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BUCHBESPRECHUNG/112: Wahrig - Deutsches Wörterbuch (Lexikon) (SB)


Dr. Renate Wahrig-Burfeind


Deutsches Wörterbuch



Ob für Lehrer, Studenten oder Deutsch Lernende - der "Wahrig", das "Deutsche Wörterbuch", ist im Laufe seines über dreißigjährigen Bestehens neben dem "Duden" zu einer Instanz geworden. Denn er hat es sich zur Aufgabe gemacht, "die deutsche Allgemeinsprache in umfassender Form" darzustellen (aus dem Vorwort), was bedeutet, daß er über alle Aspekte des deutschen Wortschatzes in einem Lexikon gleichzeitig informieren will, in ähnlich umfassender Weise wie das "Concise Oxford Dictionary" oder der französische "Petit Larousse". Das "Deutsche Wörterbuch" versammelt in sich ein Bedeutungs- und Rechtschreibwörterbuch und ein Synonym-, Fremdwörter- und Herkunftslexikon.

Da diese Bereiche alle berücksichtigt werden, ist das "Deutsche Wörterbuch" zwar äußerlich großformatig, dick (1452 Seiten) und damit unhandlich und schwergewichtig geraten, aber inhaltlich werden die einzelnen Themen auf wesentliche Aspekte reduziert dargestellt, so daß der WAHRIG übersichtlich ist und man ihn trotzdem gern zu Rate zieht.

Das Deutsche Wörterbuch liegt in der 7., neu bearbeiteten Auflage vor. Es folgt den Empfehlungen der "Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung" und ist somit auch für den Gebrauch an Schulen geeignet. Neue und bisherige Schreibungen sind farblich unterschiedlich markiert. Diese Auflage beinhaltet 250.000 Stichwörter mit Bedeutungserklärungen, Anwendungsbeispielen und Redewendungen. 500.000 Angaben werden zum richtigen Gebrauch der deutschen Sprache gemacht.

Von nicht zu unterschätzendem Wert für einen schnellen und genauen sprachlichen Zugriff sind die Deklinations- und Konjugationstabellen sowie das übersichtliche und leicht verständliche Lexikon der deutschen Sprachlehre mit allen Grundregeln der Grammatik und Rechtschreibung, die in dieser Kombination den Schwerpunkt auf die praktische Verwendbarkeit legen und Entscheidungen durch das Weglassen sprachtheoretischer Hintergründe abkürzen und erleichtern. Insofern erfüllt das "Deutsche Wörterbuch" seinen Anspruch ("...denn es will ja die Alltagssprache darstellen und zu ihrem richtigen Gebrauch anleiten", S. 17), und man greift für schnelle Entscheidungen bald lieber zum Wahrig als zum theoretischer angelegten Duden- Standardwerk.


Wörterbücher müssen regelmäßig aktualisiert werden. In der neuen 7. Auflage wurden ca. 3000 neue Begriffe aus den Bereichen Computertechnik, Internet, Politik, Naturwissenschaften, Medizin, Wirtschaft u.a. aufgenommen. Welche Wörter sind es aber laut Wahrig wert, als neue Wortschöpfungen oder neue Wortbedeutungen in den deutschen Wortschatz eingefügt zu werden und wie stößt man auf sie?

... ausschlaggebend für die Aufnahme der Wörter in das Wörterbuch ist ihre Verwendungshäufigkeit bzw. Gebräuchlichkeit. (S. 11)

Mit Unterstützung eines lexikographischen Programms wurden unter "Wahrigs" Initiative von Computerlinguisten Texte nach neuen Wörtern durchsucht, zum einen syntaktisch - ob sie als Artikel, Adjektiv oder Verb zu bezeichnen sind - und zum anderen nach Wortstammidentifikation. Unterschiedliche Filtermethoden schieden Namen und Rechtschreibfehler aus, die verbliebenen Wörter wurden nach Häufigkeit und Vorkommensmustern sortiert. Die Grundlage dafür bildete ein Archiv von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln: fünf Jahrgänge Süddeutsche Zeitung, Berliner Zeitung, Der Spiegel, Neue Zürcher Zeitung, Der Standard aus Wien und Spektrum der Wissenschaft - insgesamt 500 Millionen Wörter, die zusammen 25 Gigabyte Festplattenspeicher belegen. Nach hauptsächlich ausschließender Computerarbeit entschieden Redakteure über das weitere Vorgehen mit den wenigen Tausend übriggebliebenen Wörtern. Einige Kriterien lieferte ihnen das lexikographische Programm, zum Beispiel wie oft das Wort in den Texten verwendet wurde oder ob die Häufigkeit mit der Zeit zu- oder abnahm.

So entstand zwar ein repräsentatives Ergebnis, allerdings kann man daran auch ablesen, daß die Ergänzungen mit dem deutschen Wortschatz nur noch wenig zu tun haben. Die neuen Wörter des Grundwortschatzes und der Fachsprachen, sozusagen am Puls der Zeit, sind Anglizismen (z.B. "simsen" oder "Beamer", "Mobbing", "Modem", "Scanner" oder "Outplacement"). Ob es die Aufgabe eines deutschen Wörterbuchs sein kann, sie in den Wortschatz aufzunehmen, sollte man gut überdenken, will man der Vorherrschaft angloamerikanischer Kultur im deutschen Sprachraum nicht noch mehr Vorschub leisten. Das Hinzufügen zahlreicher englischer Begriffe, die eine scheinbar nicht durch deutsche zu ersetzende Einzigartigkeit besitzen, kann man kaum als eine Bereicherung oder Ergänzung der deutschen Sprache sehen. Vielmehr tragen die ausgewählten Begriffe zur Verarmung der Ausdrucksmöglichkeiten im Deutschen bei, denn die deutsche Sprachentwicklung erstarrt unter den englischen Wörtern, anstatt zu wachsen. Zudem kann sich die Ergänzung des Deutschen nicht auf quantitative Aspekte oder eine reine Sammelleistung beschränken. Im Grunde hat ein Wörterbuch doch auch die Funktion, die Wortwahl zu präsentieren und trägt dadurch einen Teil der Sprachentwicklung mit. Insofern hat dieses computerlinguistisch gesteuerte Verfahren zur Folge, daß die Absicht, den Wortschatz zu ergänzen, computersystemimmanent gesteuerten Interpretationen sprachlicher Trends und dem - noch nicht einmal immer sinnvollen - Computerauswahlverfahren zum Opfer fällt. Die Neuaufnahme der Wörter im Wahrig erweckt den Eindruck, als habe sich die Theorie, die zu dem Auswahlverfahren geführt hat, von der Lebensrealität der Sprecher weit entfernt und als sei außerdem unhinterfragt akzeptiert, daß das Deutsche als Wissenschaftssprache gerade verabschiedet wird.

Aber gerade, weil diese beunruhigende Entwicklung im neuen Wahrig sichtbar wird, und weil er in seinem Grundwortbestand der alte, benutzerfreundliche "Wahrig" geblieben ist (was Übersichtlichkeit und Umfang betrifft), bleibt am Ende nur zu sagen: Der Wahrig darf im Haushalt nicht fehlen.


Herausgeber: Dr. Renate Wahrig-Burfeind
Deutsches Wörterbuch
7., neu bearbeitete Auflage
Wissen Media Verlag GmbH
Gütersloh/München 2002
Über 250.000 Stichwörter
1452 Seiten, 34,- Euro
ISBN 3-577-10079-6