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REZENSION/083: Wellmer, Becker-Plate, Hg. - Mit der Erde leben (SB)


Herausgeber: Wellmer, Becker-Plate


Mit der Erde leben



Der Titel dieses Buches verspricht Hinweise und Anregungen für ein Leben mit der Erde zu geben statt gegen sie. Die Autoren zählen zu einem fachkundigen Kreis aus dem Arbeitsfeld Geologischer Institute wie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und dem Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung. Ihr erklärtes Anliegen ist es, darzulegen inwieweit staatliche Geologische Dienste daran mitwirken können, eine "nachhaltige Entwicklung" zu realisieren: In der Nachhaltigkeit wird die Überlebensstrategie für die Menschheit gesehen; ohne eine nachhaltige Entwicklung, ohne ein nachhaltiges Wirtschaften wird die Ausbeutung der Erde fortgesetzt - mit absehbaren Folgen.

In den Kapiteln über Nachhaltigkeit, über Arbeit und Aufgaben Geologischer Dienste, über das Klimasystem der Erde, das Wasser, den Boden, die Rohstoffe, die Lagerung von Abfällen, die Georisiken als auch über die seismische Überwachung und in dem abschließenden Teil über die Zukunftsaussichten im Kontext eines nachhaltigen Vorgehens werden Probleme und ihre Lösungsansätze bzw. -vorschläge detailliert dargelegt. So gesehen handelt es sich um eine sehr umfassende Darstellung der heutigen Verhältnisse auf unserer Erde unter dem besonderen Blickwinkel der Geologen.


Nun haben die Autoren allerdings einen Schwerpunkt in ihren Berichten und in der Problematisierung gesetzt: den der Nachhaltigkeit. Der Begriff der Nachhaltigkeit werde leider viel zu oft als Leerformel benutzt, doch nach Meinung der Autoren steckt mehr dahinter:

An ihm (dem Begriff Nachhaltigkeit, Anm. d. Verf.) läßt sich ein Umdenkungsprozeß festmachen: Vom Umweltschutz alter Prägung, in dem es vorwiegend darum ging, die Natur zu achten und die Umgebung zu schonen, zu einem umfassenden Konzept, aus dem eine Überlebensstrategie für die Menschheit erwachsen soll. (S. 3)

Vor dem Hintergrund einer zu entwickelnden Überlebensstrategie für die gesamte Menschheit reicht es keinesfalls aus, lediglich die gegenwärtigen geologischen beziehungsweise ökologischen Verhältnisse offenzulegen. Denn letztlich hat es bis zur heutigen globalen Situation auch die entsprechende Entwicklung gegeben. Gerade dieser Aspekt findet in dem Buch keine Beachtung und wäre doch unerläßlich, um die dem Anliegen einer nachhaltigen Entwicklung widersprechenden Interessen zu erkennen und zu unterbinden.

Die Länder der sogenannten Dritten Welt oder auch die sogenannten "Entwicklungsländer" leiden heute nicht unter Hunger und Armut, weil sie unterentwickelt sind, sondern weil ihnen während langer Kolonialherrschaft durch europäische Länder Rohstoffe, Pflanzen und Tiere geraubt, weil sie versklavt oder getötet, weil soziale Gemeinschaften zerstört wurden. Der Anbau von Früchten in Monokultur ist mit Sicherheit keine Erfindung von Menschen, die im Regenwald Früchte anpflanzten, die sie zum Leben brauchten. Vielleicht hätte man gerade hier etwas über nachhaltigen Umgang mit der Natur lernen können.

In "Mit der Erde leben" wird lediglich der Status quo beschrieben, um von dort ausgehend Lösungen zu suchen. Wenn es um die Schuld an der Zerstörung der Erde geht, werden alle - die Reichen und die Armen - genannt.

Nachhaltig handelt, wer mit einem ihm anvertrauten Gut so umgeht, daß es auch Nachkommenden noch zur Verfügung steht. Das ist leicht gesagt und doch, wenn es sich um die Erde handelt, so schwer zu bewerkstelligen. Die Bewohner der reichen wie auch der armen Länder gefährden die Lebensgrundlagen künftiger Generationen: die einen durch ihren Lebensstil, die anderen durch den rapiden Anstieg der Bevölkerung. Nichts bleibt verschont: nicht das Land und nicht die Meere, nicht die Mitbewohner auf der Erde, die Wälder, die Böden, die Wasservorräte und die Luft. (Vorwort)

Die Bevölkerungen der armen Länder dieser Welt sind an der heutigen globalen Situation nur insoweit mitschuldig, als daß sie die Kolonisierung über sich ergehen ließen, wenngleich auch mit mehr oder weniger erbittertem Widerstand. Die zerstörten Lebensgrundlagen dieser Länder sind das Ergebnis kolonialer und imperialer Politik damals und heute.

