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REZENSION/152: Lena Johannson - Haus der Schuld (historischer Roman) (SB)


Lena Johannson


Haus der Schuld

In einem Interview aus dem Jahr 2010 antwortet Lena Johannson auf die Frage "Was macht den Reiz beim Schreiben aus? Was möchten Sie Ihren Lesern mitgeben?" folgendermaßen:



"Der Reiz liegt für mich ganz klar darin, dass ich bestimmen kann, wie sich eine Geschichte entwickelt. Obwohl ... Die handelnden Figuren machen sich meist nach einigen Seiten selbständig und diktieren mir, wie es weitergeht. Auch darin liegt natürlich ein großer Reiz.
Was möchte ich meinen Lesern mitgeben? Zunächst einmal möchte ich sie aus der Realität in eine andere Welt entführen. Wenn ich meine Arbeit gut gemacht habe, wollen die Leser aus dieser Welt am liebsten nicht zurückkommen, weil sie so gefesselt davon sind, weil sie die Figuren mögen und sich gut unterhalten fühlen. Ganz nebenbei möchte ich auch Wissen vermitteln. Darum recherchiere ich sehr sorgfältig. Ich glaube, durch einen guten historischen Roman kann man mehr lernen - und sich mehr merken - als im Geschichtsunterricht. Jedenfalls gilt das für mich." [1]

Um das Fazit der nachfolgenden Rezension ausnahmsweise gleich einmal vorwegzuschicken: "Haus der Schuld" erfüllt nicht nur diesen kurz und prägnant formulierten, ganz grundlegenden Anspruch der Autorin an sich selbst, sondern befriedigt mit Sicherheit auch die diversesten Wünsche einer an Afrika, an Geschichte, unterschiedlichen Kulturen, an gesellschaftlichen Verhältnissen, Familienkonflikten oder schlicht an einer spannenden Lektüre interessierten Leserschar voll und ganz.


Lena Johannsons im Dezember 2014 erschienenes Buch ist die geglückte Kombination aus einem unterhaltsamen, amüsanten Schmöker und einem gut recherchierten, zum Nachdenken anregenden historischen Roman, wobei der besondere Reiz des 410 Seiten starken Paperbacks in seinem geradezu raffiniert konstruierten Plot liegt.

Gleich auf den ersten zwanzig Seiten erfährt der Leser, worum es in ganz groben Zügen in der Geschichte geht. Wie schon der Buchtitel verrät, steht ein Haus im Mittelpunkt des Geschehens, ein in Ostholstein gelegenes, von uralten Bäumen umstandenes, verwahrlostes altes Forsthaus, das der vormalige Besitzer Paulsen vor mehr als 100 Jahren mit seinem gesamten Hab und Gut beim Spiel an einen betrügerischen Freiherrn von Eichenbaum verlor, wodurch er gezwungen war, mit seiner Frau nach Afrika auszuwandern.

Auf diese und noch eine andere damals von der freiherrlichen Familie an den Paulsens begangene folgenschwere und nie geahndete Gaunerei stößt nun in alten, vergilbten Familienbriefen ganz unverhofft deren Urenkelin, die in Hamburg lebende Hauptperson des Romans Amali Thale, als sie kurz nach dem Tod ihres geliebten Vaters dessen Nachlaß aufräumt. Voller Empörung beschließt sie kurzerhand, für ihn und ihre Vorfahren postum juristische Gerechtigkeit und nach Möglichkeit sogar eine nachträgliche Entschädigung für sich selbst zu erkämpfen, nicht gewillt, sich damit abzufinden, "daß es nun einmal Jäger und Beute gibt auf der Welt", und "daß es immer die Jäger sind, die gewinnen." Also macht sie sich auf, an den Schauplätzen der väterlichen Familiengeschichte in Ostholstein und Ostafrika dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen und zunächst einmal Licht ins Dunkel der natürlich schon längst verjährten Schuld zu bringen.

Die Stärke dieses Romans ist, wie gesagt, sein reizvoller, vielschichtiger Aufbau. Die Romanhandlung besteht aus zwei Hauptsträngen, die sich vom Umfang her ungefähr entsprechen und sich in zwei genau begrenzten, inhaltlich strikt getrennten Zeitfenstern abspielen: Das eine umfaßt das Sommerhalbjahr 2012 mit Amalis Spurensuche samt all ihren Erfolgen und Mißerfolgen, das andere die Jahre 1889-1919 der Familie Paulsen und deren Leben und Schicksal im exotischen Ambiente der deutsch-ostafrikanischen Kolonie, wobei jeweils mit genauen Orts- und Zeitangaben versehene Kapitel rein äußerlich dafür sorgen, daß der Leser problemlos und ohne die Orientierung oder den Faden zu verlieren von der einen Zeitebene auf die andere zu wechseln vermag, trotz der enormen Vielfalt an Episoden, Figuren, Lebens- und Denkweisen, sozialen und politischen Verhältnissen und dem im Grunde verwirrenden Nebeneinander der so unterschiedlichen Szenarien.

