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REZENSION/133: Werner Geismar - Mord am Hindukusch (Thriller) (SB)


Werner Geismar


Mord am Hindukusch



"Mord am Hindukusch" ist ein Thriller, und gemessen an den Erwartungen, die man mit diesem Genre verbindet, sorgt Werner Geismar zweifellos für ein fesselndes Lesevergnügen. Man legt dieses Buch höchst ungern aus der Hand, da man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht, und bedauert allenfalls, daß die allzu rasch schwindende Zahl der verbliebenen Seiten von einem nahen Ende kündet. Vielleicht legt man kurz vor Schluß eine Pause ein, um sich das Finale noch ein paar Stunden aufzusparen, vielleicht wirft man selbst diesen Skrupel sittsamer Ratio leichterdings über Bord, um auch noch den Rest auf einen Sitz zu verschlingen.

Wie schon der Titel vermuten läßt, kreuzt sich ein Kriegsszenario mit einem Kriminalroman. Daß diese Durchmischung keineswegs einer Verwässerung Vorschub leistet, sondern im Gegenteil beiderseitige Spannungselemente bündelt und verstärkt, bemerkt der Leser bereits nach wenigen Zeilen. Der Autor zögert keinen Augenblick, seinen Erzählungsbogen schon auf der ersten Seite voll zu entfalten, und noch ehe man sich's versieht, steckt man mittendrin. Mit dem Unteroffizier Franz Germer hat es einen ins Feldlager Masar-i-Scharif der Bundeswehr verschlagen, wo man das Rätsel um den Tod seiner Jugendliebe Aynur zu lösen hofft. Daß die junge Kurdin aus dem Trott der Geschichte hervorgetreten ist und den Mühlen der Tradition, den Regeln der Familie und den Gesetzen des Glaubens entsagt hat, um ihren eigenen Weg zu gehen, weiß man bereits. Doch ob sie von eigener Hand gestorben ist, wie es heißt, oder einer Bluttat im Namen der Familienehre zum Opfer gefallen ist, gilt es herauszufinden.

Das riecht förmlich nach einer unsäglichen Mixtur aus Rassismus und Militarismus, kulturalistischer Aggression gegen "islamische Rückständigkeit" und Verherrlichung deutschen Soldatentums - ist es aber nicht. Daß der Autor diese Klippen nicht nur umschifft, sondern die notwendigerweise wuchtigen Schläge eines Thrillers mit Schlaglichtern tiefgreifender Einblicke zu einer scharfen Kritik an Krieg und ziviler Grausamkeit zu verflechten versteht, ist die vielleicht größte Überraschung dieses Buches.

Wer den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch für eine Friedensmission hält, an den Aufbau des Landes glaubt und seine Zukunft in Demokratie und Freiheit am Horizont heraufziehen sieht, sei gewarnt. Vom blanken Glanz der Erzeugnisse deutscher Rüstungsschmieden, der sauberen Effizienz ausgefeilter Taktik und Logistik, ja selbst dem Kameradentum und anderen schier unausrottbaren Mythen der Militärmaschinerie bleibt nichts übrig. Als Kanonenfutter zu Machtdemonstrationen gezwungen, von Angst vor Anschlägen und Hinterhalten beherrscht, treibt man afghanische Kinderscouts in mutmaßliche Sprengfallen, schießt Verdächtige nieder, verwüstet man Gehöfte am Rande der Vormarschwegs, ohne das Desaster abwenden zu können. Es geht schlecht aus für die Bundeswehr.

