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REZENSION/008: Franz Alt - Schilfgras statt Atom (Ökologie) (SB)


Franz Alt


Schilfgras statt Atom



Die Energiediskussion nimmt kein Ende. In Zeiten, in denen bereits die "Windenergie", einst als umweltfreundlich erachtete "alternative" Möglichkeit der Energiegewinnung, in das Kreuzfeuer der Kritik gerät, wird offenbar, das die Probleme vielleicht einen ganz anderen Schwerpunkt haben, als bisher angenommen. Denn welche Form der Energiegewinnung auch favorisiert wird, sie alle scheinen Nachteile zu haben, die mehr oder weniger schwer wiegen.

Eine an vielen wesentlichen Schwierigkeiten vorbeigehende "Alternative" wird in dem Buch "Schilfgras statt Atom" vorgestellt. Der Autor, Franz Alt, der den meisten als Redakteur des ARD-Magazins "Report" noch gut bekannt sein dürfte, bemüht sich um die Gewichtung eines solchen "neuen" Schwerpunktes. Er appelliert an die Vernunft der Menschheit und sieht nur dann eine Chance für Veränderungen, wenn der einzelne ökologiebewußt lebt. Diesen Gedankengang vollzieht er so weit, daß er die Errichtung eines "Ökologischen Rechtsstaates" für unbedingt erforderlich hält.

"Schilfgras statt Atom". Das ist eine engagierte Schrift für den ökologiebewußten Menschen. "Schilfgras statt Atom" ist kein bloßes Energiekonzept, sondern eine Lebenseinstellung. Nur sehr vordergründig geht es um die Technologie der Energiegewinnung aus Schilfgras, und so entsteht der Eindruck, daß diese Idee als Aufhänger oder Transportmittel für eine dem Autor eigentlich viel wichtigere Mission benutzt wird: Das Nahebringen der Botschaft aus der Bergpredigt. Sie soll den Menschen den Weg zu einem umfassendem Wandel der bisherigen Lebensweise zu einem "Ökologiebewußten" Leben weisen.

Franz Alt nimmt sich zwar den Raum für eine ausführliche Beschreibung der momentanen Verhältnisse auf unserem Planeten, doch leider wirkt all das sehr plakativ, da er es bei einer Aufzählung beläßt und dafür bestimmte knappe Schlagworte verwendet, die hinlänglich aus den Medien bekannt sind. Erwähnt wird das Waldsterben, die Klimakatastrophe, das Ozonloch, der Treibhauseffekt, der Hunger in der Dritten Welt und die Gefahr, die von den Atomkraftwerken ausgeht.

Den aufrichtigen Veränderungswillen von Franz Alt einmal unterstellt, ist es hier gerade wichtig, einige seiner Thesen zu hinterfragen.

Da in diesem Buch sehr auf Vernunft und die Veränderungsbereitschaft der Menschen gesetzt wird, wäre zu überlegen, wie haltbar auf Vernunft begründete gesellschaftliche Strukturen sein können. Oft wird verkannt, daß wir es bei der Organisation einer Sozialstruktur mit der Gestaltung eines Systems von Regeln und Gesetzen zu tun haben, die die menschlichen "Bedürfnisse" ordnen. Besinnt man sich auf die wesentlichen Interessen des Menschen, wird deutlich, daß es sich zu allererst und letztlich um ganz elementare Angelegenheiten wie Essen und Trinken handelt. Und jeder kann für sich überprüfen, wie weit er selbst gehen würde, um in höchster Not etwas zu essen zu bekommen und wie weit seine "Nächstenliebe" dann noch reicht. Daß die Welt so ist, wie sie ist, kann mit Sicherheit nicht das alleinige Verschulden der "Unvernünftigen" und in diesem Falle dann der "Bösen" sein. Das Konzept mit den "Guten" und den "Bösen", daß die Welt so überschaubar erscheinen läßt, dieses einfache Schwarz-Weiß-Denken entlastet den Einzelnen, da natürlich immer der andere der "schlechte" Mensch ist. Das ist ein uraltes Prinzip und einer der Gründe, warum sich nie etwas ändern wird. Müßte Vernunft nicht bestenfalls als Appell verstanden werden. Vernunft hört aber gewiß dort auf, wo die essentiellen Bedürfnisse einzelner Menschen bedroht sind. Die Menschen müssen sich ändern, fordert Franz Alt. Doch wenn sie "vernünftig" werden sollen, dann bleibt es unerläßlich die entsprechenden staatlichen Maßnahmen und Regelungen dafür zu schaffen. Das ist für F. Alt gar keine Frage. Er hat die Idealvorstellung von einem "ökologischen Rechtsstaat".

