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BUCHBESPRECHUNG/003: Farrand - Cap'n Beckmessers ... (Star Trek) (SB)


Phil Farrand


CAP'N BECKMESSERS

Führer durch Star Trek Next Generation



In den Vereinigten Staaten können Sie Star Trek bereits als Studiengang wählen; das renommierte Londoner Wissenschaftsmuseum zeigt eine Star-Trek-Ausstellung; und der anerkannte theoretische Physiker Stephen Hawking hat Begriffe wie "Wurmloch" oder "Paralleluniversum" als festen Bestandteil in sein Theoriengebäude aufgenommen - wer also sollte Probleme damit haben, entsprechende Bücher aus diesem Science-fiction-Genre auch als Sachbuch zu deklarieren? So wie es wissenschaftlich fundierte Literatur zu jedem nur denkbaren Bereich des menschlichen Lebens gibt, so hat sich rund um die Fernsehserie Star Trek mittlerweile ein kunterbuntes Gemisch aus Kommerz, Kunst und Kosmologie etabliert, bei dem man auf gewohnt klare Unterscheidungskriterien zwischen Belletristik und Sachbuch verzichten kann.

"Cap'n Beckmessers Führer durch Star Trek The Next Generation" kann man als unterhaltsam geschriebenes Nachschlagewerk zu einem ganz spezifischen Alltagsbereich ansehen. Um es gleich vorwegzuschicken: Dieses Buch liest man nicht von der ersten bis zur letzten Seite, um es dann in den Bücherschrank zu stellen und dort verstauben zu lassen. Hier handelt es sich um ein Lexikon, in das der Star-Trek-Fan immer wieder nachschauen kann. Wenn er sich zum Beispiel gerade Episoden mit Jean-Luc Picard und seiner Brückencrew angesehen hat oder aber wenn er seine Videos, sofern vorhanden, ausgegraben und Cap'n Beckmessers witzig- bissigen Kommentar gelesen hat und sich anschließend um so mehr über das rege Treiben auf der Mattscheibe amüsieren will.

Phil Farrand hat ein unkonventionell aufbereitetes Lexikon geschaffen, das im ersten Anlesen so gar nicht wie ein Nachschlagewerk daherkommt und sich aus diesem Grund auch treffend als "Führer" durch Star Trek bezeichnet. Es wird nur denjenigen ver"führen", der gleich dem Autor der Faszination dieser Serie erlegen ist oder der zumindest den Samen zu einer nahezu bedingungslosen Hingabe in sich trägt. Also bitte, versuchen Sie nicht, einen anderen Menschen mit dem Buch zu beglücken, sofern jener noch keinerlei Berührung mit Star Trek gehabt hatte! Man versteht das Buch erst, wenn man die Serie kennt und schätzen gelernt hat - was allerdings bereits nach einer einzigen Episode geschehen kann.

Kommen wir nun zu der alles entscheidenden Frage, die vielleicht auch Ihnen schon die ganze Zeit unter den Nägeln gebrannt hat: Was zum Teufel ist ein Beckmesser???

Ein Beckmesser ist der absolute Fluch eines jeden Serienautors, denn er hat an allem und jedem etwas auszusetzen und puhlt selbst da noch Ungereimtheiten hervor, wo sich bei den Dreharbeiten Regieassistenz und Script - also die professionellen "Beckmesser", die fürs Nörgeln auch noch bezahlt werden - längst zufrieden in ihren Sesseln zurückgelehnt haben. Ein Beckmesser hat nichts anderes im Sinn, als überall Fehler, Widersprüche und Ungereimtheiten zu finden. Sie können sich sicher sein, der Autor Phil Farrand - der den selbstverliehenen Titel "Cap'n Beckmesser" trägt - hat sie gefunden, zumindest in den ersten sechs Staffeln aus "Star Trek The Next Generation", die in dem vorgestellten Buch behandelt werden. Um Ihnen eine Vorstellung zu geben, was man sich theoretisch wirklich nicht vorstellen kann, haben wir einige Beckmesser-Beispiele aus hunderten (!) ausgewählt.

Aus "Die Frau seiner Träume": Als die Brückenoffiziere der 'Enterprise' Gelegenheit erhalten, bei der ersten Kom-Verbindung ins tarellianische Schiff zu blicken, zeigt der Wandschirm die schöne Ariana. Rechts von ihr sitzt ein Mann in einem Sessel, der aus mehreren Kugeln besteht. Interessanterweise erscheint der gleiche Sessel in Worfs Quartier, bei 'Galavorstellung' (Peak Performance) und 'Tödliche Nachfolge'(Reunion). (S. 61)
Aus "Picard macht Urlaub": Nachdem Troi den Captain dazu überredet hat, Urlaub zu machen, vollführt sie die amerikanische Ja-Geste: Die geballte Faust scheint etwas nach unten zu ziehen, und gleichzeitig formen die Lippen ein stummes 'Ja'. (Ich habe diese Geste häufig bei meiner Tochter beobachtet und kann mir kaum vorstellen, daß sie auch noch im vierundzwanzigsten Jahrhundert üblich sein soll, noch dazu bei Betazoiden. (S. 297)
Aus "Gedächtnisverlust": Nachdem Riker von den holographischen Romulanern in einer Zelle untergebracht worden ist, versucht er, Informationen von dem Jungen zu bekommen. Er setzt sich aufs Bett und hebt die linke Hand zu einer der Geste der Freundschaft. Eine andere Kameraeinstellung zeigt, daß Riker die rechte Hand gehoben hat. Weitere perspektivische Wechsel zeigen jeweils die linke und die rechte Hand. (S. 362)
Aus "Wiedervereinigung?": Als Picard, Spock und Data aus Selas Büro entkommen, zeigt ein Kameraschwenk Selas Schreibtisch. Darauf steht eine kristallene Pyramide, und darin ist ein Mann mit lockigem Haar und Brille zu sehen; er kaut ein Kaugummi. (S. 226)