Schon vorher war es niemals gut. Franz Germer hat keine Freunde in der Truppe. Er sieht sich von Gleichgültigkeit, Neid, Mißtrauen und Mordlust umgeben, von Feinden umstellt, die nur auf eine Gelegenheit lauern, alte Rechnungen zu begleichen. Doch das liegt nicht nur daran, daß er als Einzelgänger niemandem traut, denn wer hier Jäger und wer Gejagter ist, was individuelle Rachemotive oder zwangsläufige Folgen des Soldatentums sind, verschmilzt zu einer Unausweichlichkeit, die wie ein nicht aufzuhebender Fluch auf diesem Krieg lastet. Kein Wort von imperialistischer Expansion, Ressourcenraub oder geostrategischer Okkupation, und doch versteht es der Autor, die Verstrickung in Feindseligkeit, Vorteilsnahme und Fluchtphantasien unter den Soldaten zu einem Gegenentwurf hehrer Heldenverehrung, Opferbereitschaft und Kameradentreue zu schmieden, der durchaus Züge eines veritablen Antikriegsromans aufweist.

Als Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg samt seiner Gattin zu jener unsäglichen Talkshow anreist, kulminieren Schönfärberei, Offizierskastendenken, Hackordnung, Speichelleckerei und Intrigen zu einem ersten Höhepunkt. Und da alle Hauptfiguren und Handlungen frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen also rein zufällig sind, läßt der Autor die Farce zur Täuschung der Heimatfront selbst für die glühendsten Anhänger des herausgeputzten Ministers in Betretenheit enden. Alle sind erleichtert, die gespenstische Stimmung, im falschen Film zu sein, mit dem letzten einfältigen Schmunzeln des Moderators und den verklingenden Wortkringeln des obersten Dienstherrn abschütteln zu können.

Am folgenden Morgen bricht ein Himmelfahrtskommando aus dem Feldlager zu einem Einsatz auf, der Schlimmes befürchten läßt. Auf einer kahlen Hügelkuppe soll ein Vorposten geschanzt werden, was feindliche Kräfte wie ein Magnet anzuziehen droht. Damit nicht genug, ziehen alle Beteiligten in den Kampf, die Aynurs Tod auf die eine oder andere Weise nicht ruhen läßt. Keiner weiß, ob die Kugel, die ihm gilt, von vorn oder von hinten kommen wird, auf welche Weise wer mit wem abzurechnen plant.

Die zu befestigende Kuppe trägt den Namen "Höhe 304", und "Höhe 304" heißt auch ein Hügel des Todes in einem Taschenbuch über die Schlacht bei Verdun, das Franz Germer als einziges mit ins Feldlager genommen hat. Auf diesem Grabhügel starben im Ersten Weltkrieg Zigtausende Soldaten im mörderischen Granathagel, der, wie es Germer nun scheint, niemals geendet hat. Er ahnt, daß es derselbe immerwährende Krieg sei, der unter wechselnden Namen zahllose Opfer verschlingt:

"Die Höhe 304", sagte Franz. "Im Krieg wiederholt sich alles, wenn auch mit anderen Details." Er bückte sich und hob eine Handvoll krümeliger Erde auf und roch daran. Hier riecht's nach Blut, dachte er. Nach vertrocknetem Blut. Auf dieser Höhe ist es in Strömen geflossen. Und wenn man genau hinhört, vernimmt man, wie diese Erde nach noch mehr Blut schreit.
(S. 209)

Er kennt diesen Geruch aus seiner Kindheit, zu der die Erzählung in Rückblenden ein ums andere Mal springt. Von einem prügelnden Stiefvater und einer bigotten Mutter in die Einsamkeit getrieben, wächst er zu einem Außenseiter heran, der den Tücken sozialer Zwänge zutiefst mißtraut. Es sind Fragmente und Episoden, nicht selten so befremdend und fast mystisch anmutend wie die Rätsel Aynurs, die Massengräber skelettierter sowjetischer Soldaten bei der Höhe 304, die wirbelnden Staubgestalten auf der Hochebene und die unausweichliche Verstrickung der Protagonisten des Rachezugs. Es ist die Stärke dieser Erzählweise, daß sie immer wieder auf die Verstrickung menschlicher Beziehungen zurückkommt, nicht aus der Distanz beschreibt, sondern sich Schritt für Schritt durch ein Gestrüpp sozialen Gegeneinanders haut, hinter dem sich die nächste Bedrohung verbirgt.

