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REZENSION/029: Stephen W. Hawking - Einsteins Traum (Physik) (SB)


Stephen W. Hawking


Einsteins Traum



Stephen Hawking erzählt in den ersten drei Kapiteln aus seinem Leben, und zwar über seinen beruflichen Werdegang als Wissenschaftler und die schwere Krankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose). Gleichzeitig wird dem Leser dabei ein kleiner Eindruck seiner persönlichen Motivation vermittelt, sich der theoretischen Physik zuzuwenden. Einen flüchtigen Einblick erhält man in Hawkings damalige Studienzeit. Entgegen vielleicht vorherrschenden Vermutungen zählte er sich keinesfalls zu den fleißigen Studenten. Erst als er erfuhr, an welcher Krankheit er litt und wie kurz seine Lebenserwartung sei, raffte er sich auf. Die Bekanntschaft mit seiner späteren Frau motivierte ihn, seine Promotion abzuschließen. Nach diesen gravierenden Einschnitten in sein Leben arbeitete Hawking mit viel Freunde und Elan an der Erforschung des Universums.

Es ist also nicht nur Einsteins, sondern auch sein Traum, eine Theorie aufzustellen, die alle bisherigen miteinander vereint und das Universum vollständig erklären kann. Doch gibt es kleine Abweichungen zu Einsteins Vorstellungen, über die man in einem der nächsten Kapitel "Einsteins Traum" aufgeklärt wird. Stephen Hawking scheint beseelt von einer Idee, mit der die Geschichte des Universums erklärt werden kann.

"Das Weltall gibt uns immer noch viele Rätsel auf, aber die großen Fortschritte, die wir besonders in den letzten hundert Jahren erzielt haben, sollten uns in der Überzeugung bestärken, daß ein vollständiges Verständnis im Bereich unserer Möglichkeiten liegt. Vieles spricht dafür, daß wir nicht dazu verurteilt sind, auf ewig im dunklen zu tappen. Es ist möglich, daß uns eines Tages der Durchbruch zu einer vollständigen Theorie des Universums gelingt. Dann wären wir wirklich die "Masters of the Universe".

Die wissenschaftlichen Artikel in diesem Buch sind in der Überzeugung geschrieben worden, daß das Universum von einer Ordnung bestimmt wird, die wir heute nur teilweise erkennen, die wir aber in einer nicht allzu fernen Zukunft möglicherweise vollständig verstehen werden. Es mag sein, daß diese Hoffnung ein Luftschloß ist; vielleicht gibt es keine endgültige Theorie, und selbst wenn, so bleibt sie uns unter Umständen verschlossen. Aber es ist auf jeden Fall besser, nach umfassendem Verständnis zu streben, als am menschlichen Geist zu verzweifeln." ("Einsteins Traum", S. 9)

Leider wird dem Leser nicht ganz verständlich, warum es von so immenser Bedeutung sein soll, die allerletzte Ursache für das Entstehen des Weltalls zu finden, warum es wichtig ist, seinen Anfang bestimmen zu können und welche Konsequenzen die Existenz von Schwarzen Löchern und Singularitäten auf das irdische Leben hätte. Normalerweise würde man diese Punkte nicht bemängeln, denn man bewegt sich auf dem Gebiet der theoretischen Physik. Dieses Buch hat jedoch den Anspruch, allgemeinverständlich zu sein, damit die Ideen einem breiten Leserkreis zugänglich werden.

Wie bei Albert Einstein kann man sich auch bei Stephen Hawking nicht des Eindrucks erwehren, daß er sich in Theorie und Abstraktion verlieren und verlieben kann. Mit glaubhafter Begeisterung entwirft Hawking kosmische Szenarien, um einen Gedankengang zu veranschaulichen:

"Die Gesetze der Physik sind zeitsymmetrisch. Wenn es also Objekte namens Schwarze Löcher gibt, in die Dinge hineinfallen und aus denen nichts entkommen kann, dann muß es andere Objekte geben, aus denen Dinge entweichen, in die aber nichts hineinfallen kann. Man könnte sie Weiße Löcher nennen. So wäre es vorstellbar, daß man an einem Ort in ein Schwarzes Loch hineinspränge und an einem anderen Ort aus einem Weißen Loch hervorkäme. Wie oben erwähnt, wäre das eine ideale Methode, um große Entfernungen im All zurückzulegen. Man müßte nur ein nahegelegenes Schwarzes Loch finden. Zunächst schien es, als sei diese Form der Weltraumreise möglich. Es gibt Lösungen für die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie, nach denen man in ein Schwarzes Loch fallen und aus einem Weißen Loch herauskommen kann. Doch nachfolgende Arbeiten zeigten, daß diese Lösungen alle instabil waren: Die leiseste Störung, etwa die Anwesenheit eines Raumschiffes, muß das "Wurmloch", die Passage, die vom Schwarzen zum Weißen Loch führt, zerstören. Das Raumschiff würde von unendlich starken Kräften zerrissen werden - wie ein Holzfaß, mit dem man die Niagarafälle zu überwinden versucht." ("Einsteins Traum", S. 118ff)