Diese kleine Auswahl kann natürlich nicht stellvertretend für das gesamte Buch stehen, sie repräsentiert noch nicht einmal die verschiedenen vom Autor verwendeten Kategorien "Ungereimtheiten bei der Handlung", "Logik und Voraussetzungen", "Geräte und Ausrüstung" sowie "Probleme mit Kontinuität und Produktion". Aber dafür wissen Sie nun, was ein Beckmesser ist: Cap'n Beckmesser weiß alles besser, er verkörpert den Nörgler par excellence, er ist der Oberstreber in der Unterprima ... und man kann es ihm nicht einmal verübeln! Denn selbst wenn manche Beispiele übertrieben erscheinen und gar nicht so widersprüchlich wie behauptet sind, so zeigt sich doch in allem quasi als roter Faden selbst durch die beckmmesserschste Anmerkung hindurch die tiefe Verbundenheit des Autors zu Star Trek und seinen Protagonisten. Cap'n Beckmesser ist, das mag sich erstaunlich anhören, das Gegenteil von einem Kritikaster. Seine Kritik entstammt nicht dem Verdruß, Mißmut und der generellen Beschuldigung seiner Mitmenschen, sondern sie entstammt einer ungezwungenen Freude an der Fernsehserie Star Trek.

Vielleicht hatten auch Sie schon einmal die Gelegenheit, sich die Serie anzusehen, möglicherweise sind Sie gar ein echter Trekkie. Wie dem auch sei, mit Sicherheit kennen Sie die Momente im Anschluß an einen Film, daß sie jemandem unbedingt erzählen möchten, was Ihnen aufgefallen ist, was "unlogisch" oder "widersprüchlich" erschien: Warum schickt der Captain von einem Sternenschiff mit mehreren hundert Mann Besatzung fast ausschließlich seine Offiziere in gefährliche Einsätze? Von welchem Leichtsinn sind der Androide Data und der Klingone Worf befallen, als sie auf einem völlig fremden Schiff mit großer Kraftanstrengung ein Schott öffnen und dann erstaunt sind, daß die Räumlichkeiten dahinter Luft enthalten? (Wäre es ein Schott zum Weltraum gewesen, was sie nicht wissen konnten, dann hätte die Serie auf zwei ihrer Helden fortan verzichten müssen.)

Von diesen und ähnlichen Fragen handelt das Buch, und Cap'n Beckmesser ist ein an sich gewöhnlicher Fernsehzuschauer, der solche Fragen auf die Spitze getrieben, ausgelebt und ein ganzes Buch daraus gemacht hat. Versetzt mit kurzen Quiz-Fragen und weiteren "Star-Trek-Persönlichkeitstests", arbeitet sich der Autor von Episode zu Episode voran und stellt auf diese Weise insgesamt stolze 670 Seiten zusammen. Dabei kommt der Humor keineswegs zu kurz, denn jede Beckmesserei wäre nichts als bloße Besserwisserei, wenn sie nicht mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen gelesen werden könnte.

Eine in unregelmäßigen Abständen eingestreute Kategorie wird "Bemerkenswerte Dialoge" genannt. Das ist eine, wie wir meinen, recht harmlose Umschreibung urkomischer Dialoge oder Situationen. Kleine Kostprobe gefällig?

Aus "Die geheimnisvolle Kraft": Bei einem Gespräch mit Worf weist Dr. Crusher darauf hin, daß sie sich mit seiner Gedächtnislücke befassen möchte. Woraufhin der Klingone erwidert: "Ich erinnere mich nicht daran, daß es überhaupt zu einer kam." (S. 42)

Fühlen Sie sich von diesen Beispielen inspiriert, oder sind Ihnen selbst auch schon Ungereimtheiten aufgefallen? Am Ende des Buches erhalten Sie den Hinweis, wie Sie selbst Mitglied in einer Beckmessergilde werden können. Wer also auf der gleichen Hyperfrequenz tickt wie der Autor, kann seine beckmesserschen Anmerkungen einsenden und wird dann in den illustren Kreis der völlig verrückten, abgefahrenen, verdrehten, aber überaus liebevollen Meister der spitzen Feder aufgenommen. Allen Trekkies und denen, die es werden wollen, wünschen wir viel Vergnügen, wenn sie sich von Cap'n Beckmesser durch Star Trek - Next Generation führen lassen!

Phil Farrand
CAP'N BECKMESSERS
Führer durch Star Trek Next Generation
Heyne München 1995
17,90 DM