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REZENSION/157: André Pilz - Der anatolische Panther (Krimi) (SB)


André Pilz


Der anatolische Panther



Ginge es nur um Kurzweil und ein bißchen Gänsehaut, die über das Genre Kriminalroman abgedeckt werden sollen, ließe sich der Roman "Der anatolische Panther" von André Pilz mit einem leichten Achselzucken weiterempfehlen. Es schadete nichts und täte niemanden weh, wäre die Romanhandlung nicht von so aktueller Brisanz. Protagonist und Ich-Erzähler ist der junge Deutschtürke Tarik Celal aus München-Giesing, dem es immer wieder gelingt, von einem Pech ins nächste Unglück zu stolpern, der sich als Kleinviertelganove und Drogendealer mehr schlecht als recht durchschlägt, eine Profikarriere als Fußballer ebenso in den Sand gesetzt hat wie seinen Schulabschluß, der bei seinem Großvater lebt, den er aber nicht "dede", sondern liebevoll "baba", also Vater nennt, weil er sonst keine Verwandten in Deutschland hat. Wehklagend über seine notorischen Mißgeschicke, an denen er jede Schuld und Verantwortung von sich weist, hadert er mit all jenen, die ihn schlechterdings ablinken, weil sie ihm sein Glück in der Gesellschaft mißgönnen.

So hängt er all die Tage ab mit einem multikulturellen Freundeskreis gleich ihm gegen den Lauf der Welt Gescheiterter. Die Bad Boys von Giesing eben, jene Schar von Nebelkriegern, die sich die Überlebensmaxime zu eigen macht: "Je härter sie dich schlagen, desto stolzer darfst du sein, wenn du die Schläge einsteckst und doch nicht aufgibst. Ihr Hass [...] ist unser Stolz." (S. 46) Alles rauhe Kerle: der Skinhead Doogie, der aber kein Nazi ist, Yiannis, der wortgewandte Grieche, und der in die Jahre gekommene Chemiker ohne Berufsanstellung, weil er jedes Vorstellungsgespräch verpatzt, Sugo-Joe und im weiteren Umfeld der fußballfanatische Zigeunerjunge Fonzo und dessen Cousin Ibo Breazu, genannt der schwarze Teufel, der in der Münchner Unterwelt einen gewissen Ruf genießt. Die Tapferkeit dieses gleichgesinnten Kreises besteht vor allem darin, gegen das Etablishment anzuschwadronieren und sich mit Drogen und Einbrüchen über Wasser zu halten. Ansonsten ist Partylaune angesagt und vor allem gilt es, Mädels abzuschleppen. Überhaupt spiegelt ein in allen Facetten pubertierendes Gebaren gegenüber Sexus und Libido die Mentalität der Clique wider.

Nur Tarik sticht ein wenig aus diesem Betongrau einer Langeweile hervor, die "Löcher in deine Seele frisst" (S. 49), weil er mit der kubanischen Medizinstudentin Nteba eine Liebesbeziehung pflegt, die etwas Sinn in sein tristes Dasein bringt. Daß seine große Liebe gleich zu Beginn des Romans wieder nach Kuba zurückfliegen muß, weil ihr Aufenthaltsstatus nicht verlängert wird, ist ein schwerer Schlag für den anatolischen Panther, der sich trotz aller Rückschläge ehrlich bemüht, "n guter Junge zu sein" (S. 57). Die romantisch übersteigerte Liebe zu Nteba mit all ihren Höhen, Tiefen und Verlogenheiten bildet einen Parallelstrang im Roman. So wird Tarik im Verlauf der Geschichte erfahren, daß Nteba verheiratet und keineswegs nach Kuba zurückgekehrt ist. Mehr als die Funktion eines emotionalen Weichspülers spielt diese wiederholt in die Handlung eingestreute und beinah künstlich am Leben gehaltene Episode allerdings nicht.