Gleichzeitig gibt es aber, was die innere Struktur betrifft, neben dieser völligen Unabhängigkeit der beiden Handlungsgeflechte eine ganz subtile, kaum wahrnehmbare Verwobenheit, eine Art roten Faden, der aufgrund verschiedener Berührungspunkte die beiden eigenständigen Teilgeschichten geschickt und fast unmerklich miteinander zur Hauptgeschichte verknüpft und dafür sorgt, daß der Gesamtzusammenhang nirgendwo auf der Strecke bleibt.

So ist zum Beispiel das Haus der Schuld, dem der Roman ja nicht von ungefähr seinen Titel verdankt, Ausgangspunkt für beide Handlungsstränge, nämlich für die Emigration der Paulsens wie für Amalis Spurensuche. Zudem haben beide Zeitfenster die gleiche Kulisse, natürlich mit zeit- und kulturgeschichtlichen Unterschieden, und in beiden sind die Familien Paulsen und von Eichenbaum als Protagonisten und Antagonisten vorhanden. Ganz zu schweigen von den Übereinstimmungen und Parallelen, die zur Fülle der Details gehören, die keinesfalls schon im Voraus preisgegeben werden dürfen.

Denn in beiden Fenstern beruht der Zauber der Lektüre weniger auf der Spannung eines wie im Film rasant vorandrängenden Handlungsablaufs, als auf einer an farbigen Details und an überraschenden Episoden reichen, das innere Auge und das Gemüt gleichermaßen beschäftigenden, liebevoll gemalten Bildfolge, wie bei einer Laterna magica. Daß sich diese farbenfrohen, leuchtenden Bilder häufig von einem eher dunklen, zuweilen sogar düsteren Hintergrund abheben, verleiht ihnen Tiefe und bedeutet eine Bereicherung.

Daß allerdings auch der Kampf Recht gegen Unrecht und Schwäche gegen Stärke beziehungsweise Machtlosigkeit gegen Macht, sowohl im Hinblick auf soziale Strukturen als auf Rassismus, sich als unaufdringliche, aber unmißverständliche Botschaft wie ein roter Faden durch alle Schichten des Plots schlingt und eine Art Leitmotiv darstellt, wird dem Leser erst im Laufe der Lektüre deutlich.

Eine zu dieser Thematik wichtige "Schlußbemerkung", die die Autorin dem Romanende hinzugefügt hat, sollte denn auch an dieser Stelle keinesfalls fehlen, auch wenn das Buch in seiner Gesamtaussage an Lena Johannsons Meinung über Kolonialismus und Diskriminierung jeglicher Art keinerlei Zweifel läßt.

"Sprache ist ein mächtiges Mittel. Ich bin mir dessen bewusst und weiß selbstverständlich, dass die Bezeichnung Neger heute nicht mehr akzeptabel ist. Im ausgehenden 19. Jahrhundert war das ganz anders. Die Sprache in den Passagen dieses Buches, die in der weiten Vergangenheit spielen, ist bewusst so gewählt. Sie soll die Einstellung der Europäer - von Unwissen oder auch Ignoranz geprägt - deutlich machen. ..." [S. 409]

Eine solche Verdeutlichung beabsichtigt ganz offensichtlich auch die zunächst eher befremdliche kritiklose Selbstverständlichkeit, mit der anfänglich die für heutige Maßstäbe inakzeptablen Umgangs- und Lebensformen, auch der eindeutig afrikafreundlichen und deutschlandkritischen Protagonisten, dargestellt und scheinbar einfach als historische Gegebenheiten hingenommen werden.

Daß durch die Thematisierung von Kolonialismus und Ausbeutung, Rassismus und Diskriminierung ein direkter Bezug zur aktuellen politischen und gesellschaftlichen Problematik der Lesergegenwart hergestellt wird, fügt dem Roman eine Extradimension hinzu, ohne ihn dadurch übermäßig zu befrachten oder das pure Lesevergnügen zu beeinträchtigen.

24. Februar 2015


(1) Fragebogen: 12 Fragen an Lena Johannson
im April 2010
Von Christa Dobrowolski,
http://www.droemer-knaur.de/leselounge/7762252/fragebogen-12-fragen-an-lena-johannson-



Lena Johannson
Haus der Schuld
Knaur Taschenbuch 2014
410 Seiten, 9,99 Euro
ISBN: 978-3-426-51435-1


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