Den ersten Schritt, den die Menschen in ihrer Entwicklung zu einem neuen ökologiebewußten Leben zu gehen haben, ist nach Auffassung von Franz Alt ein Schritt in Richtung einer Klärung der "Energiefrage". Sie muß vorrangig gelöst werden. Alle anderen Fragen könne man auch später klären.

    Die wichtigste Frage der Weltpolitik heißt heute: Wie retten wir mit einer anderen Energiepolitik das Weltklima?
    Alle anderen Fragen können später beantwortet werden - die Energiefrage nicht. Entweder wir ändern unsere Energiepolitik, oder wir werden von der Erde verschwinden.
    ... Ohne eine neue Energiepolitik haben wir keine Zukunft. ("Schilfgras statt Atom", S. 13)

Die Idee mit der Energiegewinnung aus Schilfgras, also einem nachwachsendem Rohstoff, beziehungsweise Brennstoff kommt ihm gerade recht. Dabei muß er allerdings übersehen haben, daß es sich auf keinen Fall um eine "alternative" Energiegewinnung handelt, denn auch hier werden wie in vielen herkömmlichen sogenannten Energieerzeugungsanlagen Stoffe verbrannt um Energie zu gewinnen. Da wären Kohlekraftwerke an erster Stelle zu nennen, aber auch sämtliche Kraftwerksanlagen, die durch Hitzeeinwirkung Druck erzeugen um Turbinen anzutreiben. Das Prinzip der Verbrennung bleibt erhalten und der Wechsel zu einem anderen "Brennstoff" scheint mir doch eine schwache "Alternative". Er hält an dem bekannten sogenannten "Naturgesetz" fest, daß durch Verbrennung Energie "entsteht" bzw. nutzbar gemacht wird.

Wäre er bereit, angesichts der auch ihm bekannten katastrophalen Verhältnisse, einen Moment lang darüber nachzudenken, daß es doch gerade der G l a u b e an Naturgesetze ist, der ihnen seit "Ewigkeiten" Gültigkeit verleiht, dann hätte er mit Sicherheit auch bemerkt, daß diese "Naturgesetze" ganz wesentliche Stützen unserer technologischen Entwicklung sind. Sollte man da nicht in Anbetracht der heutigen Verhältnisse ins zweifeln geraten? Die Faktenlage ist eindeutig. Einmal angenommen man beginnt hier mit der Überprüfung der Interessen, die uns an "Naturgesetze" glauben lassen, so würde deutlich werden, daß wir es mit wesentlich größeren Problemen zu tun haben. Probleme, die ihre Auflösung nicht in einfachen "Alternativen" finden, da jede "Alternative" lediglich eine Variante innerhalb der vorherrschenden Verhältnisse bleibt und somit nur eine Verschiebung der eigentlichen Schwierigkeiten darstellen kann. Gerade am Beispiel der Energiegewinnungsanlagen wird diese Verschiebung deutlich. Wenn "Naturgesetze" auch allein nicht zu eben diesen katastrophalen Verhältnissen führen, so helfen sie doch sie zu erklären und damit theoretisch akzeptabel zu halten. Kann es dann noch das Interesse von Herrn Alt sein, sich nach "Naturgesetzen" zu richten? Sollte man die "Naturgesetze" etwa in Zweifel ziehen? An dieser Stelle treten die Schwierigkeiten erst in ihrem gewaltigen Ausmaß auf.

Es geht also um mehr als um eine Lösungssuche. Ob Energie aus Windkraft, aus Schilfgras oder Atomkraft stammt, bleibt - abgesehen von den gesundheitlichen Gefahren - prinzipiell das gleiche (Um den Energiebedarf zu decken, müßte man irgendwann das ganze Land voller Windräder stellen oder die gesamte Fläche mit Schilfgras bepflanzen.), denn Energieerzeugung an sich erweist sich, wie leicht zu überprüfen ist, als unmöglich und bleibt eine Wunschvorstellung.

"Energie" steht für vieles: Essen, Trinken und Schlaf sind direkt auf den Körper bezogen; Heizmaterial, Elektrizität sind mehr oder weniger direkt mit diesen verknüpft. Allgemein kann gesagt werden, daß "Energie" begrifflich immer dann eingesetzt wird, wenn es um die Beschreibung der erhofften und erwünschten, aber ebenso vergeblichen Beseitigung dieser "Energielücken" oder anders ausgedrückt dieses Mangels geht. Die Notlage der menschlichen Existenz kommt im "Energie"-(ver)brauchen zum Ausdruck. Der Mensch muß essen, wenn er Hunger hat, oder er benötigt beispielsweise Elektrizität, um zu heizen, wenn er friert.