Kurzum: Die Geschichte um Tarik und sein verpfutsches Leben könnte endlos so weitergehen, wäre da nicht der Kriminalbeamte Gerhard Beer, der Tarik, zumal er unter Bewährung steht, ein Verbrechen anhängen möchte und ihn so erpreßt, entweder drei Jahre in der JVA abzusitzen oder einen Auftrag anzunehmen, der es in sich hat. Tarik soll nämlich in die Moschee des Haßpredigers Abdelkader al-Anbari, genannt der Derwisch, einbrechen und Beweismaterial für einen geplanten islamistischen Anschlag beschaffen. Tarik weigert sich anfangs vehement, sich von Beer in dieses Himmelfahrtskommando einbinden zu lassen, und schiebt seinen schwerkranken Baba vor, um den er sich kümmern müsse, weil dieser ohne ihn keinerlei Lebensperspektiven hätte. Aber Beer läßt nicht locker, beschwatzt und überredet ihn schließlich mit der Aussicht, die in einem Tresor gebunkerte Kriegskasse des radikalislamischen Predigers für sich behalten zu können, sofern er ihm gerichtsverwertbares Material übergibt. Tarik schlägt schließlich ein und gemeinsam mit Ibo gelingt ihm der Einbruch in die Moschee.

Was dann folgt ist eine hollywoodadaptierte Verfolgungsjagd, an deren Ende Tarik den Haßprediger in einem dramatischen Finish mit viel Brimborium und Blutvergießen überwältigt und eine bundesweit geplante Anschlagsserie auf den Schienenverkehr vereitelt, weil er die Codes dazu an Beer weiterleitet und das Leck im Verfassungsschutz, worüber der Derwisch über jeden einzelnen Schritt der Operation informiert war, aufdeckt. Der Kleinkriminelle Tarik muß zwar für einige Zeit in Untersuchungshaft, wird danach jedoch entlassen, weil er mit Beer, der natürlich für eine Sonderabteilung des Verfassungsschutzes arbeitet, einen Deal abgeschlossen hat. Für sein Schweigen in der Sache erkauft er sich die Freiheit. Baba, Ibo und der Leibwächter des Derwisch sind am Ende des Plots zwar tot, aber Beer zeigt sich erkenntlich und bietet Tarik, damit er endlich aufwacht und keine krummen Dinger mehr dreht, wie aus dem Nibelungenschatz der sozialarbeitenden Frontkämpfer der Gesellschaft voller Respekt und Dankbarkeit einen Trainerposten bei einem Fußballverein an, so daß Tarik am Ende aus welcher hirnverblasenen Kleinkariertheit heraus auch immer zu sich spricht: "Ich bin ein gesegneter Mensch". (S. 445)

Die Zusammenfassung verrät mehr Stringenz, als die Romanhandlung hergibt, die mit an den Haaren herbeigezogenen Zufälligkeiten und ganze Bibliotheken füllenden Brüchen und Lücken so dreist operiert, daß sich ein Sherlock Holmes im Grabe umdrehen würde, wäre er keine Romanfiktion. Für einen ernstzunehmenden Krimi taugt der Roman nicht, für eine Milieustudie ist er zu oberflächlich und banal. Das fängt schon mit der Titelfigur des anatolischen Panthers an: Was an Tarik ist echt, unterschichtsrelevant oder gar migrantentürkisch, außer daß er ebenso schablonenhaft wie unreflektiert einen Ausspruch von Baba nachplappert: "Keine Waffe der Welt könne einem stolzen, gottesfürchtigen und aufrechten Mann die Ehre nehmen." (S. 184) Von welcher Ehre ist hier die Rede? Tarik bricht nur deshalb in die Moschee ein, weil ihm ein Diebesgut von rund einer halben Million Euro lockt. Daß ihm seine Kumpels einen Anwalt finanzieren wollen, um den Erpressungsversuch von Beer ins Leere laufen zu lassen, interessiert Tarik nicht einen Augenblick lang, denn das Geld soll ihn nach Kuba zu seiner Geliebten bringen, um mit ihr an blauen Stränden ein sorgenfreies Leben zu führen. Auch kennt sein Opportunismus keine Grenzen. Immer wieder tischt er seinen Freunden und Gefährten gefährliche und infame Lügen auf, um sich ihrer Dienste zu versichern. Ibo bezahlt dies mit seinem Leben und Baba wird das Opfer einer Folterung.

