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REZENSION/135: Karin Engel - Der geheime Salon (historischer Roman) (SB)


Karin Engel


Der geheime Salon



Es gab sie 1905, es gibt sie heute und es wird sie geben - schlaue, selbstbewußte Frauen, die ihr Leben nicht fremdbestimmen lassen, sondern selbst in die Hand nehmen. Angesichts der immer noch untergeordneten Entfaltungsmöglichkeiten des weiblichen Anteils in unserer Gesellschaft sind diese Qualitäten durchaus eine wirkungsvolle Waffe, gerade dann, wenn sich solche Frauen auch noch zusammentun, um ihre Absichten gemeinsam mit Witz und Erfindungsreichtum durchzusetzen. - Karin Engel, eigentlich Karin Angela Stahlhut, macht die Themen Eigenverantwortung, Zusammenhalt und Respekt unter Frauen zu ihrem Romanschwerpunkt. Ihre weiblichen Hauptpersonen haben im großbürgerlichen Milieu des Jahres 1905 in Bremen gegen Standes- und Besitzunterschiede anzukämpfen und müssen sich über starre geschlechtsspezifische Zuweisungen in der sogenannten heilen Familie dieser Zeit durchsetzen. Der Roman hat insgesamt eine ermutigende Grundaussage, obwohl darin die harte, soziale Realität des Frauenlebens, d.h. auch die Auseinandersetzung mit Gewalt, nicht ausgespart bleibt. Trotz des leichten und humorvollen bis ironischen Grundtons schlägt das Fabulieren nicht über die Stränge, die Grenze der Realität braucht dank der überraschenden Wendungen im Geschehen nicht überschritten zu werden.

Charlotte Engelbrecht bzw. durch Heirat die "Duquesa de Santanyi" ist 38 Jahre alt, als sie durch den unerwarteten Tod ihres Mannes Umberto, dem Duque einer Mandelbaumplantage auf Mallorca, mittellos, das heißt nach mallorquinischem Recht vollständig enterbt wird. Was sie in diese ausweglose Situation gebracht hat, ist ihr auch nach den Jahren in der Fremde unklar geblieben, denn ihre Ehe ist sie nicht gerade freiwillig eingegangen; ihr Vater wollte sie offensichtlich aus ihrer Heimatstadt Bremen und aus der ehrbaren, reichen Unternehmerfamilie Engelbrecht, deren Erbin sie geworden wäre, entfernen. Um endlich den Grund herauszubekommen, warum ihr Cousin Erik als Firmennachfolger eingesetzt worden ist, beschließt sie, in Bremen unter dem Vorwand, ihre Trauerzeit dort zu verbringen, ihrer Familie auf die Schliche zu kommen und sich zu rächen. In der alten Villa der Engelbrechts richtet sie zu diesem Zweck den sogenannten "Sommersalon" für die Kunstbegeisterten unter der reichen Bremer Bürgerschaft ein. Er wird zum Mittelpunkt der Racheplanungen, Intrigen und sich überstürzenden Ereignisse um einige kleine Vergehen und größere Unterschlagungen im Sumpf großbürgerlicher Ehrbarkeit und Moral.

Charlotte ist zu ihrer ganzen Freude nicht allein. Es gibt noch mehr Frauen in ihrer unmittelbaren Umgebung, die sich gegen ihr bisheriges, aufgezwungenes Leben auflehnen. Zusammen gründen sie den sogenannten "geheimen Salon", benannt nach dem versteckten kleinen Umkleidezimmer hinter dem eigentlichen Salon der Villa, im dem ihre geheimen Beratungen stattfinden. Ihre Beziehungen untereinander zeichnet aus, daß zwischen ihnen die gesellschaftlichen Schranken aufgehoben sind und sie sich mit großer Ernsthaftigkeit und Zuwendung begegnen.