Versucht man eine genaue physikalische Begriffsklärung für "Energie" zu finden, wird man dabei kaum Erfolg haben. "Energie" bleibt ein nichts und alles sagendes Wort, daß immer dann verwendet wird, wenn von dem vergeblichen Bemühen um Mangelbeseitigung die Rede ist. Im übrigen dürfte kein Energietechniker und kein ernst zu nehmender Physiker bestreiten, daß der Aufwand, "Energie" zu erzeugen, im Zusammenhang betrachtet größer ist als der vermeintliche "Energiegewinn". Mit anderen Worten, daß, was zwar von allen gewünscht und ersehnt wird, kann faktisch mit unserer angewendeten Technologie auf keinen Fall erreicht werden. Auch die Hoffnung, die Pflanzen würden irgendwie anders "Energie" gewinnen, müßte aufgegeben werden. Pflanzen benötigen Boden, Nährstoffe, Wasser, Sonne und Lebensraum. Auch sie atmen und verbrauchen.

Das redliche Bemühen von Franz Alt, die Welt zu verbessern, basiert auf seinem Glauben, seinen Annahmen und Wünschen - wer würde dafür kein Verständnis haben? Doch was hat all das je genützt?

Er hätte sich, da er das Energieproblem zum Schwerpunkt in seinem Buch gewählt hat, besser und eingehend analytisch damit befassen sollen. Vielleicht hätte er bemerkt, daß die gesamte "Energiegewinnungstechnologie" absurd ist.

Es mag hier erlaubt sein, ein Bild zu benutzen: Nimmt man das erste Feuer, das der Mensch zu beherrschen und zu bewahren suchte, kann man sich leicht vorstellen, daß dieser Mensch immer mehr für den Schutz und den Erhalt seines Feuers unternehmen mußte. Das Heranschaffen von Brennmaterial war dabei genauso wichtig, wie der Bau eines Daches, um das Feuer vor Regen zu schützen. Aus dem Dach wurde eine Hütte, aus der Hütte ein Haus und die Notwendigkeit, alles zu diesem Feuer in dem Haus zu schaffen, damit man es bewachen und am brennen halten konnte. Es soll hier der Phantasie jedes einzelnen überlassen bleiben sich auszumalen, wohin ein so harmloser einfacher Sachverhalt führen wird.

Schließlich findet diese Entwicklung in den heutigen sogenannten "Energietechniken" ihren Ausdruck. Das Feuer ist inzwischen beispielsweise in die Brennelemente eines Atomkraftwerkes gebannt und wird dort scheinbar sicher kontrolliert. Den "Nutzen" von diesem "Feuer" haben jetzt viele Menschen in Form von Elektrizität. Doch zu welchem Preis - und damit ist nicht allein die D-Mark gemeint. Wem das zu einfach scheint, der möge doch einmal versuchen, sich die Kosten und den Aufwand des Betriebs eines Atomkraftwerks zu veranschaulichen und zwar unter Berücksichtigung sämtlicher Leistungen und Materialien. (die Maschinenherstellung und Materialbeschaffung für die Herstellung der Geräte zum Abbau des Urans, die Aufbereitung, das Material für den Bau der Aufbereitungsanlage, die Zwischenlagerung, die Wartung, der Bau, das Material, die Rohstoffe, der Transport, die Transportwege, der Bau der einzelnen Fertigungsanlagen etc.) Die Kette wird man nicht zu Ende führen können, doch bemerkt man vielleicht, daß an jeder Stelle ausschließlich Rohstoff, Material und Arbeitskraft verbraucht wird. Das hätte also auch Franz Alt bedenken müssen, wenn er sich sein "Energie-Konzept" umfassend ausgemalt hätte.

Nun, Franz Alt hat sich für die "Lösung" Schilfgras entschieden. Da er eine Pflanze als Rohstoff für die Energieerzeugung verwenden will, wäre es angemessen gewesen diese genauer zu untersuchen.

Den Pflanzen wird von den Vertretern der Nutzung nachwachsender Rohstoffe im Zusammenhang mit der Energiefrage eine effektive Nutzung zugesprochen. Doch selbst im Bereich der konventionellen Pflanzenforschung findet sich folgende Aussage:

Der Nutzeffekt der Photosynthese - das Verhältnis zwischen eingestrahlter und in pflanzliche Substanz umgewandelter Energie - liegt aus Gründen, auf die später noch eingegangen wird, sehr niedrig. Nur in hochwertigen landwirtschaftlichen Kulturen erreicht er drei Prozent, im Durchschnitt liegt er bei einem Prozent. ("Bild der Wissenschaft" 5/73 - "Photosynthese" von Juhan Ross, S. 516)