Und mit gewollter Leichtfertigkeit lockert Hawking hier und da seine manchmal nicht ganz einfach nachzuvollziehenden Ideen etwas auf:

"...Schwarze Löcher mochten dazu nützlich sein, Müll loszuwerden, vielleicht auch ein paar Freunde, aber sie waren ein "Land ohne Wiederkehr"" (Einsteins Traum", S. 119)

All die gut gemeinten und ernsthaften Anstrengungen, seine Vorstellungen über das Universum verständlich zu machen, können nicht - mögen sie auch noch so gelungen sein - darüber hinwegtäuschen, daß Hawking sich in die gleichen Ungereimtheiten verstrickt wie Albert Einstein. Hawking kann mit Sicherheit zu den Menschen gezählt werden, die sich ausführlich und intensiv mit der Einstein'schen Relativitätstheorie auseinandergesetzt haben. Und zwar so sehr, daß er Einsteins "kleine Fehler" zu korrigieren suchte, um dessen Traum von der großen Vereinheitlichten Theorie zu realisieren.

Anschaulich wird dem Leser dargelegt, warum Einstein Schwierigkeiten mit der vollständigen Akzeptanz der Theorie der Quantenmechanik hatte, die nach Ansicht des Autors unbedingt mit der Relativitätstheorie zusammengebracht werden müßte, will man der Vereinheitlichten Theorie einen Schritt näher kommen. Diese Zusammenführung der beiden Theorien macht Stephen Hawking sich zur Aufgabe und gelangt zu Ergebnissen, die Einsteins Theoreme teilweise aufheben. Seine Bemühungen in dieser Hinsicht führen zu der mathematisch beweisbaren Möglichkeit, daß Schwarze Löcher nicht ganz so schwarz sind. Das heißt, die Annahme, aus ihnen könne niemals etwas entweichen, also auch kein Licht, wurde von Hawking geändert: Schwarze Löcher können Teilchen ausstrahlen. Diese Behauptung verstößt gegen einen der Grundsätze der klassischen Relativitätstheorie. Ihr zufolge kann sich nichts schneller als das Licht bewegen. Um dem Schwarzen Loch zu entkommen, müßte ein Teilchen aber genau dies vollbringen. Stephen Hawking ist überzeugt davon, daß es möglich ist.

Sich hier in den Streit um richtig und falsch, um möglich oder unmöglich einzumischen, wäre wohl anmaßend. Mit Sicherheit haben sowohl Einstein als auch Hawking enorme mathematische Leistungen vollbracht, die das eine oder andere beweisen können. - Aber was kann eigentlich nicht mathematisch "bewiesen" werden?

Einsteins ursprüngliche Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie sagten vorher, daß das Universum entweder expandiert oder sich zusammenzieht. Deshalb führte er einen weiteren Term in die Gleichungen ein, die die Masse und Energie im Universum mit der Krümmung der Raumzeit in Beziehung setzten. Diese sogenannte kosmologische Konstante hatte einen abstoßenden Gravitationseffekt. So war es möglich, die Massenanziehung durch die Abstoßung der kosmologischen Konstanten auszugleichen (Einsteins Traum", S. 69)

Einstein hielt so sehr an der Vorstellung von einem stationären Weltall fest, daß er es auch unbedingt mathematisch "beweisen" wollte. Als Edwin Hubble im Jahre 1929 dann entdeckte, daß sich ferne Galaxien von uns fortbewegen, folgerte man: Das Universum expandiert. Einstein selbst nannte die Einführung der kosmolgischen Konstanten später "die größte Eselei meines Lebens". Ob Eselei oder nicht - an diesem Beispiel wird deutlich, wie "wertvoll" mathematische Beweise sind.

Erfrischend offen spricht Stephen Hawking über die Wägbarkeiten bei der Bestimmung von Theorien:

Zwar sind schon elegante und schöne Theorien aufgegeben worden, weil sie nicht mit den Beobachtungsdaten übereinstimmten, aber ich kenne keine wichtige Theorie, die ihre Entwicklung allein Experimentaldaten zu verdanken hätte. Immer kommt zunächst die Theorie, die dem Wunsch entspringt, über ein elegantes und in sich schlüssiges mathematisches Modell zu verfügen. Dann macht die Theorie Vorhersagen, die sich anhand von Beobachtungen überprüfen lassen. Wenn die Beobachtungen mit den Vorhersagen übereinstimmen, ist die Theorie damit noch nicht bewiesen, aber sie überlebt und macht weitere Vorhersagen, die dann wieder an Beobachtungsdaten überprüft werden. Stimmen die Beobachtungen nicht mit den Vorhersagen überein, gibt man die Theorie auf. ("Einsteins Traum", S. 56)

Doch räumt Stephen Hawking als erfahrener Wissenschaftler hier ein:

