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BUCHBESPRECHUNG/017: Regine Igel - Andreotti (Politik) (SB)


Regine Igel


Andreotti



Es gibt wohl kein westeuropäisches Land, in dem die politischen Skandale so dicht gesät sind und wo die Gefahr einer kommunistischen Machtübernahme nach dem Zweiten Weltkrieg so groß war wie in Italien. Die Wiege des Katholizismus, des Faschismus und der Mafia wurde nach der langen Herrschaft Mussolinis von der größten Zahl an Regierungswechseln aller europäischen Staaten der Nachkriegszeit durchgeschüttelt, zudem wurde es von einem einzigartigen Machtkampf konkurrierender Interessensgruppen überzogen, an dem sich alter europäischer Adel, verschiedene Mafiasyndikate, einflußreiche Industrielle, die römische Kirche, Geheimdienste aller Provenienz, eine starke kommunistische Partei, radikale linke wie rechte Gruppierungen und freimaurerische wie katholische Geheimgesellschaften beteiligten.

Die Namen der Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsalino symbolisieren den zwar teilweise erfolgreichen, aber letztlich mit dem eigenen Leben bezahlten Versuch, Recht und Gesetz in dieser Auseinandersetzung zu neuerlichem Ansehen zu verhelfen, während Berühmtheiten wie der wegen Bilanzfälschung jetzt zu 16 Monaten Haft verurteilte ehemalige Premierminister Silvio Berlusconi und sein Vorgänger Giulio Andreotti, der das Amt allein sieben Mal bekleidete, die Korruption der politischen Elite auch an höchster Stelle verkörpern. Bisher konnten zwar weder Andreottis Verbindungen zur Mafia noch die Anstiftung zur Ermordung des Journalisten Mino Pecorelli im Jahre 1979 bewiesen werden, mit dem er seine Verstrickung in einen Finanzskandal vertuscht haben soll, das könnte sich aber auch schwierig gestalten, denn der auch im katholischen Kampforden Opus Dei aktive Andreotti hat sich weiterer Strafverfolgung durch Flucht nach Tunesien entzogen, von wo aus er standhaft seine Unschuld beteuert.

"Andreotti" lautet auch der Titel eines Werks der in Italien lebenden Sozialwissenschaftlerin Regina Igel, das jedoch weit über das Schicksal dieses einen Vertreters der italienischen Oligarchie hinausreicht. Sie hat sich das politische Dilemma der Nachkriegszeit Italiens vorgenommen, um das Land in durchaus bewertender, gleichzeitig aber auch gut dokumentierter Form in den Mittelpunkt einer von den USA aus gesteuerten antikommunistischen Schlacht zu stellen. Im Klappentext wird Andreotti sogar als "williger Helfer des CIA" bezeichnet, was nicht überraschen kann, wenn man bedenkt, daß sich sogar der Papst höchstselbst als Informant des US-Auslandsgeheimdienstes nützlich gemacht hat.

Tatsächlicher Gegenstand des Buches ist daher die amerikanische Geheimpolitik des Kalten Krieges, die das durch den Kommunismus angeblich gefährdete Land fest in die Reihen des westlichen Bündnisses eingliedern sollte, auch wenn dies zum Preis jahrzehntelanger blutiger Auseinandersetzungen und der völligen Korrumpierung der italienischen Demokratie geschah. Da die Christdemokraten an jeder der mehreren Dutzend Nachkriegsregierungen beteiligt waren, hätte es bei einem ungestörten Verlauf der Dinge durchaus auch zu einer Koalition zwischen ihnen und den Eurokommunisten der KPI, die zeitweilig sogar die stärkste Fraktion stellten, kommen können.

Das wurde durch eine stetige Folge von Anschlägen rechter wie linker Extremisten, durch Entführungen und politische Skandale verhindert, die das Land von einer Krise in die nächste stolpern ließen, was eine friedliche sozialistische Reform praktisch unmöglich machte. Bombenanschläge wie auf die Mailänder Wirtschaftsbank im Jahre 1969, auf den Italicus Express zwischen Bologna und Florenz im Jahre 1974 und auf den Bahnhof von Bologna 1980 gehören nur zu den zerstörerischsten Beispielen einer Strategie, die Regina Igel zufolge wesentlich auf das Konto der CIA-Zentrale in Langley geht.

