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REZENSION/005: Hans-Otto Meissner - Alatna (Abenteuer) (SB)


Hans-Otto Meissner


Alatna



Hans-Otto Meissner ist vielleicht einigen bereits als Verfasser romanhafter Schilderungen der Erschließung Kanadas und Nordamerikas bekannt, in denen er die Abenteuer und Probleme der historischen Expeditionen, die zuerst in diese Regionen vorstießen, ausführlich dargestellt hat. Dabei verstand er es immer, Landschaft und Natur der Neuen Welt in lebendigen Farben vor dem Auge des Lesers erstehen zu lassen. Das trifft auch auf den vorliegenden Roman zu, der in Alaska spielt, wobei hier der Schwerpunkt vor allem auf den Problemen liegt, die sich dem Menschen stellen, der in den unwirtlichen Weiten des Nordens auf sich allein gestellt überleben will.

Doch haben die Akteure in diesem Abenteuerroman nicht nur gegen das Wüten der Schneestürme und die eisigen Temperaturen des Winters zu kämpfen, sie treffen zudem im Rahmen einer spannenden Episode aus dem Zweiten Weltkrieg an einem mehr als abseitigen Kriegsschauplatz mit der ganzen Konsequenz gegenseitiger Vernichtungsabsicht aufeinander. Damit wird die Jagd als wesentliche Überlebenstechnologie über ihre Funktion zur reinen Nahrungsbeschaffung hinaus zur strategisch durchgeplanten Konfrontation zweier gleichwertiger Raubtiere, die sich in den Personen des japanischen Leutnants Enzo Hidaka und des amerikanischen Scouts Allan McCluire zu einer dramatischen Abfolge von Listen, Schlichen und Finten mit überraschendem Ausgang steigert.

Der Krieg zwischen Japan und den USA bietet den Rahmen für diesen Kampf zweier kleiner, immer weiter zusammenschmelzender Gruppen von Japanern und Amerikanern im nördlichen Alaska. Ausgangspunkt ist die tatsächlich erfolgte Eroberung der westlichsten amerikanischen Aleuteninsel Attu durch die Japaner, die diese mit 4.000 Mann besetzten und zu einer regelrechten Festung ausbauten. Dazu versahen sie den Fels der Insel mit einer Vielzahl von unterirdischen Gängen, Hallen und Depots und schütteten auf der Oberfläche der bergigen Insel ein Tal zu, um eine Landebahn von drei Kilometer Länge für Langstreckenbomber einzurichten. Das Schicksal der Insel ist für den weiteren Verlauf nur von nebensächlicher Bedeutung, doch in einer Fußnote versäumt es der Autor nicht darauf zu verweisen, daß nach der Erstürmung im Jahre 1945 bis auf einige Schwerverletzte alle 4.000 Japaner tot waren. Sie waren gefallen oder hatten den Freitod gewählt.

Um zuverlässige Wettermeldungen für einen geplanten Angriff der Bomber auf nordamerikanische Städte zu bekommen, wird eine handverlesene Eliteeinheit aus japanischen Soldaten um den Leutnant Hidaka mit dem Fallschirm über dem Norden Alaskas abgesetzt. Der japanische Offizier wurde aufgrund seiner Erfahrungen bei den Oschonen in der Wildnis der Mandschurei, die er als Verbündete Japans gewann, seiner Ausdauer als olympischer Zehnkämpfer und seiner perfekten Englischkenntnisse für diese Aufgabe ausgewählt. Die Gruppe hat den Auftrag, tägliche Wettermeldungen zur Insel Attu durchzugeben und sich ansonsten in der menschenleeren Landschaft Nordalaskas möglichst unsichtbar zu machen.

Nachdem diese Funkmeldungen aufgefangen wurden und man sich ziemlich sicher ist, daß es sich um Japaner auf dem Festland Alaskas handelt, formiert sich auf der amerikanischen Seite eine Gruppe von Alaskan Scouts um den Wildhüter McCluire, der als eingefleischter Einzelgänger erst durch einige Tricks des verantwortlichen Generals für diese Aufgabe gewonnen werden konnte. McCluires Ratschlag ist es zu verdanken, daß man auf die Entsendung von regulären Truppen verzichtet hat, die kaum in der Lage gewesen wären, in einem so großen Gebiet eine Gruppe von Menschen aufzuspüren, die sich im Verborgenen hält und ihre Spuren verwischt. Die Gegenüberstellung von militärischer Doktrin und dem ausschließlich auf die Bedingungen der Wildnis zugeschnittenem Vorgehen der Scouts geht natürlich zugunsten der Waldläufer aus.