So zumindest sollte es sein. In der Praxis widerstrebt es Menschen, eine Theorie aufzugeben, in die sie viel Zeit und Mühe investiert haben. Gewöhnlich stellen sie deshalb zunächst die Genauigkeit der Beobachtungen in Frage. Wenn das nicht klappt, versuchen sie die Theorie von Fall zu Fall so abzuändern, daß sie zu den Beobachtungen paßt. (Einsteins Traum" S. 57)

Selbstverständlich kritisiert Hawking ein derartiges Vorgehen. Doch wirkliche Unterschiede zu diesem Vorgehen in seinen eigenen Bemühungen um die Erschaffung einer Vereinheitlichten Theorie werden nicht offenbar. Wenn jemand - wie auch er - davon überzeugt ist, daß das Universum nur darauf wartet, untersucht, ergründet und letztlich vollständig verstanden zu werden, bleibt ihm nur die positivistische Vorgehensweise, zu der sich Hawking aber auch ausdrücklich bekennt:

Dabei spielt es keine große Rolle, ob Sie die Relativtätstheorie und Quantenmechanik verstehen, ja nicht einmal, ob diese Theorien richtig oder falsch sind. Mir ging es hier nur um den - hoffentlich gelungenen - Beweis, daß eine Art positivistischer Ansatz, nach dem eine Theorie immer als ein Modell aufgefaßt wird, der einzige Weg ist, das Universum verstehen zu lernen - zumindest für einen theoretischen Physiker. ("Einsteins Traum", S. 62)

Wer es für ausreichend befindet, in ewig gleicher Weise theoretische Beschreibungen von all dem zu verfassen, was mit Hilfe der jeweils neuesten Technik gerade zu beobachten möglich geworden ist, kann mit Sicherheit immer neue Freude an der Gestaltung von Theorien finden.

Als theoretischer Physiker, der sich die Erforschung des Universums zur Aufgabe gemacht hat, eröffnet sich einem eine ungeahnte Vielfältigkeit an Beobachtungsmöglichkeiten. Und wer möchte diesem Ideenspiel ein Ende setzen? Und warum? Schließlich hat es das Raumschiff "Enterprise" ja geschafft, heil durch ein "Wurmloch" zu fliegen. Die Science Fiction-Autoren haben nur das in Szene gesetzt, was sich Theoretiker aufgrund ihrer Berechnungen erträumten.

Manchmal aber werden die Modelle und Vorstellungen so abwegig und hypothetisch, daß man dies nur noch dem rein theoretischem Ansatz zuschreiben kann: Um zu belegen, daß Menschen, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen, keine Einigung über die Entfernung zwischen zwei Ereignissen erzielen werden, wird wie folgt argumentiert:

Wenn ich beispielsweise messe, welche Strecke ein Auto zurückgelegt hat, das die Autobahn entlangfährt, würde ich meinen, es sei nur ein Kilometer, aber für einen Beobachter auf der Sonne hätte das Fahrzeug ungefähr 1800 Kilometer zurückgelegt, weil sich auch die Erde bewegt hätte, während das Auto die Straße entlangfuhr. ("Einsteins Traum", S. 67)

Nun, der fiktive Beobachter auf der Sonne wird wohl andere Sorgen haben, als die Entfernung der gefahrenen Strecke zu messen. Doch abgesehen davon bleibt für die Menschen auf der Erde ein Kilometer laut ihrer eigenen Absprachen ein Kilometer.

Die Thesen, Gedankenspiele und Theorien von Stephen Hawking oder von Albert Einstein im einzelnen zu hinterfragen, würde den Rahmen dieser Rezension sprengen.

Ganz gleich wie abstrakt und hypothetisch die Modelle sind, sie bleiben Erklärungsversuche. Der Wunsch nach einer Letztbegründung, also einer Erklärung, die alles umfaßt und für alles gilt, die mit Sicherheit den Menschen den Eindruck vermittelt, die Welt ist so wie sie ist, und das ist gut so, weil es dafür einen Grund gibt, weil alles erklärbar, berechenbar und bestimmt ist, war schon vor Jahrtausenden der Motor allen Strebens nach Erkenntnis. Dies wird sich auch nicht ändern, solange weiterhin nach der letzten Ursache geforscht wird.

Für jeden, der sich mit theoretischen Fragen unserer Existenz befassen möchte und Einblick in die Theorien der sogenannten großen Theoretiker unseres Jahrhunderts nehmen möchte, ist dieses Buch mit Sicherheit empfehlenswert. Ein aufmerksames Lesen und ein bedenkenloses Folgen ist allerdings Voraussetzung für ein umfassendes Verständnis.

Gerade für all diejenigen, die ihre wohl auch berechtigten Zweifel an dieser physikalischen Weltsicht hegen, wird das Buch ein Fundus an Beispielen für kurz- und zirkelschlüssige Thesen sein.


Stephen W. Hawking
Einsteins Traum
Expeditionen an die Grenzen der Raumzeit
Rowohlt Verlag GmbH, 1993
190 Seiten