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BUCHBESPRECHUNG/011: Familiendrama karikiert Islambild der deutschen Freizeitgesellschaft (M. Khallouk)


Deutsch-türkisches Familiendrama karikiert das Islambild
der säkularisierten deutschen Freizeitgesellschaft

Kurzweiliger Roman mit aktueller gesellschaftpolitischer Botschaft

Von Mohammed Khallouk, Mai 2010


Die türkischstämmige, in der Lüneburger Heide lebende Journalistin und Literaturkritikerin Hilal Sezgin hat sich in jüngster Zeit auch als Schriftstellerin hervorgetan. In ihrem kürzlich erschienen Roman "Mihriban pfeift auf Gott" verpackt sie ihre allgemeine, in Interviews und Zeitungskommentaren bereits zum Ausdruck gebrachte Gesellschaftskritik an einem von Klischees bestimmten ressentimentbeladenen Islambild der deutschen Gesellschaft in ein im türkischen Immigrantenmilieu spielendes Familiendrama. Darin lässt die Autorin zugleich erkennen, dass die Wertmaßstäbe der in Deutschland aufgewachsenen sogenannten "dritten Immigrantengeneration" mit türkisch-muslimischen Wurzeln, sich denen der christlich geprägten säkularisierten Mehrheitsgesellschaft in vieler Hinsicht als weit ähnlicher herausstellen als man dies dort vielfach zur Kenntnis zu nehmen bereit ist.

Protagonistin des Romans ist die 32jährige Mihriban Erol. Hauptberuflich in einem Kinderhort tätig, dient diese als Quasinebenberuf als Haushälterin ihres Bruders Mesut und ihrer Nichte Suna, mit denen sie zusammen in Berlin-Kreuzberg wohnt. Mihribans Schwägerin hat Mesut und die gemeinsame Tochter vor kurzem verlassen und diesem scheint zum Leidwesen seiner Schwester die islamische Religion zunehmend wichtiger geworden zu sein als die profanen Anforderungen des Alltags. Einen großen Teil seiner Freizeit setzt Mesut dafür ein, mit seinen Freunden über religiöse Themen zu diskutieren und vom islamischen Standpunkt aus die Gesellschaft zu betrachten.

Für Mihriban, die sich selbst als "Nichtskönnerin auf allerhöchstem Niveau" bezeichnet und das unbekümmerte Berliner Leben genießt, besitzt die Religion hingegen nur einen untergeordneten Stellenwert. Zu Mesut entwickelt sich dadurch eine immer größere Distanz. Vielmehr scheint sie seine neu entdeckte Frömmigkeit zu beängstigen. Das Verlassen von Mesuts Frau und auch die an Schärfe gewinnenden Auseinandersetzungen zwischen ihm und seiner in die Pubertätsphase hineindrängenden Tochter erklärt sich Mihriban daher immer wieder mit seiner ihr unheimlich vorkommenden Religiosität.

Die dramatische Zuspitzung dieses latenten Konflikts erfolgt in einem gemeinsamen Silvesterurlaub der drei in Ägypten. Während man dort in einem vorwiegend von deutschen Gästen besuchten Hotel im zweiten deutschen Fernsehen eine Live-Sendung verfolgt, ereignet sich in Deutschland ein Terroranschlag mit 9 Toten und hunderten Verletzten, der Islamisten zugeschrieben wird. Mihriban findet Indizien, die ihren Bruder unter den Verdacht der Mittäterschaft stellen und beginnt diesen auf eigene Faust nachzugehen. Erst zum absoluten Ende dieses kurzweiligen Romans erfährt der Leser, ob sich Mihribans dunkle Ahnung als berechtigt herausstellt oder lediglich ihrer Phantasie entsprungen ist.


Die Wirkung von Ressentiments gelangt zum Ausdruck

Die reale Bedrohung, die vom radikalem Islamismus ausgeht, wird ebenso zum Schilderungsgegenstand erhoben wie eine bis zu säkularisierten, aus muslimischem Umfeld stammenden Immigranten reichende kollektive Assoziierung bekennender Muslime mit einer Bedrohung für die deutsche Gesellschaft, die sich so tief verinnerlicht hat, dass sie den humanitätsverpflichteten Gläubigen, dem der Islam Identität und seelische Unterstützung bietet, nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Muslime wie Nichtmuslime, Immigranten wie Aufnahmegesellschaft haben sich ein Bild voneinander eingeprägt, das immer weniger hinterfragt wird und man häufig unreflektiert als "Realität" gelten lässt. Die gemeinschaftliche Verpflichtung des Islam, von der Deutschland ebenso zu profitieren vermag wie die traditionell muslimischen Gesellschaften wird dabei ebenso wenig wahrgenommen wie die Islamisten ein Gespür dafür entwickeln, dass die westliche Demokratie mehr bietet als lediglich die Freiheit, seinen Trieben und Gelüsten ungehindert nachzugeben.