Es wäre auf jeden Fall angebracht gewesen, sich genauer mit der Photosynthese zu befassen, wenn man sie generell als den entscheidenden Faktor für die "Energieerzeugung" nennen will. Dieses Versäumnis von Franz Alt kann innerhalb einer Buchbesprechung natürlich nicht nachgeholt werden, doch reicht es hier vielleicht auch schon aus, sich daran zu erinnern, daß eine Pflanze ständig versorgt werden muß und das der Boden ebenfalls nach Nährstoffen und Wasser verlangt. Es müssen also auch hier Leistungen erbracht werden, bevor das Schilfgras soweit ist, daß es genutzt werden kann und diese Leistungen sind genauso zu berücksichtigen, wie diejenigen, die bei der Weiterverarbeitung bis hin zur Stromerzeugung erforderlich werden. Dies ist selbstverständlich kein Argument gegen die Nutzungsmöglichkeit von Pflanzen als "Brennstoff", wohl aber eines gegen die Ansicht, daß es sich dabei um eine "energetisch" effektive Methode handelt.

Es sind noch eine Reihe weiterer Schwierigkeiten in Verbindung mit dem Schilfgras sind zu nennen, die bei der Verwendung als Brennstoff bedacht werden müßten, und die in jedem Fall einen Aufwand in sich bergen oder mit sich bringen und eine effektive "Energiegewinnung" doch sehr zweifelhaft erscheinen lassen.

An erster Stelle sind die Umstände zu nennen, unter denen das Schilfgras, auch C4-Gras oder Chinaschilf genannt, wächst. Gerade diese Bedingungen behandelt Franz Alt als eine Art Konstante, obwohl er doch genau wissen müßte, daß die klimatischen Verhältnisse alles andere als konstant sind. Für die nahe Zukunft ist ein höherer CO2-Gehalt der Luft abzusehen, und es gibt bereits Studien über das wahrscheinliche Wachstumsverhalten von C4- und C3-Pflanzen. (Das Schilfgras gehört zu den C4-Pflanzen.) Dabei schneiden speziell die C4- Pflanzen schlechter ab, als die C3-Pflanzen.

"Im übrigen könnte eine CO2-reiche Atmosphäre eine andere Sorte von Pflanzen vergleichsweise benachteiligen: die C4-Pflanzen,..." und "Sollten C3-Pflanzen in einer Welt mit mehr Kohlendioxid die C4-Arten ausstechen, und dazu tendieren sie, hätte dies viele weitere Folgen." (Spektrum der Wissenschaft 3/92 , "Mehr CO2 - Wie reagiert die Pflanzenwelt?", S. 64 ff)

Folgendes ist zwar in dieser Kritik lediglich ein kleiner Nebenaspekt, soll aber nicht unerwähnt bleiben.

Es finden sich ein paar Ungenauigkeiten, die kein gutes Licht auf die Forschungen bezüglich des Schilfgras- Konzeptes werfen.

Bei Franz Alts Auslegung der Theorie über die Photosynthese mag wohl der Wunsch der Vater des Gedanken gewesen sein:

In diesen Zahlen liegt die Attraktivität des neuen Energiepfads. Das bedeutet aber auch eine deutliche Vergrößerung der Blattoberfläche auf den Feldern. Damit kann Sauerstoff aus CO2 zurückgewonnen werden. Das können nur Pflanzen. Als Gegengewicht zur Zerstörung der Wälder in tropischen Zonen können wir also durch viele C4-Pflanzen langfristig wieder Sauerstoff zum Atmen gewinnen. Die drohende Sauerstoffkrise ist noch kaum in unser Bewußtsein vorgedrungen. ("Schilfgras statt Atom", S. 122)

Folgt man den Auslegungen in Schul- und Lehrbüchern, dann stammt der Sauerstoff nicht aus dem CO2 der Luft, sondern wird durch Hydrolyse aus dem Wasser abgespalten. In einem Schulbuch von 1973 heißt es:

"Der bei der Photosynthese freiwerdende Sauerstoff stammt nämlich ganz aus dem Wasser, nicht aus dem Kohlendioxid; . . . Die Herkunft des Sauerstoffs konnte unter anderem durch Verwendung des Isotops ³O (n = 18) anstelle von ³O (n = 16) aufgeklärt werden. Algen, deren Photosynthese in Anwesenheit von Wasser H2³O (2 tiefgestellt; n = 18) ablief, schieden Sauerstoff ³O2 (n = 18, 2 tiefgestellt) aus." ("Biologie 12" (Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin 1973), S. 14)
"Der freigesetzte Sauerstoff stammt nicht, wie früher angenommen, aus dem Kohlendioxid, sondern aus dem Wasser." "Bild der Wissenschaft" 5/73, "Photosynthese", Juhan Ross, S. 515)

Sicher ist die Luftqualität ein großes Problem. Durch Verschiebungen in diesem Gasgemisch fällt es Menschen, Tieren und Pflanzen schwerer zu atmen. Doch scheint es zu einfach, sich einen Sauerstofflieferanten zu erdenken, der dieses Problem lösen soll.