Bis zu diesem Punkt wartet der Roman mit einer Vielzahl kleiner Geschichten und Episoden auf, die sich allesamt um die Jagd drehen und allein schon die Lektüre lohnen. Was hier an Finessen und Tricks zum Beispiel anhand einer mehrtägigen Jagd auf einen Vielfraß aufgeboten wird, deutet auf die Handschrift eines von der Jagd zumindest begeisterten Autoren. Und daß der erfahrene Jäger es auch versteht, auf dem Parkett gesellschaftlicher Konversation Beute zu machen, zeigt die List des Generals, der für den Einsatz verantwortlich ist und der bisher vergeblich versucht hat, den jede militärische Aktivität scheuenden McCluire für diese Aufgabe zu gewinnen.

Indem der General McCluire zu einem gemütlichen Austausch zwischen zwei passionierten Jägern einlädt, bereitet er den Boden für ein schrittweißes Ködern des spröden Wildhüters, der letztlich gar nicht anders kann, als voller Elan die Führung über die Menschenjagd zu übernehmen. Denn bei ständiger Zusicherung, daß man McCluire ja auf keinen Fall gegen seinen Willen verpflichten wolle, heizt der General die Jagdleidenschaft des Wildhüters mit seiner Geschichte von der Jagd auf einen menschenfressenden Tiger, in deren Verlauf er sich selbst zum Köder gemacht hat, so sehr an, daß er diese am Schluß nur noch dazu zu benutzen braucht, auf die noch reizvollere Aufgabe einer Jagd zu verweisen, bei der das zu erlegende Wild noch ungleich größeren Schaden anrichten könne als ein menschenfressender Tiger.

Dem Autor hält sich nicht lange damit auf, die moralischen Probleme einer solchen Menschenjagd zu thematisieren. In diesem Sinne ist das Buch äußerst prosaisch, es ist ein Roman um die Jagd und als solchem keinem zu empfehlen, der hier die Finsternis archaischer Grausamkeit heraufziehen sieht. Natürlich steht die Zwangslage des Krieges als legitimierendes Moment für eine solche Menschenjagd im Vordergrund, doch nachdem erst einmal geklärt ist, wer auf wen losgeht, beherrschen nur noch die praktischen und strategischen Belange der Jagd das Feld.

Und diese werden mit einer Konsequenz und Dichte in Szene gesetzt, daß das vor über 20 Jahren verfaßte Werk viele der Bestsellererfolge der modernen Gattung des Spannungsromans und Thrillers auf den zweiten Rang verweist. Geschickt wechselt der Autor zwischen den beiden Gruppen hin und her, ohne den Leser bereits wissen zu lassen, was die jeweiligen Akteure erwartet. Im Großen und Ganzen bleiben die Japaner das Wild und die Amerikaner die Jäger, doch das Verhältnis kehrt sich auch kurzfristig um und führt auf beiden Seiten zu schweren Verlusten. Die Bemühungen der Japaner, so unsichtbar wie möglich zu bleiben, werden detailliert beschrieben, und man kann die Ernsthaftigkeit ihrer Bestrebungen gut an der Bitte des Leutnants Hidaka an seinen Stellvertreter ermessen.

'Wir müssen zu Geistern werden, Yoshi, zu unsichtbaren Geistern. Die Erde darf uns nicht spüren, die Vögel dürfen uns nicht sehen. Wir müssen diese Art zu leben in unsere Männer hineindrillen, in Fleisch und Blut muß ihnen das übergehen. Keinen Schritt darf man hören, keine Spur darf bleiben. Glaub mir, Yoshi, wir werden das noch brauchen, nötiger als Schlaf und Nahrung. Ich bitte dich, denk immer daran und vergiß es keinen Augenblick!'

Beim Verwischen der Spuren wird jede Kleinigkeit berücksichtigt, und die geringsten Unaufmerksamkeiten finden ihren Niederschlag in den Schlußfolgerungen, die die Verfolger zu ziehen wissen. Jede Gruppe versucht, der anderen immer um mindestens einen Schritt vorauszusein, und bei der Verfolgung durchs Gelände wird auf Seiten der Japaner jeder nur erdenkliche Versuch genutzt, die Amerikaner auf die falsche Fährte zu locken, was auch öfters gelingt. Hier zeigt sich eine Grenze der vermeintlich sicheren Interpretation von Spuren und Zeichen - der Fährtensucher kann in seiner Fixierung auf das Lesen, in seiner Orientierung an hervorstechenden Merkmalen unversehens selbst zur Beute werden.

