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REZENSION/015: Karl May - Durch die Wüste (Reiseerzählung) (SB)


Karl May


Durch die Wüste

Gesammelte Werke Band 1

Hörbuch auf CD im MP3-Format


Wäre Karl May noch am Leben, so hätte er seine Freude an diesem Verlag, der sein Werk mit immer neuen Ideen und Aktivitäten unermüdlich lebendig erhält. Nach dem Mammutprojekt der Tageschronik, deren Autoren sich mit großer Hingabe bemüht haben, einem jeden einzelnen Tag im Leben Karl Mays (25.2.1842 - 30.3.1912) nachzuspüren und diesen zu dokumentieren, ist das neue Vorhaben, das gesammelte Werk des Schriftstellers als Hörbücher im MP3-Format auf CD herauszubringen, ein weiterer und zeitgemäßer Schritt, um Mays Werk den Lesern oder auch den Nicht-mehr-Lesern nahezubringen. Drei Bände sind bereits erschienen. Neben dem vorliegenden Band 1, "Durch die Wüste", gelesen von Peter Sodann, sind Band 7, "Winnetou 1", und Band 35, "Unter Geiern", beide gelesen von Heiko Grauel, herausgekommen. Mit diesen zu beginnen, ist eine gute Wahl, führen sie doch gleich mitten die abenteuerliche Welt Karl Mays, die von der Ferne träumen und den Alltag vergessen läßt. Hier gelten noch das Wort und die Treue, und der Freund steht dem Freunde zur Seite, ohne abzuwägen.

In der Beschreibung der Menschen, denen er in seinen Erzählungen begegnet - er spricht immer in der Ich-Form -, geht der Autor nie auf Abstand, gerade, wenn er ein wenig boshaft karikiert. Gern nimmt er mit spitzer Feder den Typus des bornierten und opportunistischen kleinen Staatsdieners auf's Korn, unter dem er selbst wohl in seiner sächsischen Heimat zur Genüge gelitten hat. Auf der anderen Seite stehen gradlinige Menschen jedweder Herkunft und liebenswürdige Originale, die man - wie der Erzähler, mit dem man sich ohne Mühe identifiziert - mit ihren Eigenheiten sogleich ins Herz schließt. Wir begegnen neben dem einen oder anderen Deutschen, den es in die Gegend verschlagen hat und der muntere Lieder trällert, unter anderem Sir David Lindsay, einem englischen Weltenbummler, der den Autoren noch Jahre durch sein Werk begleiten soll.

Mays landeskundliche Beschreibungen, die er häufig mit sehr persönlichen Assoziationen verknüpft, versetzen den Leser bzw. Hörer gekonnt an Ort und Stelle. Das heißt, daß er es vermag, aus den Quellen, die er selbst zur Verfügung hat, seiner Vorstellungskraft sowie seinen eigenen Erlebnissen ein lebendiges Bild der Örtlichkeiten und der dort lebenden Menschen zu erschaffen. Er klingt dabei so informiert und mag in seinen Beschreibungen des Orients so sehr den Vorstellungen der Leser seiner Zeit entsprochen haben, daß er durchaus als Kenner des Orients rezipiert wurde. Zu seinem Ruf als gewandtem Weltreisenden haben neben den entsprechenden Versicherungen und Volten von Verlagsseite auch seine eigenen Stellungnahmen beigetragen, die wie seine Erzählungen ein Produkt seiner Fabulierkunst sind.

1879 - der Autor arbeitet nach längerer Redakteurstätigkeit bereits als freier Schriftsteller - erhält Karl May ein Angebot des Regensburger Verlegers des katholischen Familienblattes "Deutscher Hausschatz in Wort und Bild". Dieser verspricht, alle künftigen Manuskripte zu übernehmen, unverändert zu veröffentlichen und sofort nach Posteingang zu bezahlen. May greift zu. Bei "Durch die Wüste" handelt es sich um den ersten Band seines heute sechs Bände umfassenden Balkan- und Orientzyklus, der nach anderen Veröffentlichungen in den Jahren 1881 bis 1888 als Fortsetzungsgeschichte im Deutschen Hausschatz erschienen ist. Die ersten Teile trugen dort noch den türkischen Titel Giölgeda Padishanün ("Im Schatten des Großherrn"), heute liegt dieser Zyklus, der auch schon zu Mays Zeiten in Buchform erschien, als Band 1-6 der Gesammelten Werke vor. Nicht zuletzt aufgrund seiner Geldsorgen arbeitet Karl May mit ungeheurem Fleiß, der "Hausschatz" verdankt seinen Erfolg zu nicht geringem Teil Mays packenden Reiseerzählungen. Diesen Gewaltmarsch durch die Seiten merkt man der heutigen, von Karl May überarbeiteten und von Verlagsseite redigierten Fassung nicht mehr an, die Originalfassung jedoch, die in Teilen erschien und unter großem Arbeitsdruck geschrieben wurde, weist so manchen Bruch und Widersprüchlichkeiten auf.