Aber nicht nur diese direkt die Photosynthese betreffenden Fragwürdigkeiten, sondern eine Vielzahl weiterer Umstände tragen zu der Schlußfolgerung bei, daß das Schilfgras-Projekt gleich vielen anderen "Energiegewinnungstechniken" insgesamt gesehen umweltzerstörend wirkt, also keine Alternative in Franz Alts Sinn sein kann.

Franz Alt kann angelastet werden, daß er so bereitwillig eine selektive Sichtweise in bezug auf das C4-Gras geltend macht, obwohl er am Beginn seines Buches einige der brennenden Probleme unserer Zeit aufzeigt.

An dem Tag, an dem Sie dieses Buch lesen,
- sterben etwa 20 Pflanzenarten unwiederbringlich aus;
- sterben mehrere Tierarten unwiderruflich aus;
- sterben 100 000 Menschen an Hunger; diese Zahl entspricht der der Passagiere beim Absturz von 300 Jumbos
- wobei niemand überlebt und die Hälfte Kinder sind;
- werden 86 Millionen Tonnen Erdreich abgeschwemmt und abgetragen;
- nimmt der Waldbestand der Erde um 340 000 Quadratkilometer ab;
- werden allein 55 000 Hektar Tropenwald abgeholzt;
- dehnen sich die Wüsten um 20 000 Hektar aus;
- werden etwa 100 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Luft geblasen;
- werden 4 Milliarden Mark für Rüstung verpulvert. Auch heute ist durch Erosion mehr Ackerboden verlorengegangen, als in 1000 Tagen neu entstehen kann. (S. 48)

Wenn diese Auflistung auch vor dem Hintergrund geschieht, seine Idee von der Energiegewinnung aus Schilfgras zu bestärken, so darf es hier als grobe Nachlässigkeit, gemessen an seinem eigenen Anspruch, gewertet werden, wenn er diese Argumente in der Folge außer acht läßt.

Würde er zum Beispiel die hohe Bodenerosion und -ausmergelung ernsthaft mit in die Überlegungen zu einem Schilfgras-Konzept einbeziehen, dann müßte sie hier als ein wesentliches Problem auftauchen. Denn selbst wenn Franz Alt davon ausgeht, daß die Schilfgras-Pflanzen durch ein unterirdisches Bewässerungssystem mit Nährstoffen und Wasser versorgt werden (S. 128: "Da durch dieses unterirdische, computergesteuerte Bewässerungssystem eine regelmäßige und ausreichende Versorgung der Pflanzen mit Wasser, Dünger und natürlichen pflanzlichen Schädlingsbekämpfungsstoffen möglich ist, könnte der Energie- Ertrag gegenüber den bisherigen Versuchen in Deutschland gesteigert werden."), so wachsen sie doch bislang noch auf Böden.

In der Bundesrepublik Deutschland wird aber mit einem mittleren jährlichen Bodenverlust von ca. 20 Tonnen pro Hektar auf den fruchtbarsten Lößstandorten gerechnet. Umgerechnet erodieren 1 - 3 mm Ackerboden im Jahr, und 1 mm Bodenabtrag führt 10 kg Phosphat und 20 kg Stickstoff je Hektar mit sich fort. Unsere Böden weisen aber gerade eine Mächtigkeit von 0,5-1,5 m auf, und jedes Jahr bildet sich nur ca. 0,1 mm neu.

Es soll hier nicht irgendwelchen alternativen Anbaumethoden zur vermeintlichen Erhaltung des Bodens das Wort geredet werden, vielmehr soll dieses Rechenbeispiel verdeutlichen, daß wir es mit wirklichen Problemen zu tun haben, die sicher nicht durch ein unterirdisches Bewässerungssystem zu lösen sind.

Franz Alt setzt bei seinem "Schilfgras-Konzept" auf die Vergrößerung der stillgelegten landwirtschaftlichen Nutzflächen. Sie sollen für den Anbau von Schilfgras zur Verfügung stehen und so dem wachsenden Bedarf gerecht werden.

