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BUCHBESPRECHUNG/221: Albrecht Müller - Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst (Klaus Ludwig Helf)


Albrecht Müller

Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst. Wie man Manipulationen durchschaut.

von Klaus Ludwig Helf, August 2022


Die erste Auflage des vorliegenden Bandes erschien am 1. Oktober 2019 und war 37 Wochen lang auf der Spiegel-Bestsellerliste, was ein erstaunlicher und ermutigender Erfolg für ein Sachbuch ist, das gegen den Mainstream anschreibt. Die Rezension dieses Bandes kann nachgelesen werden unter:
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Albrecht Müller - Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst. (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)

Es werden daher im Folgenden nur die Erweiterungen angesprochen werden. Wegen der aktuellen politischen Ereignisse hatten Verlag und Autor entschieden, statt nachzudrucken, den Text zu überarbeiten und zu erweitern.

Es wurden bei einigen der im Teil drei dargestellten Manipulationsmethoden aktuelle Belege angefügt und die Liste um zwei weitere Methoden ergänzt. In Teil vier werden weitere Fälle von Meinungsmache auch im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine beschrieben. Autor Albrecht Müller erklärt, dass er es noch beim Erscheinen der ersten Auflage seines Buches einen Krieg in Europa kaum für möglich gehalten hätte: "Wir mussten dazulernen. Eine bittere Erkenntnis. Mit der Taschenbuchausgabe wollen wir die Hilfe zur Aufklärung weiter fortsetzen ... Das Buch ist als Hilfe für den Alltag gedacht. Leserinnen und Leser sollen davon bei der Beobachtung und Analyse des Geschehens profitieren" (S. 10).

Das neu hinzugefügte separate Lesezeichen mit der Kurzfassung der '19 Methoden der Manipulation' soll die alltägliche Nutzung beim Selbstdenken und Analysieren erleichtern. Im Kapitel drei wurden zwei weitere Manipulationsmethoden hinzugefügt: "Die Verbreitung und Nutzung des Grundgefühls 'Wir sind die Guten' und "Pars pro toto - ein Teil steht für das Ganze". Das vierte Kapitel wurde um sechs Fallbeispiele ergänzt. So tauche bereits im Koalitionsvertrag der neuen Ampelkoalition vom November 2021 - also noch vor Kriegsbeginn in der Ukraine - der Begriff 'Systemwettbewerb' auf, bei dem es gelte, 'unsere Werte entschlossen mit demokratischen Partnern zu verteidigen'. Dieser Begriff - so argumentiert Albrecht Müller zu Recht - komme aus dem Zeitalter der Konfrontation zwischen den kapitalistischen Westen und dem kommunistischen Osten und werde hier neu aufgelegt, wobei Russland als Hauptgegner ausgemacht sei: "Die Verbreitung des Gefühls, dass wir hier im Westen ehrenwert, freiheitlich, gut, demokratisch und vorbildlich sind, ist als Methode der Manipulation nicht so einfach zu begreifen wie zum Beispiel die Methoden Wiederholen, Übertreiben, Verschweigen oder Geschichten verkürzt erzählen. Und dennoch kann die Verbreitung des Grundgefühls, wir hier im Westen sein die Guten, als eine Methode der Manipulation verstanden werden. Diese Methode ist überaus wirksam und bestimmt einen weiten Bereich des gegenwärtigen politischen Lebens" (S. 68).

Die Guten bräuchten als Gegenspieler das Böse, das konkurrierende Gegenüber, das in unfreundlichen Farben und düster, bedrohlich dargestellt oder in Konfrontationen verwickelt würden. Umberto Eco hatte diesen Mechanismus der 'Fabrikation des Feindes' bereits im Jahre 2008 hervorragend analysiert. In der Welt der Guten lebt sich's gut. Deshalb werde auch viel getan, um das Image der westlichen Demokratien zu pflegen: "Im Kern waren auch die verschiedene Kriege, die der Westen in Afghanistan, gegen den Irak, gegen die Serbien, gegen Syrien und gegen Libyen geführt hat, immer auch Mittel zur Selbstdarstellung und gedanklich damit eng verknüpft - zur Demütigung anderer Völker" (S. 74). Joe Biden habe 2020 dazu aufgerufen, Russland und China als Aggressoren abzuwehren und gegen beide eine gemeinsame Front zu errichten. Annalena Baerbock plädierte noch vor ihrem Amtsantritt als Außenministerin für einen 'Systemwettbewerb' und für eine 'Werte geleitete Außenpolitik'. In ihrem Berliner Grundsatzprogramm von 1989 habe die SPD festgehalten, dass die militärischen Bündnisse Warschauer Pakt und NATO der Vergangenheit angehören sollten zugunsten einer europäischen Sicherheitsarchitektur.

