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REZENSION/004: Bodo Scheurig - Henning von Tresckow (Militär) (SB)


Bodo Scheurig


Henning von Tresckow



Die Biographie von Bodo Scheurig "Henning von Tresckow. Ein Preuße gegen Hitler" zeichnet den beruflichen Werdegang und die Beweggründe eines Offiziers nach, der einer der Hauptbeteiligten des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 gewesen ist.

Heute scheint Henning von Tresckows fast vergessen. Während zum Gedenken Goerdelers, Stauffenbergs oder auch der Geschwister Scholl wahrscheinlich in jeder Stadt eine Straße benannt ist, taucht sein Name nur selten auf. Nach der Lektüre seiner Biographie stellt sich allerdings die Frage, warum ausgerechnet er so im Schatten der Ereignisse steht, auf die er selbst jahrelang hingearbeitet hat.


Tresckows Weg zum Militär scheint vorgezeichnet. In seiner Ahnenreihe hatten bereits etliche Offiziere den Generalsrang erreicht und so wirkte es nicht verwunderlich, daß der damals erst sechszehnjährige 1917 darauf drängte, im Ersten Weltkrieg zu kämpfen.

1919 gehörte er zu der relativ kleinen Zahl Offiziere, die nach den radikalen Abrüstungsbedingungen des Versailler Vertrags in die Reichswehr übernommen wurden. Als er später den Offiziersberuf an den Nagel hängte, um zu studieren und anschließend in einer Bank und an der Börse zu arbeiten, reagierte seine Umgebung mit Verwunderung.

Einige Jahre später befand er sich gerade auf einer Weltreise, als er erfuhr, daß das Gut seiner Eltern vor dem finanziellen Ruin stand. Mittlerweile hatte er genug verdient, um hier helfen zu können. Kurzerhand brach er die Reise ab und steckte sein Geld in den alten Besitz. Dann verblüffte er seine Mitmenschen noch einmal, als er nach diesem Vorfall die sichere Position im Bankwesen aufgab und sich entschloß, erneut in den Dienst der Reichswehr zu treten; ein Schritt, mit dem sein Werdegang nun endgültig festgelegt schien.

Unabhängig seiner sich wandelnden politischen Überzeugung machte Tresckow eine glänzende Karriere und kämpfte schließlich auch im Zweiten Weltkrieg. Hier erreichte er die Position des Stabschefs der 2. Armee im Rußlandfeldzug und wurde noch 1944, mit 43 Jahren, zu einem der jüngsten Generalmajore des Heeres befördert - zu einer Zeit, als er schon wiederholt Anschläge auf Adolf Hitler vorbereitet hatte, und der große Staatsstreichsplan der organisierten Gegner Hitlers unter seiner Mitwirkung in vollem Gange war.


Bei der Schilderung der Berufswahl Tresckows kommt der Autor scheinbar widerstrebend auf dessen Hinwendung zum Nationalsozialismus zu sprechen. Hier hat er offensichtlich größere Schwierigkeiten als Tresckow selbst, da er einerseits das Bild seines einwandfreien Charakters aufrechterhalten will, doch anderseits erklären muß, wie ein untadeliger Preuße überhaupt auf die Idee kommen konnte, sich nationalsozialistisch zu orientieren. Bei dem Erklärungsversuch stützt sich der Autor auf die gängigen Beschwörungen der Person Adolf Hitlers, in denen dieser zu einem magisch begabten, die Massen in seinen Bann reißenden Dämon stilisiert wird.

Trotz seiner eigenen Ablehnung erweist Bodo Scheurig sich nun allerdings als Historiker genug, um Hitlers Politik einige Argumente zuzubilligen, denen auch ein herausragender Genius wie Tresckow Bedeutung zukommen lassen darf, ohne sich für seine Gesinnung schämen zu müssen. Hier seien in erster Linie die angestrebten sozialen Reformen genannt, die in einem von Arbeitslosigkeit geplagten Land eine Chance des sozialen Ausgleichs versprachen, und daneben der verbreitete Wunsch, die erdrückenden Bedingungen des Versailler Vertrages zu überwinden und Deutschland wieder zu internationalem Ansehen zu verhelfen. In Anbetracht der zerrütteten Republik vertrat Tresckow die Ansicht, daß "der begeisterungsfähige junge Mensch entweder nationalsozialisch oder Kommunist sein (mußte). (S. 48)

Tresckow selbst entschied sich für den Nationalsozialismus.