In der alten Bundesrepublik gibt es 12 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche. Mit Hilfe neuer Technologien werden künftig aber nur noch 3 Millionen Hektar Land für die Ernährung von Menschen und Tieren benötigt. ("Schilfgras statt Atom", S. 129)

Diese Überlegung ist in meinen Augen so weltfremd, daß kaum zu glauben ist, Herr Alt habe je darüber wirklich nachgedacht. In seinem Buch spricht er vom Hunger in der Dritten Welt und zieht hier dennoch keine Verbindung zu dem reichhaltigen Nahrungsangebot in der BRD. Ist denn bereits vergessen, daß wir unsere Nahrungsmittel oder die Rohstoffe, wie auch die Futtermittel zu großen Teilen aus den den sogenannten Dritte-Welt- Ländern beziehen und dort auf diese Weise Anbauflächen besetzen. Den Anbau von Pflanzen zum Zweck der Energieerzeugung für eine meist sehr unbedachte Energienutzung kann doch nur dann gutgeheißen werden, wenn man ignoriert, daß auf indirekten Wegen die in der BRD stillgelegten Flächen ungefähr ihre flächenmäßige Entsprechung in den sogenannten Dritte-Welt-Ländern finden. Es kommt also lediglich zu einer Umstrukturierung, die allerdings für die Menschen in der Dritten Welt katastrophale Folgen hat. Aber vielleicht sind die Menschen, die zu dem einen Fünftel der Weltbevölkerung gehören und 70% der Weltenergie, 75 % aller Metalle, 85% des Holzes (Naturholz) und 60% der Nahrungsmittel der Welt verbrauchen, auch diejenigen, die vergessen haben, daß es außer ihnen noch andere Menschen gibt, auf deren Kosten und zu deren Lasten sie leben. Und so kann Franz Alt auch zu folgender Aussage kommen:

Die Armut der Vielen in der Dritten Welt ist weitaus klimaverträglicher als der Reichtum der Wenigen in den Industriestaaten. ("Schilfgras statt Atom", S. 166)

Es kann mit Sicherheit angenommen werden, daß jeder, der Hunger hat, lieber satt als "klimaverträglich" sein würde. Sicherlich will Franz Alt mit seiner Aussage die westliche Lebensweise der Industrienationen kritisieren, durch die immerfort Energie verbraucht wird und Schadstoffe in die Umwelt gelangen. Damit deutet er unterschwellig auch an, daß die Menschen in der Dritten Welt, daß die Armen dieser Welt die "umweltfreundlicheren" sind. Doch es darf bezweifelt werden, ob diese Wertung für Menschen von Bedeutung ist, die um ihr Überleben kämpfen. Es ist einfach ärgerlich, daß Franz Alt all die in seinen Augen veränderungswürdigenden Verhältnisse benennt, aber sie genau durch seine in selektiver Sichtweise erdachten Ideen ignoriert. Dabei geht es gar nicht darum, ob die eine oder andere Idee zur "Energieerzeugung" besser oder schlechter ist, sondern lediglich um die Oberflächlichkeit und inhaltliche Widersprüchlichkeit seiner eigenen Ansprüche, Forderungen und Aussagen.

Abschließend wäre es die Mühe wert, einmal auszurechnen, wieviel Energieaufwand die Installation solcher Schilfgrasanlagen mit sich bringt.

Hier kann bereits auf einen veröffentlichten Bericht verwiesen werden, dem man entnehmen kann, daß Chinaschilf eine teure Sache sei. Mit 20 000 DM müßte man derzeit für die Bepflanzung von 1 Hektar Land rechnen. Außerdem wurde auf die noch ungeklärten Probleme bei der Ernte und Weiterverarbeitung hingewiesen wie auch auf den hohen Wasserverbrauch.

Auch die erforderlichen vielen kleinen Turbinen, die der Stromerzeugung dienen, müssen hergestellt werden, und das heißt, daß die Industrie gefragt ist, denn solche Turbinen lassen sich nur industriell herstellen, insbesondere bei hoher Produktionsstückzahl. Für den Betrieb der Fabriken jedoch sind wieder Energie- und Rohstoffmengen vonnöten. Zu bedenken ist weiterhin der Personalaufwand, den dieses Unternehmen mit sich bringen würde. Nicht nur die Wartungsarbeiten und Kontrollfunktionen, sondern auch die Ernte, die Zu- und Ablieferungen, die Verarbeitung und Vorbereitung des Grases, bis es zur Verbrennung geeignet ist, etc. erfordern zunächst noch den Einsatz menschlicher Arbeitskraft.

In diesem Zusammenhang wie Franz Alt auf die hohe Arbeitslosenzahl zu verweisen, scheint wenig durchdacht. Jeder Arbeitnehmer will verdienen und versichert sein. Die Anzahl der Arbeitnehmer wäre mit Sicherheit groß und die Kosten entsprechend. Allein auf den guten Willen des "neuen ökologiebewußten" Menschen zu setzen, wäre zumindest zweifelhaft.