Von diesen außenpolitischen Vorstellungen in der Tradition der Außenpolitik von Willy Brandt sei die neue Koalition abgerückt - so Albrecht Müller - und in Kombination mit der Personalwahl der Außenministerin alles andere als fortschrittlich: "Es ist friedenspolitisch betrachtet ein großer Rückfall, Rückschritt, Restauration und es ist gefährlich" (S. 146). Die aktuellen Äußerungen und Auftritte der Ministerin betätigen diese Befürchtungen. Die Außen- und Sicherheitspolitik der Ampelkoalition sei in der Praxis wenig eigenständig, sondern vielmehr von den USA abhängig, wie man seit Beginn des Krieges in der Ukraine feststellen könne; letzte Versuche zur Rettung des Friedens wären notwendig gewesen. Die Ampel habe stattdessen alle Verschärfungen mitgemacht: "Waffenlieferungen, Fixierung der Auseinandersetzung auf Personen, konkret auf Putin, massive Aufstockung der Rüstung um 100 Milliarden. Damit ist auf Jahre hinaus die ursprüngliche Idee der führenden Regierungspartei SPD, sich auch in schwierigen Situationen zu verständigen zu suchen, den notwendigen Wandel durch Kooperation, statt durch Konfrontation zu suchen, hinfällig. Alles verlernt, alles vergessen. Das ist kein Fortschritt "(S. 147).

Der politischen und medialen Propagandamaschinerie des Westens sei es aber vortrefflich gelungen, dass inzwischen selbst Menschen, die sich früher zu den kritischen Geistern gezählt hätten, auf die Feindseligkeit gegenüber Russland eingeschwenkt seien. Wie ist es dazu gekommen? So sei es den USA und den mit ihnen verbundenen Organisationen (z. B. Nato, EU, WEF, ATLANTIKBRÜCKE) gelungen - so Albrecht Müller - sich "reihenweise Vertreter deutscher und europäischer Parteien dienstbar zu machen" wie z. B. Joschka Fischer, Cem Özdemir, Ralf Fücks und Marie Luise Beck (hier fehlen Hinweise auf SPD-Politiker wie Sigmar Gabriel und Nils Annen): "Es ist gelungen, die Grundpositionen einer früheren aus der Friedensbewegung entsprungenen Partei, der Grünen, zu verändern, quasi auf den Kopf zu stellen. Es ist gelungen, die SPD von der Mutter der Entspannungspolitik zur Tante des neuen Feindbildaufbaus gegenüber Russland zu machen" (S. 173).

Kriegszeiten seien Hoch-Zeiten für Manipulationen und Fragen der Kriegsschuld und der Authentizität von Fakten würden mit einem breiten Arsenal von Methoden wegmanipuliert, wie der Autor an vielen Beispielen aus dem aktuellen Kriegsgeschehen anschaulich und faktensicher belegen kann: "In Kriegen wird die Wahrheit oft geopfert. Kriege offenbaren aber gelegentlich auch die wahren Verhältnisse in unserer sogenannten Demokratie. So gerade geschehen im Jahre 2022" (S. 178). Das Leit-Motto der Ampelkoalition 'Mehr Fortschritt wagen' solle an die Parole von Willy Brandts fortschrittlicher Politik 'Mehr Demokratie wagen' erinnern, sei aber realiter rückschrittlich und wenig gerecht ausgerichtet, sondern ziele auf eine Spaltung der Gesellschaft, wie Albrecht Müller auch in den Politikfeldern Soziales, Einkommen, Vermögen, Klimawandel und Gesundheit in der Corona-Pandemie an vielen Beispielen nachweisen kann. So sei die gesamte Debatte um das Virus ein Musterbeispiel dafür, dass die Sachdebatte, demokratische und offene Debatten und damit das Ringen um die beste Lösung "nur unzureichend stattfinden" (S. 157), sondern vielmehr die Gesellschaft manipulativ aufgeheizt und gespalten werde in Geimpfte und Ungeimpfte.

Albrecht Müller fordert dazu auf, sich auszutauschen und ein "eigenes Milieu einer lebendigen Gegenöffentlichkeit" zu schaffen. Seit dem Erscheinen der 1. Auflage des Bandes sei die Propaganda im Alltag "noch vorherrschender und noch lauter", die Stimmung aufgeheizter und aggressiver geworden: "Es geht dabei nicht nur um Corona. Es geht auch um Frieden oder Krieg. Krieg wollen wir nicht. Ein wichtiger Grund mehr für Aufklärung über die grassierenden Manipulationen und damit für das Gespräch mit anderen" (S. 184). Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die Überarbeitung und Erweiterung des Bandes war aus aktuellen Gründen notwendig und ist hervorragend gelungen. Diese Anleitung für eine Immunisierung gegen Manipulationen und Meinungslenkung ist damit perfektioniert worden und man wünscht sich eine möglichst große Verbreitung.


Albrecht Müller: Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst. Wie man Manipulationen durchschaut. Westend Verlag Frankfurt/Main 2022, erweiterte und überarbeitete Neuauflage, Klappbroschur, 192 Seiten, 14 EURO.

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Quelle:
© 2022 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 1. Oktober 2022

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