, macht Reichsein heute nicht mehr so richtig Spaß. Ein Leben zwischen Bodyguards, gepanzerten Limousinen, Bars und Restaurants mit strengster Einlaßkontrolle, Edelboutiquen mit Wachpersonal und in schrankenbewehrten, von Bewaffneten abgeschirmten Wohnbezirken (sogenannten "Gated Communities") ist heute für viele Reiche bereits unerquicklicher Alltag. Da fragen sich manche natürlich: Wie wird das erst morgen aussehen, wenn der größte Teil der Welt den Elendsvierteln von Kalkutta gleicht oder von Mexiko City? Nur einmal mit dem Auto in der falschen Straße steckenbleiben - schon werden Herr oder Frau Mammon von halbverhungerten, wütenden Menschen in Fetzen gerissen.

Das ist es, was hinter der neuen Freigebigkeit unserer lieben Großkapitalisten steckt: Die nackte Angst. Die Horrorvision, trotz allen Zasters wie im Gefängnis leben zu müssen, unter ständiger Bewachung, gefesselt an die Dienstzeiten des Wachpersonals, reglementiert hinsichtlich Aufenthaltsort und -dauer und vor allem hinsichtlich sozialer Kontakte. Mal eben jemanden kennenlernen und ins nächste Café einladen? Viel zu gefährlich. Ein kurzer Plausch mit dem Maronenverkäufer an der Ecke? Undenkbar. Spontan mit Freunden auf dem Rad ins Grüne? Absolut negativ.

Die Arm-Reich-Schere öffnet sich in rasantem Tempo. Die Mittelschicht, die gesellschaftlich bisher den Puffer zwischen Arm und Reich bildete, schwindet. Und mit ihr schwinden die Aussichten der Armen, irgendwann selbst einmal zu den Wohlhabenden zu gehören. Ist die Mittelschicht als perspektivisches Treppchen nach oben erst vollständig weggebrochen, trifft der Reichtum als Synonym materieller Omnipotenz direkt auf die totale Aussichtslosigkeit der Armen. Eine tödliche Begegnung. Demgegenüber tut den heutigen Reichen selbst eine größere Spendentätigkeit oder Vermögenssteuerabgabe nicht weh. Geld, das den Armen die Perspektive erhält, es doch irgendwann, irgendwie einmal nach oben schaffen zu können.

Vielleicht gelingt es Gates, Rockefeller, Hilton und Co. tatsächlich, weltweit die Wohlhabenden davon zu überzeugen, die fehlende Pufferfunktion der Mittelschicht durch freiwillige Abgaben an die Armen zu kompensieren. Dann könnte Reichsein wieder so richtig Spaß machen. Sogar morgen noch.

13. Oktober 2010