Die Konstruktion der unterirdischen Wasser- und Nährstoffversorgung erfordert große Mengen an High-Tech-Material. Bis eine solche Anlage funktionsfertig ist, hat sie bereits im Vorwege ein großes Loch in den Energieteppich gerissen, um es einmal bildlich auszudrücken.

Unberücksichtigt bleibt noch die Gefährdung des Schilfgrases selbst. Wenn man einmal davon ausgeht, daß das Gras den natürlichen Gegebenheiten ausgeliefert ist und sich die kommenden Luftverschlechterungen, der saure Regen, der hohe Ozongehalt, das weniger und schlechter werdende Wasser (und "gutes" Wasser ist bald sehr teuer), die stark beanspruchten Böden weiter ausbreiten und erhöhen, dann kann sich dies zusammengenommen zu einem gewaltigen Kostenfaktor entwickeln.

Auch vor diesem Hintergrund dürfte deutlich werden, daß die Idee, aus Schilfgras Energie zu gewinnen, mehr als fragwürdig ist. Wissenschaftler, die sich inzwischen auch im Zusammenhang mit der Forschung über nachwachsende Rohstoffe mit Chinaschilf beschäftigten, gehen heute davon aus, daß man ohnehin mit "Chinaschilf-Energie" nur einige Prozent des Strombedarfs decken kann. Wolle man mehr erreichen, so müsse man wohl auch die Mittelstreifen unserer Fahrbahnen mit Schilfgras bepflanzen.

Doch nun zum eigentlichen Schwerpunkt, den Franz Alt seinem Buch gegeben hat. Wie auch aus einigen seiner anderen Publikationen schon bekannt, ist Franz Alt ein religiöser und gläubiger Mensch. Besonders hat ihm offensichtlich die Bergpredigt gefallen, und er glaubt an die Möglichkeit, daß Menschen, die sich an diese Botschaft halten und danach leben, die Grundlage für den neuen Menschen schaffen. Wissenschaft ohne Religion, also ohne den entsprechend denkenden Menschen, wäre nicht sinnvoll. Wissenschaft und Religion müssen seiner Meinung nach miteinander in Verbindung stehen.

Franz Alt hat mit seiner Behauptung, daß Natur und Religion keine Gegensätze sind, auf eine eigene Art und Weise recht, die er mit Sicherheit so nicht gemeint hat. (Er setzt "Natur" und "Ökologie" gleich. Um der Vereinfachung willen, wird diese unpräzise Gleichsetzung hier übernommen)

Religion und Ökologie sind in der Tiefe miteinander verwandt. ("Schilfgras statt Atom", S. 208)

Der Begriff "Religion" besagt in der freien Übersetzung etwa folgendes: religio - zurück, binden (verbinden) "Zurück zu Gott". Es wird also eine (Religions)Lehre entwickelt, die die Distanz zu Gott manifestiert und unüberbrückbar werden läßt, denn um zu etwas zurück zu kommen, muß die Entfernung existent sein. Als religiöser Mensch würde man sagen man sei "Auf der Suche nach Gott" und als Wissenschaftler dementsprechend "Auf der Suche nach dem Ursprung". Die Distanz ist das Dogma, die Annäherung per Definition ausgeschlossen, und das Streben nach dem festgeschriebenen Unerreichbaren dauert an. Das wäre "Religion" und das wäre "Wissenschaft".

Die einen glauben an fiktive Teilchen, die für das Entstehen des Universums verantwortlich sein sollen, die anderen an Gott als den Schöpfer. Fiktiv sind beide, wesentlich bleibt der Glaube des Menschen. Und ihre tiefe Verwandtschaft haben sie, Religion und Wissenschaft, in dem Interesse der Menschen an einer Letztbegründung.

"Neue Energie für eine friedliche Welt" lautet der Untertitel seines Buches und in beiden Fällen - "Energie" und "Frieden" (friedlich) - handelt es sich um Allgemeinplätze, die bei den meisten Assoziationen hervorrufen, aber nicht über das Stadium der auf Axiome fußenden Glaubensbekenntnisse hinausgehen.

Der Begriff "Energie" verspricht ein universelles Potential, das jedoch nie erreicht wird, da durch das Streben nach Erlangung von "Energie" eben diese schon verbraucht wurde. Durch seinem versprechenden Charakter bleibt dieser Begriff aber vielseitig verwendbar.