Wenn ihr [Charlotte, Anm. d. Red.] jemand vor zwei Monaten prophezeit hätte, dass sie, verwöhnte Tochter aus gutem Bremer Hause und qua Heirat von spanischem Adel, Kopf einer Bande entschlossener Frauen sein würde, die sich ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Schranken zusammengefunden hatten, um Gerechtigkeit zu üben ... Charlotte schüttelte den Kopf. Die Vorstellung war zu verrückt. Und die Wirklichkeit übertraf sie bei weitem. Vier Frauen auf zu roten Sofas, jede eine Geschichte voller offener Fragen, Widersprüche und Uneindeutigkeiten.
(S. 317/318)

Ohne hier näher auf die einzelnen Frauenschicksale einzugehen, die sich übrigens alle eng miteinander verweben, sei betont, daß jede der Romanpersonen Gut und Böse in sich trägt und das betrifft sowohl die Protagonistinnen als auch ihre Gegenspieler. Es gibt keine Superfrauen und keine schönen Heldinnen, sondern alle haben Gewalt erfahren und tragen Wut und Rachegefühle in sich und sie lernen, damit umzugehen.

Der 480 Seiten dicke Roman hält den Leser auf jeder Seite in Atem, stellt aber auch auf den ersten 80 Seiten Anforderungen an die Konzentration auf den Aufbau einer äußerst breit angelegten, verwobenen Handlung und auf ein Beziehungsgeflecht von vielen Personen. Das spricht eher die aktive Leserin bzw. den Leser als den Konsumenten an, steigert aber auch das Lesevergnügen, denn die Distanz zu den Charakteren schrumpft bald auf ein Minimum, man kann sich gut mit ihnen identifizieren. Die Art der Verwicklungen, der Spannungsbogen, die Leichtigkeit, Feinsinnigkeit und Verspieltheit, mit der Karin Engel erzählt, und das versteckte Schmunzeln haben ahnungsweise etwas von einem klassischen Theaterstück, einer Komödie.

Der historische Hintergrund des Romans - das Ambiente der Stadt Bremen 1905 - erinnert bereits an heutige Verhältnisse, nur, daß zu dieser Zeit noch alles offener, im Aufbruch war und gesellschaftliche Widersprüche sichtbarer. Die Frauen hatten durch ein erstarkendes Bürgertum zwar mehr Eigenständigkeit erlangt, aber während die Jungen bessere Bildungschancen bekamen, mußten die Mädchen aus armen Familien eine schlecht bezahlte und kräftezehrende Arbeit aufnehmen und reiche Mädchen sich auf eine Ehe vorbereiten, denn sie hatten keine beruflichen Perspektiven. Die sozialen Schranken zwischen Arm und Reich waren noch sehr deutlich mit Moral belegt und Übertritte meist mit Gewalt verbunden, was besonders die Frauen betraf, die sich ohne irgendwelche Unterstützung in den Arbeitsverhältnissen gegen gewalttätige, männliche Übergriffe wehren mußten, Entmündigung und Einsamkeit in der alltäglichen Wirklichkeit erlebten. Es lag also nahe, sich zusammenzutun ...

Karin Angela Stahlhut ist in Bremen aufgewachsen und studierte in München. "Psychologie, Theaterwissenschaften, Neuere Deutsche Literatur und Kommunikationswissenschaften verdichteten sich nach Abschluss des Studiums zu einer veritablen Berufung - ich liebe es von ganzem Herzen, den inneren Kosmos des Menschen zu erforschen und darüber zu schreiben, sei es als Redakteurin für Frauenzeitschriften (Petra, Maxi, vital) oder heute als Buchautorin."
(http://www.karin-stahlhut.de//ueber_mich.html)

Fazit: Wer beim Lesen eines dicken historisch kolorierten Schmökers nur das Ersatzerlebnis sucht, in eine Wirklichkeit fern der im Argen liegenden sozialen Realität eintauchen will, Probleme mal wenigstens für seine Lesezeit zu verharmlosen wünscht, der braucht dieses Buch gar nicht erst aufzuschlagen. Wer aber neben der anregenden Auseinandersetzung mit durchaus aktuellen Problemen - dieser Roman ist nicht nur von einer Frau für Frauen - einfach auch eine ungebrochene, tempo- und geistreiche Unterhaltung mag, der ist mit diesem Buch gut beraten.

5. April 2013


Karin Engel
Der geheime Salon
Originalausgabe,
Knaur Taschenbuchverlag, München 2013
480 Seiten
Euro 8,99 (D) / 9,30 (A)
ISBN 978-3-426-50573-1