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REZENSION/005: Arthur Rimbaud - Das Trunkene Schiff (Lyrik) (SB)


Arthur Rimbaud


Das Trunkene Schiff

Gedichte gelesen von Jens Harzer



Rimbaud ist einer jener Dichter, die Berühmtheit erlangt haben, weil sie sich vortrefflich für jede Art von Projektion eignen. Wer sich als Rebell gegen das herrschende Spießertum wähnt, eine Sprache liebt, die durch deutliche und vulgäre Wortwahl vor den Kopf stößt oder durch ihre persönlichen Metaphern Rätsel aufgibt, kann sich hier genausogut finden wie der satt-überreizte Zeitgenosse, der sich fern der üblicherweise einzuschlagenden Wege einmal kurz und heftig in die Büsche schlagen möchte. Der gutgestellte Bürger wie Konsument kokettiert gern mit dem Verruchten, Elenden und Verzweifelten, einem Schicksal, das man nicht teilen muß und aus der Entfernung romantisch zu stilisieren vermag. Natürlich kann man sich auch befremdet abwenden. Mit dem Dichter selbst hat das allerdings wenig zu tun.

Entgegen dem Ruch, der Rimbaud anhaftet, beherrscht er ein ganzes Spektrum und hätte ein gesellschaftskritischer Dichter sein können, der zum einen sein Handwerk versteht und zum anderen keine Angst davor hat, sich auf unsicheren Pfaden zu bewegen und nur recht oder schlecht durchzuschlagen. Entschieden hat er sich jedoch anders. Weder ist er so radikal geblieben, wie er zur Zeit der Pariser Commune und ihres blutigen Endes war, noch hat er sein hochtrabendes Projekt des Dichters als Seher und Vermittler von mit gewohnten Sinnen unzugänglichen Wahrheiten in einer noch zu entwickelnden Sprache wirklich in Angriff genommen. Er ist bei Ansätzen geblieben und hat sich statt dessen in einer privaten und selbstbezogenen Verzweiflung verloren, die das Publikum um so mehr anzieht, weil man sich mit dieser Form der Dichtung nicht weiter auseinandersetzen muß, die man allzugern als Genie oder Wahn abqualifiziert. Sie ist ideal als Projektionsfläche für alles und jeden, ob in zustimmender oder ablehnender Weise.

Trotzdem lohnt sich ein genauerer Blick, und selbst die deutschen Übertragungen könnten diesen ermöglichen. Das vorliegende Hörbuch hingegen ist für diesen Zweck ungeeignet. Schon das Fazit des Zeit- Rezensenten ist verräterisch: "Das Hörbuch wird zum Kultobjekt, man muss nicht alles verstehen, sondern das Unbedingte des Tones hören, das Dringende der Träume. 'Wir liebten die Gefahr, den Sturm, die Katastrophe - wenigstens im Gedicht', bekannte Klaus Mann zu Rimbaud."

Der Dichter hat viele Emotionen ausgelöst, die sich zwischen Abscheu, Kopfschütteln und uneingeschränkter Begeisterung bis Bewunderung bewegen - der leierkastenartig-mäandernde Vortrag Jens Harzers trifft keine davon, sondern erinnert an einen braven Oberschüler, dem man gelegentlich empfohlen hat, beim Ablesen die Betonung auch einmal zu wechseln oder mehr Emphase zu zeigen; es fehlt die Interpretation. Wer als Sprecher bei Verzweiflungsschrei wie Kriegserklärung an die Schlächter von Paris 1871

Was ist uns das, mein Herz?
All diese Lachen Blut und Glut
und tausend Morde
und der Seufzerhall der ganzen Hölle,
alle Ordnung stürzend,
und der Wut gedehnter Schrei?
...
Fabrikherrn, Ratsherrn, Fürstenpracht
geht unter!

sinniert wie ein über einer verlorenen Liebe schwermütig Gewordener, löst Befremden aus. Der immer gleiche, raunende Tonfall macht in seiner Mischung aus Nachdenklichkeit, Verwunderung und leichtem Spott alles deutlich, nur nicht den Inhalt, und es wird allzu offensichtlich, daß der Vortragende mit den Gedichten nichts anfangen kann. Das macht es dem Zuhörer ungeheuer schwer zu folgen.