Zahllose Mordanschläge auf Politiker, Richter, Staatsanwälte und Journalisten sollen nicht nur der Hegemonie krimineller Syndikate, sondern auch den Manipulationen politischer Ränkeschmiede gedient haben. Legendenumwoben bis heute ist die Entführung und Ermordung des Christdemokraten Aldo Moro, die den Aussagen einiger Mitglieder der Roten Brigaden, die als Täter verurteilt wurden, sowie seiner Ehefrau auf den Einfluß hochrangiger amerikanischer Politiker zurückgeht. Auch der mysteriöse Flugzeugabsturz, bei dem der Chef der staatlichen Energiebehörde ENI ums Leben kam, wird mit der CIA in Verbindung gebracht, und beim Absturz einer DC-9 der Alitalia-Tochter Itavia im Juni 1980 steht Regina Igel keineswegs allein mit der Behauptung, hier habe es sich um einen Anschlag auf den libyschen Revolutionsführer Gaddafi gehandelt.

Dessen gute Kontakte nach Italien, das einen Großteil seiner Ölimporte aus Libyen bezieht, sollen zu großer Verstimmung in den USA geführt haben, denn Gaddafi investierte nicht nur große Summen in die italienische Wirtschaft, Rom revanchierte sich seinerseits auch durch die Lieferung von Kampfjets und die Bereitstellung von Pilotenausbildern. Bei dem inzwischen als bewiesen geltenden Abschuß der DC-9, der 81 Menschen das Leben kostete, soll es sich um ein Versehen handeln, das mit aller Macht vertuscht wurde. Von den wichtigsten Zeugen, die zu dem Vorfall, an dem laut einem neuen Radargutachten bis zu sieben Kampfjets verschiedener Nationen beteiligt waren, aussagen könnten, sind bereits zwölf unter zum Teil mysteriösen Umständen gestorben. Der mit dem Fall betraute Richter hat dennoch 80 Ermittlungsverfahren gegen Soldaten und Offiziere, darunter neun Generale, eingeleitet, doch die zur Mitarbeit aufgeforderten Regierungen in Washington und Paris verweigern sich standhaft jeder Kooperation. Dabei kreuzten zwei Flugzeugträger, die amerikanische "Saratoga" und die französische "Clemenceau", im Absturzgebiet der DC-9, und in der Nähe des Wracks wurde der Zusatztank einer amerikanischen Corsair gefunden, den Piloten nur im Notfall oder bei Kampfeinsätzen abwerfen.

An den Anfang der konzertierten Aktion gegen die italienische Demokratie stellt Regine Igel eine Tagung des Instituts für strategische Angelegenheiten des italienischen Generalstabs am 3. Mai 1965 in Rom, die eigentlich vom italienischen Geheimndienst CIFA veranstaltet worden sein soll. Dort sollen führende Vertreter rechter Organisationen sinistre Pläne zur Abwehr des Kommunismus geschmiedet haben, wobei man sich Guerilla- Operationen zur Entfachung eines "unorthodoxen Kriegs" bedienen wollte, um die italienische Linke wirksam zu diskreditieren:

Das Bemerkenswerte dieses Treffens im Hotel Parco di Principi ist nicht, daß sich die extreme Rechte zur strategischen Erörterung eines antikommunistischen Vormarsches versammelt. Eklatant ist, daß der Geheimdienst als Organ der parlamentarischen Demokratie zusammen mit erklärten Anti- Parlamentariern wie den Neofaschisten eine Strategie entwirft, die das Land mit Schrecken und Terror und unzähligen kriminellen Aktionen überziehen wird, in denen Hunderte unschuldiger Menschen sterben.

Zum Beleg dieser These schildert die Autorin daraufhin zahlreiche Operationen, in die etwa die Geheimorganisation Gladio und die Loge Propaganda Due verstrickt sein sollen, und benennt die Hintermänner der politischen Instrumentalisierung der Gewalt. Die propagandistisch aufgeblähte Schuldzuweisung an die Adresse der Linken berechtigt zur Jagd auf Linksextremisten aller Art, während die juristische Verfolgung der Anschläge durch die Vernichtung von Beweismitteln, das Präsentieren falscher Dokumente und präparierter Zeugen sowie die Bedrohung der Richter unmöglich gemacht wird.