Im Verlauf des Romans eskaliert die Auseinandersetzung dann einerseits durch den gegenseitig zugefügten Verlust an Menschen und Ausrüstung, andererseits durch das Hereinbrechen des Winters, den es unter Mindestvoraussetzungen zu überleben gilt, zum finalen Aufeinandertreffen von McCluire und Hidaka. Der japanische Leutnant hat unterdessen das von ihrem Stamm zurückgelassene Nomadenmädchen Alatna vor dem Tode gerettet, und sie erweist sich aufgrund ihres Wissens um das Überleben in dieser Wildnis als große Hilfe. Hier sei noch kurz die Unsitte moniert, Bücher durch vermeintlich verkaufsgerechte Inhaltsangaben besser an den Kunden zu bringen. Auf der Rückseite der vorliegenden Goldmann- Taschenbuchausgabe wird tatsächlich behauptet, daß die beiden Männer um die Liebe des Mädchens Alatna kämpfen, was im Text nicht einmal in einem Nebensatz angedeutet ist.

Allein die Jagd des amerikanischen Scouts auf den japanischen Leutnant, der nach dem Verlust des Funkgeräts noch eine weitere Aufgabe zu erfüllen hat, erstreckt sich über mehrere Monate und weite Distanzen, die teils zu Fuß durchwandert, teils mit Eisschollen, selbstgebauten Booten und Flößen durchschifft werden. Die dabei durchquerte Landschaft und die Wechsel der Jahreszeiten werden mit dem routinierten Können des mit dieser arktischen Region vertrauten Schriftstellers anschaulich geschildert.

Es sollte auch erwähnt werden, daß es der Autor bei allen teilweise skurril anmutenden Eigenarten der Japaner, die sich insbesondere als alle Vorsichtsmaßnahmen durchbrechendes "Banzai"- Gebrülle, häufiges Verbeugen in Richtung des Tenno und bei Niederlagen nicht zu bremsenden Selbstmordgelüsten zeigen, nicht versäumt, einen Aspekt ihrer Eroberungspolitik zu schildern, der in westlicher Sicht meistens unterschlagen wird. Sie verstanden sich, bei aller Anmaßung eigener nationaler Überlegenheit, durchaus als Speerspitze gegen die jahrhundertealte Unterdrückung ostasiatischer Völker durch die Weißen, was im Roman im Kontakt des Leutnants Hidaka mit den Ureinwohnern Alaskas deutlich wird.

Überhaupt trifft man hier nicht auf die in amerikanischen Romanen moderne Verächtlichkeit Japanern gegenüber, im Wirbel des Geschehens gewinnen alle Akteure ein glaubwürdiges und persönliches Profil und lösen sich aus dem abstrakten Schema nationaler Gegensätze. Daß der Autor als Deutscher mit dem Ehrenkodex der japanischen Offiziere, der in vielerlei Hinsicht dem der preußischen Offiziere der Wehrmacht ähnelt, einige Schwierigkeiten hat, tut der Konsistenz der Charaktere keinen Abbruch.

Natürlich bleiben beim Thema der Jagd alle dargestellten Praktiken und Anschauungen streng im Gleis nachvollziehbarer Ursache-Wirkungs-Verhältnisse, bei aller Fertigkeit bleiben die Waldläufer auf das von Erfahrungen und Überlieferungen geprägte Deutungssystem angewiesen, was sie gleichermaßen manipulierbar macht und bei den beiden Hauptgegnern beinahe zu einer Pattsituation führt. So bietet auch eine im Rahmen dieses Systems ausgefeilt ausgelegte Spur keinen Anhaltspunkt für das, was von Ethnologen mit dem Begriff des 'Jagdzaubers' mehr Spekulationen lostritt, als auf irgendeine Weise zur Konkretisierung beizutragen. Das archaische Verständnis der Jagd, wie es sich etwa in den angedeuteten Überlebenspraktiken der Nunamiuten, der Nomaden Nordalaskas, verbergen mag, die unter widrigsten Bedingungen ohne moderne Technologie dauerhaft in dieser Region leben, erschöpft sich in Begriffen wie "Instinkt" oder "Ahnung", mit denen eine Grenze markiert wird, die der Verfasser nicht in Frage stellt.