Auch der durch den Roman hindurch inszenierte Milieujargon, mit dem der Autor Authentizität erwecken will, wirkt kläglich. Als Tarik Yiannis auf einer Toilette fragt, ob er ihm einen Gefallen tun könnte, antwortet sein Kumpan wie aus der Pistole geschossen: "Ich lass dich nicht mein' Schwanz anfassen, du." (S. 51) Als die migrantische Jugend, aber vor allem die Türkischstämmigen in den 1980er Jahren die Kanakensprache entwickelten, hatte dies wie verunglückt auch immer noch einen revoltierenden Charakter gehabt. Im Spannungsfeld zwischen der Ausgegrenztheit von der deutschen Mehrheitsgesellschaft und dem Wissen, den identitätsstiftenden Zugang zu ihrer eigenen Kultur unwiderruflich verloren zu haben, prägten sie eine Mischsprache, welche darauf ausgerichtet war, die ihnen zugewiesene Rolle als Unterprivilegierte im sozialen Raubgetriebe zum Ausdruck zu bringen und damit zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen. Daß der Roman allein der Entgleisung hin zu einer homophoben und frauenfeindlichen Diktion, wie sie in Teilen der Hip-Hop-Kultur heute eine weitgehend sinnentleerte Eigendynamik erfährt, Rechnung trägt, ist bedauerlich, folgt jedoch der eingeschlagenen Bahn, in aller Billigkeit Klischees zu bedienen und der Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse vorauseilend die Spitze zu nehmen.

Verheerender noch zeigt sich dies in der Präsentation der medial bis zum multiresistenten Ressentiment erweiterten Figur des Haßpredigers. Ein Haßprediger predigt eben Haß und Verschwörungstheorien und ist erkennbar an seinem langen Bart, wie im Roman vielfach zitiert. Und natürlich zeichnet ihn teuflische Durchtriebenheit aus, wenn er Tarik davon zu überzeugen versucht, daß Judafisten, Christen, Jeziden und Buddhisten, die nur Götzen verehren, aber auch "Schlampen ohne Kopftuch und Schleier" (S. 137) und die "liberalen Moslems, die es sich gemütlich gemacht haben im Westen, die sich angepasst und ihren Glauben verraten haben" (S. 137), ausgemerzt gehören. Und die Erklärung für ihren Abfall vom wahren Glauben ist namentlich die "zügellose Porno-Fress-Sauf-Konsumparty" (S. 154) in den Gesellschaften des Westens, wie der Derwisch nicht müde wird zu behaupten. In dem Moment geht Tarik ein Licht auf und er begreift: "Der Hassprediger macht aus diesen jungen Männern, macht aus diesen Verlierern und Gedemütigten Herrenmenschen" (S. 137), natürlich, um sie für die nächste Stufe des Dschihad einzustimmen. Denn nur jemand, der sich "in einen beinahe verrückten, verzweifelten Zustand bringt, weit jenseits von Vernunft und Eigennutz" (S. 156), könne ein wirklicher Gefolgsmann des Derwisch werden. Zum Heldenepos gerät schließlich, als der gute Moslem alias Tarik Celal den bösen Islamisten den Sicherheitskräften ausliefert.

Doch bei alledem ist Beer keineswegs eine Lichtgestalt. Nachdem er einen Verdächtigen windelweich prügelte und dafür abgemahnt wurde, hatte er seinen Dienst quittiert und wie James Bond made in Germany eine Stelle beim Verfassungsschutz angenommen. Seine Philosophie ist so einfach wie beliebig auf jedes Feindbild projezierbar: "Es gibt eine rote Linie, und wenn du die überschreitest, bist du zum Abschuss freigegeben. Das muss so sein, auch in einer Demokratie. Man kann sich nicht mit Kannibalen an einen Tisch setzen, in der Hoffnung, man würde nicht verspeist werden. Die kämpfen schmutzig, die tricksen, lügen, foltern, morden. Da musst du dir genauso die Hände dreckig machen." (S. 343) Daß er für seine erfolgreiche verdeckte Ermittlungsarbeit zu guter Letzt zum Deutschlandretter avanciert, eben weil er zu gegebener Zeit auf demokratische Grundrechte gepfiffen hat und für ihn jedes Mittel zur Gefahrenabwehr auch einen Verfassungsbruch legitimiert, ist nicht nur typisch Beer, sondern markiert einen Grundkonflikt demokratisch verfaßter Gesellschaften, der für den Autor anscheinend zu geringfügig ist, als daß er sich damit lange aufhielte. Es muß keine ideologieaffine Vorarbeit für jede Form der Gesetzesverschärfung oder ein verkapptes Plädoyer für die teilweise Aufhebung verfassungsrechtlicher Prinzipien dahinterstecken, aber die positive Resonanz in den Rezensionen läßt dennoch aufhorchen.

9. Februar 2017


André Pilz
Der anatolische Panther
Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2016
448 Seiten
EUR 12,95
ISBN 978-3-7099-7861-0


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