Als Quellen verwendet die Autorin Akten der parlamentarischen Untersuchungskommissionen, Anklageschriften aus mehreren Verfahren sowie Zeitungs- und Zeitschriftenartikel. Die Vielzahl der Fakten wie auch der Kurzbiographien der Akteure allein machen das Buch lesenswert, wenn Regine Igel jedoch mit plausiblen Argumenten die Geheimpolitik der USA und insbesondere Ex- Außenministers Henry Kissingers, der von einem Mitarbeiter Aldo Moros bezichtigt wurde, diesen vor die Wahl einer Änderung seiner Politik oder dem Erleiden bitterer Konsequenzen gestellt zu haben, als treibende Kraft benennt, hebt sie sich in wohltuender Weise von der konsensorientierten Distanziertheit anderer politischer Autoren ab, die ihre indoktrinierende Intention hinter dem Schein einer vermeintlich objektiven Geschichswissenschaft verbergen:

Den harten Kern bilden natürlich die Geheimdienste, die italienischen und die amerikanischen. Auch die deutschen Geheimdienste tauchen bei Ermittlungen auf. Hinter den Geheimdiensten operieren paramilitärische Geheimtruppen, für die spezielle Ausbildungszentren geschaffen werden. Um diesen Kern herum sammeln sich für den harten antikommunistischen Kampf bereite Aktivisten. Aus der neofaschistischen Partei MSI und ihren rechtsradikalen militanten Abspaltungen, aus der monarchistischen und der christdemokratischen Partei, aus den Freimaurer-Logen.
Dazu kommen große und kleine Mittelsmänner der dunklen Machenschaften, kriminelle Banden, reaktionäre Wirtschaftskreisen, Teile der Armee, des Justizapparates und der staatlichen Ordnungskräfte. Auch die Mafia hat ein vitales Interesse an der Eindämmung der Kommunisten, die, an die Macht gekommen, wie die Faschisten Mussolinis deren kriminellen Machenschaften unter durchgreifende Verfolgung stellen würden. Nicht zu vergessen in dieser illustren Runde ist der Vatikan, der an einer weiteren Ausbreitung des Atheismus, der marxistischen Ideologie, nicht interessiert ist.

Die Roten Brigaden kommen bei Regine Igel keineswegs besser davon, sie gelten bei ihr ebenfalls als Vollstrecker der Geheimpolitik. Daß die Organisation vom Geheimdienst gesteuert worden sei, versucht sie unter anderem mit der Verhaftung des gesamten Gründerkerns zwischen 1974 und 1976 zu belegen:

In Deutschland wird der Weg für eine militärisch ausgerichtete und gesteuerte Organisation mit der Verhaftungswelle von 1972 und mit dem von vielen Seiten angezweifelten kollektiven Selbstmord 1976/77 im Gefängnis Stammheim frei. Diese auffällige Parallelität zwischen den beiden Ländern stützt einmal mehr die Vermutung einer ähnlichen, für mehrere europäische Länder geltende Strategie der Nutzung des Linksterrorismus.

Wie immer man die Schlußfolgerungen der Autorin, die bereits Bücher über den italienischen Geheimdienst und Silvio Berlusconi verfaßt hat, bewerten mag, das 378 Seiten starke Werk zeichnet das Bild eines tosenden Krieges unter dem Mantel einer harmlos wirkenden Oberfläche und wirft ein bezeichnendes Bild auf die italienische Nachkriegsgeschichte als einer fortdauernden Auseinandersetzung um eine mit allen Mitteln angestrebte Einflußnahme, in der die Bevölkerung Italiens gegenüber der globalpolitisch bedeutsamen Stellung ihres Landes als Brücke nach Nordafrika und den Nahen Osten so gut wie nichts zu melden hat.

Das Buch wird aufgrund der Stellungnahme der Autorin sicherlich einige vernichtende Kritiken auf sich ziehen, die Vielzahl der Indizien und belegten Intrigen sprechen jedoch für sich. Hier auf die historische Wahrheit in Form abschließender Untersuchungen und Urteile zu warten hieße die Dominanz machtpolitischer Strategien zu ignorieren und auf Institutionen zu bauen, die in Italien nachgewiesenermaßen nicht in der Lage sind, sich ohne Rückversicherung bei einem der Kontrahenten mit allen am italienischen Machtkampf beteiligten Kräften anzulegen.


Regine Igel
Andreotti
Herbig Verlag