Aus islamistischer Sicht stellt sich Deutschland und darüber hinaus der gesamte Westen als eine unwiederbringlich "verdorbene Gesellschaft" dar, die sich im rituellen Sektanstoßen zum Jahreswechsel manifestiert. Nicht umsonst haben sich die Attentäter in Sezgins Roman für zur Silvesterparty vorgesehenen Sekt als Objekt ihres Giftanschlags entschieden. Ein Kollektiv, das bereits mit der Sündhaftigkeit das Jahr beginnen und ebenso wieder ausklingen lasse, sei endgültig den Weg ins Verderben eingeschlagen.

Dieses einseitige Bild von der deutschen Gesellschaft mag auch daran liegen, dass nicht wenige Immigranten aus dem muslimischen Kulturkreis in Deutschland gerade jenen von der Freizeit bestimmten Lebensstil für sich übernommen haben und dementsprechend der normierenden islamischen Religion gegenüber sich mindestens ebenso distanziert und abweisend präsentieren wie die im christlichen Kulturkreis aufgewachsenen Deutschen. Mihriban steht exemplarisch für jene am individuellen Genuss interessierte junge Immigrantengeneration, deren türkisch-muslimische Herkunft im Prinzip nur noch am fremdländisch klingenden Namen und mediterranen Aussehen zu erkennen ist. Sie fühlt sich nicht nur als "echte Berliner Göre", hat den Türkischen Akzent zunehmend einer "Berliner Schnauze" geopfert, verbringt ihren Urlaub in auf deutsche Touristen ausgerichteten Hotels und sieht lieber deutsche Sexfilme als türkische Seifenopern, auch die Erfordernisse der islamischen Religion sind ihr ebenso fremd wie ihrer deutschen Großstadtumgebung.

Mag diese hundertundeinprozentige Anpassung an die deutschen Gesellschaftsideale den zum Islam zurückgefundenen Bruder Mesut geradezu in seiner Opposition gegen diese als "heidnisch" empfundene Zivilisation bestärken. Dessen plötzlich entdeckte Religiosität muss in diesem Milieu wie eine psychische Erkrankung erscheinen, bei der dem "Erkrankten" so ziemlich alles - einschließlich eines Terroranschlags - zuzutrauen ist.

Sezgins Roman bringt plastisch zum Ausdruck, wie sehr ein von Ressentiments und subjektiven Wertkategorien bestimmtes Bewusstsein unsere Einstellung gegenüber dem Anderen leiten kann. Zugleich stellt er sich als Plädoyer für ein permanentes Hinterfragen des von der Öffentlichkeit vorgesetzten Bildes und ein ständiges Überprüfen anhand der Realität heraus. In dieser Hinsicht kann die Romanprotagonistin Mihriban trotz ihrer unverkennbaren Voreingenommenheit gegenüber ihrem Bruder, dem Islam und Religion an sich als Vorbild gelten. Sie bemüht sich eigenständig um die Aufklärung des Anschlags und nimmt die Angaben der Polizeiberichte ebenso wie der darüber berichtenden Zeitungsartikel nicht unreflektiert als gegeben hin.

Letztlich ist das Buch als Aufforderung an die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu werten, ihr Islam- und Immigrantenbild nicht von der Außenwelt bestimmen zu lassen. Es gelte selbst herauszufinden, wo ein der Gesellschaft und ihrem Facettenreichtum dienlicher Islam zum Ausdruck gelangt und wo die Religion für die Rechtfertigung einer bereits vorhandenen, gegen den freiheitlichen Pluralismus gerichteten Einstellung instrumentalisiert wird.


Hilal Sezgin: Mihriban pfeift auf Gott
DuMont Buchverlag, Köln 2010


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Quelle:
© 2010 by Mohammed Khallouk
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2010