Wegen der besagten Schwierigkeiten des Autors mit diesem Thema nimmt der Leser in jeder Beziehung mit Erleichterung zur Kenntnis, daß diesem Kapitel die baldige Abwendung Tresckows von Hitler folgt - ein Thema, das dem Autor wesentlich leichter zu fallen scheint.

Er macht hauptsächlich zwei Vorfälle für Tresckows Gesinnungswandel verantwortlich:

1. den angeblichen "Röhm-Putsch" (30. Juni 1934) 2. die Blomberg/Fritsch-Aphäre (Februar 1938)

[Anmerkung: Die Gerüchte um einen Putschversuch des SA-Führers Ernst Röhm nahm Hitler zum Anlaß, die Machtstreitigkeiten um Kompetenzbereiche zwischen der Reichswehrführung und der SA auf radikale Weise zu lösen. Der Wehrmachtsführung wurde der Einfluß der schlagkräftigen SA zu groß und nach Verhandlungen mit Hitler wurde ihre gesamte Führungsspitze erschossen.
Bei der Blomberg-Fritsch-Krise setzt Hitler die beiden Generäle aufgrund hergeholter Gründe ab. Generaloberst Fritsch war zu diesem Zeitpunkt Oberbefehlshaber des Heeres: Ihm wurde durch eine Intrige Homosexualität angedichtet, die als Entlassungsgrund diente. Generalfeldmarschall von Blomberg (seit 1935 Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht) war eine unstandesgemäße Ehe mit einer Prostituierten eingegangen und wurde deshalb entlassen.]

Beides sind Vorfälle, bei denen die Erbarmungslosigkeit deutlich wurde, mit der Hitler sich unliebsamer, ranghoher Personen entledigte, die er nach inszenierter Antipropaganda kurzerhand ihrer Ämter entheben oder umbringen ließ.

Der Autor stellt glaubwürdig dar, daß einen Menschen mit konservativen preußischen Ehrbegriffen und katholischen Wertvorstellungen wie Henning von Tresckow ein solches Vorgehen ganz grundsätzlich abstoßen muß.

Nach diesen beiden einschneidenden Begebenheiten befand sich Henning von Tresckow in der komplizierten Situation, einerseits einen Beruf zu haben, mit dem er seinem Land dienen wollte, doch politisch gesehen von einem Staatsoberhaupt regiert zu werden, mit dessen Gesinnung und Vorgehen er nicht mehr einverstanden war. Als Offizier sah er sich in einer besonderen Verantwortung, und im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit der Wehrmachtsführung galt für ihn diese Verantwortung nicht nur in seinem militärischen Fachbereich, sondern er bezog sie auch auf eine politische Stellungnahme. Folgendes Zitat macht seine Meinung deutlich: "Wir sind subalterne Erfüllungsgehilfen, und zwar im Dienst eines Kapitalverbrechers." (S.153)

Daraus folgte für ihn in seiner Position als Generalstabsoffizier eine moralische Verpflichtung zum Handeln - und zwar gegen seine Regierung.

An dieser Stelle kommt es zu einer Widersprüchlichkeit, die für den heutigen Leser nur schwer nachzuvollziehen ist: der Frage nämlich, wie jemand einerseits erfolgreich und durchaus karriereorientiert eine Offizierslaufbahn beibehalten und an einem Krieg teilnehmen und gleichzeitig die politische Stellungnahme der eigenen Regierung außer acht lassen und diese schließlich sogar massiv bekämpfen kann.

Bodo Scheurig gibt dazu folgende Erklärung, die den Widerspruch auflöst: Henning von Tresckow gelangte sehr früh zu der Erkenntnis, daß nur ein Attentat auf Hitler die Chance auf einen erfolgreichen Staatsstreich garantierte. Und einen Staatsstreich hielt er für das einzig adäquate Mittel, der Regierung Hitlers eine Opposition entgegenzusetzen.

Als Generalstabsoffizier hatte er Einblick in die Mentalität der Soldaten, die sich durch ihren Fahneneid mindestens so stark wie aus echter Begeisterung an die Befehle ihres Obersten Kriegsherrn gebunden sahen. Und einzig die Beseitigung Hitlers würde die unbedingt erforderliche Voraussetzung einer Eidesentbindung der Wehrmacht gewährleisten. Ohne diese Entbindung fehlte der notwendige Rückhalt bei einem Staatsstreich, und damit schien die Gefahr eines Scheiterns sowie das Heraufbeschwören bürgerkriegsähnlicher Zustände zu groß.

