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REZENSION/096: Wieland Schmied, Hg. - Harenberg Museum der Malerei (SB)


Herausgeber Wieland Schmied


Harenberg Museum der Malerei

525 Meisterwerke aus sieben Jahrhunderten



Kunst-Lexika gibt es in diversen Ausführungen zu kaufen. Jeder Aspekt des künstlerischen Schaffens wird gewichtet und von unterschiedlichen Seiten beleuchtet. Jede nur erdenkliche Sortierung wird vorgenommen, wenn sie nur in irgendeiner Weise sinn- und gewinnträchtig erscheint.

Kunst zu präsentieren und sie einem Publikum gegen entsprechendes Entgeld zugänglich zu machen, ist eines der Hauptanliegen von Kunst. Selbst das religiöse Tafelbild mußte früher mit einem Kirchenbesuch "entlöhnt" werden.

Heute gibt es dafür die seitenstarken Kunst-Bände, die bemüht sind, sich der Farbbrillanz der Originale anzunähern. Jedem Kunstinteressierten aber ist bekannt, daß das Wesentliche eines original gemalten Meisterwerks durch die Farbreproduktion verloren geht. Somit dienen diese Lexika allenfalls der Sammelleidenschaft und zur Erinnerung an Originale bzw. für ein grobes Wiedererkennen durch die spezifische Art der Verteilung von Form und Farbe.

Das vorliegende Lexikon "Harenberg Museum der Malerei" bietet farbintensive Hochglanzbilder und formuliert den Anspruch, die Konzentration des Textes neben den Farbreproduktionen darauf zu richten: "[...] was in diesen Werken sichtbar wird, und darauf, wie dieses Sichtbare zu "lesen" ist."

Ein unbedarfter Mensch könnte sich fragen, ob das, was "sichtbar wird" nicht schon auf der nebenstehenden Abbildung sichtbar ist. Weit gefehlt, werden die bemühten Kunsthistoriker (von denen 36 an diesem Lexikon gearbeitet haben) wahrscheinlich anmerken. Das ungeübte Auge sieht nur das, was es sowieso schon kennt und wenn es keine Kenntnis hat, sieht es auch nichts.

Der elitäre Anspruch, den die Kunst als kultureller Überbau der Gesellschaft vertritt, entblättert sich deutlich in der oben erwähnten Formulierung. Dem "dummen" Betrachter muß erklärt werden, was es zu sehen gibt, und wie er das Sichtbare zu verstehen hat. Jeder noch so kleine, aber eigenproduzierte Gedanke wird somit im Keim erstickt. Dabei sind die Texte nicht sonderlich hilfreich. Viele verschwenden den geringen Platz (eine Textspalte) mit einer reinen Beschreibung des Bildes. Nur hin und wieder wird das Augenmerk des Betrachters auf kleine Auffälligkeiten gelenkt, die man bei einer aufmerksamen Bildbetrachtung jedoch auch selbst entdeckt hätte. Die selten eingeflochtenen Erläuterungen sind eher dürftig zu nennen.

Der Rest der Spalte wird häufig dafür vergeudet, "Großartiges" zu verbreiten, das nur dann verstanden werden kann, wenn der Interessierte Kunst studiert hat und sich mit Epochen, Stilen, Techniken und Bildwerk auskennt. Nur selten ist es einem der Kunsthistoriker gelungen, sich wirklich verständlich auszudrücken und Erhellendes beizusteuern.

Auch der Kommentar-Spruch vom Künstler selbst oder einem Zeitgenossen zu jedem der 525 Werke bietet nur ab und zu Einblick in das Schaffen des Künstlers, sein Zeitalter oder seine Intention; er wirkt häufig fragmentarisch.

Des weiteren stellt sich heraus, daß die Hintergrundinformationen zu den Bildern schlecht recherchiert sind. Manches für das Bildverständnis wichtige Detailwissen wurde weggelassen oder seine Bedeutung unter- bzw. überbewertet. Daß damit einem unkundigen Betrachter keine Hilfestellung zukommt, versteht sich von selbst. Der Platz für den Text ist einfach zu gering bemessen, als daß wirklich anschauliche Erklärungen angebracht werden könnten.


Beispiel Leonardo da Vincis "Das Abendmahl" (S. 145): Der Text gibt unzureichende Aufklärung über die Malweise Leonardos. In der Beschreibung wird behauptet, Leonardo hätte das Abendmahl "al secco" - also auf trockener Wand gemalt und sein Werk sei nur deshalb so frühzeitig verfallen, weil er soviel daran geändert hätte. Bekannt aber ist, daß Leonardo auf vielen Gebieten nach neuen Möglichkeiten geforscht hat, so auch in der Malerei. Ihm sagte die altbewährte Fresko-Technik nicht zu. Er lehnte diese schematische Vorgehensweise ab, die den künstlerischen Aspekt der Wandmalerei vollkommen in den Hintergrund stellte und zum bloßen Ausmalen degradierte. Doch Leonardos neuartige Idee war deshalb nicht von Erfolg gekrönt gewesen, weil er seine Leim-Öl-Farbe auf die NASSE Wand auftrug und nicht - wie später bei "al secco" üblich - auf die trockene Wand.