Einstige offenkundige Rohstoffausbeutung wird nun als Ressourcensicherung bezeichnet. Dieser Begriff wirkt sachlich und neutral. Beinahe könnte angenommen werden, man sei um die Befindlichkeit von Öl, Gas, Kohle, Uran etc. besorgt. Die Wissenschaftler der Industrienationen sind diejenigen, die mit aufwendigem technischen Gerät die Lagerstätten und Vorkommen orten und ihre Mengen bestimmen können. Ressourcensicherung bedeutet die Sicherung der für die Industrienationen erforderlichen Mengen dieser Vorkommen.

Von einem schonenden Umgang mit der Natur und der Bewahrung der Welt für die kommenden Generationen ist die Rede. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, es ginge um das Wohl der gesamten Menschheit. Doch bislang wird Wohlergehen und Lebensstil nur in den Industrienationen erwirtschaftet. Und dies geschah und geschieht auf Kosten und zu Lasten ganzer Bevölkerungen. Nachdem man sie nachhaltig beraubt hat und nur karges Land, verschmutztes Wasser und zerstörte Pflanzenkulturen zurückließ, machten sich Hunger und Armut breit, auch das unerbittlich und nachhaltig. Und nun - im Sinne einer globalen nachhaltigen Entwicklung - wird diesen Ländern auch noch ihre hohe Bevölkerungszahl vorgeworfen und als umweltschädlich dargestellt. Daß sich hinter dieser Bezichtigung das Berechnen der eigenen Vorteilslage verbirgt, ist schon mehr als offenkundig. All dies paßt natürlich nicht in das Bild der hochentwickelten Industrienationen, die den armen Entwicklungsländern großmütig ihre "Hilfe" anbieten. Es gleicht einem Mann, der das Haus des Nachbarn in Schutt und Asche legt und hinterher - natürlich gegen Bezahlung - seine Hilfe beim Wiederaufbau anbietet.

Das gilt es zu verschleiern. Das Buch "Mit der Erde leben" dient diesem Zweck. Die gute Absicht, die Erde zu erhalten, trifft auf breite Zustimmung. Werden dann noch Konzepte und Vorschläge vorgestellt, die eine Realisierung dieser Absicht machbar erscheinen lassen, ist abermals Zustimmung zu erwarten. Bei Berechnungen stützt man sich auf entprechendes Datenmaterial. Und damit ist die Arbeit der Geologischen Dienste legitimiert. Eine ihrer Hauptaufgaben besteht aus dem Datenerfassen von geologischen, ökologischen, klimatischen und sozialen Faktoren. Unter der Prämisse, mehr Daten ermöglichen eine präzisere Einschätzung der globalen Verhältnisse, erscheint die Arbeit recht sinn- und wertvoll. Daß die Konzentration von Datenmengen aus der gesamten Welt einen erheblichen Machtfaktor darstellt, wird nicht erwähnt. Die Kenntnis über Vorkommen und Ressourcenmengen, über Wasserverhältnisse und Bodenbeschaffenheiten ermöglicht der Nation, die nicht nur über derlei Daten, sondern auch noch über militärische Macht und politische Mittel verfügt, umfangreiche Vorteile. Und darum geht es in diesen scheinbar so gut gemeinten Projekten zur Rettung der Erde: um die Sicherung der Vorteile für die Industrienationen und die Verteilung der weltweiten "Restbestände", damit der Lebensstandard sich nicht allzu sehr senkt. Wäre es jemals um das Wohl auch der Menschen in den sogenannten Dritte-Welt-Ländern gegangen, hätte niemals ein Mensch mit feindlicher Absicht diese Länder betreten dürfen.


Zu empfehlen ist das Buch dennoch all denjenigen, die sich ein Bild von den momentanen geologischen und ökologischen Verhältnissen auf unserem Planeten machen möchten. Umfangreiche Tabellen, sehr genaue Schaubilder, viele Fotos, schematische Darstellungen über Verläufe und detaillierte Graphiken von Modellentwürfen über Regelkreismechanismen sollen dem Leser das Verständnis des Textes vereinfachen. Deutlich werden auch die bei dem Versuch der Realisierung einer nachhaltigen Lebensweise und nachhaltigen Wirtschaftsweise auftretenden Schwierigkeiten benannt. Beim Abbau von Rohstoffen werden möglichst umfangreiche Daten miteinbezogen. Dabei spielen Aspekte der Rohstoffeinsparung, der rationelle Umgang oder neue Technologien zum Abbau eine Rolle. Die durch den Abbau verursachten ökologischen Schäden und die Dringlichkeit der Rohstoffgewinnung durch eine in Aussicht stehende Nachfrage werden eingeschätzt. Jeder, der sich für die ökologischen Gesichtspunkte interessiert, die mit der von den Autoren favorisierten Überlebensstrategie der Menschheit, sprich, dem nachhaltigen Wirtschaften, einhergehen, wird hier mit reichhaltigem Material versorgt.


Herausgeber: F. W. Wellmer, J. D. Becker-Platen
Mit der Erde leben
Beiträge Geologischer Dienste zur
Daseinsvorsorge und nachhaltigen Entwicklung
Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 1999
273 Seiten
ISBN 3-540-64947-6