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REZENSION/154: Markus Heitz - Exkarnation. Seelensterben (Thriller) (SB)


Markus Heitz


Exkarnation - Seelensterben



Markus Heitz hat den zweiten Band seines Exkarnation-Zweiteilers nach Herausgabe des ersten unverzögert weitergeschrieben. Seine vier verschiedenen, willkürlich an beliebigen Stellen kreuzenden Handlungsstränge, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, gehen im zweiten Band genauso unzusammenhängend weiter, wie sie im ersten abbrechen.

Das, was den Leser bei der Lektüre des ersten Bandes noch bei der Stange gehalten hat - Claires ungewöhnliche Seelenreise in Marlene von Bechsteins Körper -, fällt im zweiten völlig weg. Von Claire fehlt hier jede Spur. Es gibt nur noch Marlene, die ihren Mann sucht - eine öde Schnitzeljagd von Leipzig über Wien nach Kanada, deren Handlungsbogen dadurch, daß er ständig von den parallel verlaufenden Geschichten anderer Heitz-Figuren unterbrochen wird, auch nicht gerade gewinnt. Im Gegenteil, der Leser wird ständig mit weiteren Wirrnissen konfrontiert, die er nicht einordnen kann. Wo kommt denn nun eigentlich diese Sia her? Und wer ist Minamoto? Was hat es mit diesem Bernsteinzimmer auf sich? Konstantin Korff und Ares Löwenstein - muß man die kennen? Warum benimmt sich Marlenes Ehemann so seltsam?

Am Ende des ersten Bandes hat der böse, böse Dubois Marlenes Ehemann Eugen bei einem Geschäftstreffen dazu verleitet, einen von ihm mitgebrachten Energydrink zu trinken, von dem der Leser ausgehen sollte, daß in ihm das von Dubois entwickelte Serum enthalten ist, das einen Menschen innerhalb kürzester Zeit so sehr an seinem Leben zweifeln läßt, daß er gleichermaßen an gebrochenem Herzen und Willen stirbt. Der Körper des Verstorbenen ist dann bereit, von einer Wandler-Seele übernommen zu werden. Als Claires Seele im ersten Band aus Versehen in Marlenes Körper fuhr, war ein ganzes Team von Spezialisten damit beschäftigt, den Leichnam der von Dubois auserwählten Person vorzubereiten, die als Gefäß für die Wandler-Seele seiner Geliebten Anastasia dienen sollte. Nun braucht Dubois selbst einen neuen Körper und hat dafür Marlenes Ehemann Eugen auserkoren. Doch wie soll das ganze Prozedere in einem voll besetzten Restaurant unbemerkt vonstatten gehen können? Mit dieser Frage war man als Leser am Ende des ersten Bandes zurückgeblieben.

Im zweiten Band verhält sich der bislang freundliche Eugen ungewöhnlich, was darauf schließen läßt, daß sein Körper tatsächlich nicht mehr von seiner Seele bewohnt wird. Er ist unbeherrscht, gehässig. Dann ist er plötzlich verschwunden und Marlene geht davon aus, daß er entführt worden ist. Ein von einem eingeschüchtert wirkenden Kurier überbrachter Brief von Dubois bestätigt ihren Verdacht. Dubois droht, ihren Mann umzubringen, wenn sie sich einmischt. Aber in was soll sie sich denn nicht einmischen?

Die Handlung ist so zerrissen, daß man gut daran tut, sich die einzelnen Abschnitte jedes Handlungsstrangs herauszufischen und geschlossen zu lesen.

Da wäre zunächst einmal Lene von Bechstein, deren Körper eigentlich von Claires Seele bewohnt wird. Sie zieht mit zwei Protagonisten aus anderen Romanen von Markus Heitz (Konstantin Korff aus "Oneiros" und Ares Löwenstein aus "Totenblick") los, um ihren Mann zu suchen, wobei sich die beiden als ihre Leibwächter verstehen.

Ein zweiter Handlungsstrang beschreibt die Suche der Vampirin Sia, die man aus "Judastochter" kennen sollte, nach ihrer Tochter Elena, die von der Organisation Libra, die für den Ausgleich von Gut und Böse in der Welt kämpft, entführt worden ist. Ein weiteres Opfer dieser Organisation ist Sias Geliebter Eric von Kastell - auch eine Figur aus einem früheren Heitz-Roman. Die Suche nach den beiden verödet nach einem spannenden Auftakt leider in der ständigen Wiederholung blutrünstiger Ausschweifungen, die die im Grunde gutherzige Frau leider nicht verhindern kann, weil ihre Wildheit nach außen drängt und Blut fordert. Von ihrer Vergangenheit, die ihrer Person etwas Tiefe verliehen hätte, erfährt man auch im zweiten Band von "Exkarnation" nichts. Hat man die "Judas"-Trilogie nicht gelesen, kann man schon allein mit dem Begriff 'Judastochter' nichts anfangen.

Die Organisation Libra hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Bösen einzufangen und wegzusperren. Da das Böse auf dem Vormarsch ist, muß man verhindern, daß böse Seelen in den Pool der kosmischen Seelenmasse zurückgelangen, in dem sich die Seelen aller Menschen nach ihrem Tod sammeln und aus dem sie wiedergeboren werden. Man darf das Böse also nicht umbringen, sondern muß es davon abhalten, den Körper zu verlassen und den Pool zu verunreinigen. (Das erfährt man übrigens nur im ersten Band "Exkarnation - Krieg der Alten Seelen".(1)) Nun kommt das Bernsteinzimmer ins Spiel. Bernstein ist offenbar in der Lage, die Seelen bösartiger Kreaturen zu reinigen.