Franz Germer ist eine Identifikationsfigur, die zu charakterisieren der Autor durchaus klotzt. Ein ehemaliger Rugbyspieler, hochgewachsen und massiv gebaut, mutig und intelligent, widerspenstig und dabei doch einer der Besten, wenn es im Einsatz darauf ankommt. Daß dies nicht zum Klischee schierer Stärke verödet, hat einen Grund. Man begegnet nicht der skrupellos überhöhten Fiktion des modernen Soldaten aus dem Actionkino oder Ballerspiel, noch den daran angelehnten Werbekampagnen der Bundeswehr. Eher schon dem klassischen einsamen Helden des alten Kriegsfilms, immer hart an der Grenze zur Rebellion und des Konterkarierens der Befehlsstrukturen und Ränge. Was Germer überdies sympathisch macht, sind seine besonderen Fertigkeiten im Kampf, die - dem Autor sei's gedankt - einem Indianerroman entsprungen sein könnten, wie ihn heutzutage angeblich niemand mehr liest.

Der Wermutstropfen im Lesegenuß soll nicht unerwähnt bleiben. Werner Geismar scheint wenig an fein gesponnenen Netzen irreführender Verdachtsmomente und filigran-überraschender Auflösungen gelegen zu sein. Wie bei seinem Helden, dem ein Mehr an Schwächen und Scheitern nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte, hämmert er mit grobem Keil auf grobem Klotz ein blutiges und furioses Ende herbei und verknüpft dabei recht brachial Stränge, von denen der Leser bisweilen noch gar nicht geahnt hatte, daß es sie geben könnte.

Andererseits sprechen wir hier über einen Thriller, dem man nicht gerecht würde, wollte man beckmessernd alles tadeln, was übers Knie gebrochen wird. Es handelt sich um Trivialliteratur, doch wer sie in verächtlicher Abgrenzung vom Anspruchsvollen geringschätzt, weiß nicht, was ihm entgeht. Daß man sich dieses Genre durchaus gönnen sollte und dabei den kritischen Geist nicht an der Garderobe abzugeben braucht, stellt Werner Geismar unter Beweis: Das Szenario deutscher Kriegsbeteiligung am Hindukusch läßt sich auch mit Mitteln konterkarieren, die unter dem Radar hochfliegender Analysen und Einschätzungen operieren und gerade deshalb dem Eingemachten so nahe sind.

*

Werner Geismar (geb. 20.12.45) lebt und arbeitet in Remagen. Der gelernte Journalist war zwanzig Jahre Redakteur beim Bergisch Gladbacher BASTEI-Verlag und leitete hier zwölf Jahre die Kinder- und Jugendredaktion als Chefredakteur. Er schrieb Drehbücher für Kinderhörspiele, produzierte Kinderfilme, Musik-Videos, schrieb Reiseführer-Bücher, Sternzeichenbücher (Astrologie), schreibt Krimis, Lovestories und arbeitet als Konzeptioner und Texter für Werbeagenturen und für eines der bekanntesten Designstudios Deutschlands. Er bezeichnet sich selber als "Medienmensch". [1] Seine Liebe gilt der brasilianischen Literatur und ihren großen Erzählern.


Fußnote:

[1] http://www.schenkbuchverlag.de/autor/36-Werner_Geismar-43-Die_Mallorca_Mafia

Siehe auch:
Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR:
     PROPAGANDA/1416: Ein Herz für Soldaten ... Kerner und die Guttenbergs machen mobil (SB)
     http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1416.html
     PROPAGANDA/1417: "Support Our Troops" ... Soldatenschicksale im Durchhalte-Talk (SB)
     http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1417.html

28. Dezember 2012


Werner Geismar
Mord am Hindukusch
Gardez! Verlag, Remscheid 2012
254 Seiten
Euro 9,90 (D)
ISBN 978-3-89796-238-5