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BUCHBESPRECHUNG/065: War Pier Paolo Pasolini ein dissidenter Kommunist? (Gerhard Feldbauer)


War Pier Paolo Pasolini ein dissidenter Kommunist?

Obwohl er aus der IKP ausgeschlossen wurde, blieb er dem Kommunismus treu

Der Historiker Giorgio Galli hat seine Biografie verfasst

von Gerhard Feldbauer, 3. April 2015


Pier Paolo Pasolini bin ich zweimal begegnet, zuletzt wenige Wochen vor seinem schrecklichen Tod am 1. November 1975. Ich war erstaunt, wie fundiert er sich zu den 1973/74 bekannt gewordenen neuen faschistischen Putschversuchen äußerte. "Ich weiß die Namen der Verantwortlichen für das, was man Putsch nennt", hatte ihn der Corriere della Sera am 14. November 1974 zitiert. Er charakterisierte die Putsche als "ein System der Herrschaftssicherung", und verwies auf die "Unterstützung des amerikanischen CIA" und die "der griechischen Obristen und der Mafia" und vergaß auch den "11. September 1973 mit dem Putsch in Chile" nicht. Nach dem Sturz des sozialistischen Präsidenten Salvadore Allende hatten die Faschisten der Mussolini-Nachfolgepartei Movimento Sociale Italiano (MSI) offen eine "chilenische Lösung" für Italien propagiert.

Pasolini war eine faszinierende Persönlichkeit, deren hageres Gesicht mit den asketischen Zügen unter dem schwarzen Haar und dem durchdringenden Blick sich unauslöschlich einprägte. Seine politischen Gedanken, die er streitbar und manchmal mit einem Anflug von Besessenheit darlegte, waren von einer Scharfsinnigkeit, die kaum einer seiner Genossen in der Italienischen Kommunistischen Partei (IKP) und schon gar nicht in deren Führung aufzuweisen hatte. Seine Homosexualität, wegen der er aus der Partei ausgeschlossen wurde, hat Pasolini nie verheimlicht.


Sein Marxismus war eine treue Ableitung des Philosophen aus Trier

Nun hat der namhafte Historiker Giorgio Galli, bekannt durch zahlreiche fundierte Werke zur faschistischen Spannungsstrategie (erwähnt seien "Staatsgeschäfte, Affären, Skandale, Verschwörungen", Hamburg 1994 und "Il Partito armato. Gli 'anni di biombo' 1968-1986", Mailand 1993) über Pasolini eine Biografie vorgelegt, in der er das Bild eines überaus hochgebildeten Kommunisten und Intellektuellen, der auf dem Weg war, ein führender Ideologe zu werden, zeichnet. Galli gelingt eine weitgehend zutreffende Einordnung Pasolinis in den Entwicklungsprozess der IKP, für den dieser sich selbstlos engagierte. Er schreibt: "Der Marxismus Pasolinis ist eine zweifellos treue Ableitung aus jenem des Philosophen aus Trier - ein bipolarer Klassenkonflikt, in dem das aufstrebende Proletariat die langsam niedergehende Bourgeoisie herausfordert und letztlich besiegt. Er deckt sich indes nicht mit dem Italo-Marxismus des PCI; in den Jahren 1960 bis 1965 scheint Pasolini dieser Umstand jedoch noch nicht bewusst zu sein", meint Galli.


Das bürgerliche Staatsmodell nannte er "eine Scheindemokratie"

Gut gelingt Galli, die theoretischen Ansichten Pasolinis herauszuarbeiten, der das bürgerliche Staatsmodell, zu dem sich die IKP im "Historischen Kompromiss" bekannte, als "nur eine Scheindemokratie" entlarvte; der im Scheitern der Studentenrevolte von 1968 ("ein kurzes bürgerliches Strohfeuer") bereits "ein Vorzeichen für die unmittelbar anstehende reaktionäre Wende", die in die Ermordung Aldo Moros mündete, sah. Die Schärfe der politischen Gedanken Pasolinis zeige sich in seiner Ansicht, dass "die Masse der kommunistischen und progressiven Stimmen (hätte) dazu verwendet werden können, eine "liberale Revolution" im Sinne Piero Gobettis zu verwirklichen, anstelle eines in Wahrheit unmöglichen "Historischen Kompromisses" oder eines ebenso unmöglichen "italienischen Weges zum Sozialismus". Obwohl Pasolini sich zum revolutionären Marxismus bekannte, von dem die IKP spätestens seit Anfang der 1960er Jahre abrückte, stand er weiter zu ihr, was auf seine Basis-Verbundenheit zurückzuführen war.


Die lebendige Sprache seiner Freibeuterbriefe, Lutherbriefe und Paulusbriefe

Mitte der 1950er Jahre wurde Pasolini als Schriftsteller mit seinen Büchern "Ragazzi di Vita" (1955) und "Una Vita violenta" (1959) sowie durch seine ersten Filme "Accatone - Wer nie sein Brot mit Tränen aß" (1961) und "Mamma Roma" (1962 mit Anna Magnani) als Regisseur rasch auch international bekannt. Er schrieb Gedichte und Essays in bildhafter, lebendiger Sprache, verfasste Streitschriften (Freibeuterbriefe, Lutherbriefe, Paulusbriefe) die seine kommunistische Gesinnung bezeugten, aber auch seine Sicht auf religiöse Gefühle ausdrückten, was auch seine verfilmte Matthäus-Evangelisation zeigte.

