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REZENSION/014: Sassenberg - Gabriel Burns (Mystery-Hörspielserie) (SB)


Wer verwirrt hier wen?


Gabriel Burns - Der Mystery Thriller geht in die nächste Runde



Wer ist Gabriel Burns? Diese Frage wird nun endlich nach vielen Knoten und Verwirrungen ansatzweise beantwortet - in Folge 23, nicht an dieser Stelle. Soviel sei verraten: Der Namensgeber der Serie, Steven Burns alias Gabriel (oder sollte es umgekehrt sein?) gerät absehbar in den klassischen Konflikt mit seiner dunklen Seite.

Passend zum Mystery-Genre trägt er alle nötigen Merkmale des mysteriösen und tragischen Helden: Durch seine geheimnisvolle Herkunft ist er mit Fähigkeiten ausgestattet, die ihn unfreiwillig in die Lage bringen, an einer Auseinandersetzung teilzunehmen, von der nichts weniger als das Wohl der ganzen Menschheit abhängt. Woher er wirklich kommt, bleibt ihm und dem Hörer über weite Teile der Serie ebenso verborgen wie seine Bestimmung. Etwas Düsteres umgibt ihn. Über Traumsequenzen und Szenen aus Stevens Erinnerung erfährt der Hörer schon zu Beginn von einem traumatischen Ereignis in der Vergangenheit: Im Alter von zehn Jahren hatte er seinen jüngeren Bruder Daniel auf einer Geburtstagsfeier mit einem simplen Trick mittels schwarzem Kasten und Spruch "wegzaubern" wollen, und dieser war danach tatsächlich auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Seitdem von Schuldgefühlen geplagt, erhält Steven immer wieder Hinweise auf Daniels Verbleib, muß aber genauso oft erkennen, daß man ihn in seinen Nachforschungen zu behindern sucht.

Eine finstere und uralte Macht hat sich Zugang zur Welt der Menschen verschafft - zurückgekehrt sei sie, heißt es - und sucht ihre Bewohner den eigenen Interessen gemäß zu verwerten. An zehn "fahlen" Orten will sie ihre Herrschaft errichten. Bald vermutet man zudem, daß es diesen schrecklichen Wesen auch um die Frage nach Unsterblichkeit geht, und immer wieder taucht dabei ein geheimnisvolles Serum auf, das einer Substanz aus der Haut furchtbarer Meeresdämonen ähnelt oder gar aus ihr gewonnen wurde.

Soweit so gut. Nun entspinnt sich allerdings ein wüstes Handlungsgemenge, in dem Elemente und Sequenzen aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammengeführt werden in dem Versuch, ein Maximum an Spannung durch Vielfalt und Verwirrung zu erreichen. Die Gesamtheit der 24 CDs besteht aus einem Konglomerat der verschiedensten Kreaturen, Handlungsverläufe und Bruchstücke, die aus Film und Literatur bekannt sind.

Es existiert! Existiert in euren Träumen, lebt von der Nacht und eurer Furcht. Ihr wißt, wovon ich spreche. Ihr meidet diese Orte, macht Pssst! und seht euch verstohlen um, wenn es jemand wagt, darüber zu sprechen. Würdet um nichts in der Welt um jene Ecke blicken, hinter der es so eigenartig geraschelt hat. War da nicht sogar ein Atmen?

Dieser Vorspann, gesprochen von Hans Paetsch, den die älteren Hörer gewiß noch als Stimme von zahllosen Märchen-Schallplatten kennen, findet sich zu Beginn fast jeder Folge. Eine harmlos-fröhliche Melodie, die eher an einen Kinderfilm erinnert, untermalt diese zusammengesuchten Assoziationen, die ohne eine hohe Bereitschaft des Hörers, diesen herbeizufantasieren, nichtmal einen Anklang von Schauder hervorzurufen vermögen.

Ohne weitere Verbindung zu diesem Einleitungstext folgt das eigentliche Geschehen zunächst mit einer kurzen Episode, die ein Schlaglicht auf einen Teil der Handlung wirft. Als nächstes erklingt eine melancholisch gefärbte, getragene Titelmelodie mit hohem Wiedererkennungswert. Sie ist gut gemacht und erfüllt ihren Zweck. Ohne Bezug auf das Vorherige präsentiert dann der Erzähler, Jürgen Kluckert - eine weitere bekannte Stimme -, ein ambitioniertes Ungetüm mit scheinphilosophischen Inhalten zur Einstimmung:

Was ist das Leben? Es ist das ferne Aufleuchten
der Spiralnebel in der Nacht. Es ist der Hauch
von Tränen im Herbst.
(Teil 17)

oder

Die Vergangenheit ist eine Krankheit.
Nur der Tod kann uns erlösen.
(Teil 23)

Diese zwei Beispiele fassen den mißlungenen Versuch gut zusammen, allein durch den Erzähler eine finstere, bedeutungsschwangere Atmosphäre zu akzentuieren. Gedankliches Nachfassen seitens des Konsumenten dürfte nicht vorgesehen sein. Dieser Umstand mag jedoch indessen auch weit verbreiteten Hörgewohnheiten Rechnung tragen.