Der Zeitpunkt des Attentats mußte also gut gewählt sein. 1941 sah die Lage noch so aus, daß für "Wehrmacht und Volk Hitlers Mythos unangetastet" blieb, solange dieser noch immer militärisch erfolgreich war und "Übergriffe und Verbrechen bisher nur wenige aufgeschreckt (hatten)" (S. 127).

Nach der Kriegserklärung Deutschlands an die USA betrachtete Tresckow den Krieg bereits Ende 1941 als verloren. Das ist bemerkenswert, da auf Regierungsebene fast vier Jahre später, kurz vor der Kapitulation, noch immer der Endsieg propagiert wurde.

Tresckow kämpfte weiter, da er der Überzeugung war, daß er a) in einer guten Position bleiben mußte, um den Überblick zu behalten, den er zur Vorbereitung eines Attentats brauchte und b), weil er für Deutschland nur so lange eine Verhandlungsmöglichkeit mit den Allierten sah, wie die Position des Reichs als Kriegsgegner noch nicht völlig aussichtslos schien. Durch diese Einschätzung der Situation kommt es zu einem Paradox, in dem Tresckow die politische Katastrophe für den geplanten Umsturz des nationalsozialistischen Regimes erahnte: Solange Hitler einen erfolgreichen Krieg führt, hat das Deutsche Reich den Alliierten Kriegsparteien gegenüber einen guten Verhandlungsstand; es kann etwas in die Waagschale werfen und als gleichwertiger Machtfaktor für einen Friedensschluß eintreten. Im Unterschied dazu bleibt einem militärisch sehr geschwächten oder bereits geschlagenen Land keine andere Wahl, als den Kriegsgegnern als Bittsteller gegenüberzutreten, was letztlich bedeutet, daß es sich deren Absichten fügen muß. Wie Recht Tresckow mit dieser Einschätzung hatte, sollte sich 1945 in den niederschmetternden Auswirkungen der Forderung nach einer bedingungsloser Kapitulation zeigen.

So bedenklich dies heute klingt, wäre es nach außenpolitischen Gesichtspunkten betrachtet damals das Sinnigste gewesen, Attentat und Staatsstreich auf einen Zeitpunkt zu legen, an dem sich das Deutsche Reich noch auf dem Höhepunkt seiner Siege befand. Zu diesem Zeitpunkt hätte es die beste Verhandlungsposition gehabt.

Gleichzeitig lag dieser theoretischen Möglichkeit ein gewaltiger Nachteil zugrunde: der innenpolitische Faktor. Tresckow sah die Schwierigkeit, daß ein Attentat auf Hitler zur Zeit seiner Siege Gefahr lief, einer Art neuen Dolchstoßlegende Vorschub zu leisten. Damit ist gemeint, daß sich unter der Bevölkerung, vergleichbar mit der Kriegssituation von 1918, die Ansicht durchsetzen könnte, daß eine kleine Anzahl unpatriotischer Verräter einem militärisch erfolgreichen Land im sprichwörtlichen Sinne einen Dolch in den Rücken stößt, indem sein populäres Staatsoberhaupt ermordet und das Land selbst zu voreiligen Friedensverhandlungen getrieben wird. Ginge bei den folgenden Verhandlungen auch nur eine Kleinigkeit schief, hätte dies der potentiellen neuen Regierung nach erfolgreichem Attentat und Staatsstreich den gesamten erforderlichen Rückhalt rauben und wahrscheinlich sogar einen Bürgerkrieg auslösen können.

In Bezug auf das Attentat heißt dies, daß der außenpolitisch geeignetste Zeitpunkt für die innenpolitische Gesamtlage gleichzeitig der ungünstigste war.

Das schreckte Tresckow nicht davon ab, bereits 1942 direkt auf ein Attentat zuzusteuern. Da er Sprengstoff für ein geeignetes Instrument hielt - obwohl dies eigentlich den Normen ritterlichen Denkens alter preußischer Schule widersprach - begann er im Rahmen seiner Generalstabstätigkeit mit verschiedenen Sprengstoffen und Zündern zu experimentieren, um einen zuverlässigen und vor allem auch berechenbaren und flexibel einsetzbaren Stoff zu finden. Um die dringend erforderliche Tarnung aufrechtzuerhalten, sorgte er dafür, daß seine immer neuen Anfragen nach verschiedenen Sprengstoffen bald als eine Art besonderes Forschungsinteresse und persönlicher Spleen angesehen wurden.

