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BUCHBESPRECHUNG/051: Mario Puzo - Der letzte Pate (Mafia) (SB)


Mario Puzo


Der letzte Pate



MAFIA, auch MAFFIA [arab.-it] die; -, -s: erpresserische Geheimorganisation. MAFIOSO, der; -[s], ...si: Angehöriger einer Mafia.

So steht es schwarz auf weiß im Fremdwörterlexikon des Duden-Verlags. In diesen unsicheren Zeiten der zunehmenden Kriminalität und des immer lauter werdenden Rufs nach Law and Order wird das mythische Wort Mafia für beinah jede Art von Verbrechen benutzt, an dem sich mehr als zwei Menschen beteiligen. Glaubt man den hiesigen Ordnungs- und Sicherheitspolitikern, so wimmelt es in Deutschland geradezu von albanischen, afrikanischen, italienischen, jugoslawischen, kurdischen, polnischen, rumänischen, russischen, türkischen und vietnamesischen "Mafias". Der Durchschnittsbürger, dessen Einverständnis für die fortschreitende Errichtung eines europäischen Polizeistaates und den schleichenden Abbau von Bürgerrechten eingefordert wird, meint anhand des Sprach-Signals "Mafia" sofort zu verstehen, welche Bedrohung hier mit allen erforderlichen Mitteln bekämpft werden muß.

Daß der Begriff "Mafia" zur Sammelbezeichnung schlechthin für die scheinbar unschlagbare Hydra eines "straff-organisierten" Verbrechertums geworden ist, geht in erster Linie auf den riesigen, weltweiten Erfolg des 1970 erschienenen Romans "Der Pate" von Mario Puzo sowie dessen überragender Verfilmung von Francis Ford Coppola, die zwei abendfüllende Fortsetzungen nach sich zog, zurück. Die praktische Realität der Polizeiarbeit resultierte jedoch häufig in anderen Schlußfolgerungen. J. Edgar Hoover, der es als Gründer und Chef der US-Bundespoliziei FBI schließlich wissen mußte, hat bis zu seinem Tod im Jahre 1972 stets die Existenz eines "organisierten Verbrechens" bestritten und es statt dessen als reine Presseerfindung abgetan.

Fast dreißig Jahre später wartet Mario Puzo, der mit Romanen wie "Der Sizilianer" und seiner Arbeit als Drehbuchautor in Hollywood reich geworden ist, mit einem Anschlußwerk zum berühmten "Paten" auf. Auf dem Umschlag des Knall auf Fall "Der letzte Pate" betitelten Werks gemahnt der in verklärter Unschärfe gehaltene Marlon Brando an die große cineastische Tradition der Puzo-Romane, die ihm die Rolle des Don Corleone in dem berühmtesten aller Mafia-Kinoklassiker bereithielt. Verheißungsvoll lockt die Marketing-Abteilung des Ullstein-Verlags auf der Rückseite des Schutzumschlags:

In seinem neuen Mafia-Epos entfaltet Altmeister Mario Puzo die schillernde Welt der Mafia in gewohnt faszinierender Weise: Es geht um Ehre und Macht eines Klans, um Liebe und Verrat, Hass und Leidenschaft - und das grosse Geld.
Mit 'Der letze Pate' knüpft Puzo nahtlos an seinem ersten brillanten Mafiaroman 'Der Pate' an, den Roman, der Puzos Weltruhm begründete.

Doch wer "Der letzte Pate" liest, wird vergeblich nach Don Corleone oder dessen Söhnen Sonny, Fredo und Michael, geschweige denn seinem Consiglieri Tom Hagen, Ausschau halten. Dies ist nur der erste und auffälligste einer ganze Reihe von Unterschieden, die das versprochene "nahtlose Anknüpfen" an den berühmten "Paten" Lüge straft.

Im ersten Buch hatte Puzo eindrücklich die Hintergründe der Mafia in Sizilien sowie den Aufstieg einer fiktiven, sich im klassischen Sinne gegen den Staat und die öffentliche Administration definierenden, sizilianischen Großfamilie zu Reichtum und Macht im New York der zwanziger, dreißiger und vierziger Jahre geschildert. Der Reiz des "Paten" bestand zum großen Teil darin, daß sich Puzo in seinem Roman weitgehend an die tatsächlichen Gegebenheiten des sizilianischen Bandenwesens sowie dessen Verpflanzung in die USA seit Anfang dieses Jahrhunderts hielt. Die Existenz solcher Familien war erst Mitte der sechziger Jahren der großen Öffentlichkeit bekannt geworden, nachdem Joe Valachi als erster das Schweigegelöbnis der sizilianischen Clans, die berühmt-berüchtigte Omertà, brach.