Nicht, daß dem ungeübten Vortragenden aus dem Grund ernsthaft ein Vorwurf zu machen wäre, denn die Gedichte erzählen nicht unbedingt nachvollziehbare Geschichten. Es handelt sich wie so oft um Bruchstück- Kompositionen und Bilder, die man nicht so schnell und leicht einzuordnen vermag wie ein überschaubares Gedicht über Blumen.

"Feste des Hungers", ein Gedicht über blanke Not und Kiesel, die ein Armer statt des Brotes bricht, ist ganz unzweifelhaft kein Spottgedicht, aber so klingt es. Während wiederum "Das verlorene Herz" sehr wohl als Spottgedicht zu verstehen ist und in dem Sinne ganz ausgefahren werden könnte. Da fühlt sich jemand in seinem trauernd- kranken Herzen tief getroffen von zotensingenden, kautabakspuckenden Matrosen - nur zu!

Dieweil sie vor Gelächter schreien
und jede Zote ihnen schmeckt,
am Heck mein trübes Herz muß speien,
mein Herz mit Knaster zugedeckt.

Und auch "Das Trunkene Schiff" entbehrt keinesfalls der Dramatik:

Ich sah, wie's in den Sümpfen, den Riesenreusen, gärte, darin den Leviathan, verwesend zwischen Tang. Und Wasserstürze sah ich, wo sich die Stille mehrt, und schaute, wie die Ferne zur Tiefe niedersank!

In der vorliegenden Aufmachung stellt das Hörbuch einen Anspruch an den Hörer, den selbst der Gutwilligste kaum erfüllen kann. Der Interessierte, der sich nicht so schnell entmutigen läßt, sucht spätestens jetzt nach einer Textvorlage, die es leider nur für das Titelgedicht, 'Das Trunkene Schiff' gibt. Der Desinteressierte legt das Hörbuch einfach weg.

So kann man nur schließen, daß es angebracht gewesen wäre, die vorgetragenen Texte mit mehr Biß zu erarbeiten und dem Zuhörer, der ja den Schauspieler nicht sieht und keine zusätzliche Unterstützung durch optische Eindrücke erhält, mehr entgegenzukommen. Insgesamt fehlt die Auseinandersetzung mit dem Dichter, die das Hörbuch hätte lebendiger werden lassen. Das trifft sich natürlich damit, daß die Gedichte an sich wenig Anhaltspunkte dafür bieten und dies auch von den Hörern in der Regel nicht gewünscht wird, - sie wäre aus Sicht des Verlages also vergebliche Mühe - und so kommt ein Kompromiß dabei heraus, der sich allein auf das Markenzeichen Rimbaud stützt und eine von vornherein sehr kleine Zielgruppe anspricht.

Dennoch lohnt sich ein Blick in das Programm dieses kleinen Verlags - wer sich von Rimbaud enttäuscht fühlt, dem sei zum Beispiel Victor Hugos letzter Tag eines Verurteilten zu empfehlen, eine intensive Auseinandersetzung mit dem Geschick eines zum Tode Verurteilten, die Voyeurismus keinen Raum bietet, sondern ungeteilt zu dem Schluß führt, daß der Mensch den Menschen nicht zu töten hat und daß Schuld nie die Frage des Einzelnen oder eines Bösewichtes ist.


Arthur Rimbaud
Das Trunkene Schiff
Gedichte gelesen von Jens Harzer
NOA NOA Hör-Buchedition
1 CD, ca. 70 Min.
18,90 Euro
ISBN 3-932929-44-6