In der Lyrik sind "Gramscis Asche" (1957, und "Die Nachtigall der katholischen Kirche" (1958) zu nennen, von den Romanen "Der Traum von einer Sache" (1962) und "Ali mit den blauen Augen" (1965). In der Bundesrepublik erschienen viele seiner Werke bei Wagenbach.

In seinem letzten Film "Salò oder die 120 Tage von Sodom" gestaltete er nach Marquis de Sade fiktiv die grausamen Zustände in einem Gefangenenlager in Salò, dem Sitz des Mussolini-Regimes am Gardasee unter der Okkupation der Hitlerwehrmacht. Den heftig umstrittenen Film prägten Resignation und Lebensekel. Bei Erwähnung einiger Aspekte vermisst man eine Würdigung bzw. Wertung des Schaffens dieses - fast möchte man sagen - einzigartigen vielseitigen Schriftstellers, Regisseurs und Publizisten.


Wie ordnet sich das in Pasolinis Haltung ein?

Im zweiten Teil seines Buches wird immer öfters fraglich, wie die Ausführungen Gallis in den Kontext des Lebenswegs Pasolinis eingeordnet werden sollen. So auch die Verwendung des Kampfbegriffs des Stalinismus oder seine Schlussfolgerung, dass Lenins Prognosen hinsichtlich der Rolle der "Partei als externer Gestalter des revolutionären Bewusstseins der subalternen Klassen" sich "nicht bewahrheitet" hätten. Oft wird dabei auch manches in das Werk Pasolinis hineinprojiziert bzw. interpretiert. So auch, wenn im Kontext von "Kirche und Revolution" auch noch die Enzyklika "Spe salvi" von Benedikt XVI., alias Joseph Ratzinger, angeführt wird. Streckenweise scheint es auch, dass Galli für ein recht elitäres Leserpublikum schreibt, bei dem höchste Kenntnisse vorausgesetzt werden, von denen Pasolini wohl nie so ausgegangen wäre. Dann gibt es höchst allgemeine Schlussfolgerungen, so wenn der Verfasser meint, dass Pasolini eine Partei wie Berlusconis "Forza Italia" "sehr interessiert hätte". Es ist wohl keineswegs spekulativ, hier festzuhalten, dass Pasolini deren faschistoiden Charakter, die Orientierung an Mussolini, den selbst der konservative Starjournalist Indro Montanelli offen legte, kristallklar analysiert hätte. Galli scheint das selbst erkannt zu haben, wenn er einmal einräumt "in einen gewissen Schematismus abzurutschen".

Angesichts der Haltung Pasolinis zur IKP und der kommunistischen Bewegung überhaupt, sehe ich den Titel "der dissidente Kommunist" verfehlt. Dafür war Pasolini ein zu entschiedener Marxist, der in diesem Bekenntnis die einzige Lösung "nicht nur für die Gesellschaft, sondern für die Menschen schlechthin" sah.


Alberto Moravias Totenrede

Pasolinis Hinwendung zur IKP war der Liebe eines Kindes vergleichbar, das sich nach Zuneigung sehnt. Im Leben nicht erwidert, wurde sie ihm im Tode zuteil. Unter den Tausenden Trauergästen befanden sich viele Parteimitglieder, an ihrer Spitze Generalsekretär Enrico Berlinguer. Alberto Moravia sagte in seiner Totenrede: "Jedes Jahrhundert werden nur drei oder vier Dichter geboren, und wir haben einen Dichter verloren." Auch dieser Aspekt bleibt etwas unterbelichtet.

Im November 1975 fiel Pasolini einem furchtbaren Verbrechen zum Opfer. In Ostia wurde er von mehreren Männern überfallen, schwer misshandelt und dann umgebracht. Der Mord wurde nie aufgeklärt. In seinem preisgekrönten biographischen Roman "In der Hand des Engels" (1985) verbreitete Dominique Fernandez die Version, der Dichter habe den Tod gesucht. Glaubwürdiger stellte Regisseur Marco Tullio Giordana in seinem dokumentarischen Spielfilm "Pasolini, ein italienisches Verbrechen", 1996 auf dem Festival in Toronto uraufgeführt, die Tat als einen politisch motivierten Mord dar.


Er stand auf den Mordlisten der faschistischen Putschisten

Als 30 Jahre nach seinem Tod die Ermittlungen neu aufgenommen wurden, schrieb die NZZ am 12. November 2005, "Faschismus, Mafia und Geheimdienste" würden als "mögliche Täter identifiziert". Eine späte Erkenntnis, denn schon in den 1970er Jahren war bekannt, dass der Name Pasolinis zusammen mit anderen linken Schriftstellern, darunter Alberto Moravia, auf den Mordlisten der faschistischen Putschisten stand.

Pasolini wäre am 5. März dieses Jahres 93 Jahre geworden.

Giorgio Galli: Pasolini - der dissidente Kommunist, Laika Verlag, Hamburg 2014, ISBN: 978-3-944233-16-1, 200 S., 28 Euro.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2015

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