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VERLAG/164: Argentinien - "Lesen rettet dich". Die Verlagskooperative Eloisa Cartonera aus Buenos Aires (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Argentinien - Fokus: SDGs (Nachhaltigkeitsziele)

"Lesen rettet dich": Die Verlagskooperative Eloisa Cartonera aus Buenos Aires



Foto: © Tobias Mönch

Büchertisch mit individuellen, kunterbunten Büchern
Foto: © Tobias Mönch

(Berlin, 30. März 2019, npl) - Aus Altpapier, das auf Argentiniens Straßen gesammelt wird, neue Bücher herstellen: Das ist die Idee der Verlagskooperative Eloisa Cartonera aus Buenos Aires. Was ein Bucheinband aus Karton mit menschenwürdiger Arbeit zu tun hat und wie es gelingt auch noch nachhaltig zu wirtschaften, haben wir von zwei Mitarbeiter*innen der Kooperative erfahren. Die beiden Schriftsteller*innen Maria Gomez und Washington Cucurto waren Ende Februar in Berlin zu Gast und haben im Iberoamerikanischen Institut ihre Arbeit vorgestellt. Ein paar ihrer Bücher hatten sie natürlich auch mit dabei. Gomez und Cucurto sind zwei von fünf Mitgliedern der Verlags-Kooperative. Mit der Gründung von Eloisa Cartonera im Jahr 2003 haben Washington Cucurto und Javier Barilaro ein neues literarisches Genre geschaffen: die Cartonera-Literatur. Die Kooperative hat den Anspruch nachhaltig zu wirtschaften und gleichzeitig einen demokratischen Zugang zur Literatur und damit auch zur Bildung herzustellen. Seither kauft der Verlag Eloisa Cartonera den Karton für die Bucheinbände von Cartoneros. Das sind Menschen, die in Armut leben und Karton und Altpapier sammeln, um dieses dann für etwas Geld zu verkaufen.


Die Krise als Motor der Zusammenarbeit

"Es gibt in Argentinien keine Mülltrennung wie in europäischen Ländern, bzw. fängt das gerade erst an. Ansonsten wird nicht recycelt. Der gesamte Müll wird verbrannt", erklärt uns Maria Gomez. Nach der argentinischen Krise im Jahr 2001 haben die Cartoneros angefangen, einen Großteil der Arbeit der Mülltrennung zu übernehmen, die der Staat nicht leistet. Das Sammeln von Karton, so Gomez, sei also eigentlich eine gesellschaftliche Aufgabe im Dienste der Allgemeinheit. Cartoneros gibt es nicht nur in Argentinien, sondern in den meisten Ländern Lateinamerikas. In Buenos Aires und Umgebung haben sich die Cartoneros 2003/2004 in Kooperativen zusammengeschlossen. Zu dieser Zeit entdeckten Gomez, Cucurto und die übrigen Mitglieder von Eloisa Cartonera das vielfältige Potenzial der Arbeit der Cartoneros. "Es gab dann auch eine stärkere Zusammenarbeit zwischen dem Staat und diesem ökonomischen Sektor. Parallel dazu gab es Neugründungen oder wieder eröffneten Firmen, die begannen, in diesem Bereich zu arbeiten. So auch unser Verlag Eloisa Cartonera."


Handgemacht, billig und beliebt

Foto: © Tobias Mönch

Maria Gomez und Washington Cucurto in Berlin
Foto: © Tobias Mönch

"Leer te salva" - Lesen rettet dich. Das steht auf dem Werbeplakat von Eloisa Cartonera [1]. Der Verlag kauft den Karton der Cartoneros für etwa drei Peso (ca. 6 Cent) pro Kiste, die ungefähr so groß ist wie ein Schuhkarton. Nachdem das Material auf das passende Format, etwas größer als DIN A5 geschnitten wurde, wird es als Bucheinband mit Hilfe von Pinseln, Schablonen und Sprühdosen bemalt. Am Ende wird ein Heft aus fotokopierten Seiten mit einem Tacker darin befestigt. Fertig sind die Bücher, von denen jedes ein Einzelstück ist. "Sie sind somit komplett handgemacht, billig und sehr beliebt", erzählt uns Washington Cucurto. Das unterscheide die Bücher von denen eines herkömmlichen Verlages. Es gibt auch keine ISBN Nummer. Für dieses spezielle Format der Bücher hat die Verlagskooperative eine eigene Veröffentlichungserlaubnis. Eloisa Cartonera unterschreibt keine Verträge mit den meist aus Argentinien stammenden Autor*innen. Sie haben lediglich die Erlaubnis, die Texte zu verbreiten. Cucurto erklärt weiter: "An unseren Arbeitstagen verkaufen wir sie auf kleinen Büchermärkten und in unserem Laden in der Avenida Corrientes direkt im Stadtzentrum. Auch auf Demonstrationen oder wenn wir irgendwo eingeladen werden und verreisen. Dann suchen wir einen Stapel Bücher zusammen, die den Leuten gefallen könnten."