Das Hörbuch "Durch die Wüste" entspricht Band 1 der Gesammelten Werke; Band 2, "Durchs wilde Kurdistan", und Band 3, "Von Bagdad nach Stambul", erscheinen neben weiteren Bänden in Kürze bzw. im Dezember. Das Buch hat zwanzig Kapitel, die CD entsprechend 20 Tracks. Jedes wird mit ein paar Takten orientalischer Musik und einigen Geräuschen eingeleitet. Die Gesamtlänge ist nicht angegeben, die einzelnen Tracks haben je nach Kapitelumfang eine Länge zwischen schätzungsweise 25 und 50 Minuten.

Dem Vorleser Peter Sodann merkt man ein wenig den Sachsen an und denkt sogleich: Das paßt. Trotzdem ist es nicht ganz Karl May, den man meint sprechen zu hören, Sodann spricht zurückhaltender und ruhiger, als es wohl der Autor selbst getan hätte. Zuweilen entsteht der Eindruck, er ließe sich nicht genug Zeit, das Geschehen und die dazugehörige Dramatik wirklich vor seinen Augen entstehen zu lassen. Er bleibt der Vorleser. Dennoch hört man ihm gerne zu.

Wir belauschen zunächst ein Gespräch, das uns sogleich die beiden Hauptpersonen und ihr Verhältnis zueinander lebendig vor Augen rückt. Mit diesem Bekehrungsversuch des wackeren Hadschi Halef Omar Ibn Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah entrollt sich ein fast endloses Reiseabenteuer, das ihn und seinen Herrn und späteren Freund Kara Ben Nemsi - 'Kara, Sohn der Deutschen', Karl Mays alter ego - quer durch den Orient, das bereits im Niedergang befindliche Osmanische Reich der 1870er Jahre, führt. Zu dieser Zeit umfaßt es noch immer weite Gebiete des östlichen und südlichen Mittelmeerraums.

"Und es ist wirklich wahr, Sihdi [1], daß du ein Giaur bleiben willst, ein Ungläubiger, der verächtlicher ist als ein Hund und widerlicher als eine Ratte, die nur Verfaultes frißt?" - "Ja." - "Sihdi, ich hasse die Ungläubigen und gönne es ihnen, daß sie nach ihrem Tod in die Dschehenna kommen, wo der Teufel wohnt. Dich aber möchte ich retten vor dem ewigen Verderben, das dich ereilen wird, wenn du dich nicht zum Ikrâr bi'l-lisân, zum heiligen Zeugnis bekennst. Du bist so gut, so ganz anders als andre Herren, denen ich gedient habe und deshalb werde ich dich bekehren, du magst wollen oder nicht." So sprach Halef, mein Diener und Wegweiser,...*
[1] Herr

Kurz darauf finden die beiden die Leiche eines ermordeten Franzosen in der Wüste, stellen die Mörder, lassen sie aber laufen, nachdem sie ihnen dessen Habseligkeiten abgenommen haben. Mit den Bösewichten haben Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, der erst im Lauf der weiteren Geschichte ein wahrer Hadschi wird (ein Hadschi ist, wer die Pilgerfahrt nach Mekka vollbracht hat), weiter zu tun; Aufklärung zu dem Getöteten erfolgt erst weit später, zumindest nicht in diesem Band. Wir lernen die tückischen Sandseen kennen, ihr Führer wird ermordet, und der Mörder erweist sich als Schützling des örtlichen Wekils, der die Reisenden sogleich gefangensetzt. Rettung bringt dessen handfeste Ehefrau. Nachdem in Ägypten eine entführte Schöne aus den Händen eines Wüstlings befreit ist, reist man weiter zum Roten Meer, wird von Piraten überfallen und gefangen, entkommt schließlich durch eine List von Halef und trifft bei Dschidda auf eine Gruppe von Bedouinen, deren Stamm durch mißliche Umstände gezwungen war, sie auszustoßen. Kara Ben Nemsi reitet als Ungläubiger nach Mekka und wird erkannt, bei Halef gilt er fortan als bekehrt - der Autor läßt ihm erst einmal lieber diesen Glauben. In Maskat trifft Kara Ben Nemsi, der ohne Halef unterwegs ist, auf Sir David Lindsay, der unbedingt Altertümer ausgraben will und schließt sich ihm an.

