Bret Easton Ellis
The Shards
von Klaus Ludwig Helf, August 2023
Mit seinem Roman American Psycho veröffentlichte Bret Easton Ellis im Jahr 1991 ein fulminantes, auswühlendes und kritisches Gesellschaftsportrait der superreichen Wallstreet-Yuppies im New York City der ausgehenden 1980er Jahre. Er wurde dadurch zu einem Kult-Autor, der noch weitere Romane und vor allem auch Drehbücher schrieb. Jetzt liegt nach dreizehn romanlosen Jahren sein siebtes Werk vor, das in den frühen 1980er-Jahren dieses Mal in Los Angeles, in der Nähe von Beverly Hills, spielt. Auch dieses Mal geht es um menschliche Höhen und Tiefen, Abgründe, Liebe und Hass, Eitelkeiten und Neid, Drogen, Sex, Klatsch und Tratsch, Gewalt und auch um einen Serien-Mord.
Bereits der Romantitel "The Shards" (deutsch: die Scherben) deutet darauf hin, dass es hier um zer- und gebrochene Identitäten und Lebensentwürfe geht. Der siebzehnjährige Ich-Erzähler des autofiktionalen Werkes heißt wie der Autor Bret, besucht wie auch er damals die Abschluss-Klasse der exklusiven Buckley Prep School im Jahr 1981 und durchlebt in einer Clique reicher, wohlstandsverwöhnter Teenies die exzessiven und wechselhaften Coming-of-Age-Phasen vor dem Beginn eines neuen Lebensabschnitts mit Studium und Beruf.
Der eigentliche Plot des Romans ist eine Kriminal- und Horrorstory, in der Bret in einer Doppelrolle als Detektiv und Täter den neuen Schüler Robert Mallory zur Strecke bringen will und desaströs und isoliert als Außenseiter und Einzelgänger in der Abschlussklasse endet: "Jeglicher soziale Status, den ich einmal genossen hatte, verschwand restlos ... Alles um mich herum verblasste" (S. 722/723). Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden, um eine garantiert spannende Geschichte nicht zu vermasseln. Eingebettet ist der Plot in die ausmalende, kenntnisreiche Beschreibung des Luxuslebens der Jeunesse dorée mit deren Luxusschlitten, Designerklamotten, Sneakers, Ray-Ban-Sonnenbrillen, Pool-Partys, Champagner-Orgien, Koks, Marihuana und Speed-Pillen, Filmen und Musik und natürlich krasser Sexismus und Sex in allen Variationen, wobei die gleichgeschlechtliche nur verdeckt und verdruckst vorkommt. Darunter leidet der schwule Bret, der offiziell mit Debbie "geht", aber auch sexuellen Kontakt mit ihrem Vater hat, der ihm dafür einen Drehbuchauftrag verspricht. Weitere Sex-Partner sind Matt (heftig und häufig) und Thom (Freund seiner besten Freundin Susan), den er am Ende des Romans zwanzig Jahre später bei seiner Lesung wieder trifft und dann nie wieder sehen wird.
Eingeflochten in den Fluss der Erzählung werden auch Filme, Bücher und Pop-Songs aus der aktuellen Zeit. Selbstkritisch reflektiert der Erzähler die wohlstandsverwahrloste, absolut hedonistisch orientierte und ganz und gar unpolitische Haltung der Jugendlichen, die nichts darüber wussten, wie die Welt wirklich funktioniert: "Wir waren Teenager, die sich mit Sex und Popmusik beschäftigten, mit Filmen und Prominenten, mit Lust und kurzlebigen Phänomenen und unserer eigenen neutralen Unschuld. Dass Ronald Reagan Präsident war, bedeutete für uns so gut wie nichts - wie der angebliche Rassismus des Jonathan Clubs war es allenfalls eine Art Witz, absurd, nicht allzu ernst zu nehmen, weil es so abstrakt war, aber natürlich konnten wir es uns leisten, alles durch dieses Prisma der Abgestumpftheit zu betrachten" (S. 447).
Frühling und Sommer 1981 seien - so der Erzähler - traumhaft und paradiesisch gewesen bis zur Ankunft des neuen Schülers Robert Mallory im September. Damit begann für Bret Ellis ein Albtraum, über den er erst Jahrzehnte später berichten und schreiben kann. Erste Aufzeichnungen und Notizen darüber gab es bereits 1981. In den Jahren 2020/21 folgten 27 Podcasts mit Lesungen des Autors aus seinen Manuskripten, die er dann zu dem vorliegenden Roman zusammenstellte. In einem längeren Vorspann und im Abspann berichtet er ausführlich über die Motive, Hintergründe und den Enstehungsprozess des Werkes, bei dem offensichtlich seine posttraumatischen Belastungsstörungen, Panikattacken, Depressionen, dunkle Träume und Drogenabhängigkeiten eine entscheidende Rolle spielten, ebenso die Trennung seiner Eltern und das Versteckspiel um seine Homosexualität, die er in den 80er Jahren kaum ausleben konnte.
Welche Teile des Romans Fiktion oder Realität sind, lässt sich nach diesen Ausführungen nur spekulativ erahnen. Vieles ist wohl zusammengeträumt zu einer Horrorgeschichte, bei der Robert Mallory von Bret in paranoischer Weise vorgeführt wird als Monster und Verursacher u.a. von sadistischen Serien-Morden, Entführungen, Einbrüchen, Beschattungen, Spinnenbefall, Terroranrufen und Bombendrohungen: "... jede Horrorgeschichte, die wir in jenem Herbst hörten, alles, was unsere Blase auf zuvor nie bemerkte Arten verfinsterte, führte zu ihm" (S. 23). Das Erscheinen Roberts sei zusammengefallen mit schrecklichen Ereignissen und einer Art Wahnsinn, der sich über die Stadt senkte.
Bret fühlt sich einerseits von Robert elektrisiert, der intelligent, "entwaffnend gut" aussehend und charismatisch auf ihn eine magische und sexuelle Wirkung hat: "... die Augen waren braun und mandelförmig ... er hatte eine klassische Adlernase ... die Lippen waren rosig und voll ... sanfter Duft ging von ihm aus... es roch nach Zedern, nach Sandelholz, so als wäre er gerade durch einen Zitronenhain gegangen" (S. 114/115). Andrerseits ist Bret felsenfest davon überzeugt, dass Robert ein dunkles Geheimnis hat und spürt detektivisch hinter ihm her bis zum letzten Show-Down. Am Ende des Romans sind alle Protagonisten beschädigt und gebrochen oder tot.
Trotz einiger Längen ist der Roman ein packend und fesselnd geschriebener Horror-Krimi, ein subtiles Psychodrama und gleichzeitig ein mit Sarkasmus und leichtem Zynismus unterlegtes, nicht unkritisches Gesellschaftspanorama über die lost generation der upper-class Anfang der 80er Jahre in den USA. Man kann den Roman wie auch schon American Psycho durchaus als Satire auf die gelangweilte, hirnlose, macht- und sexgeile, seelenlose, oberflächliche und obszöne Welt und die Sichtweisen der Reichen lesen.
Bret Easton Ellis: The Shards. Aus dem amerikanischen Englisch
von Stephan Kleiner. Kiepenheuer & Witsch Köln, 736 Seiten, 28 Euro.
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Quelle:
© 2023 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 11. August 2023
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