Abgerissene Handlungsfäden und durch akustische Schreckgetöse wachgerufene neue Ereignisketten ergeben einen fast vorhersagbaren Rhythmus nicht immer verknüpfbarer Inszenierungen lautstarker Bilder. Der Gesamtverlauf der vermutlich als Geschichte gedachten, teils jedoch aus hergeholten Erzählsegmenten zusammengefügten Momente hinterläßt aber eher den Eindruck gebrochener Brücken. Folgen kann der aufmerksame Hörer dem lärmenden Geschehen und es gleichsam ertragen zumeist nur dann, wenn er es versteht, sich zur selben Zeit extrem seiner eigenen Wahrnehmung zu entziehen.

Der Hörer hat es gesamtgesehen bei den Personen weniger mit nachvollziehbaren Charakteren als mit Trägern bestimmter Merkmale und Klischees zu tun, die für den Handlungsverlauf bestimmte Funktionen erfüllen, eine abgesteckte Rolle wie in einem Rollenspiel einnehmen. Sie entwickeln sich über die Hörspielfolgen nicht weiter, verarbeiten keine Erkenntnisse oder ziehen Schlüsse, sondern sind und bleiben eine festgelegte Spielfigur. Dadurch haben sie zwar einen gewissen Wiedererkennungswert, bleiben aber nichts als Stichwortgeber für akustisch effektvoll untermalte, teils hautnah brutale Mystery-Episoden, die kaum etwas auslassen: seien es die "Grauen Engel" - alptraumhafte, an Vampire erinnernde Urwesen, die durch nächtliche Straßen ziehen und die Menschen in Angst und Schrecken versetzen -, semiorganische Würmer, die sich übers Ohr ihren Zugang ins Menscheninnere verschaffen ("Experiment Stille", Teil 3) - wie man sie aus unzähligen Alien-Filmen kennt -, Meeresdämonen mit Wolfskopf und Schlangenkörper aus der indianischen Mythologie oder der als ihre Urmutter fungierende "Leviathan", der aus dem Buch "Hiob" stammt.

Paläontologische Züge nimmt das Ganze an, als es wenig später um die Riesenammoniten geht, die jedoch, da dies als Spannungselement offenbar nicht ausreicht, nicht organischen Ursprungs sind und zunächst an ein havariertes Raumschiff denken lassen. Ganz falsch! Sie dienen als Brutstätte für unter anderem tausende angriffslustiger Skorpionwesen, die mit Babygeschrei Menschen anlocken und auffressen. Natürlich dürfen bei diesen genreübergreifenden Versatzstücken auch die Klonexperimente nicht fehlen: Eine Figur namens Luther Niles taucht an allen bedeutenden Orten auf, geht über Leichen, verfolgt abstruse Ziele und ist auch dadurch, daß man ihn tötet, nicht wirklich zu zerstören, da er mehrfach vorhanden ist. Methanatmer hingegen, wie sie hier eine uralte Macht darstellen, mögen manchem Science-Fiction-Fan bekannt sein; eine Anleihe an Zombie-Geschichten findet man in "Nebelsee" (Teil 8), in dem Untote Lebende in ihr nasses Grab locken. Kleinkinder ziehen das Böse an, weil sie "nach Leben riechen", wobei die Autoren im nebenherein die rumänischen Kinderheime, die zeitweilig für Schlagzeilen sorgten, mit in die Handlung eingeflochten haben. Auch der vietnamesische Urwald, durch das Böse entartet, und der Kongo nebst der von der bösen Seite verursachten Seuche (s.o.), fiesen Rebellen, selbstloser Hilfsorganisation, ehrenwerten UNO-Soldaten mit Klarblick und undurchsichtigem, schamanistischem Heiler fehlen nicht.