Beispiel Jan Vermeers Bildwerk (S. 357, 359, 361): Jan Vermeer ist bekannt dafür, die Camera obscura (Urform des Fotoapparates) benutzt zu haben. Sie wird im Text lediglich erwähnt, nicht aber erklärt. Daß Vermeer dieses Hilfsmittel für seine Genremalerei benutzt hat, ist an seiner neuartigen Malweise abzulesen: farbige statt graue Schatten, gestochen scharfe Bildwirkung bei punktiertem Farbauftrag - für jene Zeit ungewöhnlich - sowie die außergewöhnlichen perspektivischen Größenverhältnisse sind Faktoren, die allesamt auf die Anwendung der Camera obscura hinweisen. Die Benutzung der Camera wird in diesem Lexikon geradezu VERLEUGNET, indem für eines seiner drei vorgestellten Bilder die Breite des Landschaftsformats als Gegenbeweis angeführt wird.

Beispiel Francisco de Goyas "Die nackte Maja"/"Die bekleidete Maja" (S. 427): Die beiden Porträts sind für den Autor ein großes Rätsel, und er verliert sich in Spekulationen, warum Goya eine zweite Version der nackten Maja gemalt hat. Hätte der Autor genauer recherchiert, wäre ihm sicher aufgefallen, daß in Spanien zu Goyas Zeiten die Inquisition wütete, der Francisco de Goya beinahe selbst zum Opfer gefallen wäre. Der erzkatholischen Moral entzog sich der Auftraggeber der Werke, indem er über das Bildnis der nackten Maja die bekleidete hängte und sich zu intimer Stunde an der nackten erfreute.

Beispiel Jan van Eycks "Arnolfini-Hochzeit" (S. 107): Zur Arnolfini-Hochzeit läßt sich auch eine ungenaue Recherche aufzeigen. Die Hochzeit war nicht aus Liebe zustandegekommen, wie der Autor an dem grünen Kleid der Braut erkennen will, das er nicht als Zeichen der Hoffnung (Schwangerschaft) deutet, sondern als Liebessymbol. Den übermäßig dicken Bauch der Frau schreibt er dem damaligen Schönheitsideal zu und nicht einer Schwangerschaft. Die Hochzeit aber kam über eine Intrige zustande. Der reiche Kaufmann schützte eine Krankheit vor, um die junge Witwe an seine Bettstatt rufen zu lassen. Und nachdem er sie dort hineingezogen hatte, beugte sie sich schließlich seinem Heiratswunsch. Der Gesichtsausdruck des Kaufmanns auf dem Doppelporträt ist hinterhältig und der der Braut müde-resigniert. Die Gesichter spiegeln keinesfalls das Glück oder die stille Zufriedenheit von Liebenden wider. In diesem Fall "sah" der Kunsthistoriker, was er sehen wollte.

Beispiel Théodor Géricaults "Das Floß der Medusa" (S. 507): Auch hier läßt sich fehlende Recherche, zumindest fehlende Erklärung verzeichnen. Denn das Bild machte seinerzeit in Frankreich Furore, weil sich nach dem Schiffbruch Kannibalismus auf dem Floß zutrug. Géricault unterließ es, diesen abzubilden. Allein das Wissen um die Vorgänge auf dem Floß und die dargestellten naturgetreu abgebildeten Toten riefen beim damaligen Betrachter Schauern hervor. Die Sensationslust der Menschen war in jener Zeit so groß gewesen, daß in England sogar eine Ausstellung mit nur diesem einen Bild bestritten wurde, zu der die Menschen in Scharen anreisten. Der Text im Lexikon ruft den Eindruck hervor, daß allein das Einsetzen eines unfähigen Kapitäns seitens der Regierung zu einem Skandal führte.

Wie man an der Auslassung sehen kann, wird auch heute noch das Thema Kannibalismus tabuisiert.


Selbstverständlich gelingt es dem ein oder anderen Autoren einen informativen Text einzubringen, aber oft gleitet der Sprachstil ab ins Nebulöse. Das klingt dann genau so, wie es das Klischee von Kunst- Beschreibungen fordert:

Auch das Licht wird nicht mehr als von außen einfallend im illusionistischen Sinne dargestellt, sondern als freier Rhythmus von hellen und dunklen Flächen der Bildstruktur untergeordnet. Die Facettierung der Formen hat dadurch einen Punkt erreicht, an dem die einander durchdringenden Flächen ihrer eigenen künstlerischen Logik zu folgen beginnen, in Übereinstimmung mit der rhythmischen Struktur des Bildes und der immer noch notwendigen Gegenstandswiedergabe. Dieses ambivalente Raumgefühl ... (S. 710)

Bedauerlicherweise verlieren sich auch viele der 31 Einführungstexte in Details oder sie fokussieren Schwerpunkte, die nach persönlichem Gusto des Autors ausgewählt sind und nicht unbedingt auf geteilte Meinungen stoßen.

Prinzipiell ist nichts dagegen zu sagen, daß Bilder von Fachleuten betrachtet und ihre Bedeutung ins Verhältnis zur gesamten Entwicklung gesetzt wird. Doch der Anspruch, den das "Harenberg Museum der Malerei" formuliert, stammt aus dem elitären Verständnis von Kunst und das durchdringt fast alle Texte. Da sich der Inhalt der Texte aber als zu knapp und zu flach erweist, bietet er dem Unkundigen weder eine fundierte Einführung noch sonstige Offenbarungen. Dem interessierten Laien bleibt nichts anderes, als die lückenhafte Fachsimpelei zu übernehmen.

Für einen Small-Talk auf der Party dürften die "kunstgerechten" Formulierungen jedoch reichen.


Harenberg Museum der Malerei
525 Meisterwerke aus sieben Jahrhunderten
Herausgegeben von Wieland Schmied
Harenberg Lexikon Verlag, Dortmund 1999
1184 Seiten, 98,- DM
ISBN 3-611-00814-1