Einer der Mitglieder Libras ist Minamoto, der nun seinerseits - ja, was eigentlich? - verfolgt. Zumindest tut er etwas, das Libra besser nicht mitkriegen sollte. Irgendwann stellt sich heraus, daß er in Wirklichkeit ein Außerirdischer ist, der schon seit Jahrhunderten auf der Erde weilt und nach einem Weg sucht, in seine Heimat zurückzukehren. Ausgerechnet das Bernsteinzimmer soll dazu in der Lage sein. Sein Leidensgenosse ist der namenlose Professor - auch er ein Gestrandeter, "angespült auf der Erde, aus anderen Welten, welche die Menschen meistens Dimensionen nannten." (Seite 186). Vor mehr als sieben Jahrhunderten ist er durch ein Portal in diese Welt geraten.

Schlußendlich Inverno, der Feind aller Seelenwanderer: Ihm wurde in grauer Vorzeit die Seele geraubt. Denn er weiß nicht, wer er ist. Und so spürt er nach und nach einen Seelenwanderer nach dem nächsten auf, um ihm zwei Fragen zu stellen: "Wer bin ich, Seelenwanderer?" und "Bist du mir in einem früheren Leben begegnet?" Wenn der Angesprochene diese Fragen nicht beantworten kann, rammt ihm der Einäugige einen kugelschreiberartigen Kristall in den Kopf, in dem schon etliche Funken herumschwirren - die gefangenen Seelen seiner Opfer. Er sucht seit Jahrhunderten denjenigen, der seine Seele geraubt und seinen Körper seelenlos zurückgelassen hat. Im Gegensatz zu seinen Opfern ist er nämlich nach dem Raub seiner Seele nicht gestorben, sondern dazu verdammt, auf ewig seelenlos durch die Welt zu gehen. Er ist "leer, ohne Freude an allem, verzweifelt und besessen davon, eine Seele zu finden. Eine Vergangenheit zu finden. Ein Leben zu finden." (Seite 314). Er jagt und tötet wahllos Seelenwanderer aus kalter Rache, die ihm ein kleines Gefühl von Genugtuung verschafft. Auch Dubois ist eines seiner Opfer. Ihn zu überwältigen, bringt jedoch eine Wende in sein Leben. Im Todeskampf rammt ihm Dubois den "Seelen-Kugelschreiber" ins Hirn, woraufhin sämtliche bereits darin gefangenen Seelen in Invernos Körper einfließen. Das heilt ihn von seiner Besessenheit und er erkennt, daß er doch eine Seele hatte - die verwirrte Seele eines Seelenwanderers, die den Verstand verlor, als sie in Invernos Körper fuhr, nachdem der im Jahre 1929 Selbstmord beging. (Diesen mehr oder weniger erhellenden Umstand erfährt der Leser allerdings erst auf den letzten drei Seiten des Romans.)

Die einzelnen Handlungsstränge werden nach drei Viertel des Romans auf eine nicht unbedingt nachvollziehbare Weise zusammengefügt. In einem alten Nazibunker in der Nähe des Saarbrücker Hauptbahnhofs, den sich Libra als Forschungslabor eingerichtet hat, treffen nun alle zusammen, und ein Showdown beginnt, bei dem Minamoto und der Professor versuchen, in das Bernsteinzimmer zu gelangen, um den Planeten zu verlassen. Als Druckmittel lassen sie die Bestien frei, die in Zellen ihrer Reinigung harren, woraufhin ein unsägliches Gemetzel stattfindet, dem alle bislang Beteiligten versuchen zu entrinnen. Das Bernsteinzimmer vergeht in einer gewaltigen Explosion, die Minamoto zerreißt. Ob ihn dieser Abgang in seine Dimension zurückkatapultiert hat oder ob er dabei einfach nur krepiert ist, wird man wohl nicht erfahren. Die Guten können dem Inverno jedenfalls wundersamerweise wohlbehalten entrinnen. Apropos Inverno - den gibt's ja auch noch. Der taucht zu guter Letzt mit Eugen im Schlepptau bei Marlene auf und gibt sich als Geläuterter zu erkennen, der von nun an nur noch die bösen Seelenwanderer jagen will.

Markus Heitz schlägt nun erst einmal andere Wege ein. Sein neuer Roman heißt "Wédōra - Staub und Blut" und spielt in einer Wüstenstadt. Blutrünstige Monster und Seelenwanderer haben darin keinen Platz, wie er dem Schattenblick in einem Interview anvertraute. (2) Vielleicht sollte man dem Autor zugute halten, daß er vor seinem neuen Projekt einige Figuren zu einem Abschluß führen wollte und deshalb mehrere Stränge zusammenfügte. Doch da werden ihm seine Figuren wohl einen Strich durch die Rechnung machen, denn nicht nur Inverno, sondern auch Konstantin Korff sind bereits schon auf neue Abenteuer aus.


Anmerkungen:

(1) Rezension zu "Exkarnation - Krieg der Alten Seelen", siehe im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → BUCH → ROMANE
REZENSION/149: Markus Heitz - Exkarnation. Krieg der Alten Seelen (Thriller) (SB)

(2) Im Schattenblick unter: www.schattenblick.de → DIE BRILLE → REPORT
INTERVIEW/057: Leipzig, das Buch und die Messe - Erfolg, Irrtum und Selbsteinschätzung ... Markus Heitz im Gespräch (SB)

12. August 2016


Markus Heitz
Exkarnation
Seelensterben
Knaur Verlag, München 2015
656 Seiten
€ 14,99
ISBN 978-3-426-50593-9


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