In dem Wunsch nach Frieden wird ebenso der Wunsch nach Zwang und Ordnung deutlich. Was "Frieden" ist, bestimmt seit jeher der Mächtigere, der Stärkere. Selbst in seiner Vorstellung von der notwendigen Gleichberechtigung von Mensch, Tier und Pflanze in einem "ökologischen Rechtsstaat" wird sich dies nicht ändern. Solange wir essen und trinken, werden Tiere und Pflanzen mit ihrem "Recht" wenig anfangen können. Der "ökologische Rechtsstaat" kann für die sich schon jetzt rasch verschlechternden Lebensverhältnisse lediglich durch eine höhere Reglementierung von Nutzen sein. Franz Alt spricht davon, daß der menschliche "Artenegoismus" überwunden werden muß, damit wir überleben können. Doch ist "Artenegoismus" nicht eine wenig treffende Bezeichnung für die Stoffwechselprozesse, die sowohl für Mensch als auch für Tier und Pflanze gelten?

Die Verwirklichung dieses Gedankens (durch Überwindung des Artenegoismus zu einer echten Gemeinschaft mit der Natur zu gehen, Anmerk. d. Verf.) bedeutet strafrechtlich die Weiterentwicklung des sozialen Rechtsstaats in einen ökologischen Rechtsstaat. ("Schilfgras statt Atom", S. 195)

Die Implikationen einer solchen "ökologischen Demokratie" sind weitreichende Kontrollfunktionen und eine Zunahme der gesetzlichen Reglementierungen. "Im Namen der Natur", wie es in einem ökologischen Rechtsstaat heißen könnte, kann letztlich nur bedeuten, daß bestimmte Interessen durchgesetzt werden, die vorgeblich zum Wohle der Natur geschehen. "Natur" bleibt aber ein ungeklärter Begriff und bietet sich für freie Interpretationen und auch für Ausgrenzungen an.

Franz Alt hätte es einfacher haben können. Der ganze Aufwand mit dem vermeintlich durchdachten Schilfgras-Energie-Projekt wäre nicht notwendig gewesen, wenn er sich gleich auf seinen Glauben an Gott besonnen hätte und sich einfach als Prediger für einen vernünftigen, anständigen Menschen aufgemacht hätte. Seine Glaubwürdigkeit wäre wohl eher größer.

Es ist ja gut zu verstehen. Franz Alt teilt das Anliegen vieler Menschen, die Welt zu retten. Und er hatte nun die Gelegenheit über einen ihm bekannten Wissenschaftler, einen Einblick in eine sogenannte "alternative Energieerzeugung" zu wagen. Das scheint ihn völlig gefangengenommen zu haben. Der gute Wille treibt ihn. Der gute Wille und die Hoffnung, es möge doch einen Ausweg aus diesen Verhältnissen auf der Welt geben. Und im wahrhaftigem Glauben an Gott geht Franz Alt davon aus, daß die Menschen einen tatsächlichen, wenn auch vorwiegend schlechten Einfluß auf die Weltgeschehnisse haben. Gleichsam mit diesem Einfluß obliegt es ihnen dann aber auch, sich zu ändern und diese Welt zu erhalten. Dann könnte ein neuer Gemeinschaftsmythos geschaffen werden.

Neue Gemeinschaften werden um so tragfähiger und dauerhafter sein, je mehr ihr Mythos im Religiösen und Spirituellen wurzelt. Kleine und große vernetzte Gemeinden und Gemeinschaften, Familien und Berufsgruppen, einzelne Suchende und suchende Gruppen, Gemeinschaften und vielleicht auch Parteien, für die wir heute noch keine Namen haben, aber auch Therapie- Gruppen und Redaktions-Gruppen werden es sein, die das weltweite Netz einer Pioniergesellschaft der Zukunft bilden werden. ("Schilfgras statt Atom", S. 197)

Wie gesagt, geht es Franz Alt wesentlich darum, den neuen Menschen zu beschwören, und dieser "neue Mensch" soll denn auch einen guten Anfang haben. Denn ohne Sinn und Aufgabe, also ohne wahre Mission, wird sich kaum jemand auf den Weg machen. Die Mission von Franz Alt ist die "alternative Energiegewinnung" als das A und O für die Entwicklung einer neuen Gesellschaft.

Anzumerken bleibt noch, daß Franz Alt in seinem Buch nichts über das Predigen hinaus unternimmt. Nicht nur die Politiker, Unternehmer und Wissenschaftler, auch alle anderen Menschen müssen sich ändern und am besten wäre es, sie hielten sich an die Worte der Bergpredigt, dann wäre die Rettung der Welt möglich.

Mindestens seit Bestehen der Kirche predigen Menschen den anderen, wie sie zu sein haben, damit das Übel und das Böse von der Welt abgewendet werden kann. Ein ehrlicher Blick sollte doch erkennen lassen, wohin das geführt hat.


Franz Alt
Schilfgras statt Atom
Neue Energie für eine friedliche Welt
Piper Verlag, München 1992