Wie eine kleine Familie

So war es auch am Abend des 26. Februar im Iberoamerikanischen Institut in Berlin. Nach dem Gespräch mit dem deutschen Schriftsteller Timo Berger verkauften sie noch ein paar ihrer individuellen, kunterbunten Bücher. Mittlerweile gibt es etwa 300 verschiedene Cartonero-Verlage in ganz Lateinamerika. Sie alle haben eine eigene Arbeitsweise und ein spezifisches Design. Was sie vereint ist der Wunsch, den Menschen Literatur leichter zugänglich zu machen, also vor allem zu einem niedrigen Preis anbieten zu können. Darüber hinaus sollen öffentliche Diskurse um weitere Perspektiven bereichert werden, die die Ränder der Gesellschaft mit einbeziehen und ihnen eine Stimme geben. So werden hybride Identitäten, indigene Stimmen, junge oder unbekannte Autor*innen sowie verschiedenste Textgattungen präsentiert. Die Arbeitsabläufe in der Kooperative Eloisa Cartonera beschreibt Maria Gomez, die wie Cucurto selbst auch Schriftstellerin ist, als eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe: "Wir haben immer wieder neue Ideen und sprechen zusammen darüber und dann sehen wir, was wir damit machen. Manchmal klappt es besser, manchmal verläuft etwas im Sand." Für Washington Cucurto ist das wichtigste bei der vielfältigen Arbeit der Kooperative, die Bücher herzustellen und zu verteilen. Auch der Kontakt zu den Autor*innen und der Leserschaft sei ihm sehr wichtig. Im Zuge unseres Interviews wird die enge Freundschaft unter den Mitarbeiter*innen spürbar. "Wir kennen uns alle nun schon viele Jahre und sind zusammen wie eine kleine Familie."


Keine Frage der Priorität, sondern ...

Am Ende unseres Interviews kommen wir noch auf die Möglichkeiten und Grenzen von Umweltschutz zu sprechen. Maria Gomez erläutert ihre Sicht auf die Zusammenhänge zwischen finanziellen Mitteln und Nachhaltigkeit in Europa und Lateinamerika wie folgt: "Ich weiß dass es hier ein ausgefeiltes System der Mülltrennung und auch Geldstrafen bei Vergehen und so etwas gibt. Aber in Argentinien ist dieses Thema den Menschen einfach viel fremder, sie arbeiten viel mehr Stunden und verdienen weniger Geld. Es gibt andere Prioritäten. Ich meine, die Umwelt ist ja eigentlich gar keine Frage der Priorität, denn am Ende sterben wir alle. Aber ich sage mal unmittelbar haben die meisten Leute dort andere Notwendigkeiten."

In der Bibliothek des Iberoamerikanischen Instituts in Berlin können heute bereits um die 500 Bücher von lateinamerikanischen Cartonero-Verlagen entliehen werden. Eine ausführliche Bibliographie zum Thema ist hier [2] zu finden. Über Neuerscheinungen von Eloisa Cartonera informiert die Kooperative auf Facebook [3] und ihrer Internetseite [4].


Anmerkungen:
[1] http://www.eloisacartonera.com.ar/
[2] https://www.iai.spk-berlin.de/fileadmin/dokumentenbibliothek/Ibero-Bibliographien/Ibero_Bibliographien_08.pdf
[3] https://www.facebook.com/eloisacartoneraok/
[4] http://www.eloisacartonera.com.ar/

Zu diesem Beitrag gibt es ein Audio:
https://www.npla.de/podcast/lesen-rettet-dich-der-verlag-eloisa-cartonera-aus-buenos-aires/


URL des Artikels:
https://www.npla.de/poonal/lesen-rettet-dich-die-verlagskooperative-eloisa-cartonera-aus-buenos-aires/


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https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

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Quelle:
poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
Herausgeber: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V.
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Telefon: 030/789 913 61
E-Mail: poonal@npla.de
Internet: http://www.npla.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2019

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