Nicht selten entsteht bei diesem Durcheinander der Eindruck, die Autoren hätten sich in dem einen oder anderen Handlungsstrang so verlaufen, daß sie diesen wieder aufgeben oder schnell umdefinieren mußten. Dies soll hier nur an der Hauptperson Steven Burns knapp skizziert werden: Er erscheint zunächst als melancholische Gestalt, die aufgrund vergangener Geschehnisse mit Vorliebe düsteren Gedanken nachhängt und zu Unzuverlässigkeit neigt. Bakerman, ein Mann mit weitgehenden Befugnissen, rekrutiert ihn seltsamerweise für mysteriöse Aufträge. Schon in der ersten Folge läßt Steven unwillkürlich einen Grauen Engel verschwinden; später wird klar, daß dies nicht zum ersten Mal geschieht, und mit dem letzten verschwindet er selbst für einige Zeit. Bakerman berichtet Steven aus der Vergangenheit, von Ereignissen im Gefängnis "The Butchers" vor 30 Jahren: Eine geheimnisvolle Seuche brach aus, Menschen schlachteten sich gegenseitig ab. Hier schickte Steven, der als Zweijähriger dort aufgefunden wurde, seinen ersten Grauen Engel ins Nichts, war aber in Bakermans Augen auch der Überträger der Seuche.

Im Wechsel erscheint der Held durch seine "Gabe", die eigentlich nicht weiter definiert wird, als Hoffnungsträger für die Sache der Menschen und als Kuckucksei. Schließlich erfährt er durch eine mediale Rückführung, daß er nie geboren wurde. Die Zauberer als Gegenmacht kommen ins Spiel, und man vermutet sogleich, Steven sei irgendwie einer von ihnen. Der "Flüsterer", der Steven sein ganzes Leben über begleitet hat, erklärt ihm, er habe ihn auf diese Seite gebracht und sein Leben dafür gegeben. Ob diese unsichtbare Gestalt zur dunklen Macht gehört oder gar ein Zauberer ist und wie er wirklich zu Steven steht, bleibt unklar. Steven bildet das Portal, das den Fahlen den Übergang in unsere Welt ermöglicht oder den Weg auch verschließt. Mit Teil 23 haben die Produzenten sich entschieden oder auch nicht...

Der Zwiespalt geht weiter, Steven, der auf die andere Seite geraten ist, entzieht sich zunächst durch die Flucht. Zurückgekehrt informiert er Larry ohne weitere Erklärung: "Es hat angefangen." Darüber hinaus hat er auf einmal zusätzliche Fähigkeiten, die er kalt und gezielt gegen Bösewichte einsetzt und steuert unweigerlich auf die Konfrontation seiner bösen mit seiner guten Seite zu.

Markante Merkmale der Serie um Steven Burns sind die detailreiche akustische Ausgestaltung, die schon einen ziemlich überwältigenden Effekt haben kann, und die Fülle von Assoziationen, die sie durch die Vielzahl der dem Hörer vertrauten Genreelemente zu wecken versteht. Ohne den ganzen technischen Aufwand würde sich jedoch auch schnell herausstellen, wie ziellos die Geschichte in verschiedene Richtungen steuert. Die Hörspiele leben nicht von neuen Ideen und nicht von einer packend erzählten Geschichte, die Raum für eigene Fantasien läßt, sondern davon, daß sie den Erwartungen der Zielgruppe entsprechen. Dadurch, daß sie eine Menge an Vorstellungen, Konzepten und Elementen aus den unterschiedlichsten Genres vereinen, dürften sie einen recht großen Hörerkreis versammeln. Wenn dies allerdings, wie durch Auszeichnungen dokumentiert, die Spitze der aktuellen Hörspielkunst sein soll, was steht dann für die anderen Produktionen sowie die Jury zu befürchten?

Gabriel Burns Teil 23: Bereit.
CD, ca. 57 Min.
Gabriel Burns Teil 24: Der erste der zehn.
CD, ca. 50 Min.
Drehbuch: Andreas Gloge und Decision Products
Regie: Volker Sassenberg
Musik von Matthias Günthert und Volker Sassenberg
produziert von Volker Sassenberg für Decision Products
und Starbugs/Universal Strategic Marketing
Family Entertainment, Universal Music GmbH, Berlin 2007
23: ISBN 978-3-8291-1931-3
24: ISBN 978-3-8291-1933-7
Die Folgen 1-22 sind auf CD und MC erschienen.
Teil 1 "Die Grauen Engel" gibt es auch als Buch,
Teil 2 "Die Verehrung" erscheint im Sommer.
www.gabriel-burns.de


7. Mai 2007