Am 13. und am 21. März 1943 fanden unter seiner Planung Attentatsversuche auf Hitler statt, die jedoch beide scheiterten, und denen Hitler ***anscheinend durch puren Zufall entkam. Der Umsturzplan wurde also immer weiter nach hinten verschoben. Die nächsten Monate kämpfte Tresckow in der Sorge darum, ob und wann es noch eine Chance auf einen Anschlag geben würde.

Durch die Absprache zwischen den Alliierten, daß kein Land einen Separatfrieden mit dem Deutschen Reich schließen dürfe, sondern die bedingungslose Kapitulation gefordert wurde, wuchs für die Hitler-Gegner der Druck des schnellen Handelns, da diese Forderung letztlich Hitler in die Hände spielte, indem sie förmlich dazu aufrief, auch noch die letzten Kräfte zu mobilisieren, um der bedingungslosen Kapitulation zu entgehen.

Tresckow saß im Rußlandfeldzug fest und verließ sich auf Claus von Stauffenberg, der in der Heimat die Kontakte zusammenhielt und die Staatsstreichsvorbereitungen vorantrieb. Von diesem Zeitpunkt an waren Tresckow mehr oder weniger die Hände gebunden, da nur jemand in unmittelbarer Nähe Hitlers das Attentat ausführen konnte. Er selbst kam dafür nicht in Frage.

Über die letzen Einzelheiten sowie den Abschluß der Planungen, die erst im Juli 1944 zum letzten Attentatsversuch auf Adolf Hitler führten, war Tresckow schon nicht mehr vollständig informiert. So traf ihn die Nachricht unvorbereitet, daß am 20. Juli die Bombe, auf deren Einsatz er so lange hingearbeitet hatte, zwar wirklich detonierte, doch Hitler dabei nicht getötet worden war. Da er wußte, daß sein Name schon bei oberflächlichen Untersuchungen der Geheimen Staatspolizei fallen würde, und er selbst die meisten der Hauptverantwortlichen namentlich kannte, blieben ihm seiner Ansicht nach nur zwei Möglichkeiten: Das Überlaufen in die Sowjetunion oder der Selbstmord. Henning von Tresckow wählte den Tod. Am 21. Juli 1944 entfernte er sich von der Truppe, täuschte ein Gefecht vor und hielt sich eine entsicherte Gewehrsprenggranate an die Schläfe, die ihn schnell tötete.



Kurzer Kommentar zum Abschluß:

Beim Lesen habe ich, besonders bei den Charakterbeschreibungen Tresckows, wiederholt einen Blick in die zahlreichen Anmerkungen Herrn Scheurigs geworfen und dabei fiel mir auf, wie häufig er aus dem Buch Fabian von Schlabrendorffs "Offiziere gegen Hitler" (Zürich/Wien/Konstanz 1946) zitiert.

Fabian von Schlabrendorff war der Adjutant Henning von Tresckows und die blumigen Kommentare aus seiner Feder, mit denen er nicht nur Tresckow, sondern auch die anderen hauptbeteiligten Verschwörer, namentlich General von Beck und Friedrich Goerdeler bedenkt, erwecken bei mir im Gegensatz zu nüchterneren Darstellungen anderer Autoren den Eindruck, als sei Herr Scheurig hier den verklärenden Anekdoten eines Offiziers aufgesessen, dessen erzählerisches Engagement sich möglicherweise zu einem großen Teil darauf gründet, sich selbst zu den hingerichteten oder in den Selbstmord getriebenen Hitler-Gegnern in ein gutes Verhältnis zu rücken.

Meiner Ansicht nach tut Bodo Scheurig sich mit dieser Zitatanhäufung keinen Gefallen, da das allzu Glatte und Schillernde darin eher die Skepsis anregt, als etwa die Hochachtung zu wecken, die er beabsichtigt. Aufs Ganze gesehen stiften die häufigen Schlabrendorff-Zitate also zunehmend die Vorbehalte Scheurigs eigenen Ausführungen gegenüber, als diese positiv zu bestärken. Plötzlich frage ich mich bei jedem Satz, den ich über Tresckow gelesen habe, ob er der gleichen Motivation der Verklärung entspringt, und diese Vorstellung verleidet mir das ganze Buch, obgleich mir doch die Achtung für einen Offizier, der bereit war, sein Leben bei einem Attentat einzusetzen, auch ohne die allzu massive Beweihräucherung zutiefst verständlich ist.


Bodo Scheurig
Henning von Tresckow
Ein Preuße gegen Hitler
Biographie
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 1997
(auf der Grundlage der überarbeiten Neuausgabe von 1987)
287 Seiten
ISBN 3 548 35653 2