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REZENSION/023: Günter Merlau - Die Schwarze Sonne I - III (Julia Barthel)


"Die schwarze Sonne"
Eine abenteuerliche, akustische Expedition auf den Spuren von Mythen und Legenden


Von Julia Barthel



In der zwölfteiligen Hörspielserie "Die schwarze Sonne" aus dem Hause Lausch wird der Hörer auf einem atmosphärisch dichten Erzählstrang in die faszinierende Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts hineingesogen. In Gesellschaft des jungen Adam Salton und seines geheimnisvollen Mentors Nathaniel de Salis begibt man sich auf eine ungewisse Reise, die über sämtliche Kontinente der Erde und in ein zwielichtiges Reich jenseits der normalen Vorstellungskraft führt.

Im Jahre 1885 kehrt Adam Salton aus dem fernen Australien in seine alte Heimat, England, zurück. Nach dem Tod seiner Eltern will er sich hier, in der Obhut seines Onkels Richard, ein neues Leben aufbauen. Doch die Freude über das Wiedersehen wird bereits auf der Rückreise zum Anwesen der Familie von düsteren Ereignissen überschattet. Richard befindet sich in Begleitung eines guten Freundes namens Nathaniel de Salis, welcher von der Erforschung alter Sagen und Legenden nahezu besessen zu sein scheint. Daher besichtigen die drei Reisenden unterwegs das Mahnmal eines altertümlichen Königs, der als grausamer Mörder seiner eigenen Kinder in die Geschichte einging. Urplötzlich wird Adam von der Gabe des zweiten Gesichts überwältigt und sieht mit an, wie dieser König in einem schauderhaften Ritual einen uralten, keltischen Gott heraufbeschwört. Dann entdeckt Nathaniel ganz in der Nähe auch noch die Leiche eines jungen Mannes, die tief im Morast versunken ist. Bald darauf erschüttern mehrere, äußerst brutale Morde und das unerklärliche Verschwinden von Menschen die friedliche Grafschaft. Überdies hat es des Anschein, als wären die Einwohner in Adams Heimatort nicht wirklich daran interessiert, die mysteriösen Vorfälle vollends aufzuklären. In diesem Klima der Verschwiegenheit sind es allein die beharrlichen Nachforschungen seines Freundes Nathaniel, die den jungen Salton zwingen zu erkennen, daß sein Umfeld tatsächlich von übernatürlichen, dunklen Kräften beherrscht wird.

Während die Realität sich immer mehr in einen makaberen Alptraum verwandelt, in dem unvermutet gräßliche Ungeheuer aus den Tiefen der Erde hervorbrechen und arglose Personen mit sich reißen, verdichten sich die Hinweise, daß hier eine finstere Tradition am Werke ist, die noch weitere Menschenopfer fordern wird. Schließlich führen alle Fäden der Verschwörung zu Lord Caswell, dem obskuren Oberhaupt der Grafschaft, der die Einheimischen durch sein finsteres Auftreten restlos einzuschüchtern scheint. Die Ereignisse spitzen sich zu, als sich herausstellt, daß Caswells Anwesen in Wahrheit die Heimstatt eines archaischen, keltischen Dämonengottes ist, dessen Hunger nach menschlichem Fleisch nun die schöne Mimi Watford bedroht, in die sich Adam kurz zuvor unsterblich verliebt hat. Der Versuch, den Lauf der Dinge zu wenden, kostet den jungen Salton in einer verhängnisvollen Verkettung von Geschehnissen nicht nur beinahe das Leben, sondern zerstört auch sein Vertrauen in die Menschen um ihn herum, als er in vollem Ausmaß mit ihrem verräterischen Treiben konfrontiert wird. Letzten Endes verbleibt ihm nur noch Nathaniel de Salis als einziger Fixpunkt in einem düsteren Universum voll grausiger Abgründe. Der nimmt den schwer traumatisierten Adam an Sohnes statt an und macht sich mit ihm auf eine lange Reise mit ungewissem Ziel, welche die beiden tief in die Wirren einer weltweiten, okkulten Verschwörung involviert. Langsam kristallisiert sich dabei die wahre Identität von Nathaniel heraus, welcher als Mitglied der Freimaurerloge eine tragende Rolle im Kampf gegen dämonische Mächte spielt, die seit Urzeiten bestrebt sind, die Weltherrschaft an sich zu reißen. In seiner Funktion als Hüter von Informationen und mystischen Artefakten hat de Salis gute Kontakte zu den wissenschaftlichen Größen seiner Zeit, wie beispielsweise seinem guten Freund Jules Verne. Da dieser unvorsichtigerweise brisante Details über eine streng geheime Forschungsreise zum Mittelpunkt der Erde veröffentlicht hat, führt die erste Station ihrer Reise Nathaniel und Adam nach Paris. Dort wollen sie Jules vor den Konsequenzen seines unbedachten Handelns schützen und die Informationen in dessen Buch sicher stellen. Doch die Handlanger der Gegenseite sind bereits aktiv geworden und so beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, bei dem zunächst nicht klar auf der Hand liegt, hinter welcher Identität sich der Feind verbirgt und wer auf wessen Seite steht...

