Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → ROMANE

REZENSION/047: D. L. Paxson - Die Keltenkönigin (Hist.-fantastisch) (SB)


D. L. Paxson


Die Keltenkönigin



In ihrem Roman "Die Keltenkönigin" beschreibt Diana L. Paxson aus der Sicht von Cridilla, einer der drei Töchter des keltischen Königs Leir, das Leben dieses legendären Eroberers und einiger seiner Zeitgenossen. Dabei werden grundlegende Interessenkonflikte zwischen Leir und seinen Töchtern, den von ihm unterworfenen Stämmen und der magischen Wirklichkeit der weitgehend verdrängten Ureinwohner zu einer farbenprächtigen Geschichte verflochten.

Die Romanheldin Cridilla vereint in sich die klischeehaft- egozentrischen Wunschvorstellungen amerikanischer Pseudofeministinnen mit der Ahnung, daß eine kriegerische Lebensweise nicht zwangsläufig im Kontrast zum weiblichen Geschlecht stehen muß. Doch trotz ihrer Träume von weiblicher Macht bleiben Diana L. Paxsons Frauengestalten an die Gesetze der Fruchtbarkeit und die Verpflichtung zum Gebären gebunden. In der üblichen esoterisch verbrämten Naturunterwerfung wird die Gebärfähigkeit der Frau mit dem Zugang zu geheimnisvollen Mächten verquickt und das willige Sicheinfügen in die damit verbundenen Körpervorgänge (Menstruation, Kopulation) als Zeichen spiritueller Reife gewertet.

Die von der Autorin beschworene Sinnenfreudigkeit findet in diesem Roman einen Ausdruck, der nur als koitusfixierte Reaktion auf die jahrhundertelange Verteufelung weiblicher Sexualität durch das Christentum begriffen werden kann, nicht aber als ernstzunehmender Versuch, die Erotik aus dem engen Rahmen "Mann-Frau-Kinderproduktion" zu befreien und ihr damit ihre Alltäglichkeit wiederzugeben.

Diana L. Paxson stützt sich bei ihrem Roman unter anderem auf historische Quellen, die bereits Shakespeare als Grundlage für sein berühmtes Theaterstück "König Lear" zu Rate gezogen haben soll. Darüber hinaus hat sie mit Unterstützung von Keltologen, Archäologen und umfangreichen historischem Quellenmaterial ihrem Roman einen so fundierten Hintergrund verliehen, wie dies bei einem derart weit zurückliegenden Zeitraum (5. Jahrhundert vor Christus) eben möglich ist.

Daß selbst Historiker über viele Zusammenhänge in damaliger Zeit nur spekulieren können, liegt unter anderem am Fehlen entsprechender schriftlicher Zeitdokumente. Man ist auf Sagen und Legenden sowie auf archäologische Funde angewiesen. Wie selten eine Historikerin legt Diana L. Paxson in ihrem Nachwort die spekulative Qualität der geschichtlichen Basis ihres Werkes offen. Sie distanziert sich dadurch wohltuend vom Wahrheitsanspruch vieler Wissenschaftler und verschafft sich selbst den Raum, die Ereignisse um König Leir von den möglichen Motiven der Beteiligten her zu beleuchten.

Die Geschichte ist in vielen Versionen überliefert, darunter in mehreren Volksballaden. Der Kern der Geschichte ist immer derselbe: Ein alter und mächtiger König beschließt, sein Königreich unter seine drei Töchter aufzuteilen, als Belohnung für eine Art von Treue-Schwur, den sie ihm leisten sollen, um ihre Liebe zu bezeugen. Zwei dieser Töchter schwören eine unmögliche Treue und verraten ihn später, während die dritte ihrer Wahrheitsliebe wegen kein Wort herausbringt, aus diesem Grunde des Landes verwiesen wird und später in einem vergeblichen Versuch, ihren Vater zu retten, dorthin zurückkehrt. (Nachwort, S. 436)

Trotz des sorgfältig recherchierten Hintergrunds bleiben die Charaktere des Romans flach und mit gängigen Vorstellungen überladen. Die einzige Romanfigur im Kreise König Leirs, die durch ihre Widersprüchlichkeit und ihr wenig an esoterischen Wunschvorstellungen orientiertes Verhalten hervorsticht, ist Krah, ein Angehöriger des von einwandernden Stämmen verdrängten alten Volkes der Senamoi. Krah wird in Leirs Haushalt aufgenommen und lebt dort mit dem selbstgewählten Status eines Haustiers, das der allgemeinen Belustigung dient.

Im Verlauf der Handlung stellt sich heraus, daß Krah, der in seinem Stamm in die Position eines Geistsprechers eingeweiht werden sollte, vor den Schrecken dieser Aufgabe geflohen ist. Er nimmt lieber die schlimmsten Erniedrigungen durch Leirs Gefolge in Kauf, als sich der Geisterwelt zu stellen. Dadurch gewinnt bei Diana L. Paxon wenigstens in winzigen Aspekten der Gedanke Gestalt, daß das sonst ausschließlich als faszinierend dargestellte Wissen der Alten dermaßen furchterregend ist, daß Menschen lieber sich selbst und sämtlichen ursprünglichen Interessen untreu werden, als sich mit ihm zu konfrontieren.

Krah sucht Zuflucht bei Menschen, die für seine Begriffe unwissend sind. Ihr Tun wird von Motiven gelenkt, die ihm fremd und gleichgültig scheinen. Dabei hofft er offenbar, daß er selbst Vergessen findet, wenn er sich unter Menschen aufhält, die nicht einmal mehr wissen, daß sie vergessen haben.

In gewisser Weise könnte Krah in seiner Furcht und Erbärmlichkeit stellvertretend für den Menschen an der Schwelle des vorchristlichen Zeitalters stehen, der sich dafür entschieden hat, vor seinen eigentlichen Problemen davonzulaufen und der Entwicklung von Feuer und Rad den Vorzug vor einem Wissen zu geben, dessen Schrecken ihm unerträglich scheinen. Daß Flucht jedoch nicht wirklich möglich ist, kommt ebenfalls in Krahs Schicksal zum Ausdruck. Er stirbt, indem ihm Leirs Feinde das Fleisch stückweise von den Knochen schneiden und den Hunden zum Fraß vorwerfen. Ihn ereilt das grausame Schicksal, vor dem er fliehen wollte, ausgerechnet durch jene Verhältnisse, in denen er Vergessen gesucht hat.

Leider konnte Diana L. Paxon in ihrem Bedürfnis nach Friede, Freude, Eierkuchen nicht darauf verzichten, Krahs bestialische Ermordung als Befreiung vom Fleische zu bejubeln. Ansonsten wird nämlich vor allem durch diese Randfigur die Schablonenhaftigkeit der meisten ihrer Charaktere angenehm durchbrochen. Ganz in diesem Sinne ist "Die Keltenkönigin" nicht wegen der Erzählweise oder den die Haupthandlung dominierenden Klischeevorstellungen der Autorin von einer matriarchalischen Denk- und Lebensweise lesenswert, sondern wegen der historisch-mythologischen Details, die wie aus Versehen eingestreut dem aufmerksamen Leser eine ganz eigene Geschichte erzählen.


D. L. Paxson
Die Keltenkönigin
Historisch-fantastischer Roman
Gustav Lübbe Verlag GmbH, 1994
448 Seiten
ISBN 3-7857-0729-0