Zudem stellen sich die Verhältnisse in dem Roman in idealisierter Form dar, da es sich bei Japanern wie Amerikanern jeweils um die Meister ihres Faches handelt, die es dann auch ohne moderne Hilfsmittel wie Gewehre oder Fangeisen schaffen, unter mensch- und tierfeindlichsten Bedingungen Beute zu machen. Sicherlich stellt sich das in der Realität um einiges problematischer dar, so daß die Fähigkeiten der Eingeborenen von der Omnipotenz der Hauptakteure unangemessen überdeckt werden. Auch funktionieren die gegenseitig ausgelegten Fallen und Hinterhalte so gut, daß wiederum Zweifel an der Weitsicht und Überlegenheit des jeweils betroffenen Opfers aufkommen muß.

Meissner stellt in seinem Buch "Die überlistete Wildnis", einem 1967 erschienenen Klassiker der Survivalliteratur, klar, daß sich die ursprünglich vom Militär betriebene Survival- Forschung ausgiebig bei sogenannten Naturvölkern und der Literatur früher Ethnologen bedient hat, um die verschiedensten Methoden des Überlebens in der Wildnis, wozu auch die Jagd gehört, zu perfektionieren. Einige der im Roman "Alatna" verwendeten Techniken werden auch ausdrücklich auf die Eskimos Alaskas zurückgeführt, andere sind vermutlich ähnlichen Quellen entlehnt. Doch so, wie das Vermächtnis dieser Naturvölker in den Augen Meissners schon mit dem ersten Messer Schaden nahm, das ihnen weiße Händlern in die Hand drückten, so verhält es sich wohl auch mit den Überbleibseln des von den Weißen für ihre Zwecke durchsiebten Wissens - es blieb nur das erhalten, was einen Platz im zweck- und nützlichkeitsbetonten Gebäude der Überlebensratio gefunden hat. Und ein Jäger, dessen Denken kausal determiniert ist, kann es eben nur mit Gegnern aufnehmen, die ihre Kreise in noch kürzeren und überschaubareren Zirkeln als er selbst ziehen.

Vom Standpunkt eines modernen Jägers, der aus Leidenschaft und nicht aus Überlebensnotwendigkeit seinem blutigen Handwerk nachgeht, hat Hans-Otto Meissner es jedoch verstanden, die konventionelle Praxis in den Rahmen einer alles an Ausdauer und Härte abfordernden Situation zu stellen und damit einen ursprünglicheren Bezug herzustellen. Die geschilderten Praktiken vermitteln ein Bild von den Bedingungen und Problemen, auf die man stößt, wenn man die Natur in einem weniger distanzierten und für das eigene Leben gefährlicheren Sinne in Gebrauch nimmt, und lassen erkennen, wie sehr der moderne Stadtbewohner jedes Verhältnis zur damit verbundenen Gewalttätigkeit verloren hat.

So stellen sich das Thema der Jagd andere Fragen als die des im Bewußtsein überlegener Technologie losziehenden Freizeitjägers, der mehr oder minder darauf wartet, daß ihm etwas vor die Flinte läuft. Ohne die Zivilisation im Rücken zeigt sich der Mensch als hilfloses Opfer, das vor allem durch starke Reproduktion überlebt, wenn man im Bild der im Buch geschilderten Karibuherden bleiben will, an deren Rand so viele schwache und kranke Tiere für die sie umgebenden Räuber abfallen, daß die Masse der Herde weiterziehen kann. In dieser Zweckmäßigkeit für die Existenz der ganzen Herde taucht das einzelne Tier nicht auf.

Doch auch die Errungenschaften der Zivilisation versetzen den Menschen nicht in die Lage, diese Herdendynamik hinter sich zu lassen. Das Überleben zulasten der eigenen Art bildet immer noch die Kernaussage aller Fluchtbestrebungen, bei denen man versucht, den andern zwischen die drohende Gefahr und die eigene Person zu bringen, ob in der impulsiven Reaktion auf einen körperlichen Angriff oder in der langfristigen Plazierung sozialer Ausgrenzungen und Stigmatisierungen. In diesem Sinne steht das Thema der Jagd auch für die Grundfrage nach der Bewältigung gegenseitiger Gewalt und des eigene Anteils daran, ob als Opfer oder als Täter. Hans-Otto Meissners Buch kann einen willkommenen Anlaß bieten, sich diesem Thema auf spannende und interessante Weise zu nähern.


Hans-Otto Meissner
Alatna