Die Macht von Männern wie Lucky Lucciano oder Vito Genovese war dann kein Geheimnis mehr. Lucciano wird sogar nachgesagt, während des Zweiten Weltkrieges aus dem Gefängnis heraus mit der US-Regierung zusammengearbeitet zu haben. Seine Leute sollen in den Häfen der amerikanischen Ostküste Ausschau nach italienischen und deutschen Spitzeln gehalten haben. Außerdem soll er über seine Verbindungen in Italien der Invasion der britischen und amerikanischen Truppen den Weg geebnet haben. Nach der Eroberung Siziliens wurde sogar das Dorf Corleone zum Hauptquartier des US-Nachrichtendienstes auf der Insel.

Doch im seinem jüngsten, 1996 veröffentlichten Roman hat Mario Puzo den Sinn für die Wirklichkeit der italienisch-amerikanischen Verbrecherfamilien Ende des 20. Jahrhunderts völlig verloren. Don Clericuzio, "Der letzte Don", seine Söhne und Neffen ähneln eher den Figuren der US-Fernsehserie "Klan der Vampire" des Erfolgsproduzenten Aaron Spelling, der auch für "Drei Engel für Charlie" sowie "Beverly Hills 90210" verantwortlich war, als einer der noch real existierenden New Yorker "Familien". Dem Titel des "letzten Paten" zufolge hätte man vielleicht einen Roman über die Schwierigkeiten eines Bosses wie John Gotti, der vergeblich gegen eine Übermacht aus wiedererstarkten Innen-, Justiz- und Polizeibehörden kämpft, erwarten können. Statt dessen fühlt sich der Leser jedoch von der Realitätsferne des allmächtigen Clericuzio-Clans hochgenommen.

Wenn die Familie Clericuzio für die vielen Mafia-Imperien in den Vereinigten Staaten wie die heilige Kirche war, dann war Don Domenico, das Oberhaupt des Clans, der Papst, bewundert nicht nur für seine Intelligenz, sondern auch für seine Kraft.

Puzo, dem offenbar jeglicher Kontakt zum Bandenwesen abhanden gekommen ist, begnügt sich jedoch nicht mit dem bei Italienern allgegenwärtigen Klischee des katholischen Klerus, sondern schreckt auch vor den ausgeleiertesten aller Metaphern und Analogien:

Don Domenico führte seine Familie zu den höchsten Gipfeln der Macht. Das tat er mit an die Borgias erinnernder Grausamkeit und machiavellistischer Gerissenheit sowie einem soliden amerikanischen Geschäftsbewusstsein.

Dieser Don Domenico soll es innerhalb von nur fünfundzwanzig Jahren seit seiner Ankunft aus Sizilien geschafft haben, die Clericuzios zum mächtigsten Klan Amerikas aufsteigen zu lassen, der aus dem sicheren Hintergrund alle anderen Mafia-Gruppierungen der USA kontrolliert.

Die anderen Mafia-Familien dienten hauptsächlich als ausführende Barone oder 'Bruglione', die alle, sobald sie Probleme hatten, zu den Clericuzios kamen. (...) Die Clericuzios sorgten für Frieden zwischen ihnen, holten sie aus dem Gefängnis, versteckten ihre illegal erworbenen Gelder in Europa, arrangierte narrensichere Möglichkeiten, damit sie ihre Drogen nach Amerika schmuggeln könnten, und setzten ihren Einfluss bei Richtern und verschiedenen wichtigen Regierungsbehörden auf Landes- und auf Staatsebene ein.

Doch der alte Don Clericuzio und seine Söhne, Georgio, Vincent und Petie, wollen nun den Sprung in die legale Geschäftswelt vollziehen. Hier lehnt sich Puzo an die Grundzüge des dritten Paten-Films, dessen Drehbuch er zusammen mit seinem Freund Coppola geschrieben hat, an. Ansonsten hat dieser Roman herzlich wenig mit dem Mafia-Alltag zu tun. Wichtigster Austragungsort des Romans ist die Glitzerwelt Hollywoods, in die der Held des Buches, der Neffe von Don Domenico, Cross De Lena, als Produzent einsteigen will. Da merkt man, daß sich Puzo dort inzwischen weit besser auskennt als im mittelständischen Ganovenmilieu.

Eine der wichtigsten Figuren des Buches ist der erfolgreiche Romancier Ernest Vail, der sich nicht mit der Tatsache abfinden will, von einem der größten Filmstudios Kaliforniens übers Ohr gehauen worden zu sein. Erst mit der Schilderung der Scheinwelt der Kinoschaffenden und ihrer schaurigen Schattenseite macht das Buch auch richtig Spaß. Die Dialoge unter den Angehörigen der Hollywooder Nahrungskette, in der jeder mit jedem ins Geschäft beziehungsweise ins Bett zu kommen versucht, triefen geradezu von Hinterhältigkeit. An einer Stelle bittet der betrogene Romanautor Vail, in dem sich Puzo offenbar selbst beschreibt, seine Rechtsanwältin Molly Flanders um Aufklärung über die Tatsache, wie es denn sein könne, daß er keinen Cent bekomme, obwohl ihm zehn Prozent der Bruttoeinnahmen eines Films zuständen, der hundert Millionen Dollar eingespielt, aber nur fünfzehn Millionen gekostet hat. Darauf folgende Antwort:

'Das ist absolut legal', sagte sie. 'Sie halten sich an den Vertrag, den du von vornherein nicht hättest unterschreiben dürfen. Schau her, nimm ein Bruttoergebnis von einhundert Millionen. Die Kinos, die den Film zeigen, nehmen die Hälfte, so bekommt das Studio nur fünfzig Millionen, was man als Verleiheinnahmen bezeichnet.
Okay. Das Studio nimmt die fünfzehn Millionen heraus, die der Film gekostet hat. Bleiben noch fünfunddreißig. Den Bedingungen deines Vertrags und den der meisten Studioverträge nach behält das Studio dreissig Prozent des Ertrags für die Verleihkosten zurück. Das sind weitere fünfzehn Millionen in ihren Taschen. Womit wir bei zwanzig Millionen wären. Davon wiederum ziehen sie die Kosten für die Kopien ab sowie für die Kosten für die Werbung, die sich leicht auf weitere fünf belaufen. Bleiben nur noch fünfzehn. Jetzt kommt der Clou. Laut Vertrag bekommt das Studio fünfundzwanzig Prozent vom Budget für Studiofixkosten, Telefonrechnungen, Strom, die Benutzung der Atelier und so weiter. Womit wir bei zwölf wären. Gut wirst du sagen. Nimmst auch deinen Anteil von zwölf Millionen. Aber die Zugnummer des Films bekommt wenigstens fünf Prozent des Ertrags, weitere fünf Prozent Regisseur und Produzent. Was noch mal fünf Prozent Millionen ausmacht. Haben wir nur noch sechs. Endlich bist du dran. Aber nicht so schnell. Sie berechnen dir nämlich jetzt alle Verteilungskosten, sie berechnen dir fünfzigtausend für die Belieferung der Kopien für den englischen Markt, weitere fünfzig für Frankreich und Deutschland. Und schliesslich verlangen sie noch die Zinsen für die fünfzehn Millionen, die sie aufgenommen haben, um den Film zu machen. Und da komme ich dann auch nicht mehr mit. Jedenfalls versickern die letzten sechs Millionen. Das passiert dir, wenn du mich nicht als Anwalt hast. Ich schreibe dir einen Vertrag, der dir wirklich einen Anteil an einer Goldmine sichert. Keinen Bruttoanteil für den Autor, sondern eine sehr gute Definition von Netto. Verstehst du's jetzt?'
Vail lachte. 'Eigentlich nicht', sagte er.

Unter dem Titel "Der letzte Don" hat Mario Puzo ein Buch geschrieben, das sich wenig mit der Mafia, dafür jedoch um so mehr mit den Machenschaften hinter den Kulissen Hollywoods befaßt. Zwar ist der Roman sehr unterhaltsam und läßt sich leicht lesen, doch die mangelnde Glaubwürdigkeit der Handlung stellt ein ständiges Ärgernis dar. In Buch selbst beklagt sich der Autor Ernest "Ich hasse Hollywood" Vail, daß das Kino den Roman überflüssig gemacht habe:

'Ich bin wie eine von diesen alten Kulturen, die Azteken, die chinesischen Kaiserreiche, die indianischen Eingeborenen Amerikas, die von einem Volk vernichtet wurde, das über eine höher entwickelte Technologie verfügte. Ich bin ein echter Schriftsteller, ich schreibe Romane, um an den Verstand zu appellieren. Diese Art zu schreiben ist eine sehr rückständige Technik. Damit komme ich gegen das Kino nicht an. Im Kino gibt es Kameras, Bühnenbilder, Musik. Und es gibt diese grossartigen Gesichter. Wie soll ein Schriftsteller das allein mit Worten heraufbeschwören. Um im Kino gibt es ein begrenztes Kampfziel. Filme brauchen nur den Verstand zu erobern, sondern nur das Herz.'

Wenn dies die Einstellung Puzos zu seinem Beruf wiedergibt, dann läßt sich möglicherweise erklären, warum einer der erfolgreichsten Romanciers der Nachkriegsära den vielen Fans des "Paten" eine solche Mogelpackung auftischt. Von der Notwendigkeit eines "letzten Paten" könnte ihn auch der US-Großverlag Random House mit Blick auf die zu erwartenden Verkaufszahlen überzeugt haben. Wie dem auch sei, in Anbetracht der Lektüre läßt sich die Empfehlung an die Adresse Puzos aussprechen, sich künftig auf das Drehbuchschreiben zu beschränken und keine Romane zu verfassen, die das Niveau, das man angesichts des legendären "Paten" von ihm erwartet, so drastisch unterschreiten.

24. Juli 1999


Mario Puzo
Der letzte Pate
Ullstein