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BUCHBESPRECHUNG/061: Afghanistan - Ein Schadensfall wird besichtigt (Ingolf Bossenz)


Afghanistan: Ein Schadensfall wird besichtigt

Buchautor Uwe Krüger begründet faktenreich, warum der Militäreinsatz am Hindukusch grandios gescheitert ist

Von Ingolf Bossenz, 20. Oktober 2014



Mit dem Ablauf dieses Jahres endet auch der internationale Militäreinsatz in Afghanistan. Ein jetzt erschienenes Buch zieht eine so akribische wie desaströse Bilanz.

Afghanistan sei »der Schadensfall, nicht das Paradebeispiel« internationalen Engagements, verkündete vor gut zwei Jahren der damalige deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel. Er äußerte damit eine Binsenwahrheit, für deren öffentliches Bekunden es längst keiner besonderen politischen Courage mehr bedurfte. Zuvor hatte bereits die Theologin Margot Käßmann (seinerzeit EKD-Präsidentin) - weit weniger euphemistisch - ihr drastisches Diktum »Nichts ist gut in Afghanistan« von der Kanzel geschmettert.

Uwe Krüger, Journalist und Buchautor (»Die gereizte Großmacht. Russlands Anspruch auf Weltgeltung«), greift im Titel seiner neuen Veröffentlichung die versicherungstechnische Verharmlosung des FDP-Ministers auf, analysiert und bilanziert den »Schadensfall Afghanistan«. Gutes, und darin stimmt der Gutachter mit der Bischöfin überein, findet sich da in der Tat nichts.

Für Carl von Clausewitz war der Krieg »ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen«. Auf den 13-jährigen Militäreinsatz am Hindukusch, der in diesem Jahr mit dem Abzug der USA und ihrer NATO-Verbündeten zu Ende geht, passt diese eigentlich einleuchtende Sentenz des preußischen Militärtheoretikers indes kaum.

Denn erstens wird der Krieg weitergehen - wie stets in den letzten Jahrzehnten. An Warlords, Drogenbaronen, korrupten Politikern, käuflichen Kriegern und anderen verfeindeten, konfliktfrohen Akteuren mangelt es in dem verarmten Land nach wie vor nicht; die Fata Morgana einer nationalen Aussöhnung hatten ohnehin nur zweckoptimistische westliche Politiker ausgemacht.

Und zweitens stellt sich die Frage, um welche »Erfüllung unseres Willens« es den im Gefolge der 9/11-Anschläge in das islamische Land einmarschierten Kriegskoalitionären eigentlich ging. Ging es um ein »besseres« Afghanistan? Mit Rechten für Frauen, Bildung für alle? Um den Sieg über den Terrorismus und dessen islamistische Inkarnation Al Qaida? Um die Sicherung und Beherrschung des Zugangs zu strategischen Rohstoffen? Um die Macht in einem Schlüsselstaat des zentralasiatischen »Schachbretts«, von dem aus entscheidende Züge sowohl in Richtung Eurasien wie in Richtung Naher und Ferner Osten möglich sind? Um das »Great Game«, das »Große Spiel« in Zentralasien - im 19. Jahrhundert von Russen und Briten begonnen, im 20. von Sowjetunion und USA fortgeführt, damit im 21. nach dem Motto »The winner takes it all« Washington am Ende die Beute einstreicht?

Uwe Krüger gelingt es, die Puzzleteile, die er aus Büchern, Massenmedien, Verlautbarungen, Dokumenten und nicht zuletzt eigenem Erleben in dem Kriegs- und Krisenland gewann, so zu platzieren, zu sortieren und zu gewichten, dass aus den verifizierbaren Fakten ein vernichtendes Urteil erwächst: Der Einsatz in Afghanistan ist grandios gescheitert. Und das in nahezu jeder Hinsicht.

Die nach Beginn des Krieges propagierte angebliche Trennung in Terrorbekämpfung und militärisch abgesicherte Entwicklungshilfe erwies sich bald als Etikettenschwindel. Die für Letzteres offiziell zuständige internationale ISAF-Truppe wird wohl kaum noch mit Brunnenbau, sondern vor allem mit Bombenangriffen in Verbindung gebracht werden.

Was nicht zuletzt den Deutschen zum Desaster geriet, dessen trauriger Tiefpunkt der von einem Bundeswehrkommandeur veranlasste Luftangriff bei Kundus am 4. September 2009 war, bei dem bis zu über 140 Menschen ums Leben kamen.

Der erste außereuropäische Kampfeinsatz der Bundeswehr, der einst mit SPD-Kanzler Gerhard Schröders Bekenntnis zur »uneingeschränkten Solidarität« mit den USA begann, geriet mit seinen Toten, Verletzten, Traumatisierten, mit den politischen und psychologischen Verwerfungen zu einem Menetekel. Dass dieses Menetekel nach wie vor hinter Illusionen verschleiert werden soll, zeigt Krüger anhand des von immer neuem Personal mit unverdrossenem und unvermindertem Eifer betriebenen militärischen Reformwahns. Ursula von der Leyen, die es nun als Verteidigungsministerin der CDU richten soll, konzediert der Autor immerhin, von den Vorgängern gelernt zu haben, »dass Kanzlernähe, Managerqualitäten, Ehrgeiz und Fleiß keineswegs den Erfolg in einem Job mit großer Fallhöhe garantieren«.

Allerdings: In einer Hinsicht war der Afghanistan-Einsatz - leider - erfolgreich: Trieb er doch die Entwicklung neuer Waffentechnik, so der Kampfdrohnen, weiter voran und forcierte die militärische Nutzung des Digitalen im sogenannten Cyberwar.

Das nachgerade enzyklopädisch angelegte Buch liest sich wie ein Kriminalroman. Diese ansonsten abgegriffene Floskel sei angesichts der kriminellen Energie, mit der in dieser und um diese Region für Einfluss und Vorherrschaft gekämpft wird, ausnahmsweise erlaubt. Ein Urteil, das sich aus den Fakten speist. Fakten, wie sie in dieser komprimierten Fülle bislang nicht präsentiert wurden. Und die zeigen, dass eines ganz gewiss eine Illusion ist: dass nämlich aus der Geschichte gelernt wird. Der »Schadensfall Afghanistan« ist kein Unfall, sondern das Resultat einer politischen und militärischen Fehlkonstruktion, gegen die es auch künftig keine Versicherung gibt.

Uwe Krüger: Schadensfall Afghanistan. Ein Krieg und seine Folgen. Bouvier Verlag Bonn, 328 S., br., 24,90 EUR.

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Quelle:
Ingolf Bossenz, Oktober 2014
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 22.10.2014
http://www.neues-deutschland.de/artikel/949674.afghanistan-ein-schadensfall-wird-besichtigt.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2014


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