Ich blickte auf und sah vor mir einen Mann, der einer längeren Betrachtung würdig war:
Ein hoher, grauer Zylinderhut saß auf einem dünnen, langen Kopf, der in bezug auf Haarwuchs beinahe eine Wüste war. Ein unendlich breiter, dünnlippiger Mund legte sich einer Nase in den Weg, die zwar scharf und lang genug war, aber dennoch die Absicht verriet, sich bis hinab zum Kinn zu verlängern. Der bloße, dürre Hals ragte aus einem breiten, umgelegten, tadellos geplätteten Hemdkragen. Dann folgten ein graukarierter Schlips, eine graukarierte Weste, ein graukarierter Rock und graukarierte Beinkleider, ebensolche Gamaschen und staubgraue Stiefel. In der Rechten trug der graukarierte Mann ein Ding, das einer Verwalterhacke sehr ähnlich war, und in der Linken eine doppelläufige Pistole. Aus der äußeren Brusttasche guckte ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt neugierig hervor.*

Natürlich beginnt hier nach einer kurzen Zeit der Ruhe das nächste Abenteuer, in dem sie als Freunde der Schammar eine Schlacht zwischen verfeindeten Bedouinen maßgeblich bestreiten, eine Intrige des örtlichen türkischen Pascha, dessen Macht bis in die Kurdengebiete reicht, aufdecken und damit zunächst den als Teufelsanbeter verleumdeten Jesidi und dann den Kurden zu Hilfe eilen. Getreu seines Prinzips, den Schwachen und Unterdrückten zu helfen, kommen hier bei Karl May die Türken als die herrschende Klasse nicht gerade gut weg und stellen sich - besonders wenn es sich um Staatsdiener handelt - als überheblich, dumm, aber verschlagen und ehrlos dar.

Kara Ben Nemsi, der über einen Schutzpaß des türkischen Großherrn verfügt, gelingt es, das Vertrauen des örtlichen Statthalters zu gewinnen, der ihm dann auch sogleich verrät, wes Geistes Kind er ist:

Wenn er gewußt hätte, was ich ihm verschwieg!
"Sind die Schammar so schlimm, Exzellenz?" fragte ich ihn. "Sie sind ein freches, räuberisches Gesindel, das ich zu Paaren treiben werde. Sie zahlen weder Steuern noch Abgaben, und ich habe bereits begonnen, sie zu vernichten." - "Du hast deine Truppen gegen sie gesandt?" - "Nein. Die Arnauten sind zu bessern Dingen zu gebrauchen."
Diese 'bessern Dinge' waren leicht zu erraten: Ausrauben der Untertanen, um den Pascha zu bereichern.
"Ah! Ich errate!" - "Was errätst du?" - "Ein kluger Herrscher schont die Seinen und schlägt die Feinde, indem er sie untereinander entzweit." - "Wallahi! Die Alamanlar sind keine dummen Menschen. So habe ich es wirklich gemacht."*

Neben seinem Einstehen für die Schwächeren und Unterdrückten ist ganz charakteristisch für Kara Ben Nemsi und mit ihm natürlich Karl May die Achtung, die er den Menschen, denen er begegnet, entgegenbringt. Überheblichkeit wird man nicht finden. Ganz im nebenherein erfährt der Leser einiges über die Lebens- und Denkweise ferner Völker, das den eigenen Horizont erweitert und offen für eine andere Sicht als die eigene macht. Als Fremder bemüht der Sohn der Deutschen sich, die jeweilige Landessprache oder Sprache des jeweiligen Volkes zu lernen und achtet, abgesehen von seinen draufgängerischen Seiten, die Sitten und Bräuche der Menschen unter denen er sich bewegt. Er gibt damit ein Beispiel, das auch heute noch nicht selbstverständlich ist. Zeitweise gibt er sich sogar als einer der ihren aus und erweist sich als Meister der Täuschung. Mehr als einmal spricht er sich dagegen aus, selbst das Recht in die Hand zu nehmen und auch dagegen, einen Menschen zu töten, gleich, was dieser verbrochen hat. Seine Sympathieträger sind Menschen, die zu eigenen Lasten für das Wohl der anderen einstehen und Verzeihen statt Rache üben.

"Du hast recht in allem, was du sagst. Ich wollte auch nicht töten, sondern vielleicht dahin wirken, daß kein Blut vergossen wird."
"Laß diese Sorge mir, Effendi! Ich trachte nicht nach Blut. Ich will nur den Tyrannen zurückweisen."*

22. September 2007

* Zitate aus:
Karl May, "Durch die Wüste", Ungekürzte Volksausgabe
Verlag Carl Ueberreuter, Wien - Heidelberg
(c) 1949 Joachim Schmid (Karl-May-Verlag), Bamberg
herausgegeben von Dr. E. A. Schmid


Karl May
Durch die Wüste
Gesammelte Werke Band 1
Hörbuch auf CD im MP3-Format
Karl-May-Verlag Bamberg - Radebeul, 2007
in Zusammenarbeit mit TS-Music Salzburg
gelesen von Peter Sodann
ISBN 978-3-7802-0701-2
12,99 Euro