Beinahe schon typisch für Lausch Produktionen ist der Umstand, daß sich die ausgeprägte Dynamik der Erzählung erst nach und nach aufbaut. Aus diesem Grund sollte sich der Hörer von der nahezu bedächtigen Gangart des ersten Teils nicht täuschen lassen und annehmen, alle weiteren Folgen wären lokal und inhaltlich ebenso simpel aufgebaut. Immerhin taucht gerade am Anfang eine Vielzahl sattsam bekannter Elemente auf, wie zum Beispiel ein zwielichtiger Lord mit zweifelhaftem Charakter, der auf einem gespenstischem Schloß seinen geheimen Machenschaften frönt und dabei noch in lovecraftscher Manier mit unheiligen Mächten im Bunde steht. Da kommt zunächst durchaus der Verdacht auf, man bekäme hier einen charmanten, aber überschaubaren Remix berühmter Vorbilder wie etwa der Geschichten von Sherlock Holmes präsentiert. Tatsache ist aber, daß "Das Schloß der Schlange" mit seinen trivialen Bestandteilen bloß als Fundament für eine sehr weitreichende und komplexe Entwicklung der gesamten Handlung dient. Dem Hörer wird genügend Zeit eingeräumt, sich mit der Lebenslage und Gefühlswelt der Hauptcharaktere vertraut zu machen so, daß man im späteren Verlauf der Ereignisse automatisch größeren Anteil an deren Schicksal nimmt.

Es ist kennzeichnend für die Hörspiele von Lausch, daß die Figuren mit einem sorgfältig ausgearbeiteten Seelenleben versehen werden, welches sie sehr viel plastischer und lebendiger erscheinen läßt. Sie fungieren nicht einfach nur als willenlose Träger der Story, sondern scheinen diese durch ihre eigenen Motive und Hintergründe erst zu formen. So werden beispielsweise frühzeitig diverse Hinweise auf Adams recht nebulöse Familiengeschichte gestreut, welche später noch eine wichtige Rolle für seine Position im Strang der Ereignisse spielt. Außerdem wird unausgesprochen das Rätsel aufgeworfen, woher Nathaniels profundes Wissen über magische Phänomene und dämonische Kreaturen stammt. In der Tat wäre dies keine Schöpfung der Marke Lausch, wenn die Beantwortung nämlicher Fragen nicht einen wesentlichen Bestandteil der ganzen Geschichte ausmachen würde. Bei einer so gelungenen Verschmelzung von Akteuren und Handlung sind die vereinzelten Stereotypien im Kosmos dieses Werkes schnell verziehen. Überdies ist es den Machern geglückt, einen wirkungsvollen Spannungsbogen zwischen den Gefühlen der Charaktere und den drastischen, temporeichen Geschehnissen zu schlagen, wodurch eine angenehm melancholische Grundstimmung erhalten bleibt. Geradezu exemplarisch für die stilecht ausgeschmückte Inszenierung dramatischer Emotionen ist der folgende Gedankengang Adams, der sich am Anfang des dritten Teils findet. Nach einem verheerenden Streit mit seinem väterlichen Freund Nathaniel resümiert er: "Aber die Belange des Herzens treten oft hinter die des Lebens zurück und werden von denen des Zornes ins Vergessen gestürzt". Dabei hat die Reihe "Die schwarze Sonne" neben einem ausgeprägten, düsteren Flair und treffsicher in Szene gesetzten, menschlichen Befindlichkeiten noch einiges mehr zu bieten.

Im zweiten Teil der Serie, "Böses Erwachen", verlassen Adam und Nathaniel das beschauliche England und wechseln zum europäischen Festland über, von wo aus es dann im dritten Teil,"Weisses Gold", zügig Richtung Indien und Tibet weitergeht. Der kontrastreiche, rasante Wechsel zwischen verschiedensten Orten und Kulturen beschwört das unwiderstehliche Flair eines viktorianischen Roadmovies herauf. Allein die Beschreibung der altertümlichen Reiseroute ruft das beinahe greifbare Bild einer vergilbten, antiken Weltkarte hervor, auf deren schwarzen Linien sich die beiden Helden in ferne Länder begeben: "Das Schiff hatte für zwei Tage im Hafen von Aden angelegt. Nathaniel und ich reisten jetzt schon mehrere Wochen. Zunächst von Paris nach Liverpool, von dort mit dem Schiff weiter nach Gibraltar, über Malta, durch den Suez-Kanal hierher..." Beabsichtigt oder nicht, erinnert diese Schilderung fast übergangslos an die moderne filmische Umsetzung von Bram Stokers "Dracula", welche in derselben Epoche spielt und bringt das Kopfkino des Hörers gekonnt auf Touren. Solche geschickt platzierten, historischen Einzelheiten setzen die äußeren Gegebenheiten jener Zeit anschaulich ins Bild, doch der wahre Reiz der Erzählung besteht in den vielen Geheimnissen, die damals noch existierten. Eine Ära, in der es noch weiße Flecken auf den Landkarten gab und die Welt noch nicht bis in jeden Winkel erforscht war, eignet sich hervorragend zur Erschaffung eines magischen Paralleluniversums. Letztlich war es damals nicht unbedingt ausgeschlossen, daß in den dunklen Höhlen eines fernen Landes wirklich verborgene, Menschen fressende Ungeheuer lauern konnten, wie im dritten Teil dieser Hörspielserie. Auch waren Spekulationen darüber, ob in den abgelegenen Gegenden der Welt wie Australien und Tibet möglicherweise direkte Durchgänge zur Hölle existieren könnten, bei weitem nicht so abwegig wie in heutigen Zeiten. Diese übernatürlichen Elemente tragen dazu bei, daß es sich bei "Die schwarze Sonne" nicht nur um eine sprunghafte Hetzjagd rund um den Globus handelt, sondern um ein echtes Abenteuer. Zudem gibt es auch in diesem Werk von Lausch ein furioses Element, das die romantische, hintergründige Beschaffenheit der zentralen Erzählung immer wieder durchbricht. In dem okkulten Komplott um geheime Portale und magische Artefakte vermischen sich Ereignisse aus Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft miteinander, die allesamt in die Geschichte eingewoben werden müssen. Hier wendet Lausch wieder einmal den Kniff der Zeitsprünge an und baut parallel zu dem Geschichtspfad der viktorianischen Zeit zusätzliche Vorgänge aus der fernen Vergangenheit oder dem modernen, 20.Jahrhundert in die Handlung mit ein. Wie bei einer Schatzsuche wird der Hörer auf diese Weise ständig mit neuen Informationen versorgt und an der Aufdeckung der Verschwörung beteiligt. So wird man mit packendem Tempo an die Story gebunden und muß keine monotonen Längen ertragen.

Obwohl die Erzählung um Adam Salton und Nathaniel de Salis natürlich rein fiktiv ist, wird sie doch mit authentischen Personen und Ereignissen aus den Geschichtsbüchern in Verbindung gebracht. So begegnen die beiden Helden während ihrer Odyssee berühmten Zeitgenossen wie Jules Verne, auf den im Jahre 1886 tatsächlich ein Attentat verübt wurde, das ihn schwer behindert zurückließ, und vielen anderen Persönlichkeiten. Reale Ereignisse wie die Deutsche Antarktische Expedition in den Jahren 1938/39, welche der Erweiterung des deutschen Machtbereiches dienten, unterfüttern die Verschwörungstheorie der Story, die auch den Nazis eine rege Erforschung okkulter Mythen unterstellt. In einer zugleich amüsanten und informativen Manier bieten diese historischen Elemente dem Hörer zusätzlichen Stoff zum Nachdenken und auch eine schöne Vorlage zum spekulieren über die Glaubwürdigkeit der Geschichte.

Zu der Fülle von speziellen Details, die diesem Hörspiel sein reichhaltiges, schillerndes Profil verleihen, zählt auch der sensible Einsatz von Musik und Tönen, welcher hier besonders gut geglückt ist. Ausgeprägte Klangwelten, die jedem Terrain ein eigenes, thematisch passendes Gesicht verleihen, gehören zu den prägnantesten Merkmalen der Produktionen von Lausch. Da werden einzelne Orte, wie beispielsweise die Straßen von Bombay, durch den Klang von Trommeln und Flöten sowie geschäftigen Straßengeräuschen im Hintergrund genauso exotisch und gleichzeitig alltäglich in Szene gesetzt, wie sie sich den Reisenden im Moment der Ankunft darbieten. Der einheimische Freund, den Adam und Nathaniel dort treffen, wird zudem von einem indischen Sprecher mit echtem Akzent dargestellt so, daß sich alle akustischen Eindrücke zu einer absolut stimmigen Gesamtkomposition zusammenfügen. Diese präzise, lautmalerische Herangehensweise zieht sich ununterbrochen durch das gesamte Werk. Einen wichtigen Anteil an der musikalischen Umsetzung von "Die schwarze Sonne" hatte Debbie Wiseman, die in ihrer Heimat Großbritannien durch die Vertonung vieler Filme und Fernsehproduktionen eine bekannte Künstlerin ist. Nach dem Studium an der Guildhall School of Music and Drama widmet sie sich seit langem in erster Linie dem Gebiet der klassischen Musik und verlieh auch dem Hörstück aus dem Hause Lausch ein buchstäblich filmreifes Klangprofil. Mit spielerischer Leichtigkeit werden sämtliche Stimmungswechsel von tiefer Melancholie bis zu hoffnungsfroher Heiterkeit durch vielgestaltige, reizvolle Melodien intoniert. Dennoch nimmt die Musik eben nur soviel Raum ein, wie nötig ist, um die Dramaturgie der Erzählung angemessen zu unterstützen. Alle Bestandteile von der spannenden Handlung über den faszinierenden, historischen Hintergrund bis hin zum satten, farbenprächtigen Flair von Sprache und Klangfarben fügen sich in dieser Hörspielserie zu einem fesselnden Unterhaltungserlebnis bester Qualität zusammen.

Einen ersten Eindruck von der anspruchsvollen Gestaltung des ganzen Produktes bekommt man bereits durch das liebevoll gestaltete Cover der ersten drei Cds. Auf dem schwarzen Hintergrund der glänzenden Papphülle erscheinen fein gezeichnete, schattenhaft graue Gestalten, Ungetüme und altertümliche Gerätschaften aus der Geschichte. Im Innern wird die optische Einstimmung auf die akustischen Abenteuer konsequent durch ein mehrseitiges Booklet voll düsterer Bilder und kleiner Texte über die wichtigsten historischen Figuren der Erzählung fortgesetzt. Dabei liegen auch im Artwork Licht und Schatten dicht beieinander, indem sich schwarze Seiten mit weißer Schrift mit dem gegenteilig gestalteten Pendant abwechseln. Doch nicht nur das Auge wird in diesem Gesamtpaket der Unterhaltung mit bedient, sondern auch der detektivische Eifer und Wissensdurst des Hörers.

Wen der Geist der Verschwörung nach dem übersinnlichen Lauscherlebnis nicht mehr losläßt, der braucht nicht ins Leere zu grübeln, sondern kann sich auf der Internetseite www.merlausch.de über einen link zu den historischen Hintergrundinformationen zur Serie weiterleiten lassen. Hier gibt es auch einen monatlichen Audio-Podcast zum Weiterhören- und spekulieren im Angebot, in dem noch weiteres Wissen über die Geschichte hinter der Geschichte zu finden ist. "Die schwarze Sonne" ist also ein durchdachtes Gesamtkunstwerk, bei dem die Hingabe zur Erzählung in jedem Detail zu spüren ist.

Copyright 2009 by Julia Barthel


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Lausch - Phantastische Hörspiele
www.merlausch.de

Die Schwarze Sonne
Sprecher: Harald Halgardt, Christian Stark, Stefan Brentle,
Konrad Halver, Jürgen Holdorf, Reinhilt Schneider u.a.
Idee, Spielbuch & Produktion: Günter Merlau

Die Schwarze Sonne I Das Schloss der Schlange
Die Schwarze Sonne II Böses Erwachen
Die Schwarze Sonne III Weisses Gold
Die Schwarze Sonne BOX 1
Die Schwarze Sonne IV VRIL
Die Schwarze Sonne V Akasha
Die Schwarze Sonne VI Whitechapel
Die Schwarze Sonne BOX 2
Die Schwarze Sonne VII Goldene Morgenröte
Die Schwarze Sonne VIII Das verlorene Paradies
Die Schwarze Sonne IX Die Herren der Welt
Die Schwarze Sonne X AIWASS

ISBN: 978 3 939 60019 0


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Quelle:
Julia Barthel, März 2009
E-Mail